Wünschendorf - ein „verlorener“ Ort

(geschrieben November 1997)

 

Im Hauptinteresse meiner Ahnen- und Familienforschung steht seit ca. zwei Jahren der Ort Wünschendorf als Heimat der väterlichen Linie. Wünschendorf - ein Ort, wie er idyllischer nicht liegen kann; von einem Tal über eine Erhebung runter ins andere Tal gelegen, mit einem herrlichen Blick auf das Gebirge. Wünschendorf - ein Ort, in dem seit Ortsgründung Ackerbau und Viehzucht die wichtigsten Nahrungszweige waren. Auch Obst gedeiht hier sehr gut. Eine große Rolle spielte Jahrhunderte lang die Kalkbrennerei; den Besucher von Wünschendorf wird es freuen, dass der Kalkofen im Nordwesten von Wünschendorf noch existiert.

 

Das genaue Gründungsjahr von Wünschendorf ist nicht mehr zu ermitteln. In alten Schöppenbüchern wurde Wünschendorf als Windischendorf, Wintschdorf, auch Wynszchendorf benannt. Windischendorf = Dorf der Winden oder Wenden, also deutschen Ursprungs. Das älteste zu ermittelnde Datum ist das Jahr 1424, in dem das Dorf Heinze von Mosenau (Mezenaw) zu Matzdorf gehörte. Den Schöppenbüchern ist sicherlich weit mehr zu entnehmen als die alten Namen, aber wo sind sie - verloren?

 

Johann Georg Thomas, der von 1816 bis 1849 Pastor in Wünschendorf war, hat uns mit seinen „Geographischen und historischen Nachrichten von Wünschendorf“ aus dem Jahr 1819 und der „Wünschendorfer Jubelfreude wegen der vor hundert Jahren wiedererlangten Religionsfreiheit“ aus dem Jahr 1841 wichtige Informationen hinterlassen. Besonders schön ist seine Ausführung über den Charakter der Wünschendorfer: „Sie sind im allgemeinen gottesfürchtig. Bibel und Gesangbuch findet sich in jedem Haus. Dem Spiele ist niemand ergeben, dem Trunke huldigen nur wenige; an Tanzlustbarkeiten hat man keinen Wohlgefallen. Bettler gibt es gar nicht, der Wohlhabendere unterstützt mit menschenfreundlicher Milde den Armen. Durch Arbeitsamkeit, Friedfertigkeit, Mäßigkeit und Keuschheit zeichnet sich der größte Teil der Einwohner vorteilhaft aus.“

 

Pastor Thomas hat sich auch intensiv mit dem sog. „Gesundbrunnen“ im Pfarrgarten beschäftigt, denn er berichtet uns folgendes:

 

 „Das Quellwasser ist von vorzüglicher Güte. Ja, die Sage meldet: daß in früherer Zeit hier ein Gesundbrunnen entdeckt worden sei, den aber der Ortsgeistliche wieder verschütten ließ, aus Besorgnis, die hiesigen Einwohner könnten an ihrer Sittlichkeit leiden, wenn der Ort zu einem Badeorte umgeschaffen würde... Auf diese Sage gestützt ließ ich vergangenen Sommer Nachgrabungen anstellen und fand glücklich, was ich suchte, in meinem Garten. Der Brunnen war noch völlig ausgemauert und sein Wasser verriet sogleich Mineralteile. Es schmeckte wie Tinte, färbte Fernambukpapier violett und gab mit ein wenig Zutat von Galläpfeln augenblicklich ein purpurrotes Ansehen. Nach vorläufiger Untersuchung enthält dies Wasser: Eisenteile, Kalkerde, Kohlensäure und salzsaure Salze. Auch in der großen Kälte vom 7ten bis 8ten dieses Monats (gemeint ist der Dezember 1819) gefror es nicht im mindesten.“

 

Auch Johann Friedrich Feige, der erste evangelische Pastor in Wünschendorf nach Wiedererlangung der Religionsfreiheit, eingesetzt aufgrund eines Bittschreibens des Freiherrn von Grunfeldt auf Burg Lehnhaus an Friedrich den Großen vom 15.12.1741, hat zwei Jubelschriften über Wünschendorf und seine Bewohner verfasst; diese sind trotz intensiver Suche in deutschen und polnischen Archiven und Bibliotheken leider nicht zu finden - sind sie auch verloren?

 

Natürlich ist es möglich, gewisse Informationen über Wünschendorf aus der schlesischen Literatur zu erhalten. So hatte Wünschendorf im Jahre 1863 mit 373 Einwohnern die höchste Besiedelung. Darüber hinaus können wir erfahren, dass es dort im Jahr 1900 52 Pferde, 73 Ochsen, 164 Kühe, 18 Schafe, 127 Schweine, 88 Ziegen, 64 Gänse, 20     Enten, 797 Hühner und 31 Bienenstöcke sowie 1.469 Apfel-, 372 Birnen-, 674 Pflaumen- bzw. Zwetschgen- und 1.283 Kirschbäume gab. Da Wünschendorf Kirchort war, lässt sich auch über das Kirchspiel, die katholische Kirche aus dem 15. Jahrhundert und das evangelischen Bethaus von 1745 viel Material zusammentragen. Doch wo sind die wirklich interessanten Informationen?

 

Eine Schlesien-Reise im April diesen Jahres diente hauptsächlich dem Auffinden der deutschen Akten über Wünschendorf. Drei Tage Forschungsarbeit im Hirschberger Staatsarchiv haben mich aber nicht weitergebracht. Das einzige Dokument, das ich finden konnte, ist die Abschrift einer Hypothekenkündigung der Lähner Stadthauptkasse an einen Wünschendorfer Einwohner vom 29.11.1900.

 

Sehr erfreulich ist aber das Vorhandensein von zwei evangelischen Kirchenbüchern: das Begräbnis-Buch von 1765 bis 1790 und das Taufbuch von 1876 bis 1913. Der Wünschendorfer Ahnenforscher weiß auch längst von der Existenz des Taufbuches von 1766 bis 1781, das in Berlin lagert. Auf die Frage nach weiteren Kirchenbüchern erhielt ich in Hirschberg jedoch nur ein Achselzucken - sollen sie wirklich verloren gegangen sein?

 

Nicht nur, dass Wünschendorf seit 50 Jahren für die Wünschendorfer verloren ist, und die Wünschendorfer durch die Vertreibung wie Millionen andere Schlesier ihr Hab und Gut und somit ihre Existenzgrundlage verloren haben. Auch Wünschendorf verliert - nämlich sein gewohntes Ortsbild: von den ehemals 73 Häusern und Bauernhöfen existieren heute nur noch 39, von den zwei Telefonanschlüssen nur noch einer. Es gibt noch ein Geschäft, aber ohne reguläre Öffnungszeiten. Dort wird täglich die Post abgegeben, ausgetragen wird sie nur dann, wenn die Rente gezahlt wird, und auf den Krankenwagen aus Löwenberg musste eine Polin kürzlich zwei Stunden warten.

 

Mein Vorhaben, die Ortsgeschichte von Wünschendorf aufzuzeigen und zu veröffentlichen, scheitert an nicht auffindbarem, also verloren gegangenem Informationsmaterial. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass ich das, was irgendwo noch vorhanden ist, in den nächsten Jahren finden werde! Doch dazu brauche ich Hilfe - die Hilfe aller Wünschendorfer. Denn nicht verloren gegangen sind sicherlich einige Zeitungsartikel, Fotos oder Ansichtskarten, und vor allem nicht verloren gegangen sind die Erinnerungen der Wünschendorfer an ihre Kindheit, Jugend, besondere Feierlichkeiten u.s.w. Mit solcher Unterstützung, die ich teilweise von Wünschendorfern schon erhalten habe, ließe sich ein Heimatbuch für Wünschendorf zusammenstellen - damit die Erinnerung an Wünschendorf nicht verloren geht!

 

Doris Baumert