Die
Tragödie auf Schloss Kleppelsdorf am 14. Februar 1921
Dorothea
Rohrbeck, Besitzerin von Schloss Kleppelsdorf,
ermordet
am 14. Februar 1921 im Alter von 16 Jahren
Das Geschehen
auf Schloss Kleppelsdorf am 14. Februar 1921 ist so interessant, spannend und
verworren wie nur wenige Kriminalfälle; es hat mich - vor allem durch die
vielen Verstrickungen und merkwürdigen Begebenheiten im Vorfeld des Verbrechens
- in seinen Bann gezogen. Was damals wirklich geschehen ist, wird nicht mehr
herauszufinden sein, aber trotzdem - oder gerade deshalb - ist es mir ein
Bedürfnis, möglichst viele Informationen zusammenzutragen.
Dieses
sind Berichterstattungen aus „Der
Bote aus dem Riesengebirge“, „Neuer
Görlitzer Anzeiger“, „Berliner Morgenpost“,
„Berliner Illustrirte Zeitung“, „Schlesische Zeitung“, „Hamburger
Nachrichten“, „Hamburger Anzeiger“, „Norddeutsche Nachrichten“, „Hannoverscher Kurier“ und „Vossische Zeitung“. Dadurch sind viele
Einzelheiten mehrfach wiedergegeben, aber auch einige Fakten leicht verwirrend,
weil es wohl keinem Berichterstatter möglich war, diese Angelegenheit absolut
objektiv zu betrachten und mal die eine, mal die andere Tatsache in den Vordergrund
gestellt bzw. als unrelevant weggelassen wurde. Auch die Gesamtdarstellung des
Journalisten und Schriftstellers Hans Habe ist unter
ganz bestimmten Gesichtspunkten ausgearbeitet worden und lässt an manchen Stellen
die aus den Berichterstattungen der Zeitungen zu entnehmenden Fakten vermissen.
Immerhin hinterlässt er uns die Angabe, er habe - wahrscheinlich Anfang der
1960er Jahre - die Akten des Kleppelsdorfer Prozesses eingesehen.
Dagegen
ist der Artikel „Einige
Betrachtungen zum Kleppelsdorfer Mordprozeß“ in der „Zeitschrift für
Sexualwissenschaft“ vom Geh. Sanitätsrat Dr. Moll, der der Verhandlung als
Sachverständiger beiwohnte, umso wichtiger, weil hier Details aus den
Verhandlungen zum Sittlichkeitsverbrechen genannt sind; dieser Teil des
Prozesses wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt und andernorts
finden sich keine Fakten zu diesen Vorgängen.
Neben
der weiteren Zeitungssuche zielt mein Hauptaugenmerk nun auf die Suche nach den
Original-Akten; aber auch die Beschäftigung mit der von der Altonaer
Staatsanwaltschaft eingeleitete Untersuchung nach der verschwundenen Gertrud
Grupen ist im Gesamtumfang gesehen noch eine wichtige Aufgabe.
Zusammenstellung der Familienverhältnisse
Der Bote aus dem
Riesengebirge
Die
Berichterstattung des „Boten“ ist auch in Buchform erschienen, interessant
daran sind in erster Linie die Zeichnungen:
Titelseite
Seite 17 Seite 29
Seite 21
Mittwoch, 16. Februar 1921, „Der Bote aus dem
Riesengebirge“, S. 4-5
Schrecklicher
Doppelmord in Kleppelsdorf bei Lähn
Zwei
junge Mädchen ermordet!
Der Schauplatz eines furchtbaren Verbrechens,
das in seinen Einzelheiten noch nicht völlig aufgeklärt ist und dem zwei junge
Mädchen zum Opfer fielen, wurde Montag am hellen Mittag das dicht an Lähn
anstoßende Schloß Kleppelsdorf. In einem an das allgemeine Eßzimmer anstoßende
Zimmer fand man um 12 ½ Uhr mittags die 16 Jahre alte Dorothea Rohrbeck, die
Besitzerin und alleinige Herrin des Rittergutes Kleppelsdorf, durch mehrere Revolverschüsse
in Hals und Brust getötet, neben einem Tische zusammengekauert auf der Diele
vor. In ähnlicher Stellung etwas entfernt von ihr wurde die zwölfjährige Kusine
der Rohrbeck Ursula Schade aus Berlin, die zu Besuch dort weilte, mit einer
Schusswunde über dem rechten Auge aufgefunden. Die kleine Schade lebte zwar
noch, ist aber zwei Stunden darauf gestorben, ohne das Bewußtsein wiedererlangt
zu haben. In ihren Kleidern befand sich ein Brief an ihre Großmutter, die vor
einigen Tagen dort weilte, und in diesem Briefe teilt sie mit, daß sie zuerst
ihre Kusine und dann sich selbst erschossen habe. Ueber weitere Einzelheiten
des Briefes zu berichten, müssen wir uns im Interesse der Untersuchung
versagen.
Am Tatort erschien sofort Sanitätsrat Dr.
Scholz, der sich um die Schwerverletzte bemühte, sowie eine Gerichtskommission,
die aus verschiedenen Umständen schloß, daß ein Mord und Selbstmord der kleinen
Schade unwahrscheinlich sei. Fräulein Rohrbeck, die Vollwaise ist und der außer
Kleppelsdorf auch noch Gießhübel und ein Gut in Kuttenberg gehören, war gegen
12 Uhr noch in Lähn. Als sie nach Hause kam, gesellte sich die kleine Schade zu
ihr, und beide gingen in das oben bezeichnete Zimmer. Die Hausdame von Fräulein
Rohrbeck, Frau Zahn, wünschte von Fräulein R. eine Auskunft und wollte sie
durch das Dienstmädchen zu sich bitten lassen. Das Mädchen fand die beiden in
der geschilderten Weise auf. Im Zimmer lag ein noch gesicherter Damenrevolver.
Gleichzeitig mit der Ursula Schade und deren neunjähriger Schwester befand sich
deren Stiefvater, ein Herr Peter Grupen aus Berlin, also ein Onkel der
Rohrbeck, seit einigen Tagen auf dem Schlosse. Unter dem dringenden Verdacht,
mit dem Morde in Verbindung zu stehen, wurde Grupen Dienstag früh verhaftet. Am
Vormittag weilte abermals eine Gerichtskommission mit Staatsanwaltschaftsrat
Mertens und Amtsgerichtsrat Thomas aus Hirschberg und dem Kreisarzt Dr.
Petersen aus Löwenberg auf dem Schlosse, wo an Ort und Stelle Vernehmungen
stattfanden.
Die auf so schreckliche Weise um ihr junges
Leben gebrachte Dorothea Rohrbeck war ein hübsches, lebenslustiges Mädchen und
erfreute sich in Kleppelsdorf und Lähn großer Beliebtheit. Sie soll von ihren
Verwandten ziemlich knapp gehalten worden sein. Der Vater ist zu Anfang des
Krieges gestorben, während sie ihre Mutter schon einige Jahre früher verloren
hatte. Verwalter des Gutes ist Direktor Bauer. In Lähn herrscht natürlich über
den Vorgang helle Aufregung, und als der verhaftete Grupen heute zum Verhör
gebracht wurde, nahm auf der Goldberger Straße eine Menschenmenge eine ziemlich
drohende Haltung gegen ihn ein. Nähere Mitteilungen folgen.
Donnerstag, 17. Februar 1921, „Der Bote aus
dem Riesengebirge“, S. 4
Der
Doppelmord auf Schloß Kleppelsdorf
bildet das Tagesgespräch in der ganzen
Gegend. Noch ist nicht festgestellt, ob es sich um Mord oder Selbstmord der
beiden Mädchen handelt, worauf der Brief, den man in der Tasche der Ursula
Schade fand, hinzudeuten scheint, oder ob ein Verbrechen von dritter Hand
vorliegt, wofür allerdings die Wahrscheinlichkeit spricht. An sich sind
Kinderselbstmorde ja heute leider keine allzu große Seltenheit mehr, aber sie
sind doch stets befremdlich, und besonders in diesem Falle fehlen alle inneren
Beweggründe. Die Großmutter der Ursula Schade, an die der Brief gerichtet war,
befindet sich übrigens nicht in Berlin, sondern ebenfalls auf dem Gute. Die bei
den beiden Ermordeten vorgefundene Waffe ist ein Browning, Kaliber 6,35.
Die Verhaftung des Stiefvaters der Ursula
Schade, Peter Grupen, bleibt aufrecht erhalten. Ein ungünstiges Geschick
scheint über der Familie zu hängen. Der Vater der Schade, der Apotheker war,
soll seinerzeit auf der Jagd zu Tode verunglückt sein, wie es heißt, unter
Umständen, die noch der völligen Aufklärung bedürfen. Die Mutter soll sich von
den Kindern und ihrem zweiten Manne getrennt haben und jetzt in Amerika leben,
doch ist es schwer, über alle diese Punkte Gewißheit zu erlangen, da in Berlin
vorläufig darüber, wie auch über den hier unter dem Namen Peter Grupen
bekannten Mann nichts bekannt zu sein scheint. Man hat den Eindruck, als
eröffnete sich hier ein sehr interessantes Feld für einen erstklassigen
Detektiv.
Klarer liegen die Verhältnisse im
Rohrbeckschen Hause. Der Verstorbene Rohrbeck stammte aus Tempelhof und war
einer jener Millionenbauern, die vor etwa 30 Jahren bei dem Verkauf von Grund
und Boden bei der Ausbreitung Berlins so riesige Gewinne machten. Vor seinem
Tode übergab er die Erziehung seiner Tochter Dorothea dem bereits genannten
Fräulein Zahn, die in Kleppelsdorf und Umgebung allgemeine Wertschätzung
genießt. Vormund des jungen Mädchens war ein Herr Philipp in Berlin,
Gegenvormund Direktor Bauer - Kleppelsdorf. Das Gut Kleppelsdorf hatte mit den
Vorwerken Gießhübel und Kuttenberg einen Umfang von 315,7 Hektar, wovon 129,1
Hektar Forst sind. Doch soll, wie schon angedeutet, die ermordete Gutsherrin
von ihrem schönen Besitz bisher nicht allzu viel Genuß gehabt haben.
Freitag, 18. Februar 1921, „Der Bote aus dem
Riesengebirge“, S. 4
Zu dem
Kleppelsdorfer Doppelmord
kann vorläufig im Wesentlichen nichts Neues
berichtet werden. Verschiedene neue Momente haben sich bei der Untersuchung des
Falles ergeben, doch erscheint es nicht angebracht, hiervon heute bereits etwas
verlauten zu lassen. Der verhaftete Peter Grupen bleibt verhaftet, da er
dauernd verdächtig erscheint. Ueber seiner Persönlichkeit schwebt ein gewisses
Dunkel. Die Annahme eines Mordes und Selbstmordes durch die kleine Schade erscheint
nicht mehr haltbar. Diese soll an ihrem Stiefvater mit großer Liebe gehangen
haben. Der Verhaftete wird von der Verwandtschaft als ruhiger, stiller Mensch
geschildert, dem man eine derartige Tat kaum zutrauen solle. Wie groß das
Rohrbecker Vermögen ist, geht schon daraus hervor, daß die getötete Dorothea
Rohrbeck mehrere hunderttausend Mark als Reichsnotopfer hat zahlen müssen. - In
einem Berliner Blatte wird Grupen als Grundstücksspekulant bezeichnet, der aus
Berlin-Tempelhof stammte und in Berlin viel Geld durch Grundstücksspekulationen
verdient habe. Es scheint aber, als liege hier eine Verwechslung mit dem
verstorbenen Rohrbeck vor. Seine Ehe mit Frau Schade soll auch seine zweite Ehe
gewesen sein.
Sonnabend, 19. Februar 1921, „Der Bote aus
dem Riesengebirge“, S. 4-5
Zum
Doppelmord auf Schloß Kleppelsdorf
Die Sezierung fand am Donnerstag auf Schloß
Kleppelsdorf statt. Sie wurde von den beiden Kreisärzten Medizinalrat Dr.
Scholz - Hirschberg und Dr. Petersen - Löwenberg im Beisein einer Gerichtskommission
vorgenommen. Durch Photograph Blume - Hirschberg wurden die Leichen
photographiert. Die Sezierung dauerte von 11 Uhr vormittags bis abends 7 Uhr.
bei der Rohrbeck war ein Schuß von der Seite durch den Hals in den Kopf
eingedrungen. Dieser Schuß muß den sofortigen Tod herbeigeführt haben. Ein
zweiter Schuß saß in der Hüfte. Bei der Schade war die Kugel über dem rechten
Auge in den Kopf gedrungen. Die Sezierung ergab weiter, daß die bekanntlich
erst zwölfjährige Schade einmal einer Quecksilberkur(*) unterworfen gewesen
ist. Die Leiche der Rohrbeck wurde von der Gerichtskommission freigegeben. Die
Beerdigung wird am Sonnabend in Kleppelsdorf stattfinden, nachdem den
Gutsbewohnern Gelegenheit gegeben worden ist, von der allgemein beliebten
Schloßherrin Abschied zu nehmen.
Die Erregung unter der Bevölkerung über die
furchtbare Tat ist sehr groß. Als abends der Wagen mit den Aerzten zum Bahnhofe
fuhr, wäre er beinahe von einer erregten Menschenmenge, die eine drohende
Haltung einnahm, angehalten worden. Man glaubte, daß mit dem Wagen die
Großmutter der ermordeten Gutsbesitzerin, gegen die sich auch eine starke
Missstimmung richtet, abfahren wollte. Erst als man sah, daß in dem Wagen die
Aerzte saßen, ließ man ihn unbehelligt weiterfahren. Es bestätigt sich
übrigens, daß die Dorothea Rohrbeck auf dem Gute sehr kurz gehalten wurde. Sie
mußte sich oft von den Nachbarn Milch und Körner borgen, um auskommen zu können.
Neuerdings scheinen folgende Tatsachen
vorzuliegen: Der verhaftete Peter Grupen, der 26 Jahre alt ist, stammt aus
Oldenbüttel bei Itzehoe, wo auch seit einiger Zeit die Großmutter, Frau
Eckhardt, mit den beiden jungen Mädchen Schade wohnte. Frau Eckhardt ist Mutter
der Frau Grupen, verwitweten Schade und der verstorbenen Frau Rohrbeck. Grupen
scheint von seinem Architektenberuf nicht viel gehabt zu haben, sondern hat
sich durch Schiebergeschäfte mit Mühe über Wasser gehalten. Um so weniger wäre
es zu verstehen, daß er sich die Last der Erhaltung der Großmutter und der
beiden Stieftöchter aufgebürdet hat, wenn man nicht annehmen müßte, daß er sie
in seiner Nähe behalten wollte, um seinen Einfluß auf sie geltend zu machen.
Diesen Einfluß hat er in anderer Weise auch auf die Dorothea Rohrbeck ausüben
wollen, indem er sie mit Heiratsanträgen verfolgte. Sie hat aber den Zudringlichen,
der übrigens im Kriege einen Arm verloren hat, stets abgewiesen. Die sämtlichen
Verwandten waren etwa acht Tage vor dem Morde zu Besuch nach Schloß
Kleppelsdorf gekommen. Es ist anzunehmen, daß Grupen hier zum Ziele kommen
wollte. Zunächst sei noch erwähnt, daß auch ein Verdacht hinsichtlich seiner
zweiten Frau, der Witwe des Berliner Apothekersohnes Schade, auf ihm lastet.
Man nimmt nämlich an, daß diese Frau sich gar nicht in Amerika, sondern in
irgendeinem Sanatorium befindet, das man jetzt ausfindig zu machen sucht. Eine
Flasche Kognak, welche von Grupen der Rohrbeck geschenkt worden ist, ist
aufgefunden worden, und der Inhalt soll vergiftet sein, doch steht das noch
nicht sicher fest.
Was nun die eigentliche Tat betrifft, so
behaupten Berliner Blätter, daß Grupen die beiden Morde selbst nicht ausgeführt
habe. Es ist aber sein Revolver, mit dem die Tat ausgeführt wurde. Die Berliner
Blätter behaupten nun wieder, daß die zwölfjährige Ursula Schade unter
hypnotischem Zwange die Waffe auf die Rohrbeck und dann auf sich selbst
abgedrückt habe. Neuerdings neigt man aber der Annahme zu, daß hypnotische
Momente wohl in die Angelegenheit hineinspielen, jedoch nach einer anderen
Richtung hin. Grupen hat die Dienstboten, die sich in der Nähe des Mordzimmers
aufhielten, kurz vor dem kritischen Augenblick weggeschickt, so daß niemand die
drei Schüsse hören konnte, und man nimmt an, daß er der Täter ist, besonders
bei der Sicherheit, mit der die Schüsse ihr Ziel trafen. Der Brief, der sich
bei Ursula Schade fand, und der an die Großmutter Eckhardt gerichtet war, ist
möglicherweise unter hypnotischem Einfluß geschrieben worden, denn die Ursula
Schade hatte im übrigen ganz andere Gedanken im Kopfe, wie die Tatsache
beweist, daß sie kurz vor der Tat zu einem Gutsangestellten von einem für die
nächsten Tage geplanten Ausfluge gesprochen hat. Die hinzugezogenen
Sachverständigen für Hypnose und Telepathie werden gewiß Näheres auf diesem
Gebiete ausfindig machen. Der Charakter Grupens bedarf noch der näheren
Erklärung. Er ist kein ruhiger, besonnener Mensch, wie wir gestern berichteten,
sondern ein sehr aufgeregter Herr. Eine Haussuchung, die inzwischen in seiner
Wohnung in Oldenbüttel vorgenommen worden ist, hat weiteres Material ergeben.
Grupen soll schon mehrfach mit den Gerichten zu tun gehabt haben, worüber noch
Feststellungen schweben. während er sich in den letzten Tagen auf dem Schloße
Kleppelsdorf aufhielt, hat er sich so zurückgezogen, daß ihn die Gutsarbeiter
gar nicht zu Gesicht bekommen haben. Ein neues Moment in der ganzen
Angelegenheit ist vielleicht von der Persönlichkeit des Vormundes der beiden
Mädchen zu erwarten, der noch von der Staatsanwaltschaft gesucht wird, weil bei
Grupen Briefe aufgefunden worden sein sollen, die den Vormund schwer belasten.
Es sind in den beiden letzten Tagen Gerüchte
verbreitet gewesen, welche auch den Gutsdirektor Bauer belasten, dessen
Abwesenheit von Kleppelsdorf am Donnerstag man als verdachterregend auffasste.
Diese Annahme dürfte haltlos sein, weil Bauer sich als Zeuge zu einem
Gerichtsprozeß nach Hirschberg begeben mußte, welcher mit einem Viehdiebstahl
auf dem Gute, der vor einige Wochen verübt worden ist, zusammenhängt (man
vergleiche hiermit den heutigen Schwurgerichtsbericht). Bauer soll im Gegenteil
von dem Verbrechen aufs schwerste erschüttert sein.
(*)
Anmerkung: die Quecksilberkur wurde gegen Syphilis angewendet!
Dienstag, 22. Februar 1921, „Der Bote aus dem
Riesengebirge“, S. 5-6
Die
erste Leichenfeier im Schloß Kleppelsdorf
Am Sonnabend Nachmittag wurde nun das erste
Opfer der ruchlosen Mordtat, die zwölfjährige Ursula Schade, beerdigt. Zu der
Trauerfeier, die im Schloß stattfand, hatten sich u. a. auch die Großmutter der
Ermordeten, Frau Apotheker Schade - Berlin, sowie der Bruder des früheren
Besitzers Rohrbeck, der auf Jagdschloß Hubertus in Zielenzig in der Mark wohnt,
eingefunden; ferner nahmen daran teil der Vormund der Dorothea Rohrbeck, Hauptmann
Vielhaak, sowie der Gegenvormund, Direktor Bauer. Bei dieser Gelegenheit
möchten wir hervorheben, daß ersterer entgegen anders lautenden Mitteilungen,
nicht geflüchtet war und auch nicht von der Staatsanwaltschaft besucht worden
ist. Er hatte früher ein Gut bei Cottbus und wohnt jetzt in Charlottenburg.
Die Trauerfeier begann mit einem von den
Schulkindern gesungenen Choral, worauf Superintendent Buschbeck die Trauerrede
hielt unter Zugrundelegung von Epheser 3, Vers 14: „Derhalben beuge ich meine
Knie vor dem Vater unseres Herrn Jesu Christi, der der rechte Vater ist über
alles, was da Kinder besitzet im Himmel und auf Erden.“ Er erwähnte dabei, wie
die Kleine sich auf Kinderart auf die Reise gefreut hatte, und wie es doch so
ganz anders kommen sollte. Es graut jedem, wenn er das Entsetzliche hört, was
die Kleine hier hat erdulden müssen. Mit dem Liede: „In meines Jesu Armen, da
ruht es sich so gut.“ schloß die Feier. Dann setzte sich der Trauerzug in Bewegung
nach dem Kirchhofe in Lähn. Hier wurde das unglückliche Kind in der üblichen
Weise beigesetzt. Die Beteiligung am Zuge war nicht übermäßig stark, und auch
auf dem Friedhofe selbst hatten sich nicht allzu viele Leute eingefunden, was
erklärlich ist, da die kleine Schade ja fast niemand gekannt hat.
Umso stärker war der Andrang nach dem Schlosse,
als gegen 5 Uhr bekannt wurde, daß die aufgebahrte Leiche der Dorothea Rohrbeck
besichtigt werden dürfe. In Scharen kamen die Bewohner von Kleppelsdorf und
Lähn, um ihre „liebe Dörthe“, wie die junge Schloßherrin von jedermann genannt
wurde, noch einmal zu sehen, die wegen ihres Reichtums, von dem sie nicht
einmal allzu viel gehabt hat, aus schnöder Habsucht unter Mörderhand ihr Leben
hatte aushauchen müssen. In einem weißseidenen Kleide, das sie sich immer
einmal gewünscht, wenn sie Braut sein sollte, lag sie im Sarge; das Gesicht wie
im friedlichen Schlummer, wenn auch um Jahre gealtert. Wohl die Augen jedes,
der an ihrem Sarge stand, feuchteten sich, hatten sie doch alle gekannt mit
ihrem sonnigen Wesen, das einfache, schlichte Mädchen, das keinen Hochmut
kannte. Ihre Beisetzung erfolgt am Montag Nachmittag.
Der verhaftete Grupen war im letzten Sommer
mehrere Male auf Schloß Kleppelsdorf, immer ohne Frau, so daß diese also schon
damals verschwunden gewesen sein dürfte. Von den Dienstboten, gegen die er
übrigens mit Trinkgeldern nicht geizte, hätte ihm damals eine solche Tat
niemand zugetraut.
Eine starke Erregung herrscht in Lähn und der
ganzen Umgegend gegen die Vormünder der Dorothea Rohrbeck, die ihr Mündel so
knapp gehalten haben sollen. Man spricht allgemein in der Bahn, in den
Gasthäusern, in Geschäften und auf der Straße fast nur von dieser Angelegenheit
und erzählt hunderterlei Geschichten, von denen wir hier keine wiedergeben
wollen, da man bei solchen Sachen ja nie weiß, was Wahrheit und Dichtung, was
Tatsachen und was Uebertreibungen sind. So viel aber steht fest, daß diese
allgemeine Erregung besteht. Von einer Beteiligung oder auch nur einer
Beziehung der Vormünder zur Mordsache spricht kein Mensch. Man ist aber
allgemein der Meinung, daß, selbst wenn durch Testament bestimmt gewesen sein
sollte, Dorothea Rohrbeck in einfacher, schlichter Weise erzogen werden sollte,
es so nicht zu sein brauchte, wie es gewesen sein soll, umsomehr, als heute der
Wert des Geldes doch ein ganz anderer ist, als zu der Zeit, wo das Testament
verfaßt wurde.
Mittwoch, 23. Februar 1921, „Der Bote aus dem
Riesengebirge“, S. 4
Die
Beisetzung der Dorothea Rohrbeck
Lähn, 20. Februar
Auch das zweite Opfer des grausigen
Verbrechens in Schloß Kleppelsdorf, Dorothea Rohrbeck, die 16jährige Besitzerin
des Rittergutes, bestattete man heute zur ewigen Ruhe. Ganz Lähn war auf den
Beinen, und zu Wagen, zu Fuß und mit der Bahn waren Viele aus der Umgegend
gekommen, um dem armen Kinde, dem ein so schlimmes Ende bestimmt war, das
letzte Geleit zu geben. Wohl in den weitaus meisten Fällen nicht aus müßiger
Neugierde, sondern aus wirklicher Teilnahme, denn die „Dörthe vom Schloß“ hatte
es verstanden, sich die Liebe aller zu erringen. Durch den frühen Heimgang
ihrer Eltern - ihre Mutter, die ein Vierteljahr nach der Entbindung starb, hat
sie überhaupt nicht gekannt -, hat sie den Ernst des Lebens schon zeitig kennen
gelernt, und hat vielen Gutes und Liebes erwiesen, obwohl ihr trotz ihres
Reichtums große Mittel nicht zur Verfügung standen.
Auf dem Schloßhofe, der zum Teil ebenso wie
der Verbindungsweg von der Chaussee nach dem Gute frisch betieft und mit
Tannengrün belegt war, hatten sich schon lange vor der Trauerfeier viele Leute
eingefunden, und bereitwilligst wurde dem Wunsche, die Tote noch einmal zu
sehen, stattgegeben, soweit dies den Umständen nach möglich war. Die um 3 Uhr
im Schlosse mit dem Liede „Unter allen Wipfeln ist Ruh“ beginnende Trauerfeier
gestaltete sich sehr kurz. Superintendent Buschbeck sprach ein Gebet und dankte
der Verstorbenen noch einmal für all das, was sie trotz ihrer Jugend an Vielen
Gutes getan. In einem eichenen Sarge fuhr man sie dann unter den Klängen von
„Jesus meine Zuversicht“ von ihrer Besitzung fort. Ein endlos langer Trauerzug
folgte und unterwegs schlossen sich noch viele an, so daß man den Zug wohl auf
700 bis 800 Teilnehmer schätzen konnte. Auf dem Friedhofe wurde Dorothea
Rohrbeck dann neben ihrer Kusine, der am Sonnabend beerdigten Ursula Schade,
beigesetzt. Superintendent Buschbeck hielt die Trauerrede über das Bibelwort:
„So ich im Finstern sitze, so ist doch der Herr bei mir.“ Tiefes Dunkel, so hob
er dann hervor, hat seit acht Tagen über den Verwandten im Schlosse gelegen, wo
es doch hätte so hell sein können, denn die Besitzerin, ein junges, frohes
Menschenkind mit heiterem Sinn und sonnigen Wesen, hätte Licht und Helle
dorthin verpflanzt, wenn sie nicht vorzeitig die Hand des Mörders getroffen
hätte. Er streifte dann kurz den Werdegang der Verstorbenen, bis zu ihrer vor
einem Jahr erfolgten Konfirmation. Welche Pläne mögen das Herz des jungen, von
allen geliebten Mädchens bewegt haben, wie man sie sich schon im Geiste als
Haus- und Gutsfrau gesehen und den Zeitpunkt herbeigesehnt haben, wo sie auf ihrem
Gute nach Belieben Schalten und Walten konnte. Und nun ist es ganz anders
gekommen. Die weiteren Beisetzungsfeierlichkeiten waren die üblichen und mit
den Klängen „ich bete an die Macht der Liebe“ fand die Feier ihren Abschluß,
die durch keinerlei Zwischenfall gestört wurde. Lange verweilten die Teilnehmer
noch am Grabe der Toten, und erst nach geraumer Zeit leerte sich der
Gottesacker.
Leider kommt zu dem furchtbaren Drama auf
Schloß Kleppelsdorf in diesem Augenblick noch ein neuer Todesfall. Ein Vetter
der Dorothea Rohrbeck, ein Herr Pingel, hat sich erschossen. Der 29jährige P.,
der sich in Folge einer Verschüttung im Krieg ein schweres Leiden zugezogen hat
und seitdem sehr zum Schwermut neigte, hat, offenbar infolge der Aufregungen
der letzten Tage, Hand an sich gelegt. Der Vater des P., ein Schwager des
verstorbenen Rohrbeck, nahm an der Beerdigung teil und erhielt dabei die
traurige Nachricht. Er besitzt in der Nähe von Hannover ein größeres Waldgut.
Nach einem am Beerdigungstage in Lähn aufgetretenen
Gerücht soll bei Itzehoe eine weibliche Leiche angeschwemmt worden sein, die
man für die der Frau Grupen hält. Ob an dem Gerücht etwas Wahres ist, konnte
bisher nicht festgestellt werden. An amtlichen Stellen ist jedenfalls davon
nichts bekannt. - Der Vater der 12jährigen Ursula Schade ist, wie bereits
berichtet, vor acht Jahren auf tragische Weise ums Leben gekommen. Er war der
frühere Besitzer der Löwenapotheke in Perleberg. Schade verunglückte, wie es
damals hieß, auf der Jagd dadurch, daß sich beim Besteigen des Wagens das
ungesicherte Gewehr entlud und ihn tödlich verletzte. Er befand sich an einem
Herbsttage in der Umgebung von Perleberg vollkommen allein in einem Jagdrevier,
das einem ihm eng befreundeten dortigen Fabrikbesitzer gehörte. Man fand Schade
seinerzeit verblutet in seinem Jagdwagen vor. An den Vorfall knüpften sich in
Perleberg allerlei unkontrollierbare Gerüchte, aber das Gericht stellte einen
Unglücksfall fest. Frau Schade verpachtete zunächst die Apotheke, verkaufte sie
aber später und verließ mit ihren beiden Kindern Perleberg. Sie führte dann ein
ziemlich unstetes Leben und heiratete schließlich den Grupen in Oldenbüttel bei
Itzehoe. Im Herbst vorigen Jahres verlautete dann in bekannten Kreisen, sie
hätte ihre Familie im Stich gelassen und sei mit einem anderen Mann nach
Amerika gegangen.
Freitag, 25. Februar 1921, „Der Bote aus dem
Riesengebirge“,
Zum
Kleppelsdorfer Doppelmord
Im Schaukasten der Firma von Bosch am Boten
sind Bilder der beiden ermordeten Mädchen Rohrbeck und Schade, sowie des
verstorbenen Vaters der Rohrbeck, die seinerzeit von Herrn Photograph Blume
aufgenommen worden sind, ausgestellt.
Sonnabend, 26. Februar 1921, „Der Bote aus
dem Riesengebirge“, S. 4
Dorothea
Rohrbeck hat auch im Grabe keine Ruhe!
Raub an
der Leiche?
Ein neues Verbrechen ist im Anschluß an den
Kleppelsdorfer Doppelmord verübt worden. Als am Freitag Nachmittag ein
Steinmetz auf dem Friedhofe in Lähn erschien, um am Grabe der Dorothea Rohrbeck
Maß für eine Steineinfassung zu nehmen, fand er die Kränze von dem Grabe
entfernt. Am Kopfende bemerkte er einen Schacht, durch den man das Sargkissen
erblickte. Auch wurde festgestellt, daß das Kruzifix auf dem Sarge zertrümmert
ist. Neben dem Grabe lag ein Stück Holz von dem Sarge. Wie weiter festgestellt
wurde, war das Leichenhaus erbrochen und Spaten und sonstiges Handwerkszeug
daraus gestohlen, das jedenfalls zum Oeffnen des Grabes benutzt worden ist. Ob
und was von der Leiche geraubt worden ist, konnte bisher noch nicht
festgestellt werden, da man das Grab bis zum Eintreffen eines Polizeihundes in
unverändertem Zustande belassen wollte. So läßt sich noch nicht sagen, ob die
Grabschändung irgendwie mit der Mordtat in Zusammenhang steht, oder ob sie etwa
auf irgend einem törichten Aberglauben beruht. Der Friedhof ist abgesperrt.
Sonntag, 27. Februar 1921, „Der Bote aus dem
Riesengebirge“, S. 4-5
Zur
Leichenschändung in Lähn
Ueber das bereits gestern mitgeteilte neue
Verbrechen in Lähn ist heut zu melden, daß die Leiche der Dorothea Rohrbeck
tatsächlich in schändlicher Weise beraubt worden ist. Bei Oeffnung des von dem
Täter nur wenig zugeschaufelten Grabes fand man, daß in den Sargdeckel
gewaltsam eine größere Oeffnung gemacht worden ist, die mit einem Kissen
zugedeckt war, das man von außen durch das Loch im Grabe sehen konnte. Beim
vollständigen Oeffnen des Sargdeckels sah man, daß der oder die Täter der
Leiche das seidene Kleid mit Schärpe ausgezogen und die Spitzen des Unterrockes
abgetrennt hatten; ferner ist ein zweites Kissen geraubt worden. Jedenfalls
sind die Verbrecher beim Zuschaufeln des Grabes gestört worden und haben dabei
die Flucht ergriffen, ehe sie alles wieder in den früheren Zustand versetzen
konnten.
Die Leiche wurde später wieder neu bekleidet
und dann zum zweiten Male der Erde übergeben, in der sie nun hoffentlich Ruhe
finden wird. Der herbeigeholte Polizeihund konnte leider nicht mehr in der
gewünschten Weise arbeiten, da, wie das bei solchen Gelegenheiten ja meist der
Fall ist, die Umgebung des Tatortes zu viel belaufen worden war. Anzunehmen
ist, daß der Täter die Zugangswege zum Friedhof vermieden hat und durch das
Gehölz dorthin gekommen ist, von der Promenade oder dem Sanatorium her, denn
man fand nach der Promenade zu ein Stück der geraubten Spitze. Durch den Hund
wurden mehrere Spuren verfolgt, verschiedene Stellen markiert und schließlich
die Spur auch noch auf ein anderes Verbrechen gelenkt. Der Täter hatte,
jedenfalls vor der Beraubung der Rohrbeckschen Leiche, auch die Gruft der
Rentner Seifertschen Eheleute erbrochen und dort die Särge revidiert, die
verstellt waren: auch lagen einige Sargschrauben neben den Särgen. Geraubt
wurde aber nichts. Gegen 2 Uhr nachmittags traf eine Gerichtskommission aus
Hirschberg ein. Die Vernehmungen dauerten bis abends 9 Uhr. Wie verlautet, soll
man dem Täter bereits auf der Spur sein.
Dienstag, 08. März 1921, „Der Bote aus dem
Riesengebirge“
Zum
Kleppelsdorfer Doppelmord
und seiner Vorgeschichte wird uns aus Itzehoe
gemeldet, daß die Leiche der Frau Grupen verw. Schade bisher noch nicht
gefunden worden ist. Anders lautende Meldungen haben sich als unwahr erwiesen.
Ueber die Persönlichkeit des verhafteten
Grupen schreibt der in Itzehoe erscheinende „Nord. Kurier“: Von Itzehoer
Geschäftsleuten, mit denen Grupen oft in Verbindung standen, erfahren wir, daß
er hier mehrmals als Architekt auftrat, während er in Wirklichkeit nur ein
besserer Maurerpolier war. Er soll längere Zeit hindurch mit seinem Bruder in
Hamburg ein Baugeschäft betrieben haben und dann nach Berlin übergesiedelt
sein. Alle, die ihn kennen, bezeichnen ihn als einen ruhigen, einfachen
Menschen, dem man eine solche schreckliche Tat kaum zutrauen kann.
Donnerstag,
11. August 1921, „Der Bote aus dem Riesengebirge“
(Das
Dominium Kleppelsdorf),
deren Besitzerin, die junge Dorothea Rohrbeck
im Februar ermordet worden ist, ist jetzt durch Kauf in den Besitz des Herrn
Pinge (richtig: Pingel), eines
Verwandten der Rohrbeckschen Familie, übergegangen.
Donnerstag, 10. November 1921, „Der Bote aus
dem Riesengebirge“
(Geschworene im Kleppelsdorfer Mordprozeß.)
Für die am 5. Dezember beginnende
außerordentliche Schwurgerichtsperiode zur Verhandlung des Kleppelsdorfer
Mordprozesses wurden als Geschworene ausgelost: Gemeindevorsteher Wilhelm
Weimann-Kauffung, Maschinenwärter Heinrich Tautz-Rothenbach, Geschäftsführer
Flassig-Cunnersdorf, Oberstleutnant Dulitz-Cunnersdorf, Schriftsteller
Bölsche-Schreiberhau, Malzmeister Angermüller-Rudelstadt, Gemeindevorsteher
Männich-Steine, Mühlendirektor Reinsberg-Landeshut, Landwirt
Siebelt-Langneundorf, Fabrikbesitzer Tzschaschel-Ruhbank, Rentner Julius
Liebig-Schreiberhau, Gutsbesitzer Heinrich Dittrich-Grunau, Brauer Konrad
Olbrich-Grüssau, Kaufmann Karl Radisch-Schönau, Berginspektor
Kummer-Rothenbach, Futtermeister Wilhelm Grosser-Cunnersdorf, Kaufmann Hugo
Niepold-Hirschberg, Buchhalter Jendrusch-Bohrauseifersdorf (Gut), Kaufmann
Johannes Springer-Friedeberg a. Qu., Graf Eberhard Saurma-Jeltsch-Schloß
Wilhelmsburg, Bauergutsbesitzer Reinhold Weirauch-Michelsdorf, Oberförster
Rath-Altkemnitz, Maurermeister Otto Jäkel-Wiesa, Gemeindevorsteher Hermann
Scholz-Schosdorf, Steinmetz Arthur Seifert-Löwenberg, Buchhalter Albert
Bräuer-Rudelstadt, Kaufmann Gormille-Hohenfriedeberg, Studiendirektor Dr.
Faust-Hirschberg, Rittergutspächter von Sydow-Fischbach.
Mittwoch, 16. November 1921, „Der Bote aus
dem Riesengebirge“
(Der Doppelmord auf Schloß Kleppelsdorf)
wird vom 5. Dezember an vor dem Hirschberger
Schwurgericht verhandelt. Der Bote wird über den ganzen Verlauf dieses
Riesenprozesses, der das Interesse von ganz Deutschland und darüber hinaus
erregen wird, ausführlich berichten. Deshalb raten wir dringend, den B o t e n
s o f o r t bei unseren
Zeitungsausträgern, Ausgabestellen oder bei dem in Frage kommenden Postamt
zu b e s t e l l e n , damit nachher keine Stockung im Bezuge
eintritt.
Freitag, 25. November 1921, „Der Bote aus dem
Riesengebirge“
(Für den Kleppelsdorfer Mordprozeß)
sind
z e h n T a g e in Aussicht genommen, nicht drei Wochen, wir
früher berichtet.
Sonnabend, 3. Dezember 1921, „Der Bote aus
dem Riesengebirge“
Zum Kleppelsdorfer Prozeß
Der Bote wird ersucht, die in auswärtigen
Blättern veröffentliche Meldung, gegen Grupen sei auch eine Anklage wegen
versuchten Giftmordes erhoben, als falsch zu bezeichnen. Wir kommen diesem
Wunsche gern nach und fügen hinzu, daß ein in Breslau, Berlin usw. von einem
Berliner Berichterstatter verbreiteter Bericht eine Fülle von Unrichtigkeiten
enthält.
Sonntag, 4. Dezember 1921, „Der Bote aus dem
Riesengebirge“
Der Doppelmord auf Schloß Kleppelsdorf.
Das Verbrechen von Kleppelsdorf, das, wie
kaum je eins zuvor, die Gemüter in unserer Gegend erregt und die Phantasie der Bevölkerung beschäftigt
hat, wird von morgen, Montag ab das zu einer Sondertagung einberufene
Schwurgericht beschäftigen. Ein Apparat von einer Größe, wie ihn die
Kriminalgeschichte nur selten zu verzeichnen gehabt hat, ist aufgeboten worden,
um Klarheit in die furchtbaren Vorgänge zu bringen, die sich in der
Mittagsstunde des 14. Februar auf Schloß Kleppelsdorf abgespielt haben. Auch
heute, dreiviertel Jahre nach der Tat, liegt trotz angestrengtester
Aufklärungsarbeit noch ein dichter Schleier über den blutigen Vorgängen. Die
Verhandlung, zu der erheblich mehr als hundert Zeugen und Sachverständige
geladen sind, wird, soweit sich die Dinge heute überblicken lassen, die
Geschworenen vor eine Fülle schwierigster Fragen stellen.
Vor dem Geschworenengericht wird der
siebenundzwanzigjährige Architekt P e t
e r G r u p e n aus Oldenbüttel am Kaiser-Wilhelm-Kanal in
Holstein unter der A n k l a g e d e s
z w e i f a c h e n M o r d e s
, d e s S i t t l i c h k e i t s v e r b r e c h e
n s a n s e i n e r
d r e i z e h n j ä h r i g e n
S t i e f t o c h t e r und der
Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung erscheinen. Die Verhandlung
findet unter Leitung des Oberlandesgerichtsrats K r i n k e
aus Breslau statt, die Anklage vertritt Oberstaatsanwalt R e i
f e n r a t h aus Hirschberg und als
Verteidiger fungieren zwei der bekanntesten Anwälte Schlesiens, Justizrat A b l a ß
aus Hirschberg und Justizrat M a
m r o t h aus Breslau.
Am Montag, den 14. Februar wurde, um noch
einmal zum Verständnis die
Ereignisse
des Mordtages
kurz dazustellen, auf dem Landgute
Kleppelsdorf, das dicht bei Lähn liegt und von diesem nur durch den Bober getrennt
ist, die 16 Jahre alte Besitzerin des Gutes,
D o r o t h e a R o h r b e c k
, und deren 13 Jahre alte Base U r s u l a
S c h a d e um die Mittagszeit
in einem Zimmer des Gutes erschossen aufgefunden.
Dorothea Rohrbeck war eine Waise. Von ihrer
Wiege hinweg riß der Tod die Mutter, und als Zehnjährige stand sie an der Bahre
des Vaters. In Kleppelsdorf geboren, wuchs Dorothea hier auf. Ein hübsches,
freundliches Mädchen, war sie der Liebling der Ortsbewohner, die heute noch mit
viel Liebe von ihrer „Dörte“ sprechen. Die Einsamkeit des Schlosses teilte sie
mit ihrer Erzieherin Fräulein Zahn, mit ihrer 74 Jahre alten Großmutter, Frau
Eckert, einer geborenen Booß, und den Angestellten des kleinen Haushalts. In
den Ferienmonaten kamen Verwandte von mütterlicher Seite zu Besuch, namentlich
die in zweiter Ehe mit dem 27 Jahre alten Architekten Peter Grupen
verheiratete, jetzt verschollene Tochter der Frau Eckert aus zweiter Ehe und
deren Kinder, die ermordete Ursula Schade und deren jüngste Schwester Irma. Die
beiden kleinen Schade waren also die Stiefkinder des Peter Grupen und die
Stiefbasen der Rohrbeck.
An ihrer Erzieherin, Fräulein Zahn, hing die
Dörte mit kindlicher Liebe: kühler war das Verhältnis zur Großmutter. Hin und
wieder ließ sich auch Peter Grupen, Dörtes Stiefonkel, auf Schloß Kleppelsdorf
sehen. Dieser Architekt Grupen war mit einer Stiefschwester der verstorbenen
Mutter der ermordeten Dörte Rohrbeck verheiratet. D i e s e
F r a u i s t s e i t
d e m 1 9 . S e p t e m b e r 1 9 2 0
s p u r l o s v e r s c h w u n
d e n . Seitdem soll sich Grupen der
sechzehnjährigen Dorothea Rohrbeck mit Liebesanträgen genähert haben, die aber,
wie erzählt wird, mit Abneigung erwidert wurden. Dorothea unternahm zwar einmal
mit ihrer Erzieherin eine Reise nach Grupens Heimat, nach Oldenbüttel bei
Itzehoe, und besuchte mit ihm von dort aus auch Hamburg, Sonst aber soll sie
bestrebt gewesen sein, des Onkels Gesellschaft zu meiden. Wenn Grupen auf
Schloß Kleppelsdorf kam, soll Dorothea ihre Erzieherin gebeten haben, in deren
Zimmer schlafen zu dürfen. Am 8. Februar d. J. fand sich Grupen wieder mit der
Großmutter, den beiden Stieftöchtern und der Stütze Mohr in Kleppelsdorf ein.
Montag, den
14.
Februar, um die Mittagsstunde
waren die Großmutter der beiden Mädchen, Frau
Eckert, ihr Schwiegersohn Peter Grupen und die Stütze Marie Mohr, die ein
Verhältnis mit Grupen gehabt haben soll, nebst der kleinen Irma Schade, der
dritten Enkelin der Frau Eckert und Schwester der Ursula Schade, im
Winterwohnzimmer i m e r s t e n
S t o c k des Schlosses versammelt.
Um 12 ¼ Uhr ging das Hausmädchen Mende, das kurz zuvor von einem Gange nach der
Post zurückgekehrt war, aus der Küche in dieses Winterwohnzimmer hinauf, um die
dort Anwesenden zu Tisch zu bitten. Fräulein Zahn, die Erzieherin Dorothea
Rohrbecks, welche im Nebenzimmer beim Briefeschreiben beschäftigt war, beauftragte
die Mende gegen 12 ½ Uhr, die beiden Mädchen, Dorothea Rohrbeck und Ursula
Schade, zu suchen und zum Essen zu holen. Die Mende begab sich in das im E r d g e s c h o ß liegende
G a s t z i m m e r , dessen
beide Fenster nach dem Park hinausgehen, und gewahrte dort Dorotheas Gestalt
vor dem Liegesofa an der auf der Skizze mit 1 X bezeichneten Stelle auf dem
Boden liegend, und in der Ecke zwischen einem Schrank und der zur benachbarten
Rollstube führenden Türe (auf der Skizze mit 2 X bezeichnet) die Gestalt der
Ursula Schade auf dem Boden. Die Menge glaubte, die beiden Mädchen spielten
Verstecken. Als sie auf ihren Anruf keine Antwort erhielt, und näher hinzutrat,
gewahrte sie z u i h r e m
E n t s e t z e n , d a ß D o r o t h e a e n t s e e l t i n
e i n e r B l u t l a c h e l a g
und die aus einer Stirnwunde blutende
U r s u l a m i t d e m
T o d e r a n g . Entsetzt rannte die Mende zunächst nach der
Küche, wo sie die K ö c h i n H i r s c h
verständigte, die dann nach dem Gastzimmer lief, und eilte dann selbst
wieder die Treppe nach dem ersten Stockwerk hinauf, wo ihr Peter Grupen, Frau
Eckert, die kleine Irma und die Mohr entgegenkamen, denen sie die Kunde von dem
Unglück zurief und rannte dann in das Zimmer zu Fräulein Zahn, die sofort die
Treppe hinuntereilen wollte, wo ihr Grupen mit der Schreckenskunde
entgegengetreten sein soll.
Im
Mordzimmer b e m ü h t e m a n
s i c h n u n u m
d i e b e i d e n O p f e r .
Dorothea
Rohrbeck hatte einen Schuß in den Hals und in die Brust und war bereits tot,
während Ursula Schade durch Kopfschuß tödlich verletzt war, aber noch lebte.
A n d e r l i n k e n
S e i t e d e r S c h a d e
l a g e i n R e v
o l v e r .
Die Köchin Hirsch soll ihn zuerst bemerkt
haben. G r u p e n n a h m
d i e W a f f e a u f
und legte sie auf den Tisch. Die Körper der Dorothea Rohrbeck und der
Ursula Schade wurden mit Hilfe Grupens
a u f B e t t e n g e l e g t . Der sofort telephonisch herbeigerufene
Sanitätsrat Dr. Scholz aus Lähn fand Dörte Rohrbeck schon tot vor. Der Ursula,
die noch röchelte, gab er Kampherspritzen zur Belebung der Herztätigkeit.
Grupen soll zu Dr. Scholz gesagt haben:
„ K ö n n e n S i e d e r
U r s u l a n i c h t e t w a s
g e b e n , d a ß s i e
z u m B e w u ß t s e i n k o m m t
u n d s a g e n k a n n ,
w i e e s g e w e s e n i s t ? “
Während Dr. Scholz noch mit der tödlich verwundeten Ursula (die um 3 Uhr
nachmittags starb) beschäftigt war, traf gegen 1 Uhr der telephonisch
herbeigerufene Postamtsvorsteher Grimmig aus Lähn am Tatorte ein. Er stellte
fest, daß die Waffe aus dem Tisch eine Selbstladepistole System „Walter“ Kal.
6.33 war. In der Meinung, die Waffe zu sichern, l e g t e
e r d e n S i c h e r u n g s f l ü g e l n a c h
v o r n h e r u m und übergab
die vermeintlich so gesicherte Pistole dem Justizobersekretär Klapper aus Lähn.
Er untersuchte dann die Waffe in seiner Wohnung in Gegenwart jenes Justizbeamten
und s t e l l t e d a b e i
f e s t , d a ß d i e
P i s t o l e e n t s i c h e r
t war. Es wird nun angenommen, daß n a c h
dem letzen tödlichen Schuß
d i
e W a f f e s c h o n
v o n a n d e r e r H a n d
g e s i c h e r t
sein müsse. Ein Punkt, der in der Verhandlung
weiterer Aufklärung bedarf. Auf die Frage von Grimmig, w e m
d i e S c h u ß w a f f e g e h ö r e , soll im zunächst erwidert worden sein, daß
sie nicht aus dem Hause sei. Der Eigentümer der Waffe stellte sich aber bald
heraus. Bei den Bemühungen um die sterbende Ursula stieß die Krankenschwester,
die dem Sanitätsrat Scholz behilflich war, das Kleid herunterzuziehen, auf
eine U n t e r b i n d e t a s c h
e unter dem Kleide. Dr. Scholz fand in
dieser Tasche e i n K ä s t c h e n m i t
1 9 P a t r o n e n Kal. 6.33
u n d e i n weißes
Briefkuvert
„An Großmutti!“
adressiert. Grimmig verlas sofort den Inhalt
des Briefes. D i e U r s u l a b i t t e t
i n d i e s e m v o m
9 . F e b r u a r d a t i e r t e n S c h r e i b e n d a r i n
d i e G r o ß m u t t e r , n i c h t
b ö s e z u s e i n ,
d a ß s i e d e m
V a t e r d i e W a f f e
g e n o m m e n h a b e
u n d e r k l ä r t , d e r
G r o ß m u t t e r h e l f e
n z u
w o l l e n , d a m i t s i e
s i c h a n D ö r t e
n i c h t m e h r ä r g e r e . Nach Verlesung des Briefes erklärte Grupen:
„ D a i s t
e s d o c h m e i n e
P i s t o l e . “
Nach Verlesung des Briefes an „Großmutti“
(Frau Eckert), der einen Mord an Dorothea und einen Selbstmord durch die Ursula
hinstellte, war die Tatsache, daß die Pistole aus dem Hause Peter Grupen stammte,
unzweifelhaft. Grupen will die Schußwaffe kurz vor der Abreise nach
Kleppelsdorf zum Selbstschutz für seinen Bruder Wilhelm gekauft und in
Oldenbüttel zurückgelassen haben. Peter Grupen soll seinem Bruder den nicht
einfachen Mechanismus der Waffe erklärt haben. Wilhelm G. will dazugekommen
sein, wie Ursula in Oldenbüttel die Pistole in der Hand gehabt habe. Als er
abends die ins Schubfach zurückgelegte Pistole habe herausnehmen wollen, sei
sie nicht mehr dort gewesen. Ueber das auffällige Verschwinden der Pistole und
warum er seinem Bruder nach Kleppelsdorf davon nichts berichtet hat, wird Zeuge
Wilhelm Grupen in der Verhandlung Auskunft geben müssen. Hat Ursula die
Schußwaffe und die Patronen mit nach Kleppelsdorf genommen oder Peter Grupen?
Die Waffentechnik in Verbindung mit der Art
der Schusswirkungen werden bei Beantwortung der Frage: W e r
w a r d e r T ä t e r ?
eine sehr große Rolle spielen, ebenso die Beschaffenheit der Schußwunden
und die
Fundstellen
der Patronenhülsen
im Zimmer usw. Es wird behauptet, daß es
schon n a c h d e r
L a g e d e r i m
M o r d z i m m e r a u f g e f
u n d e n e n G e s c h o ß h ü l s e
n u n m ö g l i c h s e i ,
d a ß U r s u l a d i e
z w e i S c h ü s s e , die von der Ofenseite her auf Dörte
abgegeben worden sind, a b g e f e u e
r t h a b e n k a n n ,
auch nicht den tötlichen Schuß auf sich selbst, da die Hülse dabei nur
in den Raum zwischen Wäscheschrank und Sofa am Fenster, niemals in die
entgegengesetzte, etwa 6 Meter entfernte Zimmerecke gelangt sein könnte. Ueber
all diese Fragen werden die Sachverständigen Gutachten abgeben auf Grund von
angestellten Schießversuchen usw. Darüber hinaus erhebt sich die natürliche
Frage, ob ein dreizehnjähriges Mädchen wie Ursula Schade, die gelegentlich vielleicht
einmal mit einem Kinderspielzeug geschossen hat, mit einer so schwierigen
Waffe, wie sie der Mechanismus der Selbstladepistole darstellt, treff- und
totsicher umzugehen wissen konnte. Dagegen soll Grupen ein sehr sicherer
Schütze sein. Er soll beim Preisschießen oft Preise davongetragen und im Kriege
seine Schießfertigkeit und seine starken Nerven erprobt haben. 1916 ist Peter
Grupen der linke Unterarm durch einen Granatsplitter zerrissen worden, sodaß
der Arm amputiert werden mußte, aber der rechte Arm blieb gebrauchsfähig. Dann
erhob sich die Frage: W e l c h e
n G r u n d s o l l t e
d i e U r s u l a z u
d e r f u r c h t b a r e n T a t
g e h a b t h a b e n ? Man stand vor einem Rätsel.
Bald trat das Gerücht auf, Dorothea Rohrbeck,
die alleinige Erbin der Herrschaft Kleppelsdorf, deren Vermögen mehrere
Millionen Mark betrug, sei das
O p f e r i h r e s
O n k e l s P e t e r G r u p e n
geworden, der gleichzeitig auch gegen sein
Stiefkind Ursula die Waffe gerichtet habe. Grupen wurde als des Doppelmordes
verdächtig, am Morgen nach der Tat verhaftet. Bei seiner Ueberführung nach
Hirschberg war es nur mit List möglich, ihn der Lynchjustiz einer großen
aufgeregten Menschenmasse zu entziehen. Man nahm an, daß Grupen durch den Mord
K l e p p e l s d o r
f a n
s i c h z u b r i n g e n
hoffte und gleichzeitig das an seiner
Stieftochter begangene Verbrechen vertuschen wollte. Aus dem Verwandtschaftsverhältnis
ist ersichtlich, daß, wenn Dorothea starb, ihre Großmutter, Grupens
Schwiegermutter, ihre Erbin sein mußte, und es heißt, daß Grupen auf die alte
Frau einen starken Einfluß ausgeübt haben soll. Er soll auch unmittelbar nach
der Auffindung der Toten zu Frau Eckert gesagt haben: „ W e i ß t
D u a u c h , d a ß
D u j e t z t H e r r i n
v o n K l e p p e l s d o r
f b i s t ? “
Wer ist
nun Peter Grupen?
Soweit bisher bekannt ist, steht Grupen im
Alter von 27 Jahren und war zuletzt Architekt in Oldenbüttel bei Itzehoe. Er
ist verheiratet mit einer verwitweten Frau Apotheker Schade, Tochter der Frau
Eckert, welche in erster mit dem Apotheker Schade in Charlottenburg verheiratet
gewesen ist. Aus dieser Ehe stammen die beiden Kinder Ursula und Irma. Ihr
Vater, der Apotheker Schade ist a u
f e i n e r J a g d
v e r u n g l ü c k t und es
haben sich an dieses Unglück auch manche Vermutungen geknüpft, welche indeß
bisher zu keiner Klarheit geführt haben.
F r a u G r u p e n i s t
s p u r l o s v e r s c h w u n
d e n ,
seitdem sie am 19.
September 1920 mit dem Angeklagten nach dem Bahnhof Itzehoe gefahren ist. Sie
soll, obgleich ein Passvisum nach Amerika, nach Angabe des amerikanischen
Konsulats für sie nicht erteilt ist, nach Amerika ausgewandert sein. Das Dunkel
über das Verschwinden der Frau Grupen ist bis heut noch nicht gelüftet. Zwei
Tage vor der Abreise der Frau Grupen ist diese sowie ihre Mutter mit ihrem
Manne, Peter Grupen, bei einem Notar in Itzehoe erschienen und dem Ehemanne
sind die auf dem Perleberger Apothekengrundstück ruhenden Hypotheken in recht
beträchtlicher Höhe abgetreten worden, als Gegenwert sollte der Mann Barzahlung
leisten. Am Tage vor ihrer Abreise hat Frau Grupen bei der L a n d e s s p a r k a s s e in Sude ihr gesamtes G u t h a b e n und auch das Sparguthaben ihrer b e i d e n
Kinder a b g e h o b e n und sich nach L ü b e c k
abgemeldet. Seitdem ist die Frau verschwunden. Man hat vermutet, daß
Grupen seine Frau ermordet hat und glaubte auch einmal eine Frauenleiche, die
bei Hamburg ans Land geschwemmt worden ist, als die der Frau Grupen erkannt zu
haben, doch wurde diese Annahme widerlegt auf Grund einer Aussage eines
Zahnarztes, der Frau Grupen kurz vor ihrem Verschwinden behandelt hat und nicht
den Beweis an der Leiche feststellen konnte, daß es sich um Frau Grupen handeln
konnte. Neuerdings wird behauptet, daß Briefe, in denen Frau Grupen ihre
Absicht, nach Amerika zu reisen. kundgibt, vorhanden sind.
Dieses rätselhafte und ungeklärte
Verschwinden der Frau hat Grupen, der schon durch die Auffindung der Waffe
verdächtig erschien, in Verbindung mit seinen augenscheinlichen Absichten auf
Dorothea Rohrbeck stark verdächtig gemacht. Außerdem nimmt, wie schon erwähnt,
die Anklagebehörde an, daß Grupen ein S
i t t l i c h k e i t s v e r b r e c h e n ,
welches er an seinem Stiefkinde Ursula begangen haben soll, d u r c h
d i e T a t v e r d e c k e n w o l l t e , während er gleichzeitig durch seine
Einwirkung auf die alte Frau Eckert sich
V e r f ü g u n g ü b e r d a s
r e i c h e E r b e v o n
M i l l i o n e n s i c h e r
n w o l l t e . Ebenso wie die alte Frau Eckert, soll auch
die S t i e f t o c h t e r U r s u l a , die ihrem ganzen Wesen nach ein frühreifes
und krankes Kind war, unter d e m E i n f l u ß G r u p e n s g e s t a n d e n h a b e n .
Sie hat auch am 9. Februar (demselben Tage, an dem der Brief an die
Großmutter geschrieben ist) in einem Briefe an eine Frau in Oldenbüttel
geschrieben, wie schön es in Kleppelsdorf sei, bei allerlei Spielen, guter
Ernährung und in der Unterschrift des Briefes ist nachträglich in die Worte
„Deine Ursula“ das zu dem ganzen Inhalt des Briefes nicht passende Wort „ t r a u r i g e “ eingefügt worden. Die Anklage nimmt an, daß Ursula bei dieser Einführung auf G e h e i ß
G r u p e n s g e h a n d e l
t h a t , w i e
e r a u c h b e i
d e r A b f a s s u n g d e s
B r i e f e s a n d i e
G r o ß m u t t e r s e i n e
n E i n f l u ß g e l t e n d g e m a c h t h a b e n
s o l l . Am 8. Februar, also
einen Tag vor Abfassung der beiden Briefe war Grupen nach Kleppelsdorf
gekommen.
Grupen
bestreitet
der Täter zu sein oder mit der Tat irgendwie
in Verbindung zu stehen und führt zum Beweise dafür, daß er nicht der Täter
sein k a n n , die alte Frau Eckert, die Stütze Mohr, mit
der er, wie die Anklage behauptet, ein Verhältnis gehabt haben soll, und die
kleine Irma Schade als Zeugen an. A l l e d r e i s o l l e n
b e k u n d e t h a b e n , d a ß
G r u p e n i n d e r
Z e i t , i n d e r
d i e T a t g e s c h e h e n i s t ,
d a s i m e r s t e n
S t o c k d e s S c h l o s s e s g e l e g e n e W i n t e r z i m m e r a u c h
n i c h t e i n e n A u g e n b l i c k v e r l a s s e n h a t ,
also
nicht
am Tatort gewesen sein kann.
Trotzdem ist die Anklage aufrecht erhalten
worden und zwar mit der Behauptung, d a
ß d i e Z e u g e n
i m h y p n o t i s c h e n B a n n e
G r u p e n s
gestanden haben, daß Grupen das Zimmer
tatsächlich verlassen, oder den unter seinem Einflusse stehenden Zeugen das
Bewußtsein suggeriert hat, den Raum n i
c h t verlassen zu haben. I s t
d a s m ö g l i c h ? Die Anklage scheint die Frage zu bejahen. Um
von dem in ersten Stock gelegenen Winterzimmer, in dem sich die drei Zeugen und
mit ihnen angeblich Grupen zurzeit der Tat befunden haben, nach dem Mordzimmer
zu gelangen und wieder zurückzukommen, bedurfte es für jemand, der die
Verhältnisse kannte, nur weniger Minuten. Ist aber die Beeinflussung der Zeugen
durch Hypnose in dem Umfange, daß sie in der vollen Ueberzeugung, die Wahrheit
zu sagen, die Unwahrheit bekunden, möglich? Ging der Einfluß Grupens auf seine
Umgebung so weit? Darauf soll die Verhandlung und vor allem Professor Moll aus
Berlin, ein hervorragender Sachverständiger auf dem Gebiet der Hypnose, Antwort
geben. Was, wenn nicht Ursula Schade und nicht Peter Grupen
e i n a n d e r e r d e r
T ä t e r ?
In das Mordzimmer war, wie die Zeichnung auf
den ersten Blick zeigt, auf die verschiedenste Weise zu gelangen, sowohl vom
Park aus, wie von der Vorder- und Hinterseite des Schlosses aus, allerdings
nicht durch die Fenster, da diese mit Eisenstäben vergittert sind, sondern nur
durch die … Türen, die in das Haus führen. Der Park, auf den das Mordzimmer
hinausgeht, ist nicht groß, und sowohl der eiserne Zaun vor dem Hauptportal,
wie die Mauer, die den Park umgibt, können leicht über(klettert) werden.
Indessen deutet bis jetzt, soweit wir unterrichtet sind, nichts daraufhin, daß
irgendjemand dies getan oder auch nur versucht hat. Die belastenden Anzeichen
liegen vielmehr innerhalb des Hauses.
War Peter Grupen der Mörder oder war es, wie
es nach dem Briefe an die Großmutter scheint, Ursula Schade? Wenn es die
letztere war, stand sie dann dabei unter hypnotischem Einfluß ihres Stiefvaters
und reichte dieser Einfluß auch auf die Großmutter sowie auf das Mädchen Marie
Mohr, oder kommt als Täter eine dritte Person in Frage, die in entfernteren
Beziehungen zu dem ganzen Verhältnis stand, aber von Peter Grupen beeinflußt
war, oder ist dieser ganz frei von Schuld zu sprechen und liegt hier nicht
vielmehr eine reine Kindertragödie vor? Kam außer der aufgefundenen Waffe noch
eine zweite, genau derselben Art, in Frage?
Dienstag, 6. Dezember 1921, „Der Bote aus dem
Riesengebirge“
Der Doppelmord auf Schloß Kleppelsdorf.
Beginn der Verhandlung.
Hirschberg, 5. Dezember 1921
Mit einem sonnenhellen, aber bitterkalten
Wintertag beginnen die Verhandlungen gegen
P e t e r G r u p e n , den Angeklagten im Kleppelsdorfer
Mordprozeß. Die Kälte hat offenbar den Andrang des Publikums stark eingedämmt;
nur spärlich kamen Neugierige und harrten an der Pforte des Gerichtsgebäudes
des Einlasses, der nur den Inhabern von Ausweiskarten gestattet wurde. Ein
großes Polizeiaufgebot sorgte dafür, daß ohne Erlaubnisschein niemand den
Zuhörerraum betrat.
Langsam füllte sich der Schwurgerichtssaal.
Auf einem Tische vor der Anklagebank lagen der Revolver, der am Tatort gefunden
worden war, Revolvergeschosse, die Leibwäsche der Dorothea Rohrbeck und der
Ursula Schade und einige andere Beweisstücke.
Am Richtertisch nahmen Platz der Vorsitzende,
Oberlandesgerichtsrat K r i n k e aus Breslau, Landgerichtsrat W i e t e r , Landgerichtsrat H e r z o g , Assessor
H u b r i c h (als Ersatzrichter),
Oberstaatsanwalt D r . R e i f e n r a t h . Der Berichterstatter-Tisch ist stark
besetzt. Eine größere Zahl auswärtiger, namentlich Berliner Journalisten, ist
erschienen.
Ansprache
des Vorsitzenden.
Pünktlich um 10 Uhr eröffnet der V o r s i t z e n d e die Verhandlung mit der Begrüßung der
Geschworenen. Die Tagung, sagte er in s
e i n e r A n s p r a c h e , werde an die Arbeitskraft und Pflichttreue,
Aufmerksamkeit und geistige Tätigkeit der Geschworenen erhebliche Anforderungen
stellen. Die Geschworenen hätten das Amt eines
R i c h t e r s auszuüben und
seien wie der Richter an das Gesetz gebunden. Wie der Richter, so habe auch der
Geschworene seine Ueberzeugung hinsichtlich der Schuldfrage auf freie
Beweiswürdigung aus dem gesamten Ergebnis der Hauptverhandlung zu stützen.
Hierauf müsse in diesem Prozeß besonders hingewiesen werden; denn die
Strafsache habe weit über die Grenzen Hirschbergs hinaus berechtigtes Aufsehen
erregt, sie sei Gegenstand öffentlicher Erörterungen gewesen und auch in der
Presse ausgiebig besprochen worden. Die Geschworenen müßten ihren Spruch auch
ohne Ansehen der Person fällen. Ein Verstands-, kein Gefühlsurteil werde von
ihnen erwartet. Es wäre ein Eingriff in das dem Staatsoberhaupt zustehende
Begnadigungsrecht, wenn die Geschworenen lediglich aus Mitleid oder sonstigen
unbestimmten Gefühlswägungen heraus einen Freispruch fällen und sich dadurch
über das Gesetz stellen würden. Er, der Vorsitzende, hoffe, daß es gelingen
werde, in der vorliegenden umfangreichen und schwierigen Sache das Recht zu
finden, das der wahren Gerechtigkeit dient.
Angeklagter
Grupen.
Der Vorsitzende ordnet nunmehr an, daß
der A n g e k l a g t e P e t e r
G r u p e n in den Saal zu
führen ist. In Begleitung eines Gefängnisbeamten erscheint der Angeklagte,
gekleidet in einem grauen Anzug. Ruhig, ohne daß ihm irgendwelche innere
Erregung anzumerken wäre, antwortet er auf die Frage des Vorsitzenden, ob er
der Architekt Peter Grupen aus Ottenbüttel sei, mit „Jawohl!“ Grupen nimmt auf
der Anklagebank Platz, den Blick fast unablässig auf den Richtertisch
gerichtet, hinter ihm ein Polizeibeamter. Als seine Verteidiger melden sich die
Justizräte D r . A b l a ß -
Hirschberg und D r . M a m r o t h - Breslau.
Die
Geschworenenbank.
Vor der Bildung der Geschworenenbank wird das
mit Schwerhörigkeit und Unabkömmlichkeit begründete Entlassungsgesuch des zum
Geschworenen berufenen Maschinenwärters Tautz aus Rothenbach genehmigt.
Ausgelost werden als Geschworene Mühlendirektor
R e i n s b e r g - Landeshut, Graf
S a u r m a - J e l t s c h auf
Schloß Wilhelmsburg, Kaufmann G o r m i
l l e - Hohenfriedeberg, Kaufmann Karl
R a d i s c h - Schönau, Rentier Julius
L i e b i g - Schreiberhau, Arbeiter Karl H e i n z e - Schmiedeberg, Bankdirektor B e c k e r t - Hirschberg, Kaufmann
Gustav F r i e s e - Alt-Reichenau,
Fabrikbes. Ernst T z s c h a c h e l -
Ruhbank, Buchhalter Albert B r ä u e r
- Rudelstadt, Kaufmann Johannes S p r i
n g e r - Friedeberg, Oberstleutnant D
u l i t z - Cunnersdorf, ferner als Ersatzgeschworene: Gemeindevorsteher
Weimann-Kauffung, Kaufmann Degenhardt-Hirschberg und Futtermeister
Grosser-Cunnersdorf. Der Vorsitzende macht die Geschworenen darauf aufmerksam,
daß sie den Geschworeneneid sowohl in der alten Form, als auch in der nach der
Verfassung zulässigen Form ohne religiösen Zusatz zu leisten berechtigt sind.
Zwei Geschworene machen hiervon Gebrauch.
Die
Zeugen.
Es beginnt der Aufruf der Zeugen und
Sachverständigen, die den Schwurgerichtssaal buchstäblich bis auf den letzten
Platz füllen, so daß eine junge Dame in Ohnmacht fällt. Unter den Zeugen
befinden sich u. a.: Erzieherin Fräulein
Z a h n , I r m a S c h a d e
(die jüngere Schwester der ermordeten Ursula), Frau Bankdirektor
Agnes E c k e r t , Frau Apothekenbesitzer M a r g a r e t e S c h a d e , Apothekenbesitzer S c h a d e , Alfred
R o h r b e c k , Wilhelm und
Heinrich G r u p e n , Fräulein
M o h r und Frl. M e n d e .
Die mit dem Angeklagten und mit den ermordeten
Mädchen verwandten Zeugen erklären, von ihrem Recht der Zeugnisverweigerung
keinen Gebrauch machen zu wollen. Auch die Zeugen weist der Vorsitzende auf die
Zulässigkeit hin, den Eid ohne religiöse Formel zu leisten.
Angekl.
G r u p e n stellt den Antrag,
den von der Staatsanwaltschaft als S a
c h v e r s t ä n d i g e n f ü r S u g g e s t i o n geladenen Gaswerksdirektor W r o b e l
a b z u l e h n e n . Dem
Ablehnungsantrage wird nach längeren Auseinandersetzungen zwischen dem Staatsanwalt
und den Verteidigern stattgegeben.
Hierauf begann die V e r n e h m u n g d e s
A n g e k l a g t e n über seine
persönlichen Verhältnisse.
Sodann Mittagspause bis 3 Uhr.
(Fortsetzung folgt.)
Mittwoch, 7. Dezember 1921, „Der Bote aus dem
Riesengebirge“
Der
Doppelmord auf Schloß Kleppelsdorf.
Die
Vernehmung Grupens.
Hirschberg, 6. Dezember 1921.
Der erste Tag der Verhandlung war
ausschließlich dem Verhör des Angeklagten gewidmet. Noch aber ist die Vernehmung
nicht beendet. Am heutigen Dienstag wird sie, teilweise unter Ausschluß der
Oeffentlichkeit, fortgesetzt.
Grupen, ein breitschultriger, kräftig
gebauter junger Mann, tritt sicher und gewandt auf. Auch an guten Formen fehlt
es ihm nicht. Er verbeugt sich, wie er in den Saal geführt wird, nach allen
Seiten, er „bittet“ den Vorsitzenden, ihn unterbrechen oder auf dies oder jenes
noch einmal zurückkommen zu dürfen.
Grupen ist aber auch zweifellos ein Mann von
zielklarem festen Willen und hoher Intelligenz. Seine Antworten auf die Fülle
der vom Richter-, Staatsanwalt- und Verteidiger-Tisch auf ihn eindringenden
Fragen sind klar und werden meist ohne Stockung gegeben. Ab und zu sucht Grupen
nach dem Ausdruck.
Peinlich sucht er alles, was als Ausreden
gedeutet werden könnte, zu vermeiden. Als ihm vorgeworfen wird, schon im
vorigen Jahre bei der Ruderpartie auf der Alster in Hamburg die Dorothea
Rohrbeck absichtlich in Lebensgefahr gebracht zu haben, und ihm die Frage
vorgelegt wird, ob er beim Kentern des Bootes nicht selbst des Ertrinkens
ausgesetzt gewesen wäre, erwidert er ohne Stocken, die Bejahung der Frage läge
nahe, aber trotz des Verlustes des einen Armes sei er der Ueberzeugung, sich
schwimmend über Wasser halten zu können. Auch Widersprüche zwischen den
Aussagen der Zeugen und seiner Erklärung erschüttern ihn nicht. Er bleibt bei
seinen Behauptungen.
Nur ganz vereinzelt versagt Grupen. Auf die
Frage, wer ihn plötzlich, als er mit Fräulein Rohrbeck und Fräulein Zahn in
Hamburg weilte, um sein Vermögen gebracht habe, verweigert er in höflicher
Weise die Auskunft. Auf eine andere Frage, weshalb er erst jetzt mit der
Behauptung auftrete, daß Ursula in den letzten Tagen vor dem Morde auffällig
traurig gewesen sei, weiß er keine Antwort zu geben. Im Allgemeinen aber gibt
Grupen auf alle Fragen fest und ruhig Antwort, nur in den Erwiderungen auf die
Anfragen des Staatsanwaltes klingt ein Ton feindseliger Erregung durch.
Trotzdem: Die Vernehmung des Angeklagten hat
noch vieles unklar gelassen. Das Geheimnis, das das Verschwinden der Frau
Grupen umlagert, ist um nichts geklärt worden. Der Angeklagte deutet in
öffentl. Sitzung nur an, daß seine Frau abnorme sexuelle Anforderungen gestellt
hat und unzufrieden wegen der Nichterfüllung ihrer Wünsche gewesen wäre. Unklar
bleibt auch das Verhältnis zwischen Grupen und den beiden Kleppelsdorfer Damen.
Frl. Zahn wie auch Frl. Rohrbeck fühlten sich vom Vormund über Gebühr kurz
gehalten. Daraus entstand ein Prozeß. Grupen spielte sich als Helfer und
Beschützer der Damen auf, verhandelte hinter ihrem Rücken aber mit dem Vormund.
Dies und noch manche Einzelheit, die merkwürdige Gelassenheit und Untätigkeit,
mit der die Nachricht von dem Verschwinden der Frau Grupen durch die
Nächstbeteiligten aufgenommen wurde, bleiben zunächst noch völlig ungeklärt.
Im Einzelnen ist zu berichten:
Das
Sachverständnis in Hypnose.
Die
Verteidigung stellte den Antrag, den von der Anklagebehörde als
Sachverständigen für Suggestion geladenen Gaswerksdirektor W r o b e l - Hirschberg abzulehnen, weil
Herrn Wrobels Vernehmung im Vorverfahren gegen das Gesetz zustandegekommen sei
und weil Herr Wrobel auf dem Gebiete der Suggestion ein Amateur sei, der ein
Urteil von wissenschaftlichem Wert nicht abgeben könne. Herr Wrobel erklärt,
sich seit zwanzig Jahren theoretisch und praktisch mit Hypnose und Suggestion
beschäftigt zu haben. Die Bücher namhafter Gelehrter auf diesem Gebiete habe er
studiert, auch hätten ihn Hirschberger Aerzte zur Anwendung von Hypnose und
Suggestion im Heilverfahren herangezogen. Irgend ein Examen habe er nicht
gemacht. Oberstaatsanwalt Dr. R e i f e
n r a t h widersprach dem
Ablehnungsantrage. Die Anklagebehörde sei berechtigt gewesen, Herrn Wrobel im
Ermittelungsverfahren zu vernehmen. Das Gericht beschloß zunächst, den
Kreisarzt Medizinalrat Dr. S c h o l z
- Hirschberg und den Geh. Medizinalrat Dr.
M o l l - Charlottenburg über die Eignung des Herrn Wrobel als Sachverständigen
zu vernehmen. Beide Herren verneinen die Eignung. Das Gericht gibt nach langer
Beratung dem Ablehnungsantrage statt. Oberstaatsanwalt Dr. R e i f e n r a t h behält sich vor, Herrn Wrobel, der nunmehr
den Saal verläßt, a l s Z e u g e n
vernehmen zu lassen.
Der Vorsitzende beginnt mit der
Vernehmung
des Angeklagten.
Mit leiser, aber sicherer Stimme und spitzem
Akzent schildert Grupen seinen Lebenslauf. Am 20. August 1894 in Haseldorf bei
Pinneberg geboren, habe er dort die dreiklassige Volksschule besucht. Nach
vollendeter Schulzeit sei er zunächst in einem landwirtschaftlichen Betriebe
tätig gewesen und dann zu einem Maurermeister in die Lehre gegangen. Bei seiner
Gesellenprüfung sei seine Arbeit als die beste anerkannt worden. Während seiner
Ausbildungszeit habe er sich an Vergnügungen nicht beteiligt. Er habe die
besten Zeugnisse aufzuweisen. 1914 sei er als Kriegsfreiwilliger bei den
Königsulanen in Hannover eingetreten. Im Felde sei er an Typhus erkrankt und
vor Verdun habe er den linken Unterarm verloren. Nach seiner Entlassung aus dem
Lazarett habe er die staatliche Baugewerksschule in Hamburg besucht und im
Sommer praktisch gearbeitet. Auch im Maschinenbaufach habe er sich Kenntnisse
angeeignet: einige Monate sei er auf der Vulkan-Werft beschäftigt gewesen. Dort
habe er freiwillig seine Entlassung genommen, um sich dann als Bauführer in
Hamburg zu betätigen.
Zweimal
verlobt.
Vorsitzender: Es wird behauptet, daß Sie
mehrmals verlobt gewesen seien. - Angekl.: Das ist richtig. - Vorsitzender: Die
erste Verlobung ist aufgehoben worden, von wem? - Angeklagter: Von meiner Seite,
weil mich die Aeußerung meiner Braut: „Was soll ich mit dem Kriegskrüppel?“
verletzt hatte. - Vorsitzender: Auch Ihre zweite Verlobung ist auseinander
gegangen? und Sie sollen dem Mädchen gedroht, ihm sogar einmal einen Drohbrief
geschrieben haben? - Angeklagter: Ich habe niemals gedroht. Ich habe nur
geschrieben, daß ich die Verlobungsgeschenke zurückhaben möchte, sonst müßte
ich gerichtlich vorgehen. - Vorsitzender: Sie sollen das Mädchen, nach dem es
sich mit einem Anderen verlobt hatte, mit Erschießen bedroht haben? -
Angeklagter: Das ist frei erfunden! - Vors.: Hüten Sie sich, etwas
auszusprechen, das Ihnen dann von den Zeugen widerlegt werden könnte. -
Oberstaatsanwalt R e i f e n r a t h
: Als das Mädchen geheiratet hatte, ist
der Angeklagte nicht dann zu dem Ehemann gegangen und hat ihm in die Hand
versprochen, die Frau in Ruhe zu lassen? - Angekl.: Davon ist mir nichts
bekannt. - Vorsitzender: Warum ist nun die zweite Verlobung aufgelöst worden?
In der Voruntersuchung haben Sie gesagt, das junge Mädchen sei viel gereist und
nicht wirtschaftlich gewesen. - Angeklagter: Nein, ich war selbst schuld daran.
Frau
Schade = Frau Grupen.
Vorsitzender: Sind Sie damals nicht schon zu Frau
Gertrud Schade in Beziehungen getreten? - Angeklagter: Ich lernte Frau Schade
im August 1919 kennen. Veranlassung dazu hat eine Zeitungsannonce gegeben, die
ich aus Scherz hatte veröffentlichen lassen.
Vorsitzender, zu den Geschworenen gewendet:
Frau Gertrud Schade war die Tochter der Frau Bankdirektor Eckert aus zweiter
Ehe, Frau Rohrbeck die Tochter aus erster Ehe. Frau Rohrbecks Tochter ist die
verstorbene Dorothea Rohrbeck, diese also eine Enkelin der Frau Eckert und eine
Nichte der Frau Schade. Frau Schade soll ihren Ehemann, der Apothekenbesitzer
in Perleberg war, durch ein Jagdunglück verloren haben, stand aber nicht
alleine, hatte vielmehr ihr beiden Kinder Ursula und Irma, sowie eine
Pflegetochter Ruth bei sich.
Angeklagter: Frau Schade wohnte in Itzehoe.
Während des Krieges hatte sie ein Verhältnis mit einem Stabsveterinär.
Vors.: Frau Schade war 13 Jahre älter. Das
wußten Sie. Warum haben Sie sich mit ihr verlobt? Es ist doch selten, daß ein
Mann von Ihren Lebensjahren eine um 13 Jahre ältere Witwe mit drei Kindern
heiratet. - Angekl.: Ich hatte die Ueberzeugung, daß es eine wirklich gute Frau
sei; später bin ich anderer Ansicht geworden. - Vorsitzender: Sie sind also zur
Heirat geschritten aus Liebe, nicht aus Berechnung in Hinblick auf das Vermögen
der Frau Schade oder um Ihr gesellschaftliches Ansehen zu heben? - Angeklagter
verneint das letztere.
Vors.: Bei Frau Schade wohnte auch deren
Mutter, die Frau Eckert? War Frau Eckert mit der Heirat einverstanden? - Die
Antwort des Angeklagten ist unverständlich. Der Tag der Hochzeit sei der 22.
Dezember 1919 gewesen. Wir wohnten in Itzehoe im eigenen Hause, das ich einem
Umbau unterzog. - Der Vorsitzende stellt fest, daß Grupen schon als Bräutigam
Generalvollmacht sowohl von Frau Schade, wie auch von Frau Eckert erhalten
habe. Auf Grund dieser Generalvollmacht hat er sich 17 000 Mark aus einer
Hypothek abtreten lassen, das Geld aber, das den Kindern der Frau Schade
gehörte, an sich genommen. - Angeklagter: Ich habe auf der Quittung ausdrücklich
vermerkt, daß ich diese Summe den Kindern zur Verfügung stellen will. Wir haben
anfangs glücklich mit einander gelebt. Das Verhältnis trübte sich, als meine
Frau mit Forderungen auf ehelichem Gebiete kam, die ich nicht erfüllen konnte.
Meine Frau beschäftigte sich auch wenig mit dem Haushalt; sie war bestrebt,
viel herum zu reisen. - Vorsitzender: Sie haben in der Voruntersuchung gesagt,
daß noch ein anderer Grund mitgewirkt hätte, das Verhältnis nicht zum Besten zu
gestalten. - Angeklagter: Meine Frau hatte mir gestanden, ein Verhältnis mit
einem Fabrikbesitzer Schultz gehabt zu haben. Dieser Mann gehörte einer
Freimaurerloge an, bei der auch der verunglückte Schade Mitglied war. Mit dem
Fabrikbesitzer hatte meine Frau als Witwe eine Reise nach Köln gemacht und dort
mit ihm mehrere Tage in einem Hotel gewohnt. Ich habe ihr dieses Verhältnis
nicht besonders übel genommen. (Da der Angeklagte schwer verständlich wird, muß
er auf Anordnung des Vorsitzenden in der Mitte des Saales Platz nehmen.)
Vorsitzender: Was waren das für Forderungen,
die Ihre Frau an Sie stellte? - Angekl.: Meine Frau hatte stets Bier, Wein und
Liköre im Hause gehabt. Einmal hatte sie zu viel getrunken und im Rausch
stellte sie an mich Anforderungen, die kein Mensch erfüllen kann. Da sagte sie
mir, was der Fabrikbesitzer konnte, mußt Du auch tun können. Weiter hat sie mit
Angaben gemacht über das J a g d u n g
l ü c k ihres Mannes, das gar kein
Jagdunglück gewesen sei. - Vorsitzender: Es wird behauptet, daß auf der Jagd
auch jener Fabrikbesitzer zugegen gewesen sei. Darauf beziehen sich wohl die
Andeutungen, daß es sich nicht um einen Unglücksfall, sondern um einen absichtlichen
Mord handele. - Angeklagter: Meine Frau hat, wie ich schon sagte, die Andeutungen
im Rauschzustande gemacht. - Vorsitzender: Sie sind später mit Ihrer Frau von
Itzehoe nach Ottenbüttel gezogen. Die Anregung soll von Ihnen ausgegangen sein?
Angeklagter: Ich habe den Umzug nicht angeregt. Der Umzug war aber notwendig geworden,
weil das Wohnungsamt zur teilweisen Beschlagnahme der Räume in Ottenbüttel
schreiten wollte und es unzulässig war, daß wir über zwei Wohnungen verfügten.
- Vorsitzender: Während Sie im Umzuge begriffen waren, traf der
der
erste Besuch von Fräulein Dorothea Rohrbeck
und Fräulein Zahn ein. - Angeklagter: Wir
hatten nach Kleppelsdorf unsere Verheiratung mitgeteilt, die Mitteilung ist
aber kühl aufgenommen worden. Ich wollte daher anfangs den Besuch ablehnen. -
Vorsitzender: Der Besuch galt ja nicht Ihnen, sondern der Großmutter der
Dorothea Rohrbeck, der Frau Eckert. Angeklagter: Fräulein Zahn sagte: sie mach
eine Reise zu sämtlichen Verwandten, weil es deren Pflicht sei, ihm im Prozeß
gegen den Vormund Vielhack beizustehen.
Der V
o r s i t z e n d e bemerkt aufklärend:
Der Vater von Dorothea Rohrbeck hatte im Testament eine gewisse Summe zum
Unterhalt seiner Tochter ausgesetzt, aber mit dieser Summe konnte Frl. Zahn
wegen der Teuerungsverhältnisse, die inzwischen eingetreten waren, nicht
auskommen. Fräulein Zahn hat sich infolgedessen genötigt gesehen, die Hilfe der
Verwandten in Anspruch zu nehmen. Der Vormund hatte Fräulein Zahn gekündigt und
es war einen Anzahl Prozesse zwischen ihm und Fräulein Zahn entstanden.
Fräulein Zahn bestand darauf, daß sie im Testament als Erzieherin der Dorothea
Rohrbeck eingesetzt sei. - Angekl.: Fräulein Zahn hat mir gesagt, daß sie sich
einschränken und Schulden machen müsse. Ich habe ihr erwidert, sie möchte sich
an die Herren Pinge und Alfred Rohrbeck wenden, dann werde ich ihr ebenfalls
aushelfen. - Vorsitzender: Haben Sie sich nicht gleich angeboten, aus Ihrem
überreichen Einkommen einen Zuschuß zu geben? - Der Angeklagte bestreitet das.
- Vors.: Sie sollen bei der Unterredung mit Fräulein Zahn geäußert haben, daß
Ihre Frau krebsleidend sei. - Angeklagter: Das hat mir meine Frau selbst
gesagt. Ob ich es Fräulein Zahn gesagt habe, ist mir nicht erinnerlich. -
Vorsitzender: Sind nicht auch die Briefe zur Sprache gekommen, die Frau Eckert
an das Vormundschaftsgericht in Lähn geschrieben hat? - Angeklagter: Das mag
sein. - Vorsitzender: Ihre Schwiegermutter, die Frau Eckert, hat in diesen
Briefen gegen Fräulein Zahn Stellung genommen, später aber widerrufen und
schließlich den Widerruf ebenfalls widerrufen.
Vorsitzender: Fräulein Zahn behauptet, Sie
hätten ihr auf einem Ausfluge nach Ottenbüttel gesagt, Sie wollten sich von
Ihrer Frau scheiden lassen und wollten sie heiraten. - Angeklagter: Es ist
möglich, daß ich über das Verhältnis zu meiner Frau gesprochen habe, bestreite
aber, Fräulein Zahn einen Heiratsantrag gemacht zu haben.
Vors.: Sind Sie nicht mit den Damen auch nach
Hamburg gefahren? - Angekl.: Ja! - Vors.: Haben Sie den Damen dort Geschenke
gemacht? - Angekl.: Ich habe Fräulein Rohrbeck ein Paar Schuhe geschenkt. Dem
Fräulein Zahn habe ich das Geld für ihre Einkäufe ausgelegt. Sie hatte mich
darum gebeten und mir gesagt, sie würde es mir in Itzehoe zurückerstatten, hat
es aber nicht zurückgegeben.
Vors.: Sie hatten den Damen einen Gegenbesuch
in Aussicht gestellt und wollten mit Ihrer Frau nach Kleppelsdorf fahren! -
Angekl.: Ich bin am 6. September 1920 allein nach Kleppelsdorf gereist. -
Vors.: Wenn man verheiratet ist, macht man Gegenbesuche mit seiner Frau. -
Angekl.: Der Besuch galt in erster Linie der materiellen Hilfe für Fräulein
Rohrbeck. Ich habe auch in Kleppelsdorf die dringendsten Rechnungen bezahlt. -
Vors.: Ja, Fräulein Zahn spricht von 850 und 2000 Mark. - Angekl.: Die Summen
weiß ich nicht mehr genau.
Vors.: Bei dieser Gelegenheit sollen Sie
geäußert haben, Sie möchten sich in Kleppelsdorf oder Umgegend als Naturfreund
niederlassen? Sie wollten mit Fräulein Bauer, der Tochter des Gegenvormundes,
in Verkehr treten und die Stimmung der Vormünder erkundigen. - Angekl.:
Fräulein Zahn sagte mir, Fräulein Bauer könne keinen Mann bekommen. - Vors.:
Hatten Sie nicht auch geäußert, daß Sie die Verwaltung des Gutes Kleppelsdorf
übernehmen würden? - Angekl.: Davon ist keine Rede gewesen. Als ich hörte, daß
die Felder nicht richtig abgeerntet würden, habe ich nur gesagt, daß ich die
Bewirtschaftung anders machen würde. Zur Verwaltung des Gutes fehlten mir aber
die nötigen Kenntnisse vollkommen. Ich war zwei Tage in Kleppelsdorf und bin
nach Hause gefahren, nachdem ich den Besuch meiner Frau in Aussicht gestellt
hatte.
Das Verschwinden
von Frau Grupen.
Vors.: Was ist dann in Ottenbüttel passiert?
Hatte Ihre Frau irgend etwas angedeutet, was sie beabsichtigte? - Angekl.:
Meine Frau machte Andeutungen, daß s i
e n a c h A m e r i k a fahren wolle.
Vors.: Wir kommen nun zu dem V e r s c h w i n d e n I h r e r
F r a u . Da möchte ich Sie
bitten, sich möglichst ausführlich zu äußern. Es ist doch an und für sich ganz
wunderbar, daß eine Frau, die erst kurze Zeit verheiratet ist, Ihren Mann und
ihre Kinder verläßt, um nach Amerika zu gehen. - Angekl.: Sie hat keinen Grund
angeführt. - Vors.: Was sagten Sie als Ehemann? - Ich habe das nicht ernst
genommen. Ich habe es als Scherz aufgenommen.
Vors.: Am 17. September sind Sie mit Ihrer
Frau und Ihrer Schwiegermutter zum Notar nach Itzehoe gefahren. - Angekl.: Dort
hat meine Frau zwei Hypotheken im Betrag von 52 000 Mark auf meinen Namen
schreiben lassen. - Vors.: Haben Sie sich nicht auch von Frau Eckert
Generalvollmacht erteilen lassen? - Angekl.: Nur auf Wunsch meiner Frau.
Vors.: Sie waren also jetzt im Besitz einer
Generalvollmacht von Ihrer Frau, von Ihrer Schwiegermutter und ließen sich auch
noch Hypotheken abtreten. Haben Sie denn vor dem Notar erklärt, daß Sie den
Gegenwert für die Hypotheken gegeben haben? - Angekl.: Der Notar hat die Frage
aufgeworfen, ob der Gegenwert erledigt sei. Darauf hat meine Frau gesagt: Ja,
also eine Antwort gegeben, die nicht mit den Tatsachen übereinstimmte.
Vors.: Am 18. September sind Sie mit Ihrer
Frau wieder beim Notar gewesen. Was haben Sie da gemacht? - Angekl.: Da haben
wir die G ü t e r t r e n n u n g erklärt. - Vors.: Es ist doch wunderbar,
wenn Sie auf einmal ohne gerichtlichen Grund Gütertrennung vereinbaren, nachdem
Sie sich von Ihrer Frau und Schwiegermutter Generalvollmacht hatten geben
lassen. - Angekl.: Die Gütertrennung ist von meiner Frau gewünscht worden.
Ueber den Grund bin ich mir heute noch nicht klar. - Vors.: Ich auch nicht.
Was
passierte am 19. September,
der ein Sonntag war? - Angekl.: D a
i s t m e i n e F r a u
a b e n d s n a c h I t z e h o e g e f a h r e n . - Vors.: Wollen Sie sich nicht näher darüber
auslassen?
Angekl.: Meine Frau wollte angeblich n a c h
K l e p p e l s d o r f fahren.
- Vors.: Wie verabschiedete sich Ihre Frau von den Kindern und ihrer Mutter? -
Angekl.: Nach meiner Ansicht hat sie sich wie immer verabschiedet. Ich habe
dabei nichts beonderes gefunden.
Vors.: Hat Frau Eckert nicht eine Aeußerung
getan: ach, es sei so traurig, daß die Tochter wegfahre, und hat Ihre Frau
darauf nicht geantwortet: ach, ich fahre ja bloß nach Kleppelsdorf und bin bald
wieder da? - Angekl.: Das ist mir nicht erinnerlich.
Vors.: Nun fuhren Sie im Wagen mit Ihrer Frau
nach Itzehoe, acht Kilometer von Ottenbüttel. Nahmen Sie noch jemand mit? -
Angekl.: Ja, die beiden Dienstmädchen, die Kläschen und die Gnierakowski. -
Vors.: Lenkten Sie das Fuhrwerk selbst? - Angekl.: Ja. - Vors.: Wie war Ihre
Frau bekleidet? - Angekl.: Sie hatte einen grünen Hut. Ob sie einen Mantel hatte,
kann ich nicht genau sagen, aber einen Pelzkragen hatte sie mit. - Vors.: Wie
war die Frau unterwegs? - Angekl.: Es ist mir nichts aufgefallen.
Vors.: Unterwegs haben Sie Kläschen und dann
die Gnierakowski abgesetzt? Hat Ihre Frau auf dem Wege der Kläschen irgend
etwas gegeben? - Angekl.: Ich habe gesehen, daß meine Frau der Kläschen einen
Brief übergab. Sie äußerte dabei, daß in dem Briefe etwas bezüglich der Wäsche
enthalten sei. Ich habe mich infolgedessen um den Brief nicht weiter gekümmert.
Vors.: In welchem Zuge ist Ihre Frau
gefahren? - Angekl.: Das kann ich nicht sagen, weil ich am Bahnhof bei den
Pferden geblieben bin. - Vors.: Also Sie haben Ihre Frau nicht auf den Bahnsteig
begleitet? Hatte Ihre Frau nichts im Wagen zurückgelassen? - Angekl.: Ja, den
Pelzkragen.
Vors.: Sie sind dann nach Ottenbüttel
zurückgefahren. In der Voruntersuchung haben Sie ausgesagt, daß Sie eines der
Dienstmädchen, das Sie während der Fahrt abgesetzt hatten, im Vereinshause
abholen wollten? - Angekl.: Es kann möglich sein, daß ich dies dem Mädchen
versprochen habe, aber weil es spät geworden war, bin ich allein nach Hause
gefahren.
Vors.: Sie behaupten also, daß Sie vom
Bahnhof Itzehoe sofort nach Hause gefahren und dort geblieben sind. Was
passierte am nächsten Morgen? Ich möchte bemerken, daß s e i t
d e m 1 9 . S e p t e m b e r F r a u
G r u p e n v e r s c h w u n d
en i s t . A l l e
N a c h f o r s c h u n g e n n
a c h i h r h a t t e n
k e i n e n . Auch auf die
Nachrichten in den Zeitungen über den Tod ihrer eigenen Tochter hat sie kein
Lebenszeichen gegeben. - Angekl.: Frau Eckert sagte, sie glaube nicht, daß
meine Frau nach Kleppelsdorf gefahren sei. Daraufhin habe ich nach Kleppelsdorf
telegraphiert: „Trude nach dort abgereist.“
Vors.: Was hatte die Kläschen auf dem Abort
gefunden? - Angekl.: Einen Brief von meiner Frau. - Vors.: Was stand in dem
Briefe? - Angekl. zögernd: In dem Briefe waren Angaben gemacht, d a ß
s i e n i c h t n a c h
K l e p p e l s d o r f f a h r
e , sondern verreisen wolle. - Vors.:
Hat nichts von den Kindern und der Mutter daringestanden und davon, daß sie
nach Amerika gehe und daß die Mutter und die Kinder unbesorgt sein könnten? -
Angekl.: Das weiß ich nicht.
Vors.: Am 20. September war Ihr Geburtstag.
War da nicht eine kleine Feier in Aussicht genommen? - Angekl.: Nein, meine
Frau hat vor ihrer Abreise zum Ausdruck gebracht, daß der Geburtstag acht Tage
später gefeiert werden soll.
Der
Inhalt der Stahlkassette.
Vors.: Sie sind in dieser Zeit zu dem
Steuerbeamten Lange gegangen und haben ihm erzählt, daß Ihnen ein Schlüssel
zur S t a h l k a s s e t t e fehle. Was hatten Sie in der Kassette? -
Angekl.: Mein Geld. - Vors.: Lange hat Ihnen einen Rat gegeben, wie man die
Kassette ohne Schlüssel öffnen könne. Diesen Rat haben Sie auch befolgt. -
Angekl.: Ja, ich habe die Mädchen aus der Küche gerufen. Die Mädchen haben die
Kassette gehalten, ich habe dagegen geschlagen und da sprang die Kassette auf.
Ich sah, daß kein Geld darin war, sondern nur ein Kouvert und mehrere kleine
Zettel. Das Kouvert war an den Rechtsanwalt und Notar Reinicke in Itzehoe
gerichtet. - Vors.: Haben Sie sonst noch etwas gefunden? - Angekl.: Es lag ein
Zettel darin, eine A b r e c h n u n
g v o n d e r
S p a r k a s s e .
Vors.: Es ist festgestellt worden, daß F r a u
G r u p e n , bevor sie
verschwand, die E i n z a h l u n g e
n f ü r i h r e
K i n d e r I r m a u n d
U r s u l a u n d d a s
P f l e g e k i n d R u t h v o n
d e r S p a r k a s s e a b g e h o b e n und daß sie sich dann persönlich am 18.
September von Itzehoe n a c h L ü b e c k
a b g e m e l d e t hat. Frau
Grupen hatte sich vor ihrer Abreise auch bemüht, einen Anteilschein der Handelsgesellschaft
deutscher Apotheker über 17 000 Mk. abzusetzen. - Angekl.: Der Anteilschein ist
für 12 000 Mk. angeboten worden, meine Frau hat also unbedingt Geld haben
müssen.
Verteidiger Justizrat Dr. M a m r o t h wirft die Frage auf, ob Frau Grupen vor
ihrer Abreise sich hat Kleider ausbessern und Kostüme anfertigen lassen, und ob
sie viel in Schauspielerkreisen verkehre. - Vors.: Ist Ihre Frau während der
Kriegszeit Vereinen beigetreten und wollte sie nicht zur Bühne gehen? -
Angekl.: Schon in ihrer Jugendzeit wollte sie zur Bühne, hat aber von den
Eltern nicht die Erlaubnis erhalten. Vor ihrer Abreise hatte sie sich fünf Kleider
machen lassen und die Sachen in einen Koffer verpackt.
Vors.: Sie nehmen an, daß diese 60 000 Mk.
Ihre Frau mitgenommen hat? - Angekl.: Ja, meine Frau war immer bestrebt, sich
viele Barmittel zu verschaffen.
Vors.: Was geschah mit dem Kouvert, das Sie
in der Kassette gefunden haben? - Angekl.: Ich habe es zu dem Notar Reinicke
geschafft, der hat das Kouvert geöffnet, da waren verschiedene Briefe drin. Die
Briefe hat dann der Notar geöffnet. Es stand darin, d a ß
m e i n e F r a u m i c h
v e r l a s s e n h a t und die Briefe waren gerichtet an Boos,
Schade, Dorothea Rohrbeck, Frau Eckert, an einen Amtsrichter und an noch zwei
Personen.
Vors.: Haben Sie nun sofort der Frau Eckert
mitgeteilt, daß ihre Tochter nach Amerika gegangen sei? - Angekl.: Nein, mit
diesen Briefen bin ich nach Berlin gefahren zum Herrn Schade, dem Vater des
verunglückten ersten Mannes meiner Frau. Von Berlin fuhr ich nach Kleppelsdorf.
- Vors.: Sie hatten aber gehört, daß Ihre Frau in Kleppelsdorf nicht
eingetroffen sei? - Angekl.: Ich habe angenommen, daß sie sich verspätet und
inzwischen doch dort angelangt sei.
Der
Koffer der Frau Grupen.
Staatsanwalt: Warum schickten Sie ihr nicht
bald den Koffer nach? Die Frau hatte doch kein Stück Wäsche mit. - Angekl.: Das
konnte ich nicht wissen. - Vors.: Sie haben aber Ihrer Frau nach Kleppelsdorf
telegraphiert: Koffer noch hier. - Verteidiger Dr. Ablaß: War irgend etwas über
die Dauer der Reise nach Kleppelsdorf gesprochen worden? - Angekl.: Es waren
acht Tage vorgesehen. - Staatsanwalt: Der Angeklagte wußte ganz genau, daß der
Koffer in eine Waschanstalt nach Hamburg geschickt werden sollte und daß über
den Koffer gar nicht mehr zu verfügen war. Der Vorsitzende verliest den Brief,
den Frau Grupen auf der Fahrt zum Bahnhof Itzehoe dem Dienstmädchen übergeben
hatte und der an den Knecht Raske gerichtet war. Der Brief lautet: „Otto soll
morgen früh, den 20. 9. 20, wenn die Kinder zur Schule gefahren werden, den
Rohrplattenkoffer, der im Schlafzimmer steht, Inhalt schmutzige Wäsche, als
Eilgut auf meinen Namen nach Itzehoe-Bahnhof senden, wo derselbe abgeholt
wird.“ Staatsanwalt: Der Koffer hatte also für die Frau gar kein Interesse
mehr. Warum telegraphiert der Angeklagte: „Koffer noch hier.“ Warum ist der
Koffer, der als Eilgut abgesandt werden sollte, 14 Tage stehen geblieben? -
Angekl.: Der Transport des Koffers war mit dem Wagen, mit dem die Kinder zu
Schule fuhren, nicht möglich. Ich hätte einen besonderen Wagen stellen müssen,
aber die Pferde fehlten.
Vors.: Wann ist Ihnen der Zettel an Raske
ausgehändigt worden? - Angekl.: Meines Wissens habe ich ihn erhalten, bevor der
Abschiedsbrief bekannt wurde.
Vors.: Es ist auffallend, daß Sie, obwohl Sie
und Ihre Frau Bankkonten hatten, einen so großen Betrag von 60 000 Mark in der
Kassette verwahrten. - Angekl.: Der Betrag war kurz vorher eingegangen aus dem
Verkauf von Vieh.
Vors.: Von Berlin fuhren Sie nach
Kleppelsdorf. Am 26. September waren Sie dort. Was wollten Sie in Kleppelsdorf?
- Angekl.: Ich wollte Dörte bitten, zur alten Großmutter zu kommen. Ich nahm
an, daß Dörte als Enkelin der Großmutter etwas zur Seite stehen könnte.
Vors.: Was sagten Sie den Damen über das, war
in Ottenbüttel passiert war? - Angekl.: Ich habe erzählt, daß meine Frau mich
verlassen habe und daß sie Geäußert habe, nach Amerika zu wollen. - Vors.:
Haben Sie auch gesagt, daß die Frau nach Kleppelsdorf fahren sollte, um den
Damen Geld zu bringen? - Angekl.: Das kann möglich sein.
Vors.: Warum veranlaßten Sie Dorothea
Rohrbeck, zur Großmutter zu fahren, warum sollte Fräulein Zahn nicht mit? -
Angeklagter: Weil Fräulein Zahn mit Frau Eckert nicht gut stimmte.
Staatsanwalt: Ist es wahr, daß Ihre Frau 10
000 Mach nach Kleppelsdorf bringen wollte? - Angekl.: Das hat sie mir gegenüber
zum Ausdruck gebracht.
Mit
Dorothea Rohrbeck in Berlin.
Vors.: Sie fuhren also mit Fräulein Rohrbeck
nach Berlin. Was haben Sie dort gemacht? - Angekl.: Ich habe Fräulein Rohrbeck
zunächst im Christlichen Hospiz untergebracht und bin dann gegangen, eine
Wohnung zu suchen. Als ich zurückkam, ging ich mit Fräulein Rohrbeck und einer
Freundin von ihr in ein Restaurant. - Vors.: Als Sie mit den Damen in dem
Restaurant saßen, sollen Sie plötzlich aufgesprungen sein und gesagt
haben: D a g e h t
m e i n e F r a u v o r ü b e r ! - Angekl.: Ich habe damit zum Ausdruck
bringen wollen, daß die vorübergehende Frau Aehnlichkeit mit meiner Frau hatte.
- Vors.: Warum sind Sie aber sofort weggegangen? - Angekl.: Weil ich mit meinem
Anzug nicht für das vornehme Lokal paßte.
Vors.: Nun sollen Sie bei einer Frau in
Altona ein Zimmer für Sie und Ihre Nichte bestellt haben. - Angekl.: Ich habe
nur für Dörte für den T a g ein Zimmer bestellt, damit sie sich von der
Fahrt ausruhen konnte, während ich auf dem Versorgungsamt zu tun hatte.
Vors.:
D o r o t h e a R o h r b e c
k h a t o f f e n b a r e i n e
g r o ß e A n t i p a t h i
e g e g e n S i e
a u f d i e s e r F a h r t
b e k o m m e n u n d v o n
B e r l i n a u s a
n F r ä u l e i n Z a h n
g e s c h r i e b e n , s i
e m ö c h t e s o f o r t
n a c h k o m m e n , s o n s
t v e r z w e i f l e s i e .
- Angekl.: Ich bestreite, Fräulein Dorothea Rohrbeck Veranlassung
gegeben zu haben, diesen Brief zu schreiben.
Der
Abschiedsbrief von Frau Grupen an ihre Mutter.
Vors.: Sie kamen nun mit Dorothea Rohrbeck
bei der Großmutter in Itzehoe an. Was machten Sie dort? - Angekl.: Dort habe
ich Frau Eckert den Abschiedsbrief gegeben. - Der Vorsitzende legt dem
Angeklagten den Brief vor, der ihn wieder erkennt.
Vors.: Der Abschiedsbrief, den eine Tochter,
die nach Amerika geht, an ihre Mutter schreibt, lautet:
„Ottenbüttel, 12. September 20.
Meine liebe Mutter!
Wenn Du in den Besitz dieser Zeilen gelangst,
bin ich auf dem Wege nach Amerika, den ich ja schon des öfteren in Gedanken
zurückgelegt habe, wie Du aus meinen Bemerkungen entnehmen konntest. Lange
genug habe ich die Fessel in Deutschland getragen, und hat sich endlich mein
Künstlerblut dagegen aufgelehnt, indem ich Deutschland den Rücken kehre. Du
darfst nicht denken, daß Peter die Veranlassung zu diesem Schritt war,
respektive unser Zusammenleben. Denn den Plan hatte ich schon, bevor ich Peter
kennen lernte, und waren mir nur durch die Verhältnisse und meinen Besitz die
Hände gebunden. Peter wird für die Kinder sorgen und Dir helfen. Es küßt Dich
in Liebe
Deine Tochter Trude.“
Vors. zum Angeklagten: Haben Sie einen
Abschiedsbrief von Ihrer Frau bekommen? - Angekl.: Nein.
Vors.: War nun die Großmutter sehr erfreut
über den Besuch ihrer Enkelin? - Angekl.: Meines Erachtens war sie nicht sehr
erfreut, aber auch nicht traurig. - Vors.: Sie sind mit Fräulein Rohrbeck drei
oder vier Tage bei der Großmutter geblieben? Was geschah dann?
Die
Fahrt auf dem Alster - Bassin.
Angekl.: Wir fuhren nach Hamburg. Fräulein Zahn
war inzwischen nachgekommen. - Vors.: Auf dieser Reise haben Sie die beiden
Damen auf dem Alsterbassin gerudert? Es wird Ihnen zum Vorwurf gemacht, daß Sie
Dorothea Rohrbeck zweimal in Lebensgefahr gebracht haben. - Angekl.: Dörte hat
schon immer für eine Alsterfahrt geschwärmt. Ich habe ihr daher den Vorschlag
gemacht, nicht ins Theater zu gehen, sondern den Nachmittag zu einer
Ruderpartie zu benutzen. - Vors.: Es wird Ihnen zur Last gelegt, daß Sie immer
in die Wellen der Dampfer hineingefahren sind und dadurch das Boot in Gefahr
gebracht haben, so daß sogar einmal vom Dampfer gerufen wurde: Vorsicht! Es
kommen zwei Vorfälle in Betracht, einmal war Fräulein Zahn dabei. - Angekl.:
Fräulein Zahn war ängstlich, während die Dörte scherzte. - Vors.: Sie sollen
einmal das Ruder weggeworfen und sich dann lang in das Boot hingelegt haben, so
daß Fräulein Rohrbeck um Hilfe gerufen habe. - Der Angeklagte bezeichnet den
Vorfall als harmlos. Um das Ruder zu haschen, das dem Fräulein Rohrbeck
entfallen war, habe er sich stark nach vorn gelegt; sich lang hinzulegen, sei
bei der Konstruktion des Bootes ganz unmöglich. - Vors.: Fräulein Rohrbeck hat
sich zu einer ganzen Anzahl Personen ausgelassen, daß der Vorgang nicht so
harmlos gewesen sei. Sie will das sichere Gefühl gehabt haben, d a ß
S i e i h r n a c h
d e m L e b e n t r a c h t e t e n . - Angekl.: Ich kann nicht glauben, daß
Fräulein Rohrbeck so etwas gesagt hat. - Verteidiger Dr. Mamroth: Haben Sie
etwa das Mädchen mit seiner Angst geneckt? Der Angeklagte gibt dies als möglich
zu. Ueberdies sei er ein guter Schwimmer, aber die Vorgänge seien ganz
ungefährlich gewesen.
Vors.: Warum hatten Sie in Hamburg den Damen
erklärt, Sie müßten plötzlich zu Ihrer kranken Mutter? - Angekl.: Ich hatte Fräulein
Zahn 7500 Mark übergeben und ihr gesagt, daß ich unmöglich länger dableiben
könne. Bald würde ich aber in der Lage sein, ihr weitere Mittel zu übersenden.
Augenblicklich wäre ich wegen der Mitnahme der Gelder durch meine Frau hierzu
nicht in der Lage. Fräulein Zahn sagte, ich solle auf keinen Fall Gelder an das
Postamt in Lähn, sondern an die Post in Hirschberg adressieren, denn in Lähn
dürfe kein Mensch etwas davon wissen.
Eine
neue Reise Dorotheas.
Vors.: Nach Oldenbüttel zurückgekehrt, haben
Sie am 1. November Fräulein Rohrbeck 500 Mark übersandt mit der Aufforderung,
am nächsten Tage nach Berlin zu kommen. - Angekl.: Ich habe nach Kleppelsdorf
ein Telegramm gesandt und angefragt, ob eine Zusammenkunft in Berlin erwünscht
wäre. Darauf ist eine bejahende Antwort eingegangen.
Vors.: Bereits am 30. Oktober telegraphierten
Sie: Erwarte Dich bestimmt Dienstag abend 10 Uhr Wartesaal zweiter Klasse
Görlitzer Bahnhof. Sie kamen auf einmal auf dem Görlitzer Bahnhof mit dem Auto
vorgefahren und sagten, Sie müßten sofort nach Hamburg. Was sollten die Damen
mit Ihnen in Hamburg? - Angekl.: Dort hatte ich von einem Geschäftsfreund Geld
zu erwarten, mit dem ich Fräulein Zahn helfen wollte.
Vors.: Haben Sie den Damen nicht gesagt, Sie
müßten sie auch mitnehmen nach Itzehoe, dort brauchten Sie ihre Unterschrift in
einem Familienrat im Kampfe gegen den Vormund? - Angekl.: Fräulein Zahn hat
mich gebeten, an dem Familienrat teilzunehmen.
Vors.: Warum sind Sie aber von Hamburg nach
Kiel gefahren? - Angekl.: Weil bei den großen Ausgaben, welche Frl. Zahn
machte, der Aufenthalt in Hamburg teurer gewesen wäre, als die Fahrt nach Kiel.
Vors.: Haben die Damen auf dem Rückwege von
Kiel nach Hamburg davon gesprochen, daß Sie ihnen Geschenke machen wollten? Ob
sie etwa einen Weihnachtswunsch hätten? - Angeklagter: Ja! Die Dörte hat einen
Wunschzettel geschrieben und mit ausgehändigt. Fräulein Rohrbeck wünschte sich
verschiedene Kleiderstoffe. Dem Fräulein Zahn wollte ich eine jährliche Rente
von 10 000 Mark aussetzen.
Der Vorsitzende ersucht den Angeklagten um
nähere Angaben über die angeblichen großen Ansprüche des Fräulein Zahn und
ersucht ihn, sich dabei nicht in Widerspruch zu setzen mit den Aussagen, die
Fräulein Zahn beeiden werde. In der Voruntersuchung habe der Angeklagte auf
viele Fragen die Antwort verweigert, auf andere Fragen erklärt, darüber erst
mit Auskunft zu geben, wenn er sich mit seinem Verteidiger beraten habe. -
Verteidiger Dr. Ablaß bemerkt, er habe in der Voruntersuchung dem Angeklagten
gesagt, wenn er etwas nicht genau wisse, solle er angeben, sich darüber erst
später erklären zu wollen, um sich nicht in Widersprüche zu verwickeln und
dadurch einen ungünstigen Eindruck zu machen. - Vorsitzender: Man kann aber aus
dieser Erklärung andere Schlüsse ziehen. Welche Schlüsse die Geschworenen
ziehen, unterliegt nicht meiner Beurteilung.
Vors.: Weiß der Angeklagte nicht anzugeben,
wie groß die Ausgaben waren, die Fräulein Zahn gemacht? - Staatsanwalt: Warum
hat der Angeklagte die Damen überhaupt nach Berlin eingeladen, und warum ist er
nach Kiel anstatt nach Hamburg gefahren? - Angekl.: Ich bin nach Kiel gefahren,
weil mir der Aufenthalt der Damen in Hamburg zu teuer geworden wäre, außerdem
wollte ich in Kiel meine kranke Mutter besuchen.
Vors.: In Hamburg sollen Sie mit den Damen in
ein Absteigequartier gegangen sein? - Angekl.: Ich wußte nicht, daß es ein
solches Quartier ist und ich glaube es auch nicht. - Vors.: Die Damen sollen
sich hier aber gar nicht wohlgefühlt haben, auch das Zimmer gefiel ihnen nicht.
Wohnten Sie übrigens in derselben Wohnung? - Angekl.: Jawohl, aber in einem
anderen Zimmer. - Vors.: Sie sollen abends weggegangen sein und nachts an die
Tür der Damen geklopft haben? - Angekl.: Ich sah noch Licht in ihrem Zimmer und
wünschte ihnen „Gute Nacht“. Dabei habe ich an die Zimmertür geklopft. - Der
Angeklagte bestreitet dann, daß er, wie man ihm zum Vorwurf macht, in Hamburg
überhaupt ein Absteigequartier gehabt habe.
Vors.: Am anderen Morgen sollen Sie nun den
Damen erklärt haben, daß Sie ihnen finanziell nicht helfen könnten. - Angekl.:
Jawohl, ich schickte Fräulein Zahn eine Visitenkarte. - Der Inhalt der Karte
wird verlesen und lautet: „Liebe Berti! Ich werde um 10 Uhr nicht hier sein
können, da ich zu meinem Bruder zu einer notwendigen Besprechung muß.“ - Vors.:
Und zwei Stunden später schrieben Sie dann einen Brief, daß Sie in der ganzen
Voruntersuchung nichts darüber geäußert, daß Sie Ihr ganzes Vermögen verloren
hätten, und schickten ihnen 200 Mark, damit sie nach Hause fahren konnten. -
Der Angeklagte bejaht dies.
Grupen
nach der Abreise seiner Frau.
Vors.: Was haben Sie in Oldenbüttel über den
Verbleib ihrer Frau mitgeteilt? Haben Sie überhaupt Ermittelungen angestellt? -
Angekl.: Ich habe geglaubt, daß sie sich bei dem Fabrikbesitzer Schulz, mit dem
sie ein Verhältnis hatte, aushalte.
Vors.: Der Frau Eckert haben Sie gesagt, Ihre
Frau sei nach Hamburg, bei Vielhaak haben Sie gesagt, daß Sie mit Ihrer Frau
schiedlich friedlich auseinander gegangen seien. Einer anderen Frau haben Sie
gesagt, daß sie zu einer Freundin gefahren sei, und wieder einer anderen Frau,
daß sie zur Bühne gegangen sei.
Verteidiger
D r . A b l a ß fragt, ob es richtig sei, daß der F a b r i k b e s i t z e r den ehebrecherischen Verkehr mit G r u p e n s F r a u
auch nach dem Tode ihres ersten Mannes fortgesetzt habe, und ob Frau
Grupen aus Perleberg gegangen sei, weil sie von der Gesellschaft gemieden
wurde, und ob ein Verfahren gegen den Fabrikbesitzer wegen des angeblichen
Jagdunglücks des Schade geschwebt habe. Der Angeklagte bejaht das erstere, ob
aber ein Ermittelungsverfahren gegen den Fabrikbesitzer geschwebt hat, weiß er
nicht.
Ein Geschworener: Wie ist es möglich, daß der
Angeklagte innerhalb dreier Stunden sein ganzes Vermögen verloren hat? -
Angekl.: Ich hatte einem Geschäftsfreund großes Vertrauen entgegengebracht. -
Vors.: Wie groß war der Verlust? - Angekl.: Das weiß ich nicht genau.
Grupen
und Fräulein Zahn.
Vors.: Wir kommen jetzt zu einem anderen
Kapitel. Nachdem, was Sie uns bisher erzählt, Angeklagter, haben Sie für
Fräulein und Fräulein Rohrbeck sehr freundschaftliche Gefühle gehegt. Hinter
deren Rücken haben Sie aber ganz anders gehandelt. Am 14. September haben Sie
an V i e l h a c k geschrieben, daß Sie mit ihm in Verbindung
treten wollen. Was erzählten Sie nun dem Vormund? - Angekl.: Ich mußte
annehmen, daß die Sache mit dem Vormund nicht so schlimm sei. - Vors.: Haben
Sie dem Vormund nicht auch erzählt, daß Fräulein Zahn für die Erziehung der
Dörte nicht geeignet sei? - Angekl.: Jawohl, in einigen Punkten war ich auch
der Ansicht. - Vors.: Wieso? - Angekl.: Fräul. Zahn erzählte dem Kinde ihre
Liebesgeschichte. - Vors.: Was war das für eine Liebesgeschichte? - Angekl.:
Sie hätte zu Rohrbeck in näheren Beziehungen gestanden.
Vors.: Es ist richtig, daß sie in sehr nahen
Beziehungen zur Familie Rohrbeck gestanden hat, denn sie hat sich des Kindes
nach dem Tode der Mutter angenommen, und Rohrbeck hat sie noch auf dem
Sterbebett heiraten wollen. Angeklagter, Sie scheinen auch hier den Mund recht
voll genommen zu haben. - Angekl.: Ich möchte hier keine weiteren Erklärungen
abgeben.
Vors.: Sie haben weiter dem Vormund erklärt,
daß Fräulein Zahn zu viel ausgebe. Sie hätten ihr bereits 3000 Mk. gegen
Quittung gegeben, und nun wollte sie noch 8000 Mk. haben. Eine Quittung ist
aber tatsächlich nicht vorhanden. - Der Angeklagte erklärt hierzu, daß in der
Tat eine solche Quittung nicht vorhanden sei, daß ihn aber der Vormund deshalb
als Zeugen vorschlagen wollte in einem Prozeß, der zwischen dem Vormund und
Fräulein Zahn schwebte. Er habe aber gebeten, davon abzusehen, weil er erst
nach Kleppelsdorf fahren und Erkundigungen einziehen wollte.
Vors.: Auf der einen Seite machen Sie also
Geschenke, auf der anderen Seite stellen Sie sich dem Vormund zur Verfügung.
Sie haben dann dem Vormund geschrieben, daß Sie kommen wollen, tatsächlich sind
Sie aber erst am 12. Januar zu ihm gefahren und haben hier Fräulein Zahn
schlecht gemacht. U. a. haben Sie erzählt, daß Fräulein Rohrbeck zuviel
Zigaretten rauche usw. - Der Angeklagte erklärt hierzu, daß er es nicht für
recht gehalten habe, daß Fräulein Zahn es billigte, daß Dörte sich von dem
Taschengeld, das er, Grupen, ihr gegeben, sich sofort eine Zigarettenspitze
gekauft habe.
Die
Reise nach Kleppelsdorf.
Weiter wird festgestellt, daß Grupen nach
Kleppelsdorf geschrieben hat, Vielhack wolle ihn in dem Prozeß als Zeugen
nennen, die Dörte und Fräulein Zahn möchten deshalb nach Hamburg kommen.
Inzwischen hatte man in Kleppelsdorf erfahren, daß Grupen tatsächlich als Zeuge
benannt war, und Dorothea Rohrbeck fragte ihn deshalb brieflich, ob dies wahr
sei. Grupen schrieb dann, daß er eventuell auch nach Hirschberg kommen könne,
um mit dem Notar Rechtsanwalt Dr. Pfeiffer die Sache zu besprechen. Fräulein
Zahn teilte Grupen mit, er solle nach Hirschberg zum Notar kommen. Darauf
telegraphierte Grupen, er komme; ob die Großmutter vorübergehend mitkommen
dürfe.
Vors.: Was wollten Sie mit dem Rechtsanwalt
besprechen? - Angekl.: Ich war mißtrauisch geworden, ob die Angaben von
Fräulein Zahn auch stimmten. Der Vormund erzählte mir, daß man in Kleppelsdorf
zu große Ausgaben mache, während man mir dort gesagt hatte, der Vormund habe
den Wald, das Auto und die Pferde verschleudert, sodaß sie nicht einmal Pferde
hätten, um das Korn vom Felde abzufahren. Von Kleppelsdorf war die Antwort gekommen:
„Besuch willkommen.“
Darauf reiste der Angeklagte mit Frau Eckert,
der Ursula und Irma Schade, sowie der Stütze Mohr nach Kleppelsdorf.
Vors.: In Kleppelsdorf war der Empfang wohl
etwas kühl, weil fünf statt zwei Personen kamen. - Angekl.: Als wir in
Kleppelsdorf ankamen, haben wir lange warten müssen, ehe man uns ein Zimmer
anwies. Frau Eckert war darüber ehr ärgerlich, ebenso Ursula. Wie der
Angeklagte weiter erzählt, war Frau Eckert so erregt, daß sie sagte: Sie werde
es der Kleppelsdorfer Gesellschaft noch abgewöhnen, und es würde in
Kleppelsdorf, wie der Vormund gesagt hätte, noch ein Ende mit Schrecken nehmen.
Hierauf wurden zum besseren Verständnis für
die Geschworenen zwei Tafeln aufgestellt, auf denen die Grundrisse des
Schlosses aufgezeichnet waren. An Hand dieser Zeichnungen zeigte der Angeklagte
dann, daß seiner Familie im Erdgeschoß eine Wohnung angewiesen wurde und zwar
im sogenannten Schlafzimmer. Aus diesem führt eine Tür in die Plättstube, daran
anstoßend war das sogenannte Amtszimmer. Der Angeklagte selbst schlief im
zweiten Stock in einem anderen Flügel.
Keine
falsche eidesstattliche Versicherung.
Am 9.
Februar fuhr Grupen zum Rechtsanwalt Dr. Pfeiffer in Hirschberg. Dort sollte er
eine eidesstattliche Versicherung abgeben, daß ihm nichts davon bekannt sei,
daß die Rohrbeck für Fräulein Zahn einen Revers unterschrieben habe. Der Angeklagte
bemerkt weiter, daß er Frau Eckert nicht beeinflußt habe und daß er keine
falsche eidesstattliche Versicherung fallen gelassen.
Vors.: Womit vertrieben Sie sich in
Kleppelsdorf die Zeit? - Angekl.: Ich habe gelesen und hielt mich in der Regel
in den Räumlichkeiten des ersten Stockes auf. - Der Angeklagte gibt dann eine
nähere Erklärung der Räumlichkeiten im ersten Stock. Diese bestanden in einem
Schlafzimmer, einem Kinderzimmer, an das sich das sogenannte W i n t e r - W o h n z i m m e r schloß. Dieses hatte einen Ausgang nach dem
Kinderzimmer und einen durch ein Schrankzimmer auf den Flur. - Vors.: Haben Sie
in Kleppelsdorf Ausflüge gemacht? - Angekl.: Blos einmal, sonst war ich immer
zu Hause.
Die
Traurigkeit Ursula Schades.
Vors.: Was machten die Kinder? - Angekl.: Die
haben gelesen. Nachdem der Vorsitzende bemerkt, daß die Kinder recht vergnügt
gespielt haben sollen, fragt er den Angeklagten: In welcher Gemütsverfassung
war U r s u l a ? - Angeklagter: Sie war in Itzehoe manchmal
sehr traurig und hat öfter geweint. Ich habe wiederholt versucht, den Grund zu
erforschen, sie sagte ihn mir aber nicht. Auf der Fahrt hierher, - wir fuhren
zweiter Klasse, - hatte ich auch den Kindern gesagt, sie möchten sich etwas
hinlegen. Ursula tat es aber nicht. Während der Fahrt äußerte Ursula, sie freue
sich gar nicht mehr auf den Besuch, habe auch Dörte nicht mehr lieb, weil sie
so häßlich zur Großmutter sei. Ich glaube nicht, daß, wie man sagt, Ursula auf
der Fahrt vergnügt gewesen sei. - Vors.: Haben Sie bemerkt, daß Ursula eine
sogenannte Untertasche trug. - Angekl.: Das weiß ich nicht. - Der Angeklagte
gibt dann noch an, daß ihm Frau Eckert gesagt, Ursula habe in der Nacht vom 12.
zum 13. sehr unruhig geschlafen und sogenannte Angstzustände gehabt. Weiter
erklärt er, daß z w i s c h e n d e m
9 . u n d 1 4 .
F e b r u a r Ursula der Stütze
Mohr einen B r i e f gegeben habe, der eine Ueberraschung für die
Großmutter sei. Er weiß nicht, ob Ursula gesagt habe, sie möchte den Brief erst
morgen abgeben. Weiter wird festgestellt, daß Ursula einen B r i e f
a n e i n e F r a u
B a r t e l s in Itzehoe
geschrieben hat. In dem Briefe teilt sie mit, daß sie sich f r e u e ,
in Kleppelsdorf zu sein. Zum Schluß heißt es: „ E s
g r ü ß t S i e I h r e
U r s e l . „ Darüber stand das
offenbar erst später hineingeschriebene Wort:
„ t r a u r i g e “ . Der
Angeklagte weiß keine Erklärung dafür, warum Ursula geschrieben hat: „Ihre t r a u r i g e Ursel.“ Dieser Brief ist aber n i c h t
a b g e s c h i c k t worden,
sondern der Angeklagte hat ihn in seine Gesäßtasche gesteckt. - Vors.: Warum
haben Sie in der ganzen Voruntersuchung nichts darüber geäußert, daß Ursula
traurig war. - Angekl. schweigt.
Der
Angeklagte über den Mordtag.
Ueber die E r e i g n i s s e a m
1 4 . F e b r u a r , dem Mordtage, gibt der A n g e k l a g t e f o l g e n d e S c h i l d e r u n g : Im Laufe des Vormittags ist Fräulein R o h r b e c k mit I
r m a in der Stadt gewesen, von wo sie
gegen ½ 12 Uhr zurückkamen. Fräulein Rohrbeck ging in das Kinderspielzimmer,
während er sich im Nebenzimmer befand. Die Verbindungstür zwischen den beiden
Zimmern stand offen. Ich habe nicht gehört, daß Fräulein Zahn das
Dienstmädchen M e n d e mit einem Auftrage zur Stadt sandte. Ich
habe Mühle gespielt mit U r s u l a , die aber sehr unaufmerksam dabei war, dann
mit Irma. U r s u l a h a t
d a n n d a s Z i m m e r
v e r l a s s e n u n d s o l l
F r ä u l e i n R o h r b e c
k n a c h u n t e n
g e r u f e n h a b e n . Fräulein
Z a h n hat sich aus dem
Nebenzimmer mit mir über den Stand der Spielpartie der Mühle unterhalten. Kurze
Zeit darauf habe Fräulein Zahn Irma nach unten geschickt, um Dörte zu holen.
Irma hat erst die Mühlepartie zu Ende spielen dürfen. Ich sagte darauf zu
Fräulein Zahn: „Irma wird gleich gehen, wir sind sofort fertig.“ Irma ging auch
nach unten, f a n d a b e r
D ö r t e n i c h t . Sie kam zurück und wollte einen Apfel in den
Ofen werfen, konnte aber die Tür des Ofens nicht aufbekommen. Irma ging dann
nach dem Abort und warf den Apfel dort hinein, während ich mit der Stütze Mohr
weiter Mühle spielte.
Staatsanwalt: Der Angeklagte gibt also zu,
zeitweilig mit Frau Eckert und Fräulein Mohr
a l l e i n im Zimmer gewesen zu
sein.
Angekl.: Jawohl. Irma war zweimal kurze Zeit
außerhalb des Zimmers, das zweite Mal, nachdem die Mende uns zu Tisch gerufen
hatte. - Vors.: Fräulein Zahn wird bekunden, daß wiederholt die Tür geklinkt
hat?
Angekl.: Ja, Irma hat zweimal das Zimmer
verlassen und ist zweimal wieder hereingekommen.
Vors.: Das kann Fräulein Zahn nicht gemeint
haben. Sie selbst hatte ja das eine Mal Irma beauftragt, Fräulein Rohrbeck zu
suchen.
Vors.: Sind Sie nicht auch im Zimmer hin- und
hergegangen? - Angekl.: Ich habe Fräulein Zahn gebeten, von den Apfelsinen, die
ich im Mühlespiel verloren hatte, zwei zurückzugeben. Bloß zu diesem Zweck ging
ich i n d a s
N e b e n z i m m e r . Darauf
habe ich gemeinschaftlich mit Irma und der Mohr weitergespielt. Das
Dienstmädchen M e n d e kam herauf und sagte: „Es ist angerichtet.“
Als wir uns zum Essen begeben wollten,
k a m u n s d i e
M e n d e a u f d e r
T r e p p e e n t g e g e n mit den Worten: D i e
K i n d e r l i e g e n u n t e n ! “ Der Angeklagte will nicht gehört haben, daß
Fräulein Rohrbeck zu Ursula, als diese sie, die Rohrbeck, aus dem Zimmer geholt
hat, sagte: „Ursel, ich komme gleich mit.“ Er will auch das Aufstehen und
Weggehen der Rohrbeck nicht gesehen haben.
Angekl.: Nachdem die Mende uns entgegenkam
mit dem Schreckensruf, sind wir alle sofort nach unten gelaufen. Ich habe im
ersten Moment das Bedürfnis gehabt, einen Arzt herbeizurufen, deshalb lief ich
zum Telephon. Unterwegs traf ich Fräulein Zahn und sagte dieser, sie solle
einen Arzt rufen lassen. Ich ging dann in das Zimmer zurück und legte Dörte
aufs Bett.
Die
Sicherung der Mordwaffe.
Der Angeklagte gibt dann eine Beschreibung
des Zimmers und seiner Einrichtungsgegenstände. Daß ich aufgeregt war, ist bei
diesem Vorfall wohl verständlich. Als der Arzt kam, habe ich gebeten: Herr
Doktor, helfen Sie Ursel zuerst. - Vors.: Wo lag die Ursula? - Angekl.: Sie
kauerte am Schrank. - Vors.: Haben Sie Verletzungen gesehen? - Angekl.: Ja. Von
einem der Anwesenden wurde dann gesagt:
D o r t l i e g t d i e
P i s t o l e . - Vors.: Haben
Sie die Pistole aufgehoben? - Angeklagter: Ich glaube, daß ich sie aufgehoben
und auf einen in der Nähe stehenden Rohrplattenkoffer gelegt habe.
Vors.: H a b e n
S i e d i e P i s t o l e g e -
o d e r e n t s i c h e r t
? - Angekl.: Das weiß ich nicht. - Vors.: Die
Pistole soll gesichert gewesen sein! - Angeklagter: Es ist möglich, daß ich die
Pistole ganz mechanisch gesichert habe. Ich kann mich auf die Vorgänge nicht
mehr so genau besinnen. - Vors.: Wissen Sie nicht mehr, ob Sie den
Sicherungsflügel herumgelegt haben?
Angekl.: Das ist möglich, denn im Krieg ist uns ja immer und immer
wieder gesagt worden, daß man die Waffe sichern soll. - Vors.: Haben Sie sofort
erkannt, daß dies Ihre Waffe war? - Angekl.: Nein, weil ich die Pistole noch
nicht lange hatte.
Der
Brief „an Großmutti“.
Bei
der U r s u l a wurde bekanntlich eine S c h a c h t e l m i t
1 9 P a t r o n e n in einer
U n t e r b i n d e t a s c h e
und ein B r i e f gefunden. Der Brief kommt zur Verlesung. Er
lautet:
„Kleppelsdorf, 9.
Liebe Großmutti!
Sei mir nicht böse, daß ich Vati den Revolver
aus dem Schreibtisch genommen habe. Ich will Dir helfen, Du sollst Dich nie
mehr an Dörte ärgern. Als Vati Onkel Wilhelm das zeigte, habe ich zugesehen,
wie es gemacht wurde, da hab ich mir ihn nachher heimlich mitgenommen. Es grüßt
Dich und Vati. Ursel.“
Die Adresse des Briefes lautete: „ A n
G r o ß m u t t i . “
Vors.: Es soll dies derselbe Brief sein, der
schon mehrere Male von der Mohr der Großmutter gegeben werden sollte.
Vors.: Sie sollen zu Frau Eckert gesagt
haben: „ D a s o l
l e s
j a m e i n e P i s t o l e s e i n . “
- Angekl.: ich habe am Nachmittag zu Frau Eckert gesagt: „An der ganzen
Sache bin ich schuld, weil ich die Pistole nicht eingeschlossen habe.“ Frau
Eckert sagte mir darauf: „Beruhige Dich doch,
D u w a r s t d o c h
d i e g a n z e Z e i t
b e i m i r .“
Der Angeklagte gibt auf Befragen zu , daß er
zu Sanitätsrat Dr. Scholz gesagt hat: „Können Sie Ursel nichts mehr geben,
damit sie wenigstens aussagen kann, was sie dazu bewogen hat?“ - Vors.: Das
soll geschehen sein, n a c h d e m Ihnen der Arzt gesagt hatte, daß hier alle
ärztliche Kunst vorüber sei. - Angekl.: Wenn schon ich auch wußte, daß Ursel
vielleicht nicht mehr zu retten sei, so hatte ich den Arzt doch gebeten, ob er
sie nicht doch wenigstens noch einmal zum Bewußtsein erwecken könne.
Ein Geschworener; Wie lange Zeit mag
vergangen sein, bis der Arzt gekommen ist? - Angekl.: Das können ungefähr 20
Minuten gewesen sein.
Justizr.
A b l a ß : Ist die Wunde und das
Gesicht der Ursula abgewischt worden? - Angekl.: Ja, die Schwester hat mit
einem nassen Handtuch der Ursula das Gesicht abgerieben.
Vors.: Wie ist es
möglich, daß die Pistole dahin gekommen ist? - Angekl.: Ich habe mir den
Revolver gekauft, weil meine alte (hier
fehlt Text, aber das Schriftbild geht ununterbrochen weiter) Ich habe die
Pistole im Schreibtisch in Ottenbüttel aufbewahrt und habe sie meinem Bruder
übergeben, der mich während meiner Abwesenheit vertreten sollte. I c h w e i ß
n i c h t , w e r
d e n R e v o l v e r m i t
n a c h K l e p p e l s d o r
f g e n o m m e n h a t .
Das
Fach, in dem der Revolver lag, hatte ich für meinen Bruder offen gelassen. I c h
h a b e U r s u l a e i n m a l
b e i d i e s e m F a c h
g e s e h e n und ihr einen
Verweis erteilt und sie aus dem Zimmer gewiesen. Ich nehme an, daß sie den R e v o l v e r a n
s i c h g e n o m m e n und mit nach Kleppelsdorf genommen hat.
Auf die Frage, wie
Ursula den Revolver wohl transportiert habe, sagte der Angeklagte: Ich weiß es
nicht. Ich vermute, daß sie ihn im Mantel getragen hat und folgere dies daraus,
daß sie sich im Kupee nicht hinlegen wollte.
Sachverständiger
Kreisarzt D r . P e t e r s - Löwenberg: War die Waffe g e l a d e n , als Sie sie dem Bruder übergaben? - Angekl.:
Ja. - Verteidiger D r . A b l a ß :
Kann der Angeklagte selbst laden? - Angekl.: Wir haben uns beide daran
beteiligt.
Darauf wird die
Verhandlung um 8 Uhr abends auf Dienstag vertagt.
*
Dienstag-Sitzung.
Zu Beginn der
heutigen Sitzung wird die kommissarische Vernehmung einer in Ottenbüttel
wohnenden Entlastungszeugin beschlossen, die an Grippe erkrankt ist. Die Zeugin
soll bekunden, daß Grupen, als ihm nahegelegt wurde, nach dem Verschwinden
seiner Frau seine Stiefkinder zu verlassen, erklärt habe: „Nein, das tue ich
nicht, ich habe die Kinder lieb.“
Auf Anregung des
Sachverständigen, Geheimrat L e s s e r
, wird beschlossen, bei der morgen in
Kleppelsdorf stattfindenden Verhandlung
S c h i e ß v e r s u c h e an
einem lebenden Tier vorzunehmen, um festzustellen, ob eine Geschwulst bei
Schußwunden nur dann entsteht, wenn der Schuß aus nächster Nähe abgegeben
worden ist.
Als Zeugen sind heute
vorgeladen: Fräulein Z a h n , Herr
V i e l h a c k ,
Rechtsanwalt D r . P f e i f f e r , Frau
E c k e r t , Frl. M o h r ,
Landgerichtsrat D u b i e l und Photograph B l u m e .
Die Erbschaft von Kleppelsdorf.
Grupen wird hierauf
aufgefordert, nochmals eine Erklärung abzugeben über seine nach der Entdeckung
des Doppelmordes angeblich geplante Aeußerung zu Frau Eckert: „Weißt Du auch,
daß Du jetzt Erbin von Kleppelsdorf bist?“
Angekl.: Ich habe
diese Aeußerung nicht getan. Wir saßen abends gegen 8 Uhr im unteren Eckzimmer.
- Vors. (unterbrechend): Sie sollen die Aeußerung bereits nachmittags 3 Uhr
getan haben. - Angekl.: Das ist ausgeschlossen. Als wir abends zusammensaßen,
hat Frau Eckert davon gesprochen, daß Herr Alfred Rohrbeck jetzt nicht mehr so
große Sorge zu haben brauche, da er Erbe geworden sei. - Vors.: Hat Frau Eckert
mit Ihnen nicht davon gesprochen, wie im Falle eines Todes der Dorothea
Rohrbeck sich die Erbschaftsverhältnisse gestalten würden? - Angekl.: Ich habe
Frau Eckert an jenem Abend gesagt, daß sie Miterbin sei, daß ich ihr aber
gesagt hätte, wieviel auf sie entfalle, ist mir nicht bekannt. - Vors.: Es wird
behauptet, daß Sie kurz nach 3 Uhr, als Amtsgerichtsrat Thomas aus Lähn am
Tatort eingetroffen war, gesagt haben: „Die ganze Schuld an dem Verhängnis
liegt daran, daß ich die Pistole nicht eingeschlossen habe.“ - Angekl.: Ja, und
Frau Eckert beruhigte mich, indem sie sagte, ich könne doch nichts dafür, daß
die Ursula die Pistole an sich genommen habe.
„ B l e i b t b e
i E u e r e r A u s s a g e ! “
Dem Angeklagten wird
vorgehalten, daß er, als der Landjäger Klopsch im Flur des Schlosses
Telefonierte, hinzugetreten sei, und als ihn der Landjäger aufgefordert habe,
wieder in sein Zimmer zurückzugehen, geantwortet habe, „ich werde wohl
bewacht?“
In der Nacht zum 15.
wurde dem Angeklagten seine Verhaftung mitgeteilt. Der Landjäger Klopsch verbot
dem Angeklagten, sich mit Frau Eckert und dem Fräulein Mohr zu unterhalten. -
Vors.: Haben Sie bei der Abführung nicht gesagt: „ W e n n
I h r a u s s a g t , d a ß
I h r w i ß t , d a ß
i c h o b e n i m
Z i m m e r w a r , k o m m e
i c h m o r g e n w i e d e r
f r e i “ ? - Angekl.: Ich habe
nur gesagt, daß sich meine Unschuld sicherlich in einigen Tagen herausstellen
wird. - Vors.: Am nächsten Tage wurden Sie vom Gefängnis in Lähn wieder nach
Kleppelsdorf zurück- und von dort nachmittags nach Hirschberg gebracht. Da
haben Sie vom Landjäger Klopsch verlangt, sich von Frau Eckert und der Irma verabschieden
zu dürfen. - Angekl.: Ich bin mir nicht bewußt, daß ich das verlangt habe. Man
hat mich aber unten zum Abschied erwartet. - Vors.: Sie sollen beim Abschied
gesagt haben: B l e i b t b e i
E u e r e r A u s s a g e ! - Angekl.: Das ist möglich! - Vors.:
Landjäger Klopsch soll Ihnen verboten haben, von der Sache mit Ihren
Angehörigen zu sprechen. Dieses Verbot sollen Sie aber nicht beachtet, Sie
sollen trotzdem weiter gesprochen haben, und zwar in P l a t t d e u t s c h . - Angekl.: Es ist möglich, daß ich mit
Fräulein Mohr plattdeutsch gesprochen habe; sie solle sich vollkommen an die
Wahrheit halten und auch sagen, daß wir uns näher gestanden haben.
Vors.: Sie sollen vor
Ihrem Transport nach Hirschberg den Amtsgerichtsrat Thomas gefragt haben, ob
Frau Eckert, Fräulein Mohr und die kleine Irma bei ihrer Angabe bleiben, daß
Sie d i e g a n z e
Z e i t n i c h t v o n
I h r e m T i s c h e w e g g e g a n g e n seien? - Angekl.: Eine solche Frage hätte
ich nur stellen können, wenn mir bekannt geworden wäre, daß eine neue
Vernehmung der Drei stattgefunden hat, ich habe aber davon nichts gehört.
Ein Heiratsantrag?
Vors.: Nun will ich
Ihnen die bestimmte Frage vorlegen: Haben Sie jemals Fräulein Dorothea Rohrbeck
einen Heiratsantrag gemacht? - Angekl. (mit Entschiedenheit): Nein. - Vors.: Es
werden aber Zeugen auftreten, die bekunden werden, daß Fräulein Rohrbeck ihnen
mitgeteilt und auch geschrieben habe, daß Sie ihr einen Heiratsantrag gemacht
haben. - Angekl.: Ich bin fest überzeugt, daß dies die Zeugen nicht bekunden
können. Es wird ja auch möglich sein, einen solchen Brief, wenn er existiert,
vorzulegen. - Vors.: In der Voruntersuchung ist festgestellt worden, daß
Fräulein Rohrbeck der Oberschwester Grube, dem Frl. Zahn und auch Herrn Dr.
Baier Mitteilungen von Ihren Heiratsanträgen gemacht hat. - Angekl.: Einen
feststehenden Heiratsantrag habe ich Dörte Rohrbeck nicht gemacht. Ich habe
mich nur bereit erklärt, dem Fräulein Rohrbeck auf ihre Bitten hin meine
Unterstützung zuteil werden zu lassen, aber einen Heiratsantrag wollte ich
daraus nicht verleiten.
Ursula.
Sachverständiger
Geheimrat D r . L e s s e r
wünscht Aufklärung über das Temperament der Ursula Schade und ihr
Verhältnis zu dem Angeklagten. Der Angeklagte erklärt, Ursula sei häufigem
Stimmungswechsel unterworfen gewesen. Er habe schon 1919 von ihr den Eindruck
gewonnen, daß sie zu Schwermut neide, Zeitweise sei sie auch lustig gewesen.
Ueber das Verhältnis
der Dorothea Rohrbeck zu ihrer Großmutter Eckert äußert sich der Angeklagte
dahin, daß, wenn der Großmutter das Benehmen der Dörte nicht gefallen habe,
dies auf Fräulein Zahn zurückzuführen sei. - Vors.: Wenige Tage vor der Tat
soll eine Unterhaltung über das Verbleiben der Ursula auf Schloß Kleppelsdorf
stattgefunden haben. - Angekl.: Fräulein Zahn hat gesagt, die Kinder könnten in
Kleppelsdorf bleiben. Sie hat jedenfalls angenommen, daß dann die Kündigung vom
Vormund nicht durchgeführt werden würde.
Hypnose?
Verteidiger D r . A b l a ß : H a t
d e r A n g e k l a g t e s i c h
j e m a l s m i t H y p n o s e b e s c h ä f t i g t ? - Angekl.:
N e i n , n i e m a l s !
Der Schütze Grupen.
Vors. zum Angeklagten:
Sind Sie ein guter Schütze? - Angekl.: Ich habe vor meiner Militärzeit kein
Gewehr in Gebrauch genommen. Im Felde wurde ich mit dem Infanteriegewehr
ausgebildet und nachher habe ich in Itzehoe einen Revolver gehabt. Man kann
annehmen, daß ich verhältnismäßig gut schieße. Ich bin Ehrenmitglied der Schützengilde
in Ottenbüttel und habe erste und zweite Preise bekommen. - Vors.: Haben Sie
sich im Pistolenschießen geübt? - Angekl.: Davon ist mir nichts bekannt.
Ein Geschworener: War
Ursula Schade Linkshänderin? - Angekl.: Nein, Rechtshänderin.
Die Verhandlung
wendet sich nunmehr dem zweiten Teil der Anklage, dem von Grupen an seiner
Stieftochter verübten S i t t l i c h k
e i t s v e r b r e c h e n zu.
Die O e f f e n t l i c h k e i t wird während dieses Teiles der
Verhandlung a u s g e s c h l o s s e n
. Der Antrag des Staatsanwalts, die
Presse zuzulassen, wurde vom Gerichtshof abgelehnt. Auch die Pressevertreter
müssen den Saal verlassen.
(Fortsetzung folgt.)
Donnerstag, den 8. Dezember 1921, „Der Bote
aus dem Riesengebirge“
Der
Doppelmord auf Schloß Kleppelsdorf.
Beendigung
der Vernehmung Grupens.
Frl.
Zahn als Zeugin.
Hirschberg, 7. Dezember 1921.
Am Dienstag wurde die Vernehmung des
Angeklagten Grupen zu Ende geführt. Der Eindruck, den man zu Anfang seiner
Vernehmung von ihm erhalten und den wir gestern geschildert, bleibt weiterhin
bestehen. Mit größter Spannung sah man am Dienstag nachmittag der Vernehmung
einer Hauptzeugin, der Erzieherin Fräulein
B e r t h a Z a h n , entgegen. Sie macht ihre Aussagen mit großer
Sicherheit, so weit ihr Gedächtnis reicht. Besonderes Interesse beanspruchten
einmal ihre Angaben über die angesichts des großen Vermögens der Dorothea
Rohrbeck geradezu empörend geringen Mittel, welche dieser und ihrer Erzieherin
zur Bestreitung des größten Teiles des Haushalts zur Verfügung gestellt worden
waren, und dann die Inszenierung der Reisen, zu denen Grupen die beiden Damen
unter Anknüpfung an ihre Geldverlegenheiten zu bestimmen wußte. 100 bis 150
Mark wöchentlich erhielt die Millionenerbin von Kleppelsdorf zur völlig ungenügenden
Bestreitung von Ausgaben, die jeder noch so wirtschaftlich denkende Mensch
unter diesen Umständen für höchst bescheiden und selbstverständlich halten
mußte. Der Vorsitzende, dessen Verhandlungsführung ihm bereits allgemeine
Sympathien verschafft hat, nahm auch Gelegenheit, diesen Punkt besonders zu
unterstreichen. Das Kapitel „Konfirmationskleid“ insbesondere ist schwer zu
begreifen. Daß der Angeklagte über manche Aussagen von Frl. Zahn weinig erbaut
ist, erscheint nahe liegend, indessen weiß er sich zu beherrschen. Ungeklärt
bleiben die Gründe, die Grupen veranlaßt haben, die beiden Kleppelsdorfer Damen,
angeblich um ihnen Geld zu geben, nach Berlin gelockt und von dort nach Hamburg
und Kiel, um den Ausdruck des Vorsitzenden zu gebrauchen, „verschleppt“ hat und
sie dann dort unter der falschen Angabe, sein Vermögen verloren zu haben,
plötzlich allein hat sitzen lassen. Zwischen den Aussagen Grupens und denen des
Frl. Zahn über diese dunklen Vorgänge klaffen mancherlei Widersprüche. Bis zum
Hauptereignis am Mordtage sind die Aussagen von Frl. Zahn am Dienstag noch
nicht vorgedrungen. am heutigen Mittwoch finden Besichtigungen und
Verhandlungen in K l e p p e l s d o r
f statt, worauf die Vernehmung von Frl.
Zahn am Donnerstag fortgesetzt werden dürfte.
Wir berichten über den weiteren Verlauf der
Verhandlung:
Die Verhandlung wendet sich nunmehr dem
zweiten Teil der Anklage, dem von Grupen an seiner Stieftochter verübten S i t t l i c h k e i t s v e r b r e c h e
n unter
Ausschluß
der Oeffentlichkeit
zu. Grupen bestritt das ihm zur Last gelegte
Sittlichkeitsverbrechen an der 13 Jahre alten Stieftochter Ursula. Es steht
andererseits fest, daß die Ursula schwer geschlechtskrank war und auch der
Stiefvater ein Leiden hatte. Grupen konnte einen der Aerzte, wo das Kind in
Hamburg behandelt wurde, nicht näher bezeichnen. Ein anderer Arzt, Dr. Georg
Reyer-Hamburg, ist als Zeuge zur Stelle. Grupen behauptet im übrigen, daß die
Mutter das Kind anormal behandelt habe, was wohl ein Grund für ihr späteres
Verschwinden sei.
Grupens
Vermögensverhältnisse
werden nach Wiederherstellung der
Oeffentlichkeit erörtert. Der Angeklagte, der bekanntlich das Maurerhandwerk gelernt
hat, macht folgende Angaben: Sein erstes Geld verdiente er 1913 als Bauführer;
er habe damals sparsam gelebt und etwas zurückgelegt. 1919 erhielt er das
väterliche Grundstück in Haseldorf zum Geschenk, wogegen er sich zur Zahlung
einer jährlichen Rente von 1000 Mk. am seine Eltern verpflichtete. Auf der
Vulkanwerft hat er sich insofern gut gestanden, als er sich die Lebensmittel
zum Teil von Hause kommen lassen konnte. Dann ist er einige Zeit in der
Bootsbauerei seines Vaters tätig gewesen. In jener Zeit sind ihm vom Reiche
9000 Mk. für den im Kriege verlorenen Unterarm ausgezahlt worden. Später hat er
durch Gutachten bei Grundstücksverkäufen Nebenverdienste gehabt. Als er Frau
Schade heiratete, hatte er ungefähr 20 000 Mark Vermögen.
Vors.: Sie haben aber in Hamburg
verschiedentlich Darlehen aufgenommen. - Angekl.: Ja, der plötzlichen Verlegenheiten
habe ich mir einmal 700 und dann 2000 Mk. geborgt. - Vors.: Haben Sie sich vor
der Verlobung mit Frau Schade als sehr begütert ausgegeben? - Angekl.: Ich habe
nur den Eindruck erweckt, daß ich meine Zukunft nicht besorgt zu sein brauche.
- Der Angeklagte gibt eine eingehende Darstellung der Vermögensverhältnisse
seiner Frau und seiner Schwiegermutter, der Frau Eckert. Mit Angaben über seine
persönlichen Vermögensverhältnisse ist er sehr zurückhaltend.
Vors.: Sie haben Wertpapiere Ihrer Frau
verkauft. - Angekl.: Ich habe mich dazu für berechtigt gehalten, weil meine
Frau mein Vermögen mitgenommen hat. - Vors.: Haben Sie nicht auch den B r i l l a n t s c h m u c k I h r e r
S c h w i e g e r m u t t e r
verkauft? - Der Angeklagte setzt auseinander, daß er den Schmuck bei
einem Pfandleiher in Hamburg nach seiner Meinung für 5000 Mk. verpfändete; er
wollte den Schmuck wieder abholen und dann auf der Bank deponieren. - Vors.:
Nachdem Ihre Frau fort war, haben Sie auch ihr Pelzjackett und ihren
Regenmantel in Hamburg verpfändet. - Der Angeklagte bestätigt dies. - Staatsanwalt: Wie kommt es denn, daß der
Angeklagte den Regenmantel versetzen konnte; seine Frau hatte ihn doch bei
ihrem Verschwinden angehabt. - Angekl.: Meine Frau hatte bei der Abreise den
Regenmantel, der aus Zeltbahnstoff gefertigt war, über die guten Kleider
angezogen. Ich sagte bereits, daß sie den Pelzkragen im Wagen zurückgelassen hatte.
Beim Ausziehen des Regenmantels hat sie jedenfalls den Pelzkragen abgelegt und
ihn vergessen. - Staatsanwalt: Bisher hat der Angeklagte nie etwas davon
gesagt, daß auch der Regenmantel im Wagen zurückgelassen worden ist. Ich werde
auch unter Beweis stellen, daß der Angeklagte auch die R i n g e
seiner verschwundenen Frau verkauft hat. - Auf die Frage des Vorsitzenden
gibt der Angeklagte zu, das S i l b e
r seiner Frau, etwa 5 bis 8 Kg.,
verkauft zu haben.
Es tritt eine Mittagspause ein.
In der Nachmittagssitzung bemühen sich der
Vorsitzende und der Staatsanwalt, vom dem Angeklagten eine bestimmte …rung über
seinen j e t z i g e n V e r m ö g e n s s t a n d zu erhalten. Der Angeklagte erklärt,
hierüber genaue Auskunft nicht geben zu können, fügt aber hinzu, daß er die
Verteidigerhonorare aus eigenen Mitteln bezahle. Nach Erörterung eines
Testaments, das der Angeklagte einmal gemacht hat, wird die Vernehmung des Angeklagten
geschlossen und in die
Beweisaufnahme
eingetreten. Als erste Zeugin wird
d i
e E r z i e h e r i n F r ä u l e i n B e r t a
Z a h n
aufgerufen. Die 42jährige Dame erscheint in
Trauerkleidung. Sie bekundet:
Im Frühjahr 1905 kam ich als Hausdame und
gleichzeitig als Erzieherin der Dorothea Rohrbeck, die 1 ¼ Jahr alt war, nach
Kleppelsdorf. Damals lebte Herr Rohrbeck noch. Dörtes Mutter war ein
Vierteljahr nach der Geburt ihres Töchterchens gestorben. Vorher war Frau
Eckert ein Jahr im Hause. Ich hatte das Gefühl, daß Frau Eckert mich nicht gern
kommen sah. 1914 erkrankte Herr Rohrbeck. Wir begleiteten ihn nach Schandau in
ein Sanatorium, wo ich seine Pflege übernahm. Als er starb, hinterließ er als
Erbin seine einzige Tochter.
Das
Erbe
bestand aus dem Rittergut Kleppelsdorf nebst
Vorwerken sowie einer Besitzung in Tempelhof. Etwa 1 300 000 Mk. Barvermögen
waren vorhanden. Herr Rohrbeck hatte in seinem Testament vom März 1912
Herrn V i e l h a c k a l s
V o r m u n d seiner Tochter
eingesetzt. Das Testament enthielt auch einen Nachtrag ungefähr folgenden
Inhalts: „Ich bestimme hierdurch, daß über die Ausbildung, Erziehung und den
Aufenthalt meiner Tochter Dorothea lediglich Fräulein Zahn zu bestimmen hat und
zwar im Einverständnis mit dem Vormund.“
Verteidiger Dr. A b l a ß :
Es wird behauptet, daß Frau Eckert befürchtete, daß Herr Rohrbeck Sie
heiraten würde. Frau Eckert soll aber gewollt haben, daß ihre Tochter Gertrud,
die spätere Frau Schade, Herrn Rohrbeck heirate. - Frl. Zahn: Ja. Frau Eckert
hatte den Wunsch. So viel ich weiß, bestand auch eine ganz kurze
Verlobungszeit. - Dr. Ablaß: Frau Eckert soll auch die Befürchtung gehabt
haben, daß Ihr Bruder die Dörte heirate. Als Herr Rohrbeck erkrankt war, soll
Frau Eckert Ihnen vorgehalten haben, Sie sollten keine Erbschleicherei trieben.
- Frl. Zahn: Frau Eckert hat mir allerdings Erbschleichereigeschichten erzählt,
ich entnahm daraus, daß sie es nicht ohne Absicht getan hat. - Verteidiger
Dr. M a m r o t h : Ist es richtig, daß davon die Rede war, daß
Herr Rohrbeck Sie heiraten wollte. - Fräulein Zahn: Jawohl. In Schandau äußerte
er den Wunsch, daß wir als Verheiratete nach Hause fahren möchten. Darauf habe
ich gesagt, ich würde es gern tun. - Verteidiger Dr. A b l a ß :
Nach dem Tode des Herrn Rohrbeck soll Frau Eckert Sie sehr unfreundlich
empfangen haben, weil Herr Rohrbeck ihr sein Erbe ausgesetzt hatte. - Frl. Z a h n :
Ja. - Vors.: Sie kamen mit dem Vormund in Differenzen. - Frl. Zahn: Den
ersten Anlaß hierzu gab der Wunsch des Vormundes, die Hauslehrerin zu entfernen,
weil er deren Unterricht für Dörte nicht haben wollte. Ich war damit nicht
einverstanden, denn es war eine vorzügliche Lehrerin, und auch sonst eine angenehme
Hausgenossin. - Vors.: Der Vormund hat Ihnen auch den Vorwurf gemacht, daß Sie
zu viel Geld ausgeben. - Frl. Zahn: Ja. Er setzte
das
Haushaltsgeld
auf m
o n a t l i c h 1 0 0 0 M a r k
fest. Davon mußte ich sämtliche Ausgaben des Haushaltes, der Erziehung,
des Unterrichts und die Gehälter der Hausangestellten, die Kleidung, die Reisen
usw. bezahlen. Die Lehrerin bekam damals, es war im Sommer 1916, 100 Mark
monatlich. Die Gehälter machten die Hälfte meiner gesamten Ausgaben aus. -
Vors.: Sie haben früher gesagt, Fräulein Rohrbeck sei nicht ganz gesund
gewesen, wegen ihrer Schwäche hätte sie viel Fettes bekommen müssen. - Frl.
Zahn: Das ist richtig. Obwohl die Lebensmittelpreise stiegen, wurden meine
Ausgaben auf w ö c h e n t l i c h 1 2 0
M a r k festgesetzt. Davon
brauchte ich allerdings die Gehälter nicht zu bezahlen. Vom 1. Oktober 1920 ab
erhielten wir w ö c h e n t l i c
h s o g a r n u r
1 0 0 M a r k .
Vors.:
D i e M i l l i o n e n e r b i
n v o n K l e p p e l s d o r f e r h i e l t a l s o
w ö c h e n t l i c h 1 0 0 M a r k
f ü r d e n H a u s h a l t , und es wurde von Ihnen verlangt, d a v o n
n o c h d i e W i r t s c h a f t e r i n u n d
z w e i M ä d c h e n z u
b e z a h l e n ! - Frl. Zahn:
Die Gehälter machten monatlich 250 Mark aus, so daß mir g a n z e
1 5 0 M a r k f ü r
d e n H a u s h a l t ü b r i g
blieben.
Vors.: Wie kam der Vormund dazu, zu sagen,
daß Sie verschwenderisch gelebt hätten. - Frl. Zahn: Das weiß ich nicht. -
Vors.: Haben Sie sich nicht einmal an den Gegenvormund gewendet? - Frl. Zahn: Ja,
an Herrn B a u e r , der in den letzte Jahren Verwalter des Gutes
war. - Vors.: Es ist wunderbar, daß der Gegenvormund ein Angestellter des
Vormundes ist. - Frl. Zahn: Ich habe dies auch bei dem Vormundschaftsgerichts
zur Sprache gebracht, und da wurde mir gesagt: Sie sehen, daß es geht! Herr
Bauer hat mir mit Rat beigestanden und war sehr freundlich, als er sich noch in
Neuhof befand. Als er nach Kleppelsdorf kam, machte er mir zum Vorwurf, daß ich
nicht vorsichtig genug in meinem Verhältnis zu den Familienangehörigen des
Rohrbeckschen Hauses wäre.
Hier
e r l i s c h t p l ö t z l i c
h d a s e l e k t r i s c h e L i c h t
im Saale. Es werden Petroleumlampen herbeigebracht, die den Tisch des Gerichtshofes
und den Platz der Verteidiger spärlich beleuchten. Der Vorsitzende ordnet an,
auch für den Pressetisch Lampen herbeizuschaffen. In der Dunkelheit wird die
Verhandlung fortgesetzt.
Verteidiger Dr. A b l a ß
zu Frl. Zahn: Ist Ihnen bekannt, daß das Vormundschaftsgericht an seinem
Standpunkt festgehalten hat, daß Sie die Zerwürfnisse mit den Vormündern durch
Ihr taktloses Verhalten herbeigeführt haben. Der V o r s i t z e n d e wirft die Bemerkung dazwischen, es sei aber
auch bekannt, daß das Landgericht sich auf einen entgegengesetzten Standpunkt
gestellt habe. - Frl. Zahn: Ja, das Landgericht Hirschberg hat allen meinen
Klagen stattgegeben. - Vors.: Der Vormund hat Ihnen auch das G e h a l t
g e s p e r r t . - Frl. Zahn:
Das Landgericht hat aber im Wege der einstweiligen Verfügung angeordnet, daß
das Gehalt weiter gezahlt werden solle. - Verteidiger Dr. A b l a ß :
Diese Angelegenheit ist durch den Tod der Dörte Rohrbeck unentschieden
geblieben.
Vors.: Wie sind Sie zu den Beziehungen mit
dem Angeklagten gekommen? - Frl. Zahn: Dörte wurde 1920 konfirmiert. - Vors.:
Hatten Sie vorher etwa davon gehört, daß
F r a u S c h a d e sich mit dem Angeklagten verheiratet
hatte? Fräulein Zahn: Ja, sie hatte es
mir selbst geschrieben. Wir hatten die Verwandten gebeten, zur Konfirmation zu
kommen, aber sie sind nicht erschienen, ebenso wenig der Vormund. Wir
hatten d e n V o r m u n d g e b e t e n u m
M i t t e l z u r A n s c h a f f u n g e i n e s
Konfirmationskleides.
D a s
h a t e r z u r ü c k g e w i e s e n . Da gingen wir aufs V o r m u n d s c h a f t s g e r i c h t
, und es wurde mir gesagt, i c h
s o l l t e a u s d e n
a l t e n G e s e l l s c h a f
t s a n z ü g e n d e s V a t e r s
e i n K o n f i r m a t i o n s
k l e i d m a c h e n ! - Vors. (erstaunt): Aus den alten
Gesellschaftsanzügen des Vaters? Wer hat Ihnen das gesagt? Der Vormundschaftsrichter?
- Fräulein Zahn: Ja. Ich habe nun einen Antrag gestellt und mit Unterstützung
des Vormundschaftsrichters haben wir schließlich 800 Mark erhalten. Mit den 800
Mark habe ich nicht gereicht, denn Dörte brauchte außer dem Konfirmationskleid
ein Paar Stiefel und einige Wäschestücke, Leibwäsche hatte ich ihr selbst aus
Kinderbettwäsche gemacht. Dann wollten wir auch dem Geistlichen etwas geben,
aber
d a s V o r m u n d s c h a f t s g e r i c h t
schrieb, das sollte ich alles von dem
Haushaltsgeld nehmen. Ich habe die noch notwendigen Sachen zum Teil aus eigenen
Mitteln bestritten. - Vors.: Haben Sie sich in Ihrer Not nicht an Verwandte
gewendet? - Frl. Zahn: Ja, ich hatte an Herrn
P i n g e l geschrieben. Der hat
es nicht für richtig gefunden, daß ich mir Geld borge. Aber ich wußte nicht,
was ich machen sollte. Er hat mir auch einmal Geld geschickt. - Die Frage eines
Geschworenen, ob Frl. Zahn in ihrer Not und Bedrängnis sich auch an einen
ehemaligen Offizier in Lähn gewandt habe, ihr ein Darlehen gegen Bürgschaft zu
verschaffen, bejaht die Zeugin, und fährt fort: Im Juli 1920 wollten wir eine
Verwandtenreise antreten, weil Dörte noch niemals zu ihren Verwandten gekommen
war, außer zu ihrer Großmutter in Berlin.
W i r b a t e n d e n
V o r m u n d u m R e i s e g e l d . D a s
l e h n t e e r a b .
Da wandten wir uns an den jungen Herrn Pingel, der uns 2000 Mark sandte.
Am Tage vor der Beerdigung Dörtes hat sich der junge Herr Pingel, der aktiver
Offizier in Hannover war, erschossen.
In
Itzehoe und Ottenbüttel.
Wir fuhren am 27. oder 29. Juli zunächst zur
Großmutter nach Itzehoe. Wir wurden sehr herzlich, ganz gegen mein Erwarten,
aufgenommen. Am nächsten Tage entschloß sich Grupen, mit uns einige Tage nach
Hamburg zu fahren, um uns die Stadt zu zeigen. Auch damit waren wir gern
einverstanden. Ich hatte den Eindruck, von Grupen, daß an Geld nicht gespart zu
werden brauchte. Dörte bekam gleich am ersten Morgen in Itzehoe ein Paar
Stiefel. Ich sollte mir auch Geschenke
wünschen. Als ich mir in Hamburg eine Bluse kaufte und sie an der Kasse bezahlen
wollte, bat mich der Angeklagte, ihm die Freude zu bereiten, die Bluse zu
bezahlen.
Vors. (zur Zeugin): Sind Sie mit Dörte und
mit dem Angeklagten in der Zwischenzeit nicht mal nach einem anderen Orte
gefahren? - Frl. Zahn: Ja, nach Ottenbüttel, wo uns der Angeklagte sein Landgut
zeigen wollte. Es war das letzte Haus am Ende der Dorfstraße. Ich wunderte
mich, daß Frau Grupen in dieser Einsamkeit leben wollte, noch mehr aber
darüber, daß ein seinen Beruf ausübender Mann dorthin gehen konnte.
Vors.: Hat Ihnen der Angeklagte in
Ottenbüttel nicht erzählt, es wäre sein Wunsch, daß Sie seine Frau würden. -
Frl. Zahn: Ich weiß nicht, ob das in Ottenbüttel war. - Vors.: Hat der
Angeklagte in Hamburg nicht erzählt, er habe einen r e i c h e n O n k e l
i n A m e r i k a , den müsse er spätestens in den nächsten
Tagen aufsuchen wegen Erbschaftsverhältnissen, und es wäre sehr schön, wenn Sie
ihn begleiten würden. - Frl. Zahn: Ja, davon hat er gesprochen, aber er wollte
auch seine Frau mitnehmen. - Angekl.: Wir haben damals am Hamburger Hafen von
den schlechten Verhältnissen in Deutschland gesprochen; daß ich einen direkten
Vorschlag gemacht habe, nach Amerika zu fahren, ist nicht der Fall. - Frl.
Zahn: Es schien aber ein fester Plan des Angeklagten zu sein, denn er sagte,
daß eine Erbschaft geregelt werden müsse.
Vors.: Hat Ihnen der Angeklagte oder seine
Frau nicht einen Gegenbesuch versprochen? - Frl. Zahn: Ja, beide wollten im
September kommen. Anfang September kam aber nur Grupen. Er sagte, seine Frau
wäre mit dem Umzuge nach Ottenbüttel noch nicht fertig. In Kleppelsdorf gab er
mir 1000 Mark zur Bezahlung von zwei dringenden Rechnungen. Später habe ich
Geld in Raten von ihm erhalten, zusammen 4200 oder von 4800 Mark. Grupen wollte
sich als Sommerfrischler in Kleppelsdorf niederlassen und sich dem F r l .
B a u e r nähern, um die
Verhältnisse der beiden Vormünder zu erkunden. Nach zwei Tagen fuhr er aber
wieder weg. Er sagte, in nächster Zeit würde seine Frau kommen. Am 20.
September erhielt ich auch die Nachricht:
„ T r u d e g e s t e r n a b g e r e i s t . “ Wir erwarteten Frau Grupen am 20.
nachmittags 4 Uhr in Hirschberg. Da sie aber nicht eintraf, nahmen wir an, daß
sie sich in Berlin verweilt habe und später kommen würde. Auf unsere Mitteilung
an Grupen, daß seine Frau nicht gekommen sei, erhielten wir von ihm die
telegraphische Antwort: „ K o f f e
r n o c h h i e r . “
Einige Tage später erschien der Angeklagte wieder in Kleppelsdorf und
erzählte mir, daß seine Frau häufig von Amerika gesprochen habe und
wahrscheinlich nach Amerika gegangen sei. Er brachte Abschiedsbriefe seiner
Frau zum Vorschein, darunter ein an Dörte gerichtetes Schreiben. Der
Vorsitzende ordnete die Verlesung des Briefes an, welcher lautet:
„Ottenbüttel, 12. 9. 1920.
Liebe Dörte!
Ich sende Dir vor meiner Abreise nach Amerika
noch einen Abschiedsgruß, und wünsche Dir, daß sich Dein Leben in Zukunft
sonnig gestalten möge. Es wäre wohl das Beste ein lieber, guter Mann, der Dir
mit Rat und Tat zur Seite steht. N i m
m D i r O n k e l
P e t e r a l s g u t e s
B e i s p i e l , der sehr viel
verloren hat und jetzt viel verlieren wird und dennoch alle Lebensstürme
überwindet.
Die
herzlichsten Grüße von Deiner
Tante Gertrud.“
Es werden dann die
Abschiedsbriefe
der Frau Grupen
verlesen, die in der Kassette des Angeklagten
gefunden wurden. Sie sprechen sämtlich von der Absicht der Frau, nach Amerika
zu gehen.
Diese Schriftstücke sollen den Schreibsachverständigen
zur Begutachtung vorgelegte werden, ob sie von der Hand der Frau Grupen
herrühren. Auf Antrag des Staatsanwalts wird zu dieser Begutachtung auch der
Geheimrat Dr. M o l l hinzugezogen, um festzustellen, ob, wenn
Frau Grupen diese Briefe selbst geschrieben habe, die Schreiberin sich nicht in
einem Zustande der „ s e e l i s c h e
n U n f r e i h e i t “ gefunden habe.
Bei ihrer weiteren Vernehmung bekundet
Fräulein Zahn noch: Bald nachdem Frau Grupen verschwunden war, kam Grupen nach
Kleppelsdorf. Er erzählte, seine Frau habe ihm gesagt, sie sei am Vormittag des
19. September von Kleppelsdorf angerufen worden, sie solle bald nach dem Gelde
dort erscheinen. Infolgedessen sei die Frau schon am Nachmittag abgefahren und
habe sich offenbar sehr viel Geld eingesteckt. Von Kleppelsdorf ist aber Frau
Grupen nicht angerufen worden. Der Angeklagte war anscheinend über das
Verschwinden seiner Frau sehr gefaßt. Als Grupen wegfuhr, b a t
e r , d a ß D ö r t e
m i t f a h r e damit sie die Großmutter über den Verlust der
Tochter tröste. Da mir immer der Vorwurf gemacht worden war, daß ich Dörte der
Großmutter entfremde, ließ ich Dörte allein mitfahren. Auch tat uns Frau Eckert
leid, weil sie die Tochter verloren hatte. Allerdings bin ich dann auf die
Bitte der Dörte Rohrbeck nachgefahren.
Die Zeugin schildert dann
die
Fahrt mit Grupen und Dörte
von Berlin aus nach H a m b u r g und die gestern mit dem Angeklagten
eingehend geschilderte F a h r t a u f
d e m A l s t e r b a s s i n
. Sie hat zunächst den Eindruck gehabt,
daß sie der Angeklagte mit dem Rudern gegen die Dampferwellen nur aus Spaß
ängstigen wollte. Deshalb habe sie auch Dörte das zweite Mal allein mit Grupen
fahren lassen. Nach dieser zweiten Fahrt habe ihr allerdings Dörte gesagt,
daß s i e e i n e
f u r c h t b a r e A n g s t g e h a b t
u n d G r u p e n e i n
g a n z m e r k w ü r d i g e
s W e s e n g e z e i g t h a b e .
Aber damals sei auch Dörte noch der Ansicht gewesen, daß Grupen diese
Gefahr nicht absichtlich herbeigeführt habe. Im November hat allerdings
dann D ö r t e gesagt:
„Paß
auf, Grupen trachtet uns nach dem Leben.“
In Hamburg erklärte plötzlich der Angekl., er
müsse nach Kiel zu seiner kranken Mutter fahren, er werde das Geld, das er den
Damen versprochen hatte, mit der Post senden. Dieses Geld ist aber nie
angekommen, denn der Angeklagte hat es (wie er auch gestern zugegeben hat), gar
nicht abgesandt. Trotzdem hat er dann noch immer behauptet, er habe den Betrag
auf der Bank erhoben und bei der Post eingezahlt, es müsse also auf der Post
verloren gegangen sein.
Die
zweite Reise nach Hamburg.
Wie die Zeugin weiter behauptet, sandte Grupen
am 1. November telegraphisch 500 Mk. mit der Aufforderung, am nächsten Tage
nach Berlin zu kommen. Auf dem Görlitzer Bahnhof kam Grupen sehr spät an, als
die Damen schon in der Stadt Quartier suchen wollten. Es war im Auto und
nötigte die Damen fast gewaltsam zum Einsteigen. Unterwegs erklärte der
Angeklagte, sie m ü ß t e n s o f o r t
m i t n a c h H a m b u r g und von dort nach I t z e h o e fahren, da der dortige Rechtsanwalt für ihn
eine „Vollmacht zu einem Familienrat“ ausstellen solle, was aber „nur in ihrer
Gegenwart“ geschehen könne. Auf dem Lehrter Bahnhof stiegen sie in ein Abteil,
das verschlossen war, das Grupen aber öffnete, sodaß die drei in einem Abteil
allein waren, was der Zeugin nicht gefiel. Als Grupen mit Dörte allein reiste,
hat er dasselbe getan, er wurde aber damals von dem Schaffner aus dem Abteil
verwiesen. In Hamburg erklärte Grupen, daß er in geschäftlicher
Angelegenheit n a c h K i e l
fahren müsse, und er forderte sie zur Mitfahrt auf, damit sie sich
allein in Hamburg nicht zu sehr langweilten. Der Angeklagte bleibt dabei, die
Damen nach Hamburg nur deshalb mitgenommen zu haben, weil er nur dort das Geld
flüssig machen konnte und die Damen nicht die Zusendung des Geldes durch die
Post oder die Bank gewünscht hätten.
Vors.: Der Angeklagte behauptet, daß er
deshalb mit Ihnen nach Kiel gefahren sei, weil ihm der Aufenthalt mit Ihnen in
Hamburg zu teuer gewesen, da Sie zu hohe Ansprüche stellten. - Die Zeugin
bestreitet dies entschieden.
Auf der Fahrt nach Kiel waren die Drei in
vergnügter Stimmung und Dörte schrieb für das bevorstehende Weihnachtsfest
einen Wunschzettel an Grupen auf, der aber, wie der ganze Inhalt erweist, nur
scherzhaft gemeint war. Demgegenüber behaupten der Angeklagte und die Verteidiger,
daß es sich dabei um ernsthafte Wünsche der Dörte gehandelt habe, was aber die
Zeugin ganz entschieden bestreitet. Es hat den Damen auch mißfallen, daß Grupen
den Wunschzettel mit auffälliger Hast zu sich steckte.
Auf Veranlassung der Verteidigung wird hier
noch einmal die Frage der angeblich hohen
A n s p r ü c h e der beiden
Damen und ihr Geldverbrauch erörtert. Die Zeugin Zahn erklärt, daß sie 9 0 0 0
M a r k S c h u l d e n gemacht habe, sie weist aber im einzelnen
nach, daß es sich dabei um durchaus notwendige Ausgaben handelte, deren Höhe
durchaus nicht zu beanstanden ist.
In der
Hasselbrookstraße.
Frl. Zahn erzählt dann weiter: Als wir von
Kiel nach Hamburg zurückgekehrt waren,
f ü h r t e u n s G r u p e n
i n s e i n e P r i v a t w o h n u n g , was Dörte und mir nicht gefiel, aber wir
fürchteten, daß wir die Hotelrechnung nicht würden bezahlen können, wenn wir
seiner Einladung nicht folgten. Die Pension Hasselbrookstraße 37 machte auf die
Damen einen sehr befremdenden und unheimlichen Eindruck. Als Grupen dort in der
Nacht nach Hause kam, klopfte er an unsere Zimmertüre, wir haben aber nicht
geantwortet. Am nächsten Morgen sandte er mir eine Visitenkarte, auf der stand,
daß er zu einer wichtigen Besprechung müsse. Später erhielt dann Dörte einen
Brief von ihm, in dem er mitteilte, daß er
s e i n g a n z e s V e r m ö g e n v e r l o r e n habe und uns nicht mehr helfen könne.
(Grupen gibt übrigens zu, daß diese Schilderung stark übertrieben war.) Zweihundert
Mark für unsere Rückreise hatte er beigelegt. Wir fuhren sofort nach
Kleppelsdorf zurück und bedauerten Grupen. Wir boten auch Grupen und der
Großmutter mit den Kindern Wohnung auf Kleppelsdorf an, bis Grupen sich wieder
eine neue Existenz gegründet haben würde. Die Großmutter schrieb aber, sie
könnte jetzt im Winter nicht reisen und die Kinder müßten in die Schule gehen.
Von Grupen selbst hörten wir lange Zeit nichts, bis wir erfuhren, daß er vom
Oberlandesgericht
als
Gegenzeuge gegen uns
benannt sei. Seitdem hatten wir natürlich
eine große Abneigung gegen Grupen, der sich bis dahin als unser Helfer
aufgespielt hatte. Dörte hatte allerdings
s c h o n i m m e r e i n e
A n t i p a t h i e g e g e
n G r u p e n , und sie erklärte wiederholt, daß ihr sein
ganzes Verhalten unsympathisch sei.
Angekl.: Wie kommt es dann, daß sich sowohl
Fräulein Zahn wie Fräulein Rohrbeck gegenüber Bekannten sehr lobend über mich
ausgesprochen haben. - Verteidiger Dr. Mamroth: Widerstrebte es eigentlich nicht dem
Fräulein Rohrbeck und Ihnen, von einem Manne, der Ihnen so unsympathisch war,
Geld anzunehmen und darum zu bitten? - Zeugin: Das Geld hat uns Grupen
angeboten. Ich kann nur wiederholen, daß der Angeklagte dem Fräulein Rohrbeck d i r e k t
u n h e i m l i c h war und sie
wiederholt äußerte, daß sie3 das Gefühl habe, daß er i h r
n a c h d e m L e b e n
t r a c h t e . - Verteidiger
Dr. Mamroth: Vielleicht begann Ihre Antipathie erst, als Sie erfuhren, daß der
Angeklagte als Gegenzeuge gegen Sie in Betracht kam. - Zeugin: Nein, Dörte
hatte schon immer eine Abneigung gegen Grupen.
Der
letzte Besuch auf Kleppelsdorf.
Im Januar schrieb Grupen zu unserem Erstaunen
einen Brief. Er meldete sich für den 9. Februar an, es kam aber nicht nur Grupen
und die Großmutter, sondern auch noch die Stütze Mohr und die beiden Kinder
Irma und Ursula. Da dieser Besuch aber eher eintraf, als angenommen, waren die
Vorbereitungen für die Aufnahme nicht getroffen und die Stimmung war deshalb
kühl. Mit dem
Besuch
beim Anwalt
wollte Grupen wahrscheinlich den schlechten
Eindruck verwischen, den die Kenntnis von seinem Gegenzeugnis in Kleppelsdorf
gemacht hatte. Von einer eidesstattlichen Versicherung wurde nicht gesprochen.
Grupen bekundete bei dem Anwalt Dr. Pfeiffer, daß er von den Angaben im
Schriftsatz des Oberlandesgerichts nichts wüßte. Er machte dann den Eindruck,
als sei ihm eine große Last von der Seele genommen, als habe er sich in unseren
Augen wieder rehabilitiert. Bis zum 14. Februar war er fast ständig im Hause.
Er äußerte, es sei ihm unangenehm, daß man in Lähn von dem Verschwinden seiner
Frau wüßte, denn man würde sagen, er sei schuld daran. In diesen Tagen kam viel
Besuch nach Kleppelsdorf, und Grupen hielt sich dabei immer i m
H i n t e r g r u n d e , blieb
nur auf unseren besonderen Wunsch da oder kam wieder dazu. Am Sonntag
veranlaßte er uns zu einem Besuch der Lehnhausburg und wollte mit uns auf den
Turm. Wir erwiderten, dazu müsse man erst den Schlüssel aus dem Schlosse holen,
aber Grupen verschaffte sich gewaltsam Zugang zum Turm, was uns wegen unseres
Verkehrs mit der Familie Haugwitz sehr unangenehm war, so daß Dörte und ich
zurückblieben.
Ein G
e s c h w o r e n e r fragt, auf welche
Weise sich Grupen denn den Zugang zum Turme verschafft habe, denn es sei schon
das zweite Mal, daß man von einem gewaltsamen Oeffnen verschlossener Türen
durch ihn höre. - Fräulein Zahn weiß nichts darüber. Er hat gelegentlich
gefragt, ob wir denn immer unsere Zimmer zuschlössen? Wir haben seitdem stets
die Haustüren, die Schlafzimmertüren und die Türen zu den Nachbarzimmern neben
unseren Zimmern geschlossen gehalten. Grupen hat gesagt, er könne jede Tür
aufmachen, ein Fußtritt, und sie sei offen. - Der Angeklagte behauptet, zum
Turme in Lehnhaus führe eine Gittertür, durch die man hindurchgreifen könne.
Angekl.: Wenn ich Fräulein Zahn so unheimlich
erschien, wie kann sie dann von einem so unheimlichen Menschen 1000 Mk.
annehmen? - Zeugin: Wenn so viel Besuch kam, wie diesmal, kommen wir mit
unserem geringen Haushaltsgeld erst recht nicht aus. Ich habe das Geld, was er
uns anbot, mehrere Tage hindurch zurückgewiesen, aber er drängte es uns
geradezu auf, und ich sagte schließlich zu, um den Besuch wenigstens möglichst
gut zu verpflegen. Aber schließlich wurde das Geld doch nicht angenommen, denn
ich wollte kein Entgeld beanspruchen, um Frau Eckert zu beweisen, daß ich nicht
die egoistische Person sei, für die sie mich hielt.
Der Vorsitzende schließt nun kurz vor ½ 9 Uhr
die heutige Sitzung. Mittwoch Besichtigung und Vernehmungen in Kleppelsdorf.
*
Lokaltermin
in Kleppelsdorf.
Lähn, 7. Dezember. (Drahtm.)
Am Mittwoch vorm. ½ 10 Uhr versammelte sich
das Schwurgericht im Hirschberger Gerichtsgebäude. Da ein Autoomnibus erst mit
einstündiger Verspätung erschien, konnte die Abfahrt erst eine Stunde später
erfolgen, so daß man in Kleppelsdorf erst um ¾ 12 Uhr ankam.
Im ersten Wagen befanden sich der Angeklagte
und mehrere Polizeibeamte. Vor dem Schlosse in Kleppelsdorf hatte sich eine
Anzahl Zuschauer eingefunden, die Grupen mit Verwünschungen empfingen.
Bei dem Eintreten in das Schloß veränderte
sich die Gesichtsfarbe des Angeklagten in ganz merklicher Weise. Die
Verhandlungen begannen dann in einem im oberen Stockwert des Schlosses
gelegenen kleinen Saale.
Grupen behauptet, den Platz 1 in der Zeit, in
der die tat geschehen ist, nicht verlassen zu haben, während die Anklagebehörde
behauptet, daß er unbemerkt von Frl. Zahn, durch das Schrankzimmer (C) das
Winterzimmer verlassen hat und auf demselben Wege zurückgekehrt ist.
Freitag, den 9. Dezember 1921, „Der Bote aus
dem Riesengebirge“
Der
Doppelmord auf Schloß Kleppelsdorf.
Die
Verhandlung am Tatort.
Hirschberg, 8. Dezember.
Die Abfahrt aller zur Gerichtsverhandlung
gehörigen Persönlichkeiten nach Kleppelsdorf am Mittwoch Vormittag vollzog sich
nicht völlig glatt, denn, wie bereits berichtet, der eine Autoomnibus erschien
erst mit einstündiger Verspätung, so daß eine Stunde der sehr kostbaren Zeit
verloren ging, und dann hatte sich diesmal doch einiges Publikum angesammelt,
welches neugierig den Wagen umdrängte, in dem sich der Angeklagte befand.
Endlich ging die Fahrt los. Nach zwei
Sitzungstagen sind die Beteiligten eines Prozesses Mitglieder einer eigenartigen,
nur durch geistige Fäden verbundene Gemeinschaft. Richter, Geschworene, der
Angeklagte, die Zeugen, Sachverständige, Berichterstatter, sind wie die Figuren
eines Schachbretts mitten in der Entwicklung eines Spiels in gewissem Sinne von
einander abhängig geworden. Der Mittelpunkt, um den sich aller Gedanken drehen,
ist der Angeklagte. Man spricht nicht mit ihm, aber beobachtet ihn in seiner
merkwürdigen, nach keiner Seite ausdeutbaren Ruhe. Das frisch gesunde Gesicht,
der jugendlich energische Mund und die beiden scharfen wachsamen Augen, - alles
strotzt von Leben und Geistesgegenwart, und ist dennoch gebändigt von einem
Willen, dem es vielleicht nicht schwer wird, fest zu bleiben. Denn die Nerven
dieses Mannes - schuldig oder nicht - sind sicherlich eisern, das hat auch
wieder der Verlauf des heutigen Tages gezeigt.
Die Wagen rollen durch die hügelige
schneefreie Landschaft, die im Frühjahr, Sommer und Herbst von so intimem
Liebreiz ist und auch heute noch, am grauen Dezembertage, seine zeichnerische
Reize aufweist. Nach einer Stunde ist Lähn erreicht und sofort auch Schloß
Kleppelsdorf. Ein paar Dutzend Dorfbewohner erwarten die Gäste, - dem
Angeklagten wird das Wort „Mörder“ nachgerufen. Alle Teilnehmer an der Fahrt
betreten das Haus, zu dem auch das Publikum in zulässigem Umfange Zutritt hat.
Noch wird das verschlossene Mordzimmer nicht betreten; man begibt sich in den
Saal des ersten Stockes, wo durch Tische und Stühle die Szenerie des Gerichtssaales
hergestellt ist. Die Gerichtspersonen ziehen ihre schwarzen Talare über Pelze
und Wintermäntel. Kurz konstituiert sich die Sitzung, und man begibt sich
wieder in das unsere Erdgeschoß, zunächst in das Speisezimmer, das auf unserer
in der Sonntagsnummer veröffentlichten Skizze als Gartenzimmer bezeichnet ist,
dem die Veranda vorgelagert ist. Dann wird das Mordzimmer aufgeschlossen, das
vom Tage der Tat an bis heute unter Verschluß geblieben ist.
Im
Mordzimmer.
G r u p e n
ersucht beim Betreten des Zimmers den Vorsitzenden, ihn gegen eine
Zuhörerin zu schützen, die ihn „Mörder“ genannt hatte. O. L. R. K r i n k e
entsprach sofort seinem Wunsche mit den Worten: „Die Tat ist furchtbar,
die Erregung verständlich, eine Angeklagter ist aber noch kein Verurteilter.“
Im Zimmer liegen noch die Kissen auf den
Betten, auf die man die jungen Leichen gelegt hatte. Noch zeigt der Teppich
große schwarze Flecke: die Blutlachen. Noch liegt der Stuhl umgestürzt da. Mit
völliger Ruhe behält der Vorsitzende auch hier in dem engen Raume die Leitung
in der Hand.
Die
Lage der Leichen und die Wunden.
Zunächst wird durch die Dienstmädchen M e n d e
und H i r s c h dargestellt, wie die Körper gelegen haben.
Kreis-Medizinalrat D r .
P e t e r s - Löwenberg äußert
sich über den Leichenbefund. Die Kleidung der Dörte Rohrbeck war d r e i m a l d u r c h l ö c h e r t . Eine Schussöffnung befand sich an der
rechten Brust unter der Achselhöhle. Das Geschoß war quer durch die Brust in
den Hals gedrungen, wo an der linken Halsseite eine Ausschußöffnung
festgestellt wurde. Der zweite Schuß auf Fräulein Rohrbeck war ein Kopfschuß
mit der Einschußöffnung überm Genick. Das Geschoß ist am hinteren
Nasenrachenraum stecken geblieben. Dorothea Rohrbeck muß, so sagt Dr. Peters,
als sie erschossen wurde, sich nach links geneigt haben; hätte sie auf einem
Stuhl gesessen, hätte ihre Kleidung stark beblutet sein müssen. Als
Todesursache kommt Ersticken in Frage. Die Ursula Schade hat einen Schuß in die
rechte Stirn erhalten. Es war ein Steckschuß, die Kugel wurde im Gehirn unter
der Schädeldecke gefunden. Eine Kopfverletzung rührt vom Sturz gegen den
Schrank her.
Lange Zeit erforderten die Feststellungen
über die Lage der Leichen. Fräulein M e
n d e , die als erste die Bluttat
entdeckt hatte, behauptet, sie habe die Dörte nur am Arm gefaßt und beim Namen
gerufen. Dörte habe in der Mitte des Zimmers quer über dem Läufer gelegen, die
linke Wange in einer Blutlache, das Gesicht nach der Tür zum Speisezimmer
gerichtet. Ursula Schade befand sich, zusammengekauert, am Schrank, der neben
der Rollstube führenden Tür steht. Die Zeugin bestreitet, als sich Zweifel über
die Lage der Leichen ergaben, diese Lage verändert zu haben. Medizinalrat D r .
P e t e r s hält es für
wahrscheinlich, daß Dorothea Rohrbeck im Todeskampfe ihre Lage verändert habe.
Frl.
H i r s c h unterstützt die
Bekundungen der Mende. Beide Zeuginnen und auch Frl. Z a h n
sagen aus, daß Dörte Rohrbeck, als man sie fand, noch geatmet habe. Sie
haben die Dörte und die Ursula auf die Betten gelegt.
Sanitätsrat
D r . S c h o l z - Lähn ist als erster Arzt am Tatort gewesen.
Er fand Frl. Rohrbeck bereits tot vor. Der
A n g e k l a g t e stellt die
Zwischenfrage, ab Frl. Hirsch wisse, daß, als sie ins Mordzimmer kam, Dorothea
Rohrbeck sich noch bewegt habe. Frl. H
i r s c h : Dörte war noch warm und hat
noch geatmet. Gerüttelt habe ich sie nicht.
Vert.
D r . M a m r o t h stellt nach dem Hinweis des Staatsanwalts
auf den umgestürzten Stuhl, auf dem möglicherweise Dorothea Rohrbeck gesessen
hat, fest, daß 10 Personen unmittelbar nach der Tat im Mordzimmer versammelt
waren und sich dort bewegt haben. Auf seine Frage, ob am Tage nach der Bluttat
in dem Zimmer Veränderungen vorgenommen worden seien, erklärt Frl. Z a h n :
Am Tage nach der Tag wurden die Leichen aus den Betten genommen,
entkleidet und auf Tische in der Rollstube gelegt. Im Mordzimmer wurde nichts
aufgeräumt, es wurde bald vom Amtsvorsteher verschlossen. Grupen und seine
Schwiegermutter haben seit der dritten Nachmittagsstunde das Zimmer nicht mehr
betreten. Die Nacht nach dem Morde bin ich mit Schwester Auguste bis etwa früh
5 Uhr bei den Toten geblieben.
Der A
n g e k l a g t e bittet, den Sachverständigen
Dr. Peters veranlassen zu wollen, sich die Stellen der Blutspritzer genau
anzusehen. Er selbst nimmt die Blutspritzer in Augenschein.
Die
Schußwaffe.
Frl.
M e n d e gibt an, daß die
Pistole am linken Knie der Ursula Schade gelegen habe. Frl. H i r s c h
bestätigt dies.
Frl.
Z a h n : Als Grupen ins
Mordzimmer kam und die Leichen sah, sagte er:
„ D a i s t j a
g e s c h o s s e n w o r d e n
! “ Ich rief: „Wo ist die Waffe?“
Grupen ging zur Leiche der Ursula und hob den Revolver auf. Frau Eckert fragte
vorwurfsvoll: „Wie kommen die Kinder zu der Waffe?“
Postverwalter G r i m m i g - Lähn: Etwa um 12 ¾ Uhr war ich am Tatort.
Dörte Rohrbeck lag tot auf dem Bett. Als ich das Röcheln aus dem anderen Bett
vernahm und erschreckt dorthin sah, stand Frau Eckert, die neben Schwester
Auguste auf einem Stuhl saß, auf und sagte: „Ja, ich verliere z w e i
Enkelkinder.“ Ich fragte nach der Waffe. Die lag auf dem vor dem Liegesofa
stehenden T i s c h . Grupen selbst daß auf dem Sofa. Als alter
Jäger hielt ich es für meine Pflicht, den Revolver sofort zu sichern. Das
machte mir Schwierigkeiten, weil mir dieses Browningsystem nicht bekannt war.
Mit Mähe gelang es mir, den Sicherungsflügel herumzulegen. Ich beschlagnahmte
die Waffe und stellte zu Hause fest, daß ich sie nicht g e sichert, sondern e n t sichert hatte. Der Revolver hat
also g e s i c h e r t auf dem Tisch gelegen. In dem Magazin
befanden sich noch zwei Patronen. Während ich am Tatort war, wurde in den
Kleidern der Ursula Schade eine Patronenkästchen und der Brief an die
Großmutter gefunden. Der Brief wurde verlesen. Vor der Verlesung hatte auf
meine Frage, wem die Pistole gehöre, niemand eine Antwort gegeben. Nachher aber
brach Grupen in weinerlichem Tone in die Worte aus: „Es ist m e i n e
Waffe, da bin ich schuld an dem Verhängnis!“ Die Großmutter Eckert
beruhigte ihn: „Du kannst ja nicht dafür, Du hast ja die Waffe für Bruder
Wilhelm gekauft.“
Der A
n g e k l a g t e , vom Vorsitzenden
befragt, ob e r die Waffe vom Fußboden aufgehoben und wohin
er sie gelegt habe, erklärt: „Wenn ich überhaupt die Waffe aufgehoben habe, was
ich heute nicht genau weiß, so habe ich sie
a u f d e n R o h r p l a t t e n k o f f e r a m
O f e n g e l e g t . “ Er gibt zu, mit der Handhabung der Sicherung
Bescheid gewußt zu haben, weil er diese seinem Bruder erklärt habe. Mit dem
Revolver aber habe er nie geschossen.
Vert.
D r . M a m r o t h richtet an Frl. Zahn die Frage, wann die
Patronenhülsen gefunden worden seien. Frl.
Z a h n : Noch am Mordtage.
Angekl.
G r u p e n : Ich bitte, durch
Befragen der Zeugin Hirsch festzustellen, daß dies nicht stimmt. - Vors.: Wollen
Sie damit sagen, daß Frl. Zahn uns anlügt? - Vert. D r .
M a m r o t h (einlassend): Der Angeklagte will wohl nur
sagen, daß ein Irrtum vorliegt. - Frl.
Z a h n : Ich weiß, daß nach den
Patronen gesucht wurde, als Dörte noch auf dem Bett lag. - Frl. H i r s c h : Die Patronen wurden am Mordtage gesucht.
Herr Grimmig hat die Anregung dazu gegeben.
Verschlossen
oder nicht?
Ein G
e s c h w o r e n e r bittet um
Aufklärung, ob die hinter dem Mordzimmer liegende Rollstube verschlossen war.
Fräulein M e n d e : Ich hatte in der Rollstube den Ofen geheizt
und sollte schon um 11 ½ Uhr den Tisch zum Essen decken, weil Frl. Dörte, wie
immer Montags, nach Hirschberg fahren wollte. Sie ist aber nicht gefahren, weil
schlechtes Wetter war. Ich habe die Tür zur Rollstube nicht verschlossen. -
Frl. H i r s c h : N a c h
der Tat war die Tür verschlossen,
v o r h e r war sie aber offen.
- Vors.: Man nimmt an, daß ein Mörder die Türe hinter sich verschließt, damit
ihm das nicht getötete Opfer nicht nachlaufen kann. - Frl. M e n d e
bleibt bei ihrer Behauptung, die Tür nicht verschlossen zu haben. -
Frl. Z a h n : Es ist möglich, daß Frl. M o h r ,
die in der Rollstube mit Staubwischen beschäftigt war und die das
Staubtuch im Mordzimmer hat liegen lassen, die Tür verschlossen hat. - Ein G e s c h w o r e n e r : Wo hat der Schlüssel gesteckt? In der Tür
nach innen (nach dem Mordzimmer zu) oder auf der anderen Seite? - Frl. Z a h n
und die beiden Dienstmädchen M e
n d e und H i r s c h
erwidern, daß der Schlüssel nach innen, also auf das Mordzimmer zu,
gesteckt habe.
Die Zeugin
M e n d e bestätigt, daß Grupen,
als er die Treppe herunterkam, gerufen hat: „Berti, die Kinder!“ Der Angeklagte
bemerkt hierzu, daß er als erster nach Aerzten telephonieren wollte. Da er aber
die Fernsprechnummer nicht sogleich finden konnte, habe dies Frl. Zahn getan.
Der S
t a a t s a n w a l t wünscht von Frl.
Zahn zu wissen, ob die nach dem Park führende Tür der an das Speisezimmer
angebauten Veranda verschlossen gehalten worden sei. - Frl. Z a h
n : Die Verandatür war gewohnheitsmäßig
verschlossen, es wurde aber nicht täglich nachgesehen, ob dies auch wirklich
der Fall war. Die Verandafenster sind nur von innen aus zu öffnen, alle übrigen
Fenster im Erdgeschoß sind vergittert.
Die Verhandlung im Mordzimmer schließt damit,
daß a u f A n t r a g
d e s A n g e k l a g t e n die Entfernungen zwischen den Leichen und
den Fundstellen der Patronenhülsen mit dem Metermaß genau festgestellt werden.
Es ergibt sich, daß die Fundstellen von der Leiche der Ursula 5,66 Meter
entfernt sind.
Hierauf begibt sich das Gericht in die H a u p t k ü c h e . Dort lehrt die Besichtigung, daß es bei der
starken Bauart des Schlosses unmöglich sei, die im Mordzimmer gefallenen
Schüsse über den Flur hinweg durch die Vorküche zu hören.
Genau
wie zur Stunde des Mordes.
In den Räumen des ersten Stockwerkes wurden
Feststellungen getroffen, wo Grupen sich vor der Bluttat aufgehalten habe. Er,
Frau Eckert, Frl. Mohr und die kleine Irma mußten dieselben Plätze einnehmen,
die sie in der kritischen Stunde inne hatten. Dasselbe tat Frl. Zahn in ihrem
Zimmer, während Frl. Hirsch den Platz markierte, den Dorothea Rohrbeck
eingenommen hatte, bevor sie von Ursula Schade nach unten gerufen wurde.
Frl. M o h r wurde bei dieser Gelegenheit auf ihre
Zeugenpflicht aufmerksam gemacht, und vom Vorsitzenden gefragt, ob sie mit dem
Angeklagten verlobt sei. Sie v e r n e
i n t e das. Als auch der A n g e k l a g t e dies verneint, bemerkt ihm der Vorsitzende:
„Sie wissen ja, Sie hatten ihr die Heirat versprochen.“ I r m a ,
die zu weinen begann, sich aber auf das gütige Zureden des Vorsitzenden
bald beruhigte, machte Angaben über das Mühlespiel mit Grupen. Sie habe dabei
Aepfel gegessen und einmal Aepfelreste nach der Toilette getragen.
Staatsanwalt: Ich bitte den Angeklagten
Grupen zu entfernen und durch ein Phantom (Ersatzperson) zu ersetzen. G r u p e n
steht sofort auf und sagt: Das ist mir auch sehr angenehm! An seine
Stelle setzt sich ein Polizeikommissar. Nun geht ein Dienstmädchen hinaus. Eine
Weile darauf hörte man die Türe klinken und die Worte: D ö r t e ,
k o m m d o c h m a l
und die Antwort Dörte´s: G l e i
c h k o m m e i c h
. In der beinahe gespenstischen Stille
hörte man dieses Zwiegespräch, die letzten Worte, die vor acht Monaten zwei
unglückliche Menschenkinder sprachen, wie aus weiter Ferne. Dann hört man die
etwas deutlichere Stimme des Fräulein Zahn:
I r m a , s i e h d o c h
m a l , w o D ö r t e
i s t . - Grupen konnte alle
diese Worte aus dem Zimmer hören.
Auch die Zeitdauer des Verweilens der kleinen
Irma, als sie auf den Wunsch des Fräulein Zahn sich in das Erdgeschoß begeben
hatte, um nachzusehen, wo Dörte sei, wurde festgestellt. Sie brauchte dazu 1 ½
Minuten. Ein Erwachsener brauchte 59 Sekunden, um im gewöhnlichen Schritt von
Grupens Platz bis zum Tatort und zurück zu gelangen.
Dann ist der eigentliche Lokaltermin beendet.
Es ist ½ 3 Uhr. Der Vorsitzende verkündet, daß der gegenwärtige Besitzer des
Hauses allen Anwesenden einen Teller Suppe anbiete. Man nimmt dankend an und
begiebt sich zurück in den unteren Stock … … ..zimmer.
Schießversuche.
Nach der Mittagspause ersuchte zu Beginn der
Verhandlung im Saal der Schießsachverständige
W a l t e r , daß in dem
Mordzimmer Schießversuche mit der Mordwaffe gemacht werden möchten zur
Vorbereitung seines Gutachtens. Dem Antrage wird stattgegeben, auch der
Angeklagte ist damit einverstanden, bittet sogar darum. Die Schießversuche
wurden dann gemacht und dauern mehrere Stunden.
Die
Stimmung der Ursel.
Zeugin
M e n d e wird dann eingehend
über ihre Wahrnehmungen gefragt, die sie vom Eintreffen Grupens vom 8. Februar
an bis zum Mordtage hatte. Die Zeugin bekundet, daß der Empfang kühl und daß
Grupen bei seiner Anwesenheit fast immer im Zimmer war und gelesen oder Mühle
gespielt habe. Die kleine U r s u l
a war bei Tisch m e i s t
t r a u r i g und aß sehr wenig,
sie war a b e r a u c h
w i e d e r l u s t i g und tollte im Garten herum. Von einer
Verstimmung der Ursula gegen Dorothea Rohrbeck hat die Zeugin nichts bemerkt,
auch nichts von einem Revolver oder Patronen. Die Zeugin kam gegen ½ 1 Uhr von
der Post und rief bald darauf zum Essen. Im Uebrigen machte sie dieselben
Angaben wie am Vormittage.
Eine
neue Bekundung.
Vors.: War der Angeklagte nach dem Auffinden
der Leichen sehr aufgeregt? - Zeugin: Ja. Er sagte gleich zur Großmutter: „ D a
w e r d e i c h w o h l
d i e S c h u l d k r i e g e n . “ Dann setzte er sich aufs Sofa. - Verteidiger
Dr. Ablaß: Diese Aeußerung ist neu. Ich bitte, die Zeugin zu fragen, warum sie
früher davon nie etwas gesagt hat. - Zeugin: Ich wurde ja früher nie darum
gefragt. Auf eingehende Ermahnung, sich die Sache richtig zu überlegen, gibt
die Zeugin dann an, nicht mehr genau zu wissen, ob diese Worte vor oder nach
Verlesung des Briefes an die Großmutter gefallen seien. Der Zeugin ist
aufgefallen, daß, als sie Grupen nach der Tat gegen 3 Uhr zu der Vernehmung
durch den Amtsrichter rufen sollte, die Tür im Eßzimmer, wo sich G r u p e n
u n d F r a u E c k e r t
befanden, verschlossen war und auch auf Klopfen nicht gleich geöffnet
wurde. Sie will h i n t e r d e r
T ü r P a p i e r g e r ä u s c
h e gehört haben.
Die Zeugin
H i r s c h bekundet im
wesentlichen dasselbe wie am Vormittag. Sie hat sich, ebenso wie die Zeugin
Mende, gewundert, daß der Angeklagte am Tage vor dem Morde ihr 50 und der Mende
20 Mark Trinkgeld gegeben habe für die Mehrarbeit, die sie durch den Besuch zu
leisten hatten. Eine besondere Erregung hat sie dem Angeklagten nicht
angemerkt. Er war wie immer, auch kurz vor dem Morde. Die Zeugin hat gehört,
wie Fräulein Zahn nach dem Revolver fragte und wem er gehöre. Sie hat auch
gehört, daß Grupen sagte: das ist doch der Revolver, den ich gekauft habe!
Hierbei kam es bei einer kurzen Bemerkung des Verteidigers Dr. Ablaß: Sehr
richtig! zu einem Zusammenstoß zwischen dem Staatsanwalt und den Verteidigern.
Der Staatsanwalt wollte einen Gerichtsbeschluß herbeigeführt haben, daß solche
Bemerkungen unzulässig seien. Die Verteidiger stellten einen gleichen Antrag,
da der Oberstaatsanwalt mit einem Geschworenen während der Verhandlung
gesprochen habe. Der Vorsitzende bat, davon abzusehen, da doch alle lediglich
das Bestreben haben, die Wahrheit zu finden. Schließlich wurden denn auch von
beiden Seiten die Anträge zurückgezogen.
Der V
o r s i t z e n d e fragt die
Zeugin H i r s c h dann, ob sie noch sonst etwas Verdächtiges
gemerkt habe. Die Zeugin verneint das.
Das
Zeugnis des Arztes.
Zeuge Sanitätsrat D r .
S c h o l z machte Angaben über
seine Wahrnehmungen bei seinem Erscheinen im Schlosse, in das er sogleich gerufen
worden war. Er hörte, daß Grupen nach Verlesung des Briefes sagte: „Da bin ich
also doch schuld!“ Die Großmutter beruhigte ihn, was dem Zeugen auffiel, da sie
im Anblick ihrer erschossenen Enkel den Schwiegersohn tröstete. Der Zeuge
bestätigt, daß Grupen ihn gebeten, doch Ursel etwas zu geben, damit sie sagen
könne, wer es gewesen sei. - Vors.: Ist Ihnen das aufgefallen? - Zeuge: Ja. -
Wie Dr. Scholz weiter bekundet, hat er, der Zeuge, sofort gesagt: Hier liegt
Mord vor, kann hier niemand Aufschluß geben? Er hat dann Fräulein Zahn gefragt,
was sie darüber denken. Diese sagte ihm:
A c h G o t t , e s
g i b t s o b ö s e
M e n s c h e n i m H a u s e !
Von diesem Augenblicke an, so sagt der Zeuge, hatte ich d e n
A n g e k l a g t e n i m V e r d a c h t .
Ein Beisitzer: Wollte der Angeklagte mit
seiner Ruhe das gute Gewissen zeigen, oder war das fingiert? - Zeuge: Das
letztere nahm ich an.
zeuge Postverwalter Grimmig: Ich verkehre
seit zehn Jahren im Rohrbeckschen Hause und war in alle Verhältnisse
eingeweiht. Ich bin m i t d e r
v o r g e f a ß t e n M e i n u
n g am Mordtage hierher gekommen, daß
der Angeklagte G r u p e n d e r
M ö r d e r ist. Ich hatte mir
meinen Browning in die Tasche gesteckt mit der Absicht, den Täter
niederzuschießen, wenn er mir entgegentritt. Wäre ich n i c h t
mit der vorgefaßten Meinung hierher gekommen, dann hätte ich G r u p e n
n i c h t f ü r d e n
T ä t e r gehalten, d e n n
e r w a r r u h i g .
Dagegen konnte ich mir das V e r
h a l t e n d e r F r a u
E c k e r t nicht erklären, die
beim Anblick der beiden niedergeschossenen Enkel so ruhig war. - Vors.: War
Ihnen bekannt, daß der Angeklagte dem Fräulein Zahn und dem Fräulein Rohrbeck
unsympathisch war? - Der Zeuge bejaht dies, ebenso sie andere Frage, ob davon
gesprochen worden sei, daß Grupen der Dörte nach dem Leben getrachtet hat, und
daß sich die Damen vor ihm fürchteten.
„Dann
bin ich beruhigt.“
Amtsgerichtsrat T h o m a s
gibt als Zeuge an, daß ihn der Angeklagte vor seinem Transport nach
Hirschberg gefragt hat, ob die Untersuchung etwas Neues ergeben habe. Der Zeuge
hat erwidert: Eigentlich nichts. Die weitere Frage des Angeklagten, o b
F r ä u l e i n M o h r u n d
s e i n e S c h w i e g e r m u
t t e r b e i i h r e n
A u s s a g e n g e b l i e b e
n s i n d , hat der Zeuge bejaht. Darauf sagte der
Angeklagte: „ D a n n i s t
e s g u t , d a n n
b i n i c h b e r u h i g t . “ Etwas Auffälliges hat der Zeuge, als er im
Schlosse eintraf, bei Grupen nicht gefunden. Er setzte sich zunächst aufs hohe
Pferd, wurde aber sehr kleinlaut, als ihm mit der Verhaftung gedroht wurde.
Zeuge Kriminalbeamter L a c h n i t t - Hirschberg hat die Umgebung genau untersucht
und dabei keine Spuren gefunden, die darauf hindeuten konnten, daß jemand von
außen in das Mordzimmer gekommen sei.
Zeuge Justizobersekretär K l a p p e r - Lähn ist auf Wunsch des Zeugen Grimmig mit
nach dem Schlosse gegangen. Grimmig zeigte ihm dort den Revolver. Auf die Frage
des Zeugen, wem die Waffe gehöre, hat der Angeklagte gesagt: „Die Waffe gehört
mir, ich bin an allem Schuld, warum habe ich sie nicht in den Schreibtisch eingeschlossen.“
Dem Zeugen fiel auch das m e r k w ü r
d i g e B e n e h m e n d e r
G r o ß m u t t e r auf, die den
Angeklagten am Aermel streichelte und sagte: „Aber Peter, wie kannst Du das
sagen, Du kannst doch nichts dafür.“ In der Wohnung des Zeugen Grimmig hat der
Zeuge den Revolver entsichert. Dabei hat er festgestellt, daß Herr Grimmig am
Mittag den Revolver n i c h t g e s i c h e r t , s o n d e r n e n t s i c h e r t hat.
Zeuge Oberlandjäger K l o p s c h hat bald, nachdem er ins Schloß gerufen
worden war, den Eindruck gehabt, daß hier ein Mord vorliegt. Es fiel ihm d a s
g l e i c h g ü l t i g e B e n
e h m e n G r u p e n s u n d
d e r F r a u E c k e r t
auf. Erst als die Krankenschwester gegen 3 Uhr nachmittags sagte:
„Ursula hat ihren letzten Atemzug getan,“ da schien es den Beiden nahe zu
gehen. D e r Z e u g e
h i e l t d a s f ü r
K o m ö d i e , weil sie jeden
Augenblick den Amtsgerichtsrat erwarteten, der die Untersuchung einleiten
sollte. Auf die Frage, wer wird d e n
s c h ö n e n B e s i t z n u n
e r b e n , sagte F r a u
E c k e r t : „ D i e H ä l f t e
R o h r b e c k , d i e H ä l f t e
i c h . “
„Ihr
bleibt bei Eurer Aussage!“
Zeuge
K l o p s c h bestätigt,
daß G r u p e n , als er weggebracht werden sollte, zu F r ä u l e i n M o h r
u n d s e i n e r S c h w i e g e r m u t t e r g e s a g t
h a t : „ I h r b l e i b t
b e i E u e r e r A u s s a g e ! “ Trotz seines Verbotes an Grupen, so bekundet
der Zeuge weiter, das Sprechen zu unterlassen, hat Grupen der Mohr dann noch
etwas i n p l a t t d e u t s c h e r S p r a c h e gesagt, was ich aber nicht verstand.
Zeugin
Z a h n wird darüber befragt,
wie sich d e r A n g e k l a g t e i m
M o r d z i m m e r verhielt. -
Zeugin: Er war sehr aufgeregt und hat geweint. Ich konnte nur nicht begreifen,
daß ich erst dreimal habe Grupen bitten müssen, er möge mir helfen, Dörte aufs
Bett zu legen. Es machte dies auf mich einen merkwürdigen Eindruck, und ich
hatte das Gefühl, daß d e r T ä t e r
w o h l s e i n O p f e r
n i c h t a n f a s s e n w o l l t e . - Angekl.: Hat die Zeugin nicht zu Fräulein
Hirsch gesagt, ich solle bei Dörte nicht mithelfen? - Zeugin: Das habe ich
nicht gesagt. Ich hatte den Eindruck, es wäre Grupen unangenehm, bei Dörte zu
sein, denn e r k a m
n i c h t e i n e i n z i g e s M a l
z u r L e i c h e .
Sanitätsrat
D r . S c h o l z gibt dann noch Auskunft, wie die Wunde bei
der Schade behandelt worden ist. Es ist der Verwundeten ein U m s c h l a g a u f
d e n K o p f gelegt worden. Daß die W u n d e
a b g e w a s c h e n worden
wäre, hat er nicht gesehen, er hat es auch der Krankenschwester verboten. Wenn
an der Wunde P u l v e r s c h l e i
m gewesen wäre, hätte er ihn sehen
müssen.
Krankenschwester A u g u s t e H ö h n k e : Ich habe Ursula einen Umschlag um den Kopf
gemacht. D i e W u n d e h a b e
i c h n i c h t a b g e w i s c h t . Der Angeklagte war unruhig und war nur
besorgt um Ursula. Beide, Grupen sowohl wie Frau Eckert, waren ruhig, aber
traurig. Daß gesagt worden sei: „Nun bist Du ja Erbin von Kleppelsdorf“, habe
ich nicht gehört. - Verteidiger Dr. Mamroth: Hatten Sie den Eindruck, als ob
Grupen bei der Traurigkeit im Innern nicht recht dabei war? - Zeugin: Ich habe
nicht darauf geachtet.
Damit war die Verhandlung in Kleppelsdorf
beendet.
Bei der Abfahrt des Angeklagten aus dem
Gutshofe kurz nach 8 Uhr abends nahm eine
g r o ß e M e n s c h e n m e n
g e , die sich dort angesammelt hatte,
eine d r o h e n d e H a l t u n g g e g e n
G r u p e n an. Man drängte
gegen das Auto, und es wurden viele Verwünschungen gegen ich laut.
*
Die
Sitzung am Donnerstag.
Mit der Begutachtung der Echtheit der A b s c h i e d s b r i e f e der verschwundenen Frau Grupen sind Geheimrat M o l l
und Professor S c h n e i d e m
ü h l beauftragt worden. Der V o r s i t z e n d e bemerkt heute zu Beginn der Sitzung, daß
Grupen viele Briefe von seiner Schwiegermutter, Frau Eckert, habe schreiben
lassen, die er aber selbst unterschrieben habe. Der Angeklagte habe sich in der
Untersuchungshaft viel mit Dichten beschäftigt. Geheimrat Moll lehnt es ab,
diese dichterischen Ergüsse zur Schriftvergleichung zu benutzen, bittet
vielmehr um möglichst harmlose Briefe des Angeklagten. Diesem Wunsche wird
entsprochen. Auf besonderen Wunsch des Sachverständigen erhält er zur
Schriftvergleichung auch noch den Brief, den Frau Grupen an den Angeklagten auf
die bekannte Zeitungsanzeige hin geschrieben hat und der mit den Worten
beginnt: „Sehr geehrter Herr, zwar widerstrebt es mir, auf diesem Wege eine
Bekanntschaft zu machen . . . . . „
Schlussvernehmung
der Erzieherin Frl. Zahn.
Frl. Zahn: Am Sonntag (der Mord war Montags)
waren wir vormittags auf dem Lehnhausberg. Nach dem Mittagessen haben wir uns
wie gewöhnlich bis zum Kaffee zurückgezogen. Nach dem Kaffee saßen wir im
Kinderzimmer in ersten Stock. Die Tür nach dem Winterwohnzimmer war
eingeklinkt. Zwischen 2 und 3 Uhr hörten wir im Nebenzimmer sprechen, und Dörte
machte mich darauf aufmerksam, daß die
O f e n t ü r s e h r h ä u f i g
a u f - u n d z u g e m a c h t w u r d e .
Dörte begann Klavier zu spielen, und wir haben gemeinschaftlich
gesungen. Ursel stand scheu beiseite und schien sehr wenig fröhlich zu sein.
Grupen kam hinzu. Er war sehr lebhaft und redete vom Tanzen. Dörte wollte
tanzen, aber nicht mit Grupen. Auch ich lehnte es ab, mit ihm zu tanzen. Daher
hat er mit der Großmutter Eckert getanzt. Im Winterwohnzimmer zog mich Grupen
in ein Gespräch über Dörtes Charakter. Ich konnte ihm nur Gutes mitteilen.
Dörte selbst hat mich in jenen Tagen fast keinen Schritt verlassen, weil sie in
Unruhe war. Bei dem Gespräch mit Grupen hatte ich den Eindruck, daß er
wünschte, wir sollten uns seinen freieren Ansichten anschließen. Die
Unterhaltung gestaltete sich zu einem R
e l i g i o n s g e s p r ä c h . Ich
schlug daher abends vor, etwas aus Maltzahns Erbauungsbuch vorzulesen, um
Grupen zu überzeugen, daß man doch an Gott glauben könne und müsse. Ich las das
erste Kapitel, Dörte das zweite. Im Laufe des Abends fragte mich Grupen, ob es
vielleicht vorteilhaft wäre, wenn Ursel längere Zeit in Kleppelsdorf bleibe,
meine Erziehungsmethode gefalle ihm. Ich sagte zu, zumal Dörte die Ursel sehr
gern hatte. Für den nächsten Tag (Montag) war eine Autofahrt nach Schreiberhau
vorgesehen. Da aber Schneewetter war, wurde die Fahrt verschoben. Dörte ging
wie immer im Laufe des Vormittags die Postsachen holen, und zwar mit I r m a
S c h a d e .
Staatsanwalt: Hatten Sie den Eindruck, daß
die Kinder (Dörte und Ursel) gut miteinander standen? - Frl. Zahn: Die Kinder
standen sich immer gut. Dörte hatte beobachtet, daß Ursula ein auffallend
scheues und gedrücktes Wesen hatte. Dörte meinte, Ursel müsse eine Sorge haben.
Jedenfalls hatte die Traurigkeit der Ursula mit etwaigen Unstimmigkeiten der
Kinder nichts zu tun.
Ursulas
Krankheit.
Vors.: Frl. Zahn, wußten sie, daß Ursula
krank war? - Frl. Zahn: Ich glaube, beim ersten Besuch in Hamburg sprach Grupen
flüchtig davon, daß Ursula an Furunkeln leide. Später hat auch die Großmutter
über die Furunkeln zu mit gesprochen und auch gesagt, wo sie sitzen. Dies
geschah in Dörtes Anwesenheit, was mir sehr unangenehm war. Ursula sagte mir
auch: „ D e r g u t e
V a t e r f ü h r t d i e
B e h a n d l u n g s e l b s
t a u s . “
Die
Stunde der Tragödie.
Fräulein Zahn: Montag in der 12. Stunde saß
ich mit Dörte im Kinderzimmer. Ich rechnete an meinem Tisch. D ö r t e
saß an ihrem Tisch am Fenster und beschäftigte sich mit einer Modenzeitung.
Wir hatten eine Hochzeitseinladung erhalten, und für Dörte sollte ein Hochzeitskleid
angefertigt werden. Dörte war in dieser Stunde sehr vergnügt, schon monatelang
hatte sie sich auf die Hochzeit gefreut.
G r u p e n kam zweimal aus dem
Nebenzimmer zu uns, sah sich um und ging zurück.
J.-R. Dr. Ablaß (unterbrechend): Sie hatten
sich mit dem Angeklagten über religiöse Fragen unterhalten. Der Angeklagte soll
dabei erklärt haben, er glaube nicht an einen persönlichen Gott: er glaube an
ein höheres Wesen in dem Sinne, daß er „es“ die L i e b e
nenne. - Frl. Zahn: Ja, das hat der Angeklagte gesagt. - Vert. Dr.
Mamroth: Ist es richtig, daß der Angeklagte abends Nachtgebete mit den Kindern
verrichtet hat? - Frl. Zahn: Das ist in Itzehoe geschehen; ob auch in
Kleppelsdorf, das weiß ich nicht.
Frl. Zahn fortfahrend: Gegen 12 Uhr sandte
ich das Hausmädchen mit der Einschreibquittung, die mir Dörte von der Post
gebracht hatte, weg, um das Paket zu holen. Um diese Zeit kam Ursula an die Tür
meines Zimmers, machte die Tür auf und sagte:
„ D ö r t e , k o m m d o c h
m a l ! “ , worauf Dörte ging. Ursula sprach etwas hastig,
aber freundlich. Ich hatte ein ganz m e
r k w ü r d i g e s E m p f i n d e n dabei; denn erstens h a b e n
s i c h d i e K i n d e r
n i e u n t e n a u f g e h a l t e n , und zweitens hörte ich im Nebenzimmer, wo
Grupen, Irma, die Großmutter und die Mohr saßen, d i e
T ü r a u f - u n d
z u m a c h e n . Schritte hörte
ich von meinem Zimmer aus n i c h t
, weil überall T e p p i c h e liegen. Nach einer Minute ging ich ins
Nebenzimmer und veranlaßte Irma, nach Dörte zu sehen. Grupen sagte: „Irma wird
gleich gehen.“ Irma ging. Sie kam auch gleich wieder und sagte: „Ich kann Dörte
nicht finden. „ Ich hatte das Gefühl, daß Irma nicht weit gegangen war. Kurze
Zeit darauf mußte ich eine Gemüseschüssel besorgen und zu diesem Zweck durch
das Zimmer gehen, wo Grupen, Irma und die Mohr in Anwesenheit der Großmutter
Mühle spielten. Ob Ursula bei den Spielenden saß, weiß ich nicht. Als Dörte
noch mit mir im Zimmer saß, hat Grupen versucht, durch die offene Tür eine
Unterhaltung mit mir anzuknüpfen. Ich war darüber ärgerlich. Es waren ganz
nichtige Sachen, von denen er sprach. Als ich durch das Zimmer nach der
Gemüseschüssel ging, hat mich der Angeklagte sehr genau angesehen. Als ich der
Mende aufgetragen hatte, die Kinder zum Essen zu rufen, kam diese bald eiligst
zurück, riß die Tür auf und rief: „ D i
e K i n d e r l i e g e n
i m F r e m d e n z i m m e r !
“ Frl. Zahn gibt nun die bekannte
Schilderung von dem Auffinden der Leichen. Als sie Grupen und seine
Schwiegermutter veranlaßt hatte, das Zimmer zu verlassen, habe ihr Grupen beim
Hinausgehen die Hand entgegengestreckt, die sie aber nicht angenommen habe. Die
Zeugin bestätigt, daß Grupen den Revolver mitten auf den Tisch gelegt habe.
Angeklagter: Ich habe an dem kritischen Tage
keine Halbschuhe, sondern die Stiefel getragen, in denen ich hier vor Gericht
stehe.
Grupen
und Frau Eckert.
Frl. Zahn:
D a s V e r h ä l t n i s z w i s c h e n F r a u
E c k e r t u n d G r u p e n
war besonders herzlich. Ich habe ein solch inniges Verhältnis zwischen
Schwiegermutter und Schwiegersohn nie kennen gelernt. Auch anderen Personen ist
dieses außerordentliche Verhältnis aufgefallen. - Staatsanwalt: Haben Sie
gesehen, daß der Angeklagte auch seine Schwiegermutter auffallend zärtlich
gestreichelt hat? - Zeugin: Das Verhältnis war jedenfalls ganz außergewöhnlich.
Die zu Dörte getane Aeußerung des Angeklagten:
„ W a s w ü r d e t I h r
s a g e n , w e n n i c h
d i e G r o ß m u t t e r h e i r a t e ? habe ich allerdings nicht ernst genommen.
Sachverständiger Geheimrat Dr. Lesser:
Bestanden Differenzen zwischen Großmutter und Frl. Rohrbeck? - Frl. Zahn: Bei
dem Besuch in Itzehoe war das Verhältnis zwischen beiden sehr herzlich. Im
November 1919 war der Geburtstagsbrief von Großmutter an Dörte auffallend kühl
und das Verhältnis wurde ungünstiger. Allerdings lag in dieser Zeit der
Widerruf und die Zurücknahme dieses Widerrufs durch Frau Eckert.
Auf Befragen des Geheimrats Dr. Kesser sagt
Frl. Zahn dann ü b e r d i e
U r s u l a : Das Mädchen war
nach meiner Ansicht nicht von übermäßiger Intelligenz. Als sie im November mitkam,
war sie gegen früher merkwürdig verändert. Während sie früher fröhlich war,
erschien sie jetzt s e h r g e d r ü c k t u n d
s c h e u . Sie aß auch wenig.
Ursel war nicht frühreif und vorlaut, sondern ein artiges Kind. Das V e r h ä l t n i s z w i s c h e n D ö r t e
u n d U r s e l w a r
s e h r gut. Ich kann mir nicht
erklären, wie Ursel in dem Abschiedsbriefe an die Großmutter schreiben konnte,
sie solle sich nicht mehr über Dörte ärgern. Dörte hat jedenfalls die
Großmutter nicht schwer gekränkt. Ursel war ein gutartiges Kind, das ich einer
moralisch niedrigen Handlung nicht für fähig halte.
J.-R. Dr. Ablaß: Wie war Ursel k ö r p e r l i c h entwickelt?
Frl. Zahn: Sie war zart und schwächlich, langaufgeschossen und hager, so
daß man Mitleid mit ihr haben mußte. Ich hielt Ursel für ein leicht zu
beeinflussendes Kind, sie war sehr kindlich. Ich glaube, daß Ursel auch leicht
umzustimmen war.
Auf Befragen des Staatsanwalts sagt die
Zeugin noch, daß Ursel, aber auch die kleine Irma, anscheinend mit
schwärmerischer Liebe an ihrem Stiefvater, also dem Angeklagten, hingen.
Schreibsachverständiger Professor S c h n e i d e m ü h l verlangt von der Zeugin Auskunft über den
Eindruck, den sie von den Briefen der verschwundenen Frau Grupen hatte. Die
Verteidiger beantragen, diese Frage erst dann zuzulassen, wenn auch Professor
Dr. Jeserich anwesen sei. Der Sachverständige bemerkt dazu, daß Professor Dr.
Jeserich kein Gegensachverständiger für ihn sei, denn er habe sich schon seit
40 Jahren mit Schriftenvergleichung beschäftigt. Der Gerichtshof beschließt,
die weiteren Fragen zuzulassen.
Aus den Antworten der Zeugin auf die vielen
Fragen des Sachverständigen geht hervor, daß sie eine wesentlich A b w e i c h u n g i n
d e n S c h r i f t z ü g e
n der Briefe der Frau Grupen der
früheren und letzten Briefe bemerkt haben will. Die Schriftzüge in den letzten
Briefen waren gegen früher zu regelmäßig und immer kehrten dieselben
Redewendungen wieder. Es schien der Zeugin, als ob Frau Grupen auch geistig
eine andere geworden, nicht mehr so selbständig als früher war. Auch in ihrem
Aeußeren war sie nicht mehr so gepflegt als früher. Zwischen ihr (Zahn) und
Frau Grupen habe kein gespanntes Verhältnis bestanden.
Damit sie die Vernehmung der Zeugin Zahn
beendet. Es tritt eine Mittagspause bis 3 Uhr ein.
Freitag, den 9. Dezember 1921, „Der Bote aus
dem Riesengebirge“
Hypnose
und Verbrechen.
Der Doppelmord auf Schloß Kleppelsdorf stellt
die Richter vor eine ganze Anzahl der schwierigsten, aber auch interessantesten
Probleme. Vor allem wird es sich darum handeln, durch Sachverständige
festzustellen, inwieweit ein hypnotischer Einfluß die Triebfeder für ein
Verbrechen sein kann, denn die Anklage behauptet ja, daß der Peter Grupen seine
Stieftochter Ursula durch Hypnose völlig unter seinen Willen gebracht habe, und
daß auch verschiedene Zeugen, wie die Großmutter der Ermordeten und das
Dienstmädchen, unter dem hypnotischen Banne des Angeklagten stehen.
Damit wird eins der dunkelsten Kapitel
unseres Seelenlebens und eine der umstrittensten Fragen auf dem Gebiet der
forensischen Psychiatrie aufgerollt, denn so wenig wie die Wissenschaft
überhaupt bisher weiß, worauf die Wirkung der Hypnose beruht, so wenig ist sie
sich klar über die Stärke und über die Grenzen des Einflusses, der durch
Hypnose ausgeübt werden kann. Der vor kurzem verstorbene Göttinger Psychologe
Verworn hat ausgeführt, daß das Wesen der Hypnose in einer gesteigerten
Suggestibilität besteht.
„Eine Suggestion“, so erklärt er, „ist eine
Vorstellung, die bei einer Person künstlich erweckt wird, ohne von ihr in dem
normalen Umfange der Kontrolle der Kritik unterworfen zu werden. Suggestibilität
ist die Fähigkeit, solche Suggestionen anzunehmen, und die Suggestibilität ist
groß, wenn die Vorstellungen, die wir auf diese Weise einem Menschen geben,
ganz besonders leicht und kritiklos angenommen werden. Das ist das eigentliche
Wesen der Hypnose.“
Suggestionen sind im täglichen Leben so weit
verbreitet, daß wir uns gar nicht über sie klar werden; sie spielen beim Kind
eine besondere Rolle, da es sich sehr leicht dem Einfluß solcher Suggestionen
hingibt und hauptsächlich auf diese Weise erzogen wird. Aber auch
Massensuggestionen wirken auf jedes Theaterpublikum, auf jede versammelte Menge
ein. Diese gewöhnliche Suggestibilität erscheint uns als etwas ganz
Natürliches; sie fällt erst auf, wenn sie einen unnormalen Grad erreicht, und
dann fangen wir an, von einem hypnotischen Zustand zu reden. Wie aber nun die
Hypnose einen so hohen Grad der Suggestion erreicht, daß sie den Willen ganz
ausschaltet, ist noch nicht genügend erklärt. Auch da gibt es gewisse Grenzen,
und in der Bestimmung dieser Einschränkung hypnotischer Macht liegt die
Hauptfrage bei ihrer Ausnützung für Verbrechen. „Verbrecherische Suggestionen“,
sagt der Wiener Gelehrte Wagner-Jauregg in seinem Buch „Telepathie und Hypnose
im Verbrechen“, „werden nur dort e r n
s t l i c h verkommen, wo sie auf
gleichberichtete Ansätze und Anlagen treffen. Die Theaterverbrechen, die bei
Versuchen und Vorstellungen gelingen, sind keine Prüfsteine, denn das „moderne“
und „stehlende“ Medium weiß doch zumeist irgendwie um den wahren Sachverhalt“.
Jedenfalls ist man bei neuesten englischen und amerikanischen Versuchen nicht
imstande gewesen, eine sittlich gefestigte Persönlichkeit durch Hypnose zur
Verübung ungesetzlicher Handlungen zu bringen.
Das „Hypnose-Verbrechen“ hat zunächst durch
seine Verwendung in der Literatur Aufsehen erregt, am meisten durch du Mauries
Roman „Trilby“. Doch schon im Jahre 1863 behandelt ein Schauspiel „Der
polnische Jude“ von Erdmann Chatrian dies Thema, in dem ein Mörder durch
Hypnose in diesem Stück zum Geständnis gebracht wurde. Der bekannte und auch im
Grupen-Prozeß als Sachverständiger fungierende Psychiater Albert M o l l
hat jedoch einen derartigen Fall für unglaublich erklärt, und jedenfalls
ist der Versuch, durch Hypnose Geheimnisse herauszulocken, ebenso unsicher wie
verwerflich. Die Richter verwerten auf diese Weise erzwungene Geständnisse
nicht. In verschiedenen großen Prozessen ist der Zusammenhang zwischen Hypnose
und Verbrechen eingehend behandelt worden, ohne daß bisher unter den
Sachverständigen Einstimmigkeit erreicht wurde. Wie A. Memminger in seinem Buch
„Hakenkreuz und Davidstern“ hervorhebt, fand der erste Hypnose-Prozeß in Deutschland
im Jahre 1894 in München statt. Es handelte sich um einen polnischen
Hypnotiseur Czinski, der eine 38jährige, sehr hübsche Millionären, die Baronin
Helene von Zedlitz-Neukirch, zunächst wegen ihres Kopfwehs behandelte und dann
so völlig in seine Gewalt brachte, daß sie sich mit ihm trauen ließ. Bei der
Verhandlung erklärten verschiedene Psychiater, es sei durchaus möglich, daß
Czinski die Dame durch Hypnose vollkommen in seine Gewalt gebracht habe; dem
aber trat der Bonner Professor Fuchs entgegen, und der Verteidiger erklärte,
die Verliebtheit der Baronin in den interessanten Polen sei durchaus nichts so
Ungewöhnliches, daß sie nur durch den geheimnisvollen Vorgang der Hypnose
erklärt werden könne. Das Gericht verzichtete denn auch darauf, den in einem Liebesverhältnis
möglichen hypnotischen Einfluß abzugrenzen, und sprach den Polen von diesem
Teil der Anklage frei.
Am eingehendsten ist wohl das hypnotische
Problem vor Gericht in dem Pariser Mordprozeß
B o m p a r d besprochen worden.
Die Lebedame Bompard hatte die Ermordung eines reichen Freundes auf das
genaueste vorbereitet und sollte ihren Geliebten Eyraud durch hypnotische
Mittel zur Ausführung des Mordes angestiftet haben. Unter den Sachverständigen
standen sich zwei „Schulen“ gegenüber: die Pariser Aerzte unter der Führung
Charcots erklärten die Möglichkeit einer derart suggerierten Mordtat für
ausgeschlossen; die Professoren von Ranch, in ihrer Spitze Bernheim, hielten
die Verübung eines Mordes durch Suggestion durchaus für möglich. Die Pariser
Zeitungen erklärten damals, daß dadurch überhaupt jede sittliche und rechtliche
Verantwortung der Uebelthäter aufgehoben werde, daß dann auch Adam beim
Sündenfall schuldlos gewesen sei, „der Prozeß des ersten Menschenpaares
revidiert und das Menschgeschlecht wieder ins Paradies eingesetzt werden
müsse“. Die Geschworenen lehnten die Möglichkeit der Hypnose ab und
verurteilten Eyraud zum Tode.
Sonnabend, den 10. Dezember 1921, „Der Bote aus
dem Riesengebirge“
Der
Doppelmord auf Schloß Kleppelsdorf.
Dramatische
Zwischenfälle.
Der
Vormundschaftsrichter als Zeuge.
Hirschberg, 9. Dezember.
Die Verhandlung am Donnerstag war reich an
bewegenden Momenten. Irma, der toten Ursel kleine Schwester, belastete ihre
Stiefvater schwer. Sie bekundete, überraschen für alle Prozeßbeteiligten, d a ß
G r u p e n in der Zeit, da
Dörte und Ursel den Tod gefunden haben,
d o c h d a s W i n t e r z i m m e r i m
e r s t e n S t o c k v e r l a s s e n h a t .
Die starke Bewegung, die dabei durch den Zuschauerraum ging, erschien
durchaus begreiflich, wurde doch hier zum ersten Male eine fühlbare Bresche in
die Mauer gelegt, mit der der Angeklagte sich bisher zu umgeben gewußt hat. Er
suchte die Aussage der kleinen Irma dadurch zu entkräften, daß er das Kind als
verlogenen Charakter hinstellte, doch wurde diese Unterstellung durch weitere
Zeugenaussagen zurückgewiesen.
Von ganz andrer Art waren die Aussagen des
Amtsgerichtsrats T h o m a s - Lähn, welcher hier weniger als die den
Tatbestand des Mordes feststellende und verhaftende Amtsperson erschien, als
vielmehr als V o r m u n d s c h a f t
s r i c h t e r , der seine Ansichten
über das, was ein junges Mädchen in der Lage von Dorothea Rohrbeck mindestens
beanspruchen durfte, äußern mußte. Ohne seinem guten Glauben irgendwie nahe
treten zu wollen, müssen wir doch gestehen, daß wir selten ein solches Maß von
Weltfremdheit gefunden haben, wie es sich hier offenbarte. Vom 1. April 1919 ab
sollte Frl. Zahn den Haushalt ausschließlich der Gehälter mit 120 Mark wöchentlich
bestreiten, und vom 1. Oktober 1920 ab einschließlich der Gehälter mit 100
Mark! Das geht an sich schon über die Hutschnur, aber noch viel weiter geht,
daß es Herrn Vormundschaftsrichter Thomas nicht möglich war, einzusehen, daß
hier ein Widerspruch klaffte, dem nachzugeben und den zu beseitigen doch wohl
einiger Grund vorlag. Der Vorsitzende machte kein Hehl aus seiner Verwunderung,
und es wird wohl nicht viel Menschen im Saale gegeben haben, die ihm darin
nicht zu folgen vermochten. Daß besonders die Damen des Zuschauerraumes nicht
damit einverstanden waren, daß man aus seidenen Herrensporthemden seidene Mädchenkonfirmationsblusen
machen soll, wenn man Millionenerbin ist, kann man ihnen ebenfalls nicht
verdenken. Zur Entdeckung des Täters dienten ja alle diese Dinge nicht, aber
sie warfen ein sehr grelles Licht auf die Verhältnisse, unter denen Dörte
Rohrbeck samt ihrer Erzieherin zu leben genötigt war, und aus diesen
Verhältnissen heraus werden ja erst beider Beziehungen zu dem Angeklagten
verständlich.
Dörtes
Angst.
In der Nachmittagssitzung wurde zunächst
Oberschwester Emma K u b e aus Lähn vernommen. Dörte Rohrbeck hat ihr
im Dezember die Erlebnisse bei der A l
s t e r f a h r t erzählt und schon
damals von den Heiratsanträgen gesprochen, die ihr Grupen gemacht habe. Dörte
sagte zur Oberschwester: „Weißt Du, G r
u p e n ist ein g a n z
s c h l e c h t e r K e r l
. Ich habe dir vor einigen Monaten von
dem reichen Onkel erzählt, über den wir uns freuten, aber das ist ja alles
anders. Bei der Alsterfahrt hat er die Ruder fortgeworfen, daß ich Angst
bekamt. Ich glaube, es war auf mein Leben angesehen.“ Als die Oberschwester
einwandte: „Dörte, du machst Scherz“ erwiderte Dörte in bestimmtem Tone: „Nein
nein. Und die H e i r a t s a n t r ä g
e ! Es ist mir direkt unheimlich
geworden. Ich dankte Gott, als ich wieder fort war.“ Die Zeugin bekundet weiter:
Grupen hat in Kleppelsdorf nicht den Eindruck eines gebildeten Mannes gemacht.
Im Februar ist die Zeugin krank gewesen. Da habe Dörte sie eines Tages
aufgeregt besucht und ihr mitgeteilt, daß Grupen mit der Großmutter, Ursula,
Irma und einer Stütze auf Schloß Kleppelsdorf eingetroffen sei. Die Zeugin hat
sich über Grupens Besuch in Kleppelsdorf deshalb gewundert. weil ihr bekannt
geworden war, welche zweifelhafte Rolle Grupen in dem Prozeß der Erzieherin
Zahn gegen den Vormund gespielt haben soll. Der Dörte hat sie den Rat gegeben,
nicht allein im Hause zu bleiben und die
S i l b e r s a c h e n w e g z
u s c h l i e ß e n . Dörte sagte:
„Denke dir, er will unser Gut bewirtschaften, und er hat mir wieder einen H e i r a t s a n t r a g gemacht. Grupen döst so vor sich hin und tut
gar nichts. Ach, du liegst geborgen in deiner Ecke, und mich g r u s e l t s , wenn ich in mein Haus gehe!“ - Die Zeugin
bekundet weiter: Dörte liebte Frl. Zahn mit kindlicher Anhänglichkeit. Als
neunjähriges Kind hat sie ihr zum Geburtstag für 1,50 Mk. einen Fingerhut und
noch etwas Schönes kaufen wollen. Ich sagte: „Für 1,50 Mk. wirst du nicht viel
bekommen.“ Da antwortete Dörte: „Mehr darf ich nicht ausgeben. Es ist von
meinem Taschengeld, und wenn ich mehr ausgebe, würde Frl. Zahn sich nicht
freuen.“ Frl. Zahn hat keinen Luxus getrieben, und die Dörte ist durch ihre
Schlichtheit aufgefallen. Die Zeugin hat, weil der verstorbene Rohrbeck sie
gebeten, nach seinem Tode ihre Hand über Dorothea zu halten, stille Erkundigungen
darüber eingezogen, wie Frl. Zahn wirtschaftet. Sie hat aber nie etwas für Frl.
Zahn Ungünstiges feststellen können. Von der Großmutter sagte die Zeugin: Ja,
das war nicht das Ideal einer Großmutter. Von Liebe kann ich da gar nicht
sprechen; ein zärtliches Verhältnis bestand nicht zwischen Dörte und Frau
Eckert. Dörte, ein sein empfindendes Kind, hat zu mir sehr wenig von ihrer
Großmutter gesprochen.
Die
Aussagen der Irma Schade.
Als nächste Zeugin wird die zwölfjährige I r m a
S c h a d e , Schwester der
Ursula, aufgerufen. Der Staatsanwalt beantragt, während dieser Vernehmung den
Angeklagten
aus dem Saale zu entfernen,
weil die kleine Irma in Tränen ausgebrochen
sei, als sie sich beim Lokaltermin neben Grupen setzen sollte. Verteidiger Dr.
Ablaß widerspricht dem Antrage, dem aber das Gericht nach kurzer Beratung
stattgibt mir der Begründung, es sei zu befürchten, daß die jugendliche Zeugin
nicht die Wahrheit sagen werde, wenn der Angeklagte, ihr Stiefvater, im Saale
verbleibe. Der Angeklagte wird abgeführt.
I r m a
S c h a d e macht von ihrem
Zeugnisverweigerungsrecht keinen Gebrauch. Sie hat ihren Stiefvater schon in
Kellinghusen gesehen, bevor er sich mit ihrer Mutter verheiratete. Grupen ist
gut zu den Kindern gewesen, haben ihnen aber manchmal auch Schläge gegeben,
besonders dann, wenn sie auf seine Fragen nicht gleich antworteten. Die Ursel
hat der Stiefvater besonders gern gehabt.
Ueber das
V e r s c h w i n d e n d e
r M u t t e r weiß Irma nicht viel zu sagen. Nach dem Kaffee
ist die Mutter plötzlich aufgestanden mit den Worten: „Ich muß schnell weg!“
Sie hat sich von den Kindern so verabschiedet, wie zu einer Reise von ein paar
Tagen. Ueber Ursulas Eigenart befragt, äußert sich Irma dahin, daß Ursel immer
ein bißchen traurig gewesen sei und immer gleich geweint habe. - Vorsitzender:
War es eine Heulliese? - Zeugin: Ja. Sie weinte immer über jedes kleine
Bischen. - Die Zeugin bejaht auch die Frage, ob der Stiefvater abends mit den
Kindern gebetet habe.
Auf der Fahrt nach Kleppelsdorf mit dem
Stiefvater, der Großmutter, Ursula und der Stütze Mohr habe letztere nicht
schlagen können. weil Irma, wie sie aussagt, mit dem Kopfe auf dem Schoße der
Ursula geruht habe. - Vors.: Hast Du dabei etwas bemerkt, daß Ursula etwas
Hartes in der Unterbindetasche hatte? - Zeugin: Nein. - Vors.: Weißt Du, was
ein Revolver ist, kennst Du auch Patronen? - Zeugin: Ja. - Vors.: Hast Du bei
Ursula jemals einen Revolver und Patronen gesehen? - Zeugin: Nein.
Bei der Ankunft in Kleppelsdorf hat die Großmutter
sich darüber gewundert, daß niemand nach dem Bahnhof gekommen war, weder Dörte,
noch Fräulein Zahn. Irma erzählt, wie sie am Tage vor dem Morde mit Ursula und
Dörte im Garten gespielt habe. Dörte hat sich über Ursel sehr gefreut. - Vors.:
Wer hat Euren Reisekoffer gepackt? - Irma: Die Großmutter. Den Schlüssel zum
Koffer hatte der Vater. Wir brachten die Sachen, die mitgenommen werden
sollten, einzeln an, und Großmutter packte sie ein. Anfangs hat Irma mit Ursula
in einem Zimmer geschlafen, später mußte Ursula bei der Stütze Mohr schlafen.
Am Montag (dem Mordtag) bin ich mit Dörte zur Post gegangen. Auf dem Rückwege
haben wir uns Apfelsinen gekauft. Wieder im Schlosse angelangt, ist Dörte
sofort zu Fräulein Zahn ins Zimmer gegangen, ich in das Zimmer, wo Grupen mit
der Großmutter und der Mohr saß. Ursula kam mir auf dem Korridor entgegen mit
der Frage: „Wo seid Ihr so lange geblieben?“ Sie hatte auf die Apfelsinen
gewartet, ist aber gar nicht traurig gewesen. Ursula ist darauf nach unten
gegangen. Als ich mich an den Tisch zum Mühlespiel setzte, hörte ich, daß
Fräulein Zahn mir sagte, ich solle Dörte und Ursula suchen. Ich ging hinunter
zum Eßzimmer, rief Ursel und Dorte, erhielt aber keine Antwort. Dann ging ich
in die Küche, wo mir die Mädchen sagten, daß sich auch dort Ursel und Dörte
nicht befänden.
Eine
schwerwiegende Aussage.
Ich ging dann wieder hinauf und wollte einen
Apfel essen, da er aber schlecht war, wollte ich ihn in den Ofen werden. Auf
Veranlassung von Ihm trug ich den Apfel zum Abort und warf ihn dort hinein.
We kam dann hinter mir der
ins
Schrankzimmer
(große Bewegung im Saale), wo Er dann
geblieben ist, weiß ich nicht. Ich kam allein zur Stube zurück. Wann Er
zurückgegangen ist, weiß ich nicht. Ich weiß aber, daß er vorher eine Apfelsine
in das Nebenzimmer trug und auf Dörtes Schreibtisch legte.
Der Vorsitzende fragt die Zeugin wiederholt
und eindringlich, unter Hinweis auf das achte Gebot, ob sie bei der Behauptung
bleibe, daß G r u p e n i h r
n a c h g e g a n g e n sei. Sie
bleibt dabei. Auf die Frage eines Geschworenen, ob der Stiefvater sie mit dem
Apfel zum Abort g e s c h i c k t habe, antwortete sie mit einem
bestimmten „ J a “ .
Verteidiger Dr. Mamroth: Du bist schon
dreimal vernommen worden. hast aber davon nichts gesagt. - Vors. (zur Zeugin):
Warum hast Du früher nichts davon gesagt, daß Dein Vater Dich mit dem Apfel
weggeschickt hat und daß er Dir gefolgt ist? - Zeugin: Ich hatte es vergessen. Aber gestern beim Termin im Schlosse ist es
mir eingefallen. Niemand hat es mir eingeredet.
Verteidiger Dr. Ablaß: Ist Dir Dein Vater
oder Deine Mutter lieber gewesen? - Zeugin: Ich habe beide gern gehabt. -
Vors.: Warum hast Du gestern im Schlosse geweint?
Zeugin:
Weil ich Angst vor ihm hatte.
Der Angeklagte wird hierauf wieder in den
Saal geführt und es wird ihm die Aussage der Irma verlesen. Er erklärt darauf:
Als Irma den Apfel wegwerfen wollte, habe ich nur die Tür zum Schrankzimmer
aufgemacht, bin aber i m Z i m m e r
g e b l i e b e n . Die Irma ist
schon als kleines Kind eine v e r s t o
c k t e L ü g n e r i n gewesen. Sie hat einmal der Großmutter ein
Portemonnaie weggenommen, das Geld vernascht und die Tat erst nach langen
Ermahnungen nach vier Tagen eingestanden.
Grupens
stechender Blick.
Verteidiger Dr. Ablaß regt an, d e m
V a t e r i n s G e s i c h t zu sagen, daß er ihr nachgefolgt sei. - D e r
S t a a t s a n w a l t w i d e
r s p r i c h t dieser Anregung und
bittet den Sachverständigen Geheimrat Dr. Moll zu befragen, ob gegen die
Anregung des Verteidigers nicht Bedenken bestehen. Im Zuhörerraum entsteht
große Aufregung. I r m a b e g i n n t z u
w e i n e n , läuft von dem in
der Nähe der Anklagebank stehenden Zeugenstuhle weg und klammert sich wie
Schutz suchend an einen vor der Geschworenenbank sitzenden Sachverständigen. -
Verteidiger Dr. Ablaß stellt den f o r
m e l l e n A n t r a g , daß Irma ihre Bekundung dem Angeklagten ins
Gesicht sage. - Staatsanwalt: Der Antrag ist unzulässig. Es steht nirgends im Gesetz,
daß ein Zeuge dem Angeklagten Bekundungen ins Gesicht sagen muß. - Geheimrat
Dr. Moll: Bei dem stechenden Blick des Angeklagten muß ich mich g e g e n
den Antrag des Verteidigers aussprechen.
Der Gerichtshof zieht sich zur
Beschlußfassung zurück und verkündet nach längerer Beratung die A b l e h n u n g des Antrages des Verteidigers unter Berufung
auf die Strafprozeßordnung und auf die Ansicht des Sachverständigen Dr. Moll,
daß sonst die Wahrheit beeinträchtigt werden könnte.
Die Vernehmung der Irma Schade schließt
damit, daß sie auf Veranlassung des Geheimrats Lesser sich die U n t e r b i n d e t a s c h e mit Patronen und Revolver anlegen muß, um
festzustellen, ob Ursula Schade die Tasche mit diesem Inhalt getragen haben
kann, ohne daß es auffallend gewesen wäre. Irma sagt, daß die Tasche sie im
Gehen belästige und immer gegen die Beine schlage.
Irmas
Charakter.
Es folgt die Vernehmung von F r a u
E r n a L u x , Schwägerin der verschwundenen Frau Grupen.
Die kleine Irma ist von ihr als Pflegekind angenommen worden. Die Zeugin
verneint die Frage des Vorsitzenden. ob der Irma die Bekundung, Grupen sei ihr
beim Forttragen des Apfels nachgegangen, eingeredet worden sei. Als Irma vor 14
Tagen die Zeugenvorladung erhalten habe, habe sie ihr erzählt, daß Grupen ihr
in der grauen Jacke gefolgt sei. - Vors.: Was ist die kleine Irma für ein Kind?
- Zeugin: Ein sehr liebes Kind. Ich habe sie seit Februar im Hause, aber auch
schon früher kennen gelernt. - Vors.: Haben Sie die Irma auf Lügen ertappt? -
Zeugin: Auf kleinen Kinderlügen, eine wirkliche Schlechtigkeit habe ich bei ihr
noch nicht bemerkt. - Vors.: Hat sie auch mal was genommen? - Zeugin: Ein paar
Blaubeeren hat sie genascht.
Hier
e r l i s c h t wieder das e l e k t r i s c h e L i c h t .
Der
Vormundschaftsrichter.
Amtsgerichtsrat T h o m a s - Lähn wird jetzt bei fast völliger Dunkelheit
des Saales vernommen, so daß die Berichterstattung über den ersten Teil seiner
Vernehmung sich keine genaueren Aufzeichnungen machen kann. Es entwickelt sich
eine von sehr verschiedener Weltanschauung zeugende Wechselrede zwischen dem
Vorsitzenden und dem Zeugen, deren Inhalt im Wesentlichen die
Ernährungs-
und Kleidungsverhältnisse
der Millionenerbin D o r o t h e a R o h r b e c k ist. Der Zeuge war mit mehreren
Unterbrechungen während der Kriegszeit, wo er mehrfach eingezogen war, V o r m u n d s c h a f t s r i c h t e r
. Er war in Uebereinstimmung mit dem
Vormund Vielhack der Ansicht, daß in Kleppelsdorf unter Fräulein Zahn zu große
Ausgaben gemacht würden. Zum Erstaunen des Vorsitzenden bekennt der Zeuge, daß
er tatsächlich der Meinung war, daß sich
a u s d e n S a c h e n
d e s v e r s t o r b e n e
n R o h r b e c k hätten
K l e i d u n g s s t ü c k e f
ü r D o r o t h e a machen lassen, - a u s
s e i d e n e n S p o r t h e m
d e n eines Herren ließen sich
doch B l u s e n für den Konfirmationstag eines jungen
Mädchens machen! (Starke Bewegung beim weiblichen Element im Zuschauerraum
worauf wieder eine Rüge des Vorsitzenden erfolgt.) Der Zeuge bestreitet aber
ausdrücklich, daß er der Meinung gewesen sei, aus den Kleidern des Herrn Rohrbeck
hätte das K o n f i r m a t i o n s k l
e i d für Dorothea selbst gemacht
werden sollen, denn dafür seien 800 Mark ausgeworfen worden.
Wie der Zeuge weiter bekundet, kamen dann die
neuen Steuern und rund 621 000 Mark Reichsnotopfer, so daß sich das Kapital
verringerte. Der Vormund bekam zunächst jährlich 2000 Mark und Ersatz der
Reisekosten, sowie 15 Mark Tagegelder bei Reisen. - Vors.: Und wie oft kam da
der Vormund nach Kleppelsdorf? - Zeuge: Jährlich höchstens zweimal. Später
stellte der Vormund den Antrag, seine Entschädigung auf 4000 Mark zu erhöhen,
was aber zu hoch erschien, so daß ich die Festsetzung auf nur 3000 Mark
durchsetzte. - Vors.: Ist es eigentlich nicht bedenklich, daß der Gegenvormund
Bauer, der doch die Rechte des Mündels gegen den Vormund vertreten soll, als
Gegenvormund gewissermaßen der Untergebene des Vormundes war? - Zeuge: Diese
Bedenken habe ich auch gehabt: da aber keine Beschwerden kamen, habe ich mich
damit abgefunden. - Vors.: Von dem Mündel und der Erzieherin lagen jedenfalls
viele Beschwerden vor.
Der Zeuge macht dann nähere Angaben über die
Gelder, die Fräulein Zahn für den Haushalt und die Erziehung erhielt. Im Jahre
1915/16 wurden an Fräulein Zahn 26 000 Mark gezahlt, wofür sie Gärtner, Köchin
und die beiden Dienstmädchen bezahlten mußte. Fräulein Zahn selbst erhielt
monatlich (200) Mk. 1916/17 waren es rund 24 000 Mark, dann wieder 24 000, dann
21 000, dann 29 900. Im ersten und im letzten Falle sind die Naturalien
eingerechnet, in den anderen Fällen nicht. - Vors.: Es ist doch merkwürdig: je
größer die Teuerung wurde, desto niedriger wurden die dem Mündel zugebilligten
Unterhaltungsgelder. Und mit 100 Mark wöchentlich wollten die beiden Damen
auskommen? - Zeuge: Sie erhielten ja auch noch Naturalien. Herr Rohrbeck hatte
10 000 Mark für die Erziehung seiner Tochter ausgesetzt. - Vors.: Damit hatte
er doch sicherlich nur die Ausgaben für die
E r z i e h u n g gemeint, aber
nicht die Kosten für den gesamten Unterhalt. - Zeuge: Der Vormund und ich waren
jedenfalls der Meinung, daß damit der g
a n z e U n t e r h a l t gemeint sei. Jedenfalls war der Vormund der
Ansicht, daß die beiden Damen mit diesem Gelde auskommen konnten. - Vors.: Wie
erklären Sie aber dann die Tatsache, daß die beiden Damen von Verwandten und
Bekannten Geld borgen mußten? - Zeuge: Ich habe von dieser Tatsache erst kurz
vor dem Tode der Dorothea Rohrbeck erfahren. Jedenfalls haben die Damen wohl
über die Verhältnisse gelebt. Rohrbeck hatte bestimmt, daß seine Tochter e i n f a c h b ü r g e r l i c h erzogen werden sollte. (Heiterkeit im
Zuschauerraum, die vom Vorsitzenden wieder gerügt wird.) - Vors.: Können Sie
bestimmte Tatsachen angeben, daß die beiden Damen zu viel Geld ausgegeben
haben? - Zeuge: Bestimmte Tatsachen kann ich hierfür nicht anführen, aber die
Zahl der Dienstboten war wohl zu groß. - Vors.: Um das Schloß im Stande zu
halten, mußten doch auch Leute da sein. Und die 120 Mark, die die beiden Damen
zuletzt für ihren Haushalt erhielten, mußten sie sich noch wöchentlich von
Herrn Bauer holen? - Zeuge: Das gefiel mir ja auch nicht.
Vors.: Der Vormund hat dann Fräulein Zahn
wiederholt gekündigt, obwohl in dem Testament stand, daß sie die Erziehung des
Fräuleins bis zu deren Mündigkeit leiten sollte. Glaubten der Vormund und Sie,
daß Sie hierzu ein Recht hatten? - Zeuge: Das war jedenfalls die Ansicht des
Vormundes und meine auch. - Vors.: Ihre Ansicht, aber die oberen Gerichte waren
jedenfalls anderer Ansicht. (Heiterkeit, die der Vorsitzende rügt.) Weshalb
wollte der Vormund Fräulein Zahn entlassen? - Zeuge: Er war der Ansicht, daß
ihm Fräulein Zahn das Mündel e n t f r
e m d e . - Vors.: Aber der Vormund
hatte doch gar keine persönlichen Beziehungen zu Fräulein Rohrbeck! Er was doch
nur ein früherer Jagdgast des Herrn Rohrbeck.
Vors.: Nach den bei den Akten befindlichen
Attesten des Dr. Kreisel in Breslau war Dorothea Rohrbeck leidend und sollte
gute Verpflegung und Aufenthalt auf dem Lande haben. Trotzdem wollte der
Vormund, daß sie in ein Pensionat nach der Stadt gehen sollte, was ihr gewiß
gesundheitlich nicht zuträglich gewesen wäre. - Zeuge: Ich hatte auch dagegen
Bedenken, deshalb war ich gegen diesen Plan, zum mindesten war ich dafür, daß
dann nur ein Pensionat in Frage komme, in welchem alle Vorbedingungen für ärztliche
Beaufsichtigung vorhanden waren. Dabei muß ich aber erwähnen, daß Fräulein Zahn
selbst die Absicht hatte, mit Dorothea in die Stadt zu ziehen, da war ihr der
Stadtaufenthalt nicht bedenklich; der Widerstand kam erst, als Dorothea
Rohrbeck allein in die Stadt gehen wollte. - Vors.: Stand es nicht im
Widerspruch mit den Bestimmungen des Testaments, wenn man Fräulein Zahn von
Fräulein Rohrbeck trennen wollte, zumal zwischen den beiden doch das innigste
Verhältnis bestand? - Zeuge: Der Vormund war jedenfalls der Ansicht, daß er
dies tun dürfe. - Vors.: Das war seine persönliche Ansicht. - Zeuge: Der
Vormund hielt die Erziehung durch Fräulein Zahn nicht für ganz unbedenklich.
Fräulein Zahn hat z. B. alle Streitigkeiten, die sie mit dem Vormund hatte, der
Dorothea erzählt. - Vors.: Das war doch bei dem innigen Verhältnis zwischen den
beiden ganz natürlich. Es ist auch die Rede, daß Fräulein Zahn sich taktlos
gegen den Vormund benommen haben soll. - Zeuge: Ich habe diesen Ausdruck
gebraucht, weil bei Anwesenheit des Vormundes die beiden Damen nach Hirschberg
fuhren, wie er annahm, zu einer Musikstunde. Später stellte sich allerdings
heraus, daß eine zahnärztliche Behandlung der Grund der Reise war, so daß sich
der Vorwurf der Taktlosigkeit nicht aufrechterhalten läßt.
Verteidiger Dr. Ablaß: Der Zeuge hat nach
bestem Gewissen pflichtgemäß gehandelt, da er die Darstellung des Vormundes,
den er für einen durchaus glaubwürdigen Ehrenmann halten mußte und in dessen
Angaben er natürlich nicht den geringsten Zweifel setzen konnte, für richtig
hielt. Eine Verpflichtung für ihr, die Verhältnisse im einzelnen zu prüfen,
hatte er als Vormundschaftsrichter nicht. - Vors.: Er hätte sich doch wohl
selbst Gewißheit über die Verhältnisse verschaffen können, zumal die vielen
Beschwerden kamen. - Zeuge: Ich hatte keine Veranlassung, an der Richtigkeit
der mir vom Vormund gegebenen Unterlagen zu zweifeln.
Verteidiger Dr. Ablaß: Wie haben sich die
Einnahmen gegenüber den Ausgaben gestellt? Es ist doch so, daß der Vormund und der
Zeuge der Ansicht waren, daß die Ausgaben nicht in dem richtigen Verhältnis zu
den Einnahmen standen, so daß zu der Zeit, wo mit dem Alter des Mündels die
Ausgaben größer wurden, nicht mehr das nötige Kapital vorhanden war. Die Herren
waren der Ansicht, daß sich wohl eine Herabsetzung der Kosten für den Haushalt
erzielen ließe. - Vors.: Es wäre wohl die Pflicht des Zeugen gewesen, genaue
Erkundigungen einzuziehen, zumal so viele Beschwerden eingingen, darunter sogar
eine vom Waisenrat.
Die
Kastanienbäume als „Grund zum Selbstmord“.
Zeuge: Es sollten im Park einige alte
Kastanienbäume geschlagen werden, weil sie morsch waren und ihr Sturz drohte.
Dorothea Rohrbeck, die sehr in diesen Bäumen hing, kam nicht zu mir, sondern
ging zu dem Waisenrat und ließ durch diesen für die Bäume bitten. Ich habe dies
dem Vormund geschrieben und erhielt die Antwort, daß die Bäume doch beseitigt
werden müßten, weil sie beim Sturz das Dach beschädigen konnten. Am Tage vor
der Tat wurde dies Fräulein Rohrbeck mitgeteilt. Als ich am nächsten Tage
nachmittags gegen 3 Uhr auf dem Bahnhof von der Tat hörte, ging mir durch den
Kopf, ob nicht Fräulein Rohrbeck aus Schmerz über die Nichterfüllung ihrer
Bitte Selbstmord verübt haben könnte. Ich gab daher, als ich in dem Schlosse, in
das ich mich sofort begab, zu Fräulein Zahn diesem Gedanken Ausdruck. Auf dem
Wege zum Schlosse gaben allerdings die Herren, die mich abholten, auch anderen
Vermutungen Ausdruck. Auch wurde mir damals schon Grupen als wahrscheinlicher
Täter genannt. - Vors.: Der Gedanke, daß ein junges Mädchen wegen einer solchen
Sache Selbstmord verüben könnte, ist dich eigentlich wohl etwas sehr
fernliegend.
Der
Vormundschaftsrichter über Fräulein Zahn.
Zeuge: Es war ja auch nur eine Vermutung, die
mir damals durch den Kopf ging. Fräulein Zahn war k u r z
n a c h d e r T a t
n i c h t d i e g e r i n g s t e E r r e g u n g anzumerken, während ich selbst angesichts
der Leichen in einer furchtbaren Aufregung war. Ich habe nie eine Frauensperson
gesehen, die in einer solchen Situation so ruhig war. Da kam mir der Gedanke,
ob denn die Liebe des Fräulein Zahn zu Fräulein Rohrbeck vielleicht doch nicht
so groß war.
Fräulein
Z a h n , die im Zuschauerraum
ist, ruft aus: Das ist zuviel! Ich kann nicht mehr! und bricht in heftiges
Weinen aus. Mit Erlaubnis des Vorsitzenden verläßt sie den Saal.
Zeuge Thomas: Ich kann nur erklären, daß ich
an Fräulein Zahn keine Erregung bemerkt habe, war mir auffiel. Er gibt
allerdings auf Vorhalten des Vorsitzenden zu, daß es sich bei Frl. Zahn auch um
die Starrheit des Schmerzes handeln konnte. - Verteidiger Dr. Ablaß bezeichnet
den Zeugen als in Fragen des Taktes geradezu vorbildlich.
Ein G
e s c h w o r e n e r wünscht
Aufklärung, welche Vermutungen der Zeuge über die Tat gehabt hat, ob ihm auf
dem Wege vom Bahnhof nicht auch schon mitgeteilt worden sei, daß hier ein Mord
vorliege. - Zeuge: Auch diese Vermutung wurde geäußert; ich habe ja dann auch
in der Nacht Grupen verhaftet. Zeuge erklärt nochmals, daß Fräulein Zahn eine
bewunderungswürdige Ruhe an den Tag gelegt habe. - Vors.: Ich habe vorhin nach
dem Ton Ihrer Aussage die Empfindung gehabt, als wollten Sie an Fräulein Zahn
eine üble Kritik üben.
Eine
Erklärung der Geschworenen.
Ein G
e s c h w o r e n e r : Im Namen aller
Geschworenen wünsche ich zu erklären, daß wir uns der Beurteilung des Herrn
Vorsitzenden über die Aussage des Zeugen anschließen. - Verteidiger Dr. Ablaß:
Ich beantrage die P r o t o k o l l i e
r u n g des Beschlusses der
Geschworenen. - Es entspinnt sich eine Debatte zwischen dem S t a a t s a n w a l t , der meint, daß hier kein richtiger Beschluß
der Geschworenen vorliegt, und dem Verteidiger
D r . A b l a ß , der betont, daß die Tatsache, daß die Geschworenen
diese Erklärung abgegeben haben, doch nicht zu leugnen sei. - Der Gerichtshof
berät darüber, nachdem er sich zurückgezogen, und der Vorsitzende verliest die
nach Wiedererscheinen erfolgte E i n t
r a g u n g i n d a s
P r o t o k o l l , welche dem
Wunsche des Verteidigers entspricht und feststellt, daß der Zeuge an Frl. Zahn
keine ungünstige Kritik üben, sondern nur sein Erstaunen über ihre
Selbstbeherrschung zum Ausdruck bringen wollte.
Nochmals
das Haushaltsgeld.
Zeugin
Z a h n gibt dann nochmals die
Beträge an, die ihr der Vormund mit Genehmigung des Vormundschaftsrichters als
Haushaltsgeld zugebilligt hat. Vom 1. Juli 1916 bekam ich monatlich 1000 Mk.,
wovon ich alle Ausgaben zu decken hatte. Auf einer Konferenz der Vormünder und
des Vormundschaftsrichters war dieser Betrag festgesetzt worden. Es wurden als
Gesamtausgaben 18 000 Mk. festgesetzt, 12 000 Mk. erhielt ich in bar, 6000 Mk.
wurden für Naturalbezüge aus dem Gut gerechnet. Vom 1. April 1920 ab bekam ich
wöchentlich 1 2 0 M a r k
a u s s c h l i e ß l i c h der
Gehälter, vom 1. Oktober 1920 wöchentlich
1 0 0 M a r k e i n s c h l i e ß l i c h der Gehälter! Das reichte natürlich nicht
aus.
Dann wird noch Güterdirektor B a u e r -
Kleppelsdorf, der Gegenvormund, vernommen, aber nur über seine Beobachtungen
am Mordtage. Er kam erst später hinzu, da er an diesem Tage in Löwenberg war.
Er hat dann als Amtsvorsteher das Mordzimmer versiegelt. Sonst bekundet der
Zeuge nichts wesentliches. Ueber seine Tätigkeit als Gegenvormund wird er nicht
vernommen.
Hierauf wird die Weiterberatung auf Freitag
vertagt.
*
Sitzung
am Freitag.
Vernehmung
von Marie Mohr.
Die Sitzung am Freitag wird mit der
Vernehmung der Stütze M a r i e M o h r
eingeleitet. Die 21 Jahre alte Zeugin wird unter Aussetzung der
Vereidigung vernommen.
Vors.: Sie haben in der Voruntersuchung
gesagt, Sie glaubten alles, was der Angeklagte sage. Vor dem Untersuchungsrichter
haben Sie auf erklärt, daß Sie gar nicht wüßten, warum alles niedergeschrieben
werde, Sie hielten das für eine große Papierverschwendung. Mit Rücksicht auf
diese Aeußerungen und auf Ihr Verhältnis zu dem Angeklagten muß ich Sie ganz
besonders darauf aufmerksam machen, daß Sie hier die reine Wahrheit zu sagen haben.
- Oberstaatsanwalt D r . R e i f e n r a t h beantragt, während der Vernehmung der Zeugin
den A n g e k l a g t e n a u s
d e m S a a l z u
e n t f e r n e n . - Die V e r t e i d i g e r erheben
E i n s p r u c h . Sie
befürchten keine Beeinflussung der Zeugin durch den Angeklagten. -
Geheimrat D r . M o l l
hält die Besorgnis einer Beeinflussung für b e g r ü n d e t . Es handle sich um ein junges Mädchen, das zu
dem Angeklagten in sehr intimen Beziehungen gestanden habe. - Das G e r i c h t l e h n t
d e n A n t r a g d e s
S t a a t s a n w a l t s a b
, es behält sich aber vor, den
Angeklagten abführen zu lassen, sobald die Befürchtung einer Beeinflussung
begründet erscheint. Geheimrat Moll wird gebeten, dem Gerichtshof mitzuteilen,
wann etwa dieser Zeitpunkt eintreten sollte. Der Vorsitzende ersucht die
Zeugin, zu den Geschworenen gewendet zu sprechen.
Frl.
M o h r , die an einer
Mandelentzündung erkrankt ist und daher schwer verständlich ist, bekundet: Im Dezember
1920, also nach dem Verschwinden der Frau Grupen, bin ich in Grupens Haus als
Stütze gegangen, und zwar auf Wunsch meiner Mutter, während der Vater dagegen
gewesen ist. Die Ursel ist ein liebenswürdiges Kind gewesen; die Leute
erzählten, daß Ursel auf ungesatteltem Pferde geritten sei. In der Hand des
Kindes habe ich nie eine Schußwaffe gesehen, auch nicht ein ähnliches
Spielzeug. Auf der Reise nach Kleppelsdorf habe ich keinerlei Wahrnehmungen
gemacht, daß Ursula e i n e n R e v o l v e r o d e r
e i n P a t r o n e n k ä s t c
h e n u n t e r d e n
K l e i d e r n trage. Auch beim
Spielen und Schaukeln der Kinder im Park habe ich nie wahrgenommen, daß Ursula
einen harten Gegenstand bei sich trage. In Kleppelsdorf ist Ursula n u r
z e i t w e i s e t r a u r i
g gewesen. Frau Eckert hat sich über
den kühlen Empfang in Kleppelsdorf aufgeregt. Der Empfang ist deshalb so
unfreundlich gewesen, weil Grupen und Frau Eckert mit den Kindern unangemeldet
gekommen waren. Frau Eckert hat auch gesagt: „Ich habe schon recht, daß ich in
Kleppelsdorf nicht gern gesehen bin. Dörte ist ebenso verschwenderisch wie Frl.
Zahn, und es kann schon stimmen, was Herr Vielhack geschrieben habe, daß es
einmal ein Ende mit Schrecken nehmen werde.“ Erst habe ich mit Irma, dann mit
Ursula im Amtszimmer geschlafen. Ursula hatte die ersten Nächte bei der
Großmutter Eckert zugebracht. Frau Eckert klagte aber, daß Ursula schwer träume
und unruhig schlafe. Frau Eckert erzählte auch, daß Ursel sie einmal nachts
geweckt habe mit der Frage: „Wo ist der Karton?“ Ursel hat damit den
Bücherkarton gemeint. Wenige Tage nach der Ankunft in Kleppelsdorf schrieb
Ursel an eine Frau Bartel einen Brief. Da er nicht richtig war, habe ihn Ursel
zerrissen und noch zweimal geschrieben und sich dann sehr gefreut, als er ihr
gelungen war. Am 9. oder 10. Februar hat mir Ursula
einen
Brief an Großmutter
übergeben und gesagt, das wird
eine
große Ueberraschung für Großmutti
sein. Ursula forderte aber den Brief zurück
und sagte, Großmutter solle ihn erst übermorgen erhalten. Am nächsten Tage
wollte Ursula, daß ich den Brief noch nicht abgebe, weshalb ich ihr ihn wieder
zurückgab.
Staatsanwalt: Was hatten Sie für einen
Eindruck, als die Ursel sagte: das soll eine Ueberraschung für Großmutter sein?
- Zeugin: Ursula war s e h r v e r g n ü g t d a b e i . - Vors.: Hat damals der Angeklagte von dem
Brief etwas gehört? - Zeugin: Nein.
Verteidiger Dr. Ablaß: Ist die Ursula einmal
nachts an das Bett der Großmutter gegangen und hat sie dabei geweint? - Der
Staatsanwalt weist darauf hin, daß dieser Vorgang im Zusammenhang stehe mit
Dingen, die in geheimer Sitzung zu beraten seien. - Der Verteidiger ist damit
einverstanden.
Die Z
e u g i n bestreitet, die Rollstube
jemals verschlossen zu haben.
Hat
Grupen das Zimmer verlassen?
Vors. (mit erhobener Stimme): I s t
d e r A n g e k l a g t e d e r
k l e i n e n I r m a , als sie den Apfel nach dem Abort trug, n a c h g e g a n g e n ?
Zeugin:
N e i n !
Vors.: Ist Grupen aber nicht aufgestanden und
hat er der Irma nicht die Tür zum Schrankzimmer aufgemacht?
Zeugin:
N e i n . - Vors..: Der Angeklagte hat es gestern selbst
gesagt! Ist Grupen im Zimmer hin und her gegangen?
Zeugin:
N e i n , wir haben Mühle
gespielt.
Verteidiger Dr. Mamroth: Sie haben schon in
der Voruntersuchung erklärt, Sie seien bereit, jederzeit zu beschwören, daß
Grupen das Zimmer nicht verlassen habe.
Ein Beisitzer macht die Zeugin darauf aufmerksam,
daß sie in ihrem heutigen Verhör verschiedene Fragen nicht mit derselben
Genauigkeit beantwortet hat, wie die, ob Grupen das Zimmer verlassen habe.
Die Z e u g i n erwidert, sie habe andere Sachen vergessen,
weil sie unwichtig seien.
Vors.: Hat der Angeklagte später nicht
gesagt: e s i s t
g u t , d a ß w i r
a l l e g e s a g t h a b e n ,
d a ß i c h i n
m e i n e m Z i m m e r w a r ? -
Zeugin: Ich kann mich darauf nicht erinnern.
Verteidiger Dr. Ablaß weist darauf hin, daß
die Zeugin schon in früheren Vernehmungen erklärt habe: „Ich weiß, daß Grupen
nicht hinausgegangen ist, weil wir Mühle gespielt haben.“
Sachverständiger Dr. Moll (zur Zeugin): Haben
Sie die Unterhaltung gehört, die der Angeklagte mit Fräulein Zahn im
Nebenzimmer geführt hat? Der Angeklagte soll Fräulein Zahn dabei gefragt haben,
was Küßchen auf plattdeutsch heißt.
Zeugin kann sich hierauf nicht erinnern.
Angeklagter: Ob sie wisse. daß er die von
Irma gebrachten Apfelsinen zu Fräulein Zahn in das Nebenzimmer getragen und
diese gefragt habe, ob sie die Apfelsinen schälen und zuckern wolle. - Zeugin:
Das kann sein. - Vors.: Ich mache Sie darauf aufmerksam. daß Sie in der
Voruntersuchung erklärt haben, a l l e
s z u
g l a u b e n , w a s d e r
A n g e k l a g t e s a g e
. Ueberlegen Sie sich Ihre Aussagen.
Angeklagter: Ich bitte darum, daß die Zeugin
jede Rücksicht auf mich fallen läßt. - Vors.: Das ist ganz selbstverständlich.
Die Zeugin hat gar keine Rücksicht auf Sie zu nehmen.
Frl.
M o h r bekundet weiter, daß sie
sich gegen Abend im sog. Amtszimmer mir Frau Eckert, der kleinen Irma und
Grupen eingeschlossen habe. - Vors.: Warum ist zugeschlossen worden? - Zeugin:
Das weiß ich nicht.
Vors.: Hat der Angeklagte nicht gesagt: Es
ist doch gut, daß wir zusammen waren, da wird meine Unschuld bald an den Tag
kommen.
Zeugin: Kann sein, daß er es gesagt hat. -
Auf wiederholtes Befragen erklärt die Zeugin:
I c h w e i ß e s
n i c h t .
Vors.: Was hat Grupen zu Ihnen gesagt, als er
abgeführt wurde? Zeugin: Ich solle die
Wahrheit sagen, dann wird sich seine Unschuld bald herausstellen. Vors.: Hat er
nicht gesagt, daß er, wenn Sie bekunden, daß er oben war, bald wieder frei sein
werde? - Zeugin: Das weiß ich nicht! - Vors.: Aber überlegen Sie es sich genau.
Ein anderer Zeuge bekundet diese Aeußerung. - Zeugin: Ich weiß es nicht.
Plattdeutsch.
Vors.: Was sagte Grupen zu Ihnen, als er am
nächsten Tage nach einer nochmaligen Vernehmung im Schloß nach Hirschberg
abgeführt wurde? - Zeugin: Das weiß ich nicht. - Auf wiederholtes Befragen
erklärte die Z e u g i n , daß der Angeklagte gesagt habe, ich solle
die Wahrheit sagen, daß wir oben im Zimmer zusammen waren. - Vors.: Als der
Landjägermeister Klopsch dem Angeklagten das weitere Sprechen verbot, hat da
der Angeklagte nicht p l a t t d e u t
s c h g e s p r o c h e n , und was? - Zeugin: Ich weiß es nicht. - Auf
wiederholtes Befragen des Vorsitzenden sagt die Zeugin schließlich: Der Angeklagte
wird seine Ermahnung, die Wahrheit zu sagen, wiederholt haben. - Vors.: Da
brauchte doch der Angeklagte nicht plattdeutsch zu sprechen. Hat er wirklich
das gesagt? - Zeugin: Es kann sein.
Die Z
e u g i n muß dann die Worte: Sag die
Wahrheit, dann komme ich bald heraus! in Plattdeutsch sprechen. Sie spricht
dies aber so aus, daß alle Anwesenden die Wort verstehen, während der
Landjägermeister Klopsch die Worte des Angeklagten damals nicht verstanden hat.
- Der Angeklagte spricht die Worte plattdeutsch aus, die er damals gesprochen
haben will: „Segg de Wohrheet un gif man tau, dat wi tausamen verköhrt hebben.“
Diese Worte kann, besonders bei dem Tonfall des Dialekts, niemand im
Gerichtssaal verstehen. - Sachverständiger Dr. Peters: Ich verstehe auch
plattdeutsch. Diese Worte lauten: Sag die Wahrheit, und gib nur zu, daß wir
zusammen verkehrt haben. - Zeugin: Ja, das hat er gesagt. - Vors.: Es ist doch
merkwürdig, vorhin habe ich Sie so eingehend gefragt, was der Angeklagte gesagt
hat, und Sie haben immer und immer wieder versichert, daß Sie es nicht mehr
wüssten, und jetzt wissen Sie es auf einmal.
Weiter gibt die Zeugin an, daß Frau Eckert
das Gepäck für Kleppelsdorf eingepackt hat. Sie hat nicht bemerkt, daß die
Ursula etwas unter ihrer Kleidung versteckt hatte. Während die Zeugin immer
behauptet hatte, daß die Sachen in einem Reisekorb gewesen sind, bekundet Frl.
Zahn, daß dies nicht richtig ist, es sei ein Rohrplattenkoffer gewesen. Die
Zeugin Mohr gibt dies dann auch zu.
Es folgen dann eine Reihe von Fragen der
Sachverständigen nach dem G e m ü t s z
u s t a n d d e r U r s u l a . Auch diese Zeugin bekundet, daß Ursel oft
traurig war.
Auf Befragen des Schießsachverständigen gibt
die Zeugin an. daß der Angeklagte in Ottenbüttel S c h
i e ß ü b u n g e n m i t e i n e m
R e v o l v e r angestellt hat.
Als wieder nach einer Aussage eine Bewegung
im Zuschauerraum entsteht, bittet der Verteidiger D r .
A b l a ß den Vorsitzenden,
gegen solche Kundgebungen einzuschreiten. - Vors.: Ich habe schon wiederholt
solche Kundgebungen gerügt und werde unnachsichtlich bei jeder Kundgebung des
Beifalls oder Mißfallens den Zuschauerraum
r ä u m e n lassen.
Der A
n g e k l a g t e b e a n t r a g
t s e l b s t kurz vor 1 Uhr den A u s s c h l u ß d e r
O e f f e n t l i c h k e i t ,
der auch erfolgt.
(Fortsetzung folgt.)
Sonnabend, 10. Dezember 1921, „Der Bote aus
dem Riesengebirge“
(Woher
Kleppelsdorf seinen Namen hat)
Für Geschichtsforscher dürfte es nicht
uninteressant sein, zu hören, daß der Kleppelsdorfer Hof, in alten Schriften
auch Klöppelsdorfer Hof oder Klepperhof genannt, davon seinen Namen hat, daß
einst auf demselben die schweren Rüstpferde, - Klepper genannt - standen, die
zur Burg Lehnhaus gehörten.
Sonnabend, den 10. Dezember 1921, „Der Bote
aus dem Riesengebirge“
Peter
Grupen.
Wer als Zuhörer und Zuschauer in einen
Schwurgerichtssaal geht, in dem ein Mordprozeß zur Verhandlung steht, pflegt
sich auf Grund von Berichten, aus Lebenserfahrungen aller Art und auch nach
seinem Phantasie- und Empfindungsvermögen heraus schon ein Bild von der
Persönlichkeit des Angeklagten in einer Art Strichmanier entworfen zu haben.
Mit vorgefaßter Meinung von dem „Kerl“, der´s wohl gewesen sein wird, gehen
sehr viele in den Saal. Neugierig, wie er wohl aussehen und wie er sich
benehmen wird gegenüber der Wucht der Anklage, sind alle und interessant ist
ein des Mordes Angeklagter immer besonders für denkende und fühlende Menschen,
die über seelische und soziale Probleme nachsinnen und wissen, daß die
Handlungen, ja die Worte und Gedanken der einzelnen immer in einem gewissen
Zusammenhange mit dem Charakter der Zeit stehen, und jeder, auch der ärgste
Verbrecher, doch immer noch ein Bruchteil des Volkes ist. In einem völkischen
Zustande, bei dem man tagtäglich auf Habgier stößt, in einer Nachkriegszeit, in
welche die natürlichen Wirkungen der Nichtschätzung von Menschenleben noch
nachzittern, wird ein Mord und ein dieses Verbrechens angeklagter Volkgenosse
wahrscheinlich etwas anders angesehen, wie in ganz normalen Zeiten, und
dennoch: das Wörtlein Mord! wird immer die Spannung hervorrufen, die z. B.
Schiller in einem Satze seiner „Räuber“ zum Ausdruck bringt: „Wie eine ganze
Hölle von Furien um das Wort flattert!“ Gespannt sind die Leute immer, ob dem
den Mordes Angeklagten etwas anzumerken ist von der Angst, in der er ja nach
dem „allgemeinen Empfinden“ befangen sein muß. Man erwartet jedenfalls „Szenen“
und auf das Auftreten des Hauptakteurs in der Tragödie menschlicher Verirrungen
ist jedermann neugierig, wißbegierig.
Es ist eine alte Erfahrung, daß zu allen
Zeiten sich Frauen ganz besonders lebhaft für energische willensstarke Männer
interessieren. Im Kleppelsdorfer Mordprozeß haben wir die erwartete Zusammensetzung
des Publikums, d. h. vorwiegend Frauen. „Ganz anders“ haben sich zweifellos
viele Besucher des Saales den des Mordes an zwei jungen Mädchen angeklagten
Peter Grupen vorgestellt. Man erwartete wohl einen durch zehnmonatliche Untersuchungshaft
mitgenommenen Mann mit funkelnden „Hypnotiseur-Augen“ etc. „Andere sehen doch
so blaß aus.“ hörte ich eine Dame hinter mir flüstern. Nun, Peter Grupen sieht
erstaunlich blühend aus, mit roten Backen im runden Gesicht, das ein blondes
Schnurrbärtchen ziert, das für den strammen 27jährigen Mann fast zu klein
geraten ist. Er erinnert in seiner ganzen militärischen Haltung noch an den
ehemaligen Hannoverschen Ulanen, der den Krieg mitgemacht hat. Im linken Aermel
steckt der Oberarmstumpf des zerschossenen Armes, mit dem rechten Arm stützt
sich Peter Grupen bei stundenlangem Stehen leicht auf eine Stuhllehne, wenn er
im Raume vor den Geschworenen steht, die seine etwas dünne und hohe Stimme bei
dem schnellen Sprechen so besser verstehen als von der Anklagebank her. In
seiner eleganten, hellen Gürteljoppe, mit dem blendend weißen Stehkragen und
dem modernen Schlips, in den tadellosen hohen Ledergamaschen, kurz in der
gesamten „Aufmachung“, könnte Peter Grupen, wenn er nicht in seiner
Bewegungsfreiheit und Abreise durch den fatalen Mordverdacht behindert wäre,
sich getrost in ein Auto setzen, z. B. nach Krummhübel oder Schreiberhau
fahren, um dort als kreditfähiger und anspruchsvoller Fremder von einem
Obergastwirtsgehilfen sofort freudig taxiert und bedient zu werden. Ja, so
„forsch“ sieht Peter Grupen aus, der ehemalige Maurerpolier,
Vulkanwerftzeichner, Bauführer, Kleingutsbesitzer aus Ottenbüttel, dieser
blonde Holsteiner, geboren am 20. September 1894 als Sohn eines Bootsbauers in
Haseldorf bei Pinneberg, in der Gegend von Altona, der „eheverlassene“ Gatte,
der … seit seinem Geburtstage 1920 verschollenen Frau, der angeblich nach
Amerika ausgewanderten ehemaligen Apothekerwitwe und Mutter der erschossenen
Ursula. Dies Stiefkind des Glücks ist ganz gewiß von einer Kugel aus der
kleinen Selbstladepistole Grupens tödlich getroffen worden. Ob sie Selbstmord
verübt, auch die Dörte Rohrbeck erschossen hat, wie der bei ihr aufgefundene
Brief an Großmutti Eckert besagt, das ist die große Rätselfrage.
Peter Grupen aber, der Angeklagte, kämpft
jetzt um sein Leben vor den Geschworenen. Eine Hundertschaft von Indizien aus
der Anklageschrift des Staatsanwalts zielt und schießt auf ihn, Peter Grupen
wehrt sich sehr gewandt und läßt sich nie verblüffen, er versucht Zug um Zug
Verdachtsgründe zu widerlegen mit häufig ohne weiteres einleuchtenden, wenn
auch nicht immer überzeugenden Darlegungen, die durch ein erstaunliches
Gedächtnis von Einzelheiten gestützt werden. Mit einer gewissen Eleganz, ja stellenweise
mit einer juristisch-logischen Sicherheit des Ausdrucks, weiß er kniffliche
Fragen zu beantworten, ja kennzeichnet sogar zuweilen mit kritischer Schärfe
gegnerische Wendungen, wendet mit Vorliebe das Wort logisch an. Er benimmt sich
wie ein geschulter Diskussionsredner und hält sich dabei an die durchaus
berechtigte Weisung seines Verteidigers Justizrats Dr. Ablaß, der selbst
betont, daß er dem Angeklagten dringend geraten habe, nie die Lehre zu
vergessen: Was bei einem Zeugen als Irrtum ausgelegt werden kann, kann dem
Angeklagten, wenn der sich widerspricht, als Schuldbekenntnis in die Wagschale
fallen und ihn zu Unrecht belasten. Also der Angeklagte hält sich in den
Grenzen vorsichtiger Abwägung. Mit gesellschaftlich üblichen Umgangsformen weiß
Peter Grupen Bescheid, er hat sich bisher stets bei Einwendungen oder
Unterbrechungen angemessener Wendungen bedient, nur zuweilen gegenüber dem
Staatsanwalt zeigt er eine gereizte Schärfe. Alles in Allem: Bei der Vernehmung
zeigt der Angeklagte Peter Grupen eine große rednerische Gewandtheit, die
jedenfalls geeignet ist, das Interesse an seiner Persönlichkeit und an dem
Prozesse überhaupt zu vertiefen. Die Bekundungen der Zeugen und
Sachverständigen werden ja vermutlich manche Behauptung erschüttern, aber der
erste Eindruck, wie sich auch das Ergebnis der Verhandlung des schwierigen
Indizienprozesses weiter gestalten mag, wird sicherlich bei sehr vielen
Zuhörern haften bleiben: Dieser Peter Grupen erleichtert seinen beiden
bewährten Verteidigern das Leben, er ist selbst ein hervorragender Verteidiger
in eigener Sache.
Sonntag, den 11. Dezember 1921, „Der Bote aus
dem Riesengebirge“:
Der
Doppelmord auf Schloß Kleppelsdorf.
Der
Vormund.
Hirschberg, 10. Dezember.
In der Verhandlung am Freitag sollte anfänglich
Frau Eckert vernommen werden, und man sah dieser Vernehmung mit Spannung
entgegen, doch mußte sie auf Sonnabend vertagt werden. Einen sehr breiten Raum
nahm statt dessen die Vernehmung des Vormundes
V i e l h a c k ein.
Am heutigen Vormittag wurde dann Frau E c k e r t
vernommen und machte dabei hochbedeutsame Aussagen.
Im Einzelnen ist zu berichten:
Die Nachmittagssitzung beginnt mit der
Vernehmung von Dörte Rohrbecks Vormund, dem 65 Jahre alten Hauptmann a. D. E r i c h
V i e l h a c k aus
Charlottenburg. Der verstorbene Rohrbeck ist mein Jagdfreund gewesen. Daß ich
zum Vormund der Dorothea bestellt war, habe ich erst durch Fräulein Zahn
erfahren. Diese schrieb mir, daß Rohrbeck krank in einem Sanatorium in Schandau
liege und bat mich, ihn zu besuchen.
Rohrbecks
Testament.
Der Zeuge schildert nun, unter welchen
Umständen das Testament des sterbenden Rohrbeck zustande kam, und wie er, der
Zeuge, sich bemühte, dabei Frl. Zahns Stellung zu sichern, weil er sich sagte,
es werde mit ihr ein leichteres Arbeiten sein als mit den Verwandten.
Vors.: Die 10 000 Mark sollten für die E r z i e h u n g sein? - Zeuge: Dieser Ansicht war ich nicht.
Ich nahm an, daß mit den 10 000 Mark der
g a n z e U n t e r h a l t bestritten werden sollte. Mit Einwilligung
des Vormundschaftsrichters wurde die Summe für den gesamten Haushalt auch auf
18 000 Mk. erhöht. Damit sollte sie schalten und walten, wie sie wollte, aber
sich auch unter allen Umständen begnügen.
Vors.: Sie hätten aber berücksichtigen
müssen, daß alles teurer geworden ist. Warum haben Sie nicht beim Vormundschaftsgericht
beantragt, das Haushaltsgeld zu erhöhen. - Zeuge: Weil ich dieser Ansicht nicht
war. Wir alle haben uns einschränken müssen.
Vors.: Wußten Sie, daß Fräulein Rohrbeck
leidend war? - Zeuge: Ja, deshalb wollte ich auch Fräulein Rohrbeck bald in
eine Pension geben. Aber Frl. Zahn wollte durchaus nicht. Anfangs dachte ich
gar nicht daran, sie zu entfernen. Aber Dörte wurde von mir gewaltsam fern
gehalten. Kleppelsdorf, Gieshübel und Kuttenberg waren 1200 Morgen, wovon 600
unter dem Pfluge. An Barvermögen waren allerdings 1 1/3 Millionen Mark
vorhanden. Frl. Zahn kam nie mit dem Gelde aus und hat nach meiner Ansicht sehr
schlecht gewirtschaftet.
Vors.: Mit der Bewirtschaftung des Gutes
hatte Frl. Zahn ja nichts zu tun, davon verstand sie auch nichts. Es kommt uns
darauf an, von Ihnen zu wissen, ob Fräulein Zahn mit den 18 000 Mark auskommen
konnte. - Zeuge: Ich hielt es für unbedingt notwendig, daß Fräulein Zahn damit
auskomme.
Der
Vormund über Dörtes Erziehung.
Vors.: Warum wollten Sie das Kind von
Fräulein Zahn entfernen? - Zeuge: Weil sie es nicht so erzog, wie ich es
wünschte. Ich wollte Dörte möglichst lange ihre Kindlichkeit erhalten und dafür
sorgen, daß sie möglichst mit ihresgleichen in Verkehr trete.
Vors.: Warum haben Sie Fräulein Zahn
gekündigt? - Zeuge: Weil sie mir immer entgegenarbeitete und ich dem Vater
versprochen hatte, daß das Kind zu einer tüchtigen, soliden Hausfrau erzogen
werden solle.
Vors.: Inwieweit hat Frl. Zahn Ihren
Intentionen nicht entsprochen? - Zeuge: Auf direktem Wege konnte ich keine
Aufklärung über die Erziehung in Kleppelsdorf erhalten. Ich mußte mich auf
Hintertüren verlegen. Infolgedessen schrieb ich an Fräulein Christians, die
früher ein Vierteljahr lang Erzieherin in Kleppelsdorf war. Fräulein Christians
erzählte mir allerlei Kleinigkeiten von Kleppelsdorf, es würde schlecht
gegessen und schlecht gewirtschaftet. Fräulein Zahn sei aber stolz auf eine
unglaubliche Menge Konserven, die sie eingeweckt hatte und die noch für drei Jahre
reichen. - Vors.: Die Konserven waren wohl vorbereitet, weil Dörte in Pension
gehen sollte. - Zeuge: Zucker sei nie auf den Tisch gekommen, obwohl Fräulein
Zahn 10 Zentner gekauft hatte. - Vors.: Durch das Einwecken ist sicher viel
Zucker draufgegangen.
Zeuge: In Erziehungsfragen war Fräulein Zahn
sehr merkwürdig. Auf dem Spazierwege ist Dörte immer 20 Schritt vor und 20
Schritt hinter ihr gegangen. Auf eine Frage von Fräulein Christians äußerte
Fräulein Zahn: Lassen Sie nur das Kind gehen, es grübelt gern. - Vors.: Hören
Sie mal, das ist doch aber alles Klatsch!
Dörtes
„Verlobung“.
Zeuge: Fräulein Christians hat auch erzählt,
daß D ö r t e m i t
e i n e m L e u t n a n t M a t t h ä i v e r l o b t sei. Dieser ist dann gefallen, was Dörte
nicht erfahren sollte, aber sie erfuhr es in Lähn doch, kam heulend nach Hause
und ist wochenlang nicht fähig gewesen, dem Unterricht zu folgen. - Vors.: Eine
richtige Verlobung wird es wohl nicht gewesen sein? - Zeuge: Das Bild des
Leutnants hat auf ihrem Schreibtisch gestanden. - Der Vorsitzende bestätigt,
daß dies noch nach dem Tode der Dörte der Fall gewesen sei. - Zeuge: Ich habe
es für unverantwortlich gehalten, daß Fräulein Zahn ein vierzehnjähriges Kind,
von dem sie wußte, daß ihre Verwandtschaft leidenschaftlich veranlagt war, in
Liebesaffären verwickelte. - Vors.: Haben Sie wirklich an die Liebesgeschichte
geglaubt? - Zeuge: Ja. - Vors.: Aber weitere Ermittelungen haben Sie nicht
angestellt? Zeuge: Leutnant Matthäi war
ja tot.
Wie
sich der Vormund weiter informierte.
Staatsanwalt: Wenn Fräulein Christians Sie
nun schmählich belogen hätte, so würde Ihr Urteil über Fräulein Zahn und die
Dörte auf ganz falscher Grundlage aufgebaut sein. - Zeuge: Allerdings. - Vors.:
Warum haben Sie sich nicht bei anderen Leuten erkundigt, z. B. bei der
Oberschwester Kube, die mit den Verhältnissen in Kleppelsdorf ausgezeichnet
bekannt war. Oberschwester Kube ist seit 20 Jahren in Lähn und hat gestern ein
tadelloses Zeugnis über Fräulein Zahn gegeben. - Zeuge: Ich war v o n
a n d e r e r S e i t e g e w a r n t w o r d e n , a u f
d a s Z e u g n i s v o n
O b e r s c h w e s t e r K u b
e e t w a s z u g
e b e n . Sie soll im Hause des Herrn
Rohrbeck eine allzu vertraute Rolle gespielt haben. (Beweg. im Zuschauerraum)
Staatsanwalt: Wer hat Sie gewarnt? - Zeuge:
So oft ich in Lähn war, von der Oberschwester Kube habe ich nie etwas gehört. -
Vors.: Mit wem haben Sie in Lähn gesprochen? - Zeuge: Mit keinem Menschen.
(Allgemeines Kopfschütteln im Saale) - Vors.: Als Vormund hätten Sie sich nicht
einseitig auf die Ansichten einer ehemaligen Angestellten verlassen dürfen.
Ein Geschworener fragt den Zeugen, warum er
sich über die Verlobungsgeschichte, an der kein wahres Wort sei, nicht bei der
Familie des Leutnants Gewißheit geholt habe. - Zeuge: Ich habe von der ganzen
Liebesaffäre erst Kenntnis bekommen, nachdem der Leutnant tot war, und hatte
keine Veranlassung, mich hinterher noch zu informieren. - Vors.: Doch, Herr
Vormund, Sie waren immer einseitig informiert. Ihr Mündel hat bis zum Tode des
Vaters mit dessen Wissen und Willen unter Fräulein Zahn gestanden.
Staatsanwalt (zum Zeugen Vielhack): Wenn Sie
nun erfahren, daß Ihre Informationen unrichtig waren, hätten Sie sich dann
anders zu Fräulein Zahn gestellt? - Zeuge: Ich hatte gar nicht die Absicht,
beide zu trennen. Hätte Fräulein Zahn das Kind in meinem Sinne erzogen, so
hätte sie ewig in Kleppelsdorf bleiben können. Aber Frl. Zahn wollte mich
rausgraulen. Es war meine Pflicht, so zu handeln, wie ich es für richtig hielt.
Die
Konfirmation und der Vormund.
Vors.: Es ist nun zur Sprache gekommen, daß
Sie bei der K o n f i r m a t i o
n der Dörte nicht zugegen gewesen
waren. - Zeuge: Mir war ja die Erziehung abgenommen, ich hatte also bei der
Konfirmation nichts zu suchen. Ich war ausgeschaltet und nur noch
Vermögensverwalter. Wenn ich zur Konfirmation gekommen wäre und mich an den
Tisch gesetzt hätte, und ich hätte da vielleicht ein Loblied auf Fräulein Zahn
gehört, - stellen Sie sich d i e Situation vor. (Heiterkeit im Zuschauerraum)
Vors.: Sie sollen keine Mittel bewilligt
haben zur Beschaffung der Konfirmationskleider. - Zeuge: Ich habe mich auf den
Standpunkt gestellt, die 18 000 Mark m
ü ß t e n reichen. Extraausgaben habe
ich rücksichtslos nicht bewilligt, sondern immer auf das Vormundschaftsgericht
verwiesen. Ich durfte keinen Pfennig mehr bewilligen, weil ich sonst über das
Testament hinausgegangen wäre.
Verteidiger Dr. Ablaß: Herr Vielhack hat
einmal dem Vormundschaftsgericht berichtet, wenn der Hausstand in Kleppelsdorf
fünf Jahre so weitergeführt werde, so würde Dörte gezwungen sein, Kleppelsdorf
zu verlassen, weil die Einnahmen die Ausgaben nicht deckten. - Zeuge: Das war
meine Ueberzeugung. Im Gute ist schlecht gewirtschaftet worden. - Vors.: An der
Wirtschaft im Gute ist Frl. Zahn nicht schuld. - Zeuge: Nachdem ich auf dem
Gute die Buchführung eingeführt hatte, wurde festgestellt, daß in einem Jahre
2500 Liter Milch in die Wirtschaft gegangen sind, davon 1376 Liter in die
Hauswirtschaft. Außerdem wurden zwei Schweine zu 5 Zentner in den Haushalt
geliefert. - Staatsanwalt: Sie sagten ja selbst, daß Sie viel Eingewecktes im
Schlosse gefunden haben, da sind doch die Schweine gut verbraucht worden. -
Zeuge: Zwei Schweine von je 2 ½ Zentner sind für ein Landhaus wahrhaftig nicht
zu viel. (Heiterkeit und Stimmung: Na also!)
Der
Vormund und Grupen.
Die Vernehmung des Herrn Vielhack wendet sich
nunmehr der Frage zu, wie er mit Grupen bekannt geworden sei. Zeuge: Ich habe
Grupens Verlobungsanzeige bekommen. Bald war in Kleppelsdorf viel von „Onkel
Peter“ die Rede. Im September 1920 erhielt ich von Grupen einen Brief, worin er
mir seinen Besuch ankündigte, um sich mir
i n m e i n e m P r o z e ß
g e g e n F r l . Z a h n
z u r V e r f ü g u n g zu stellen. Er halte es für seine verwandtschaftliche
Pflicht, gegen die Erziehung Dörtes durch Fräulein Zahn einzuschreiten. -
Vors.: Die Erziehung Dörtes ging ihn doch herzlich wenig an. - Zeuge: Grupen
erzählte mir weiter, daß Dörte in alle Liebeleien von Frl. Zahn eingeweiht sei.
- Vors.: Haben Sie das geglaubt? Haben Sie etwas von den Liebeleien gehört? -
Zeuge: Ich habe gehört, daß Dörte Bücher lese, die nicht für junge Mädchen
geschrieben sind. Frl. Zahn soll auch eine Verlobung zurückgewiesen haben, um
bei dem Kinde zu bleiben. - Vors.: Nun, das ist doch höchst ehrenvoll.
Zeuge: Grupen hielt die Erziehung Dörtes für
unpraktisch. - Vors.: Grupen ist doch Maurerpolier, wie konnte er sich berufen
fühlen, über die Erziehung zu urteilen? - Zeuge: Ich nahm an, daß er aus guter
Familie sei. Er war ja Architekt.
Zeuge: Grupen erzählte mir, Frl. Zahn hätte
zwei Eisen im Feuer. Sie unterhalte mit verheirateten Leuten Beziehungen. Mit
wem, wollte er nur vor Gericht sagen. In der Bibliothek von Dörte sollten nach
dem Urteil von Herrn Pingel „ s e h
r b ö s e B ü c h e r “ sein. Grupen behauptete ferner, er habe Frl.
Zahn 3000 Mk. geborgt, um ihr Vertrauen zu erringen. Den Schuldschein hierüber
habe Dörte unterschrieben. Er habe Frl. Zahn Geld gegeben, denn er sei ein
reicher Mann und könne das Geld missen, wenn er es nicht wiederbekomme. Und
dann erzählte er mir von einem Revers, den Dörte unterschrieben habe und durch
den Frl. Zahn 10 000 Mk. Jahresrente ausgesetzt würden. Grupen habe der Dörte
Vorhaltungen gemacht, daß sie den Revers unterschrieben habe, worauf sie sagte:
„Ich unterschrieb ihn und werde ihn wiederholen, wenn ich majorenn bin.“ Er bat
mich, von diesen Mitteilungen dem Frl. Zahn gegenüber zu schweigen, damit ich
sie nicht mißtrauisch mache. Als Grupen wegging, sagte ich ihm: „ E m p f e h l e n S i e
m i c h I h r e r F r a u
G e m a h l i n . “ Darauf hat er nichts erwidert. Bei einer zweiten
Unterredung erzählte Grupen von T a n z
s t u n d e n in Kleppelsdorf, trotz
des Verbotes, wodurch die Gesundheit der Dörte systematisch untergraben würde.
Staatsanwalt: Der Angeklagte hat gesagt, Frl.
Zahn unterhalte ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann, und er werde bei
Gericht den Namen nennen. Will er das jetzt tun? - Angekl.: Darüber lehne ich
eine Erklärung ab.
Staatsanwalt: Grupen hat sich als reicher
Mann aufgespielt und gesagt, er könne das Geld, was er dem Frl. Zahn borge,
missen. - Angekl.: Ich habe nur gesagt, daß ich das Geld entbehren könne. Ich
verfügte damals über eine Viertelmillion mit meinem Grundbesitz. - Vors.: Sie
haben aber erklärt, daß Ihre Frau Ihnen 60 - 70 000 Mk. mitgenommen habe.
Zeuge: Auf eine Frage n a c h
s e i n e r F r a u erwiderte Fr., sie hätten sehr glücklich miteinander
gelebt. Aber ihre Leidenschaft für die Bühne und ihre Leidenschaftlichkeit
überhaupt sei so groß gewesen, daß er eingesehen habe, die Ehe würde doch über
kurz oder lang in die Brüche gehen. Daher habe er schließlich zugestimmt und
ihr noch 60 000 Mk. auf die Reise mitgegeben. Seine Frau hätte ihn geheiratet,
weil er ein sehr reicher Mann sei und sie ihre Kinder versorgt wissen wollte.
Vors. (zum Angekl.): Ihre Frau ist mit Ihrem
Einverständnis abgereist? - Angekl.: Nein. Wenn ich dem Zeugen eine andere
Darstellung gegeben habe, so bitte ich, sich in meine Lage zu versetzen. Man
braucht doch nicht über alles den Leuten Auskunft zu geben.
Zeuge: Grupen sagte mir damals, er hätte an
einer Ehe genug. Er würde die Großmutter bei sich behalten, die Kinder hingen
schwärmerisch an ihm. Die Ursel und die Irma stritten sich jeden Morgen, wer
ihm den Kaffee besorgen solle.
Staatsanwalt (zum Zeugen Vielhack): Wunderten
Sie sich nicht darüber, daß Ihnen der Angeklagte aus freien Stücken Intimitäten
über seine Frau erzählte. Er war Ihnen ja fremd. - Zeuge: Ja, ich habe mich
darüber gewundert, aber über das Vorleben der Frau Grupen habe ich schon früher
von den Offizieren meines Regiments Verschiedenes gehört. - Angekl.: Mir war
bekannt, daß meine Frau in Berliner Kreisen sich nicht des besten Rufes
erfreute.
Die Vernehmung des Vormundes ist nun beendet.
Die
eidesstattliche Versicherung.
Rechtsanwalt
D r . P f e i f f e r gibt nun Auskunft über den Prozeß, den Frl.
Zahn gegen den Vormund Vielhack führte, und in dessen Verlaus die besondere
Verstimmung der Damen Zahn und Dorothea Rohrbeck gegen Grupen deshalb Platz
gegriffen hat, weil dieser in dem Prozeß plötzlich als Gegenzeuge gegen sie vom
feindlichen Vormund genannt erschien, obwohl er sich bisher immer als
freundlicher Helfer aufgespielt hatte. In dem Prozeß hat Frl. Zahn bekanntlich
gegen den Vormund gesiegt. Die Schilderung des Zeugen läßt die große
Hartnäckigkeit erkennen, mit welcher der Vormund den Prozeß führte. Die
einzelnen juristischen Seiten dieser ganzen Prozessgeschichte interessieren im
übrigen wenig. Die Damen wollten, nachdem sie Grupen als falsch erkannt, nichts
mehr mit ihm zu tun haben. Grupen schrieb nun, die Damen sollten nach Hamburg
kommen, er werde ihnen das Reisegeld schicken, und dann werde er alles klarstellen.
Der Zeuge hatte den Eindruck, als wenn Grupen in der ganzen Sache nicht ehrlich
gehandelt hätte. - Auf die Frage des Vorsitzenden bestreitet G r u p e n , daß er sich dem Vormund als Gegenzeugen
angeboten habe. - Zeuge Dr. Pfeiffer: Die Damen wollten nicht reisen, wollten
auch Grupen nicht empfangen, sondern wollten, daß dieser nach Hirschberg zu mir
komme, und das geschah auch am 9. Februar, wo Grupen dann die eidesstattliche
Versicherung abgab, daß er zu Vielhack keine Aeußerung getan habe, die diesen
berechtigte, ihn, Grupen, als Gegenzeugen gegen Frl. Zahn zu nennen. - G r u p e n
bestreitet auch heute, daß er zum Vormund gesagt habe, daß Dorothea
einen Revers zugunsten Frl. Zahn hinsichtlich einer Rente von 10 000 Mk. für
diese unterschrieben habe, obwohl die Rede von einem solchen Revers gewesen
sei.
Staatsanwalt: Hat der Angeklagte die
eidesstattliche Erklärung deshalb abgegeben, weil er wußte, daß man ihn nicht
länger im Hause Kleppelsdorf dulden werde, wenn er es nicht täte? - Grupen:
Nein. - Vert. Justizrat Dr. Ablaß: Ist es richtig, daß sich Grupen die
Erklärung so lange überlegte, weil er sich in einer gewissen Verlegenheit
befand, aber jedenfalls o h n e die Absicht, sich den Aufenthalt in
Kleppelsdorf zu sichern? - Grupen: Ja. Selbstverständlich war ich dann froh,
daß die Sache endlich geklärt war.
Frl. Zahn: Es war die Rede davon, daß auch
Frau Eckert eine solche eidesstattliche Versicherung abgeben solle, man hatte
auch sie in Verdacht, und Grupen äußerte das auch von ihr und auch von seiner
Frau, daß eine von ihnen Vielhack die anstößigen Mitteilungen gemacht haben
könne. Ueber das Verbleiben von Grupen in Kleppelsdorf haben wir uns zwar
gewundert, aber wie hielte ihn doch nun nicht mehr für schuldig, daß er
falsches Spiel gespielt.
Die
Kognakflasche.
Hauptm.
T s c h u n k e vom
Reichswehrministerium in Berlin hat bei seiner Schwester gehört, wie die anwesende
Dorothea Rohrbeck ihre Furcht vor dem Angeklagten äußerte, und zwar nach der
Fahrt von Kleppelsdorf nach Berlin. Dorothea erzählte auch, daß Grupen eine
Flasche mit Kognak der Großmutter gegeben habe, die verdächtig war.
Verteidiger Dr. Mamroth: Da ich der Presse
sogar die Nachricht verbreitet worden ist, daß der Angeklagte wegen
Giftmordversuches an seiner Schwiegermutter angeklagt sei, so bitte ich um die
Feststellung, daß es sich hier um ein ganz harmloses Getränk handelte. - Vors.:
Nach der Untersuchung handelt es sich um ein Getränk, das etwas Bittermandelöl
enthält, aber zur Vergiftung keineswegs geeignet ist. - Staatsanwalt: Die
Anklagebehörde ist nie der Ansicht gewesen, daß es sich hier um einen Giftmordversuch
handelt, sie erwähnt die Sache nur, um zu zeigen, w e l c h e
F u r c h t d i e D a m e n
in Kleppelsdorf vor dem Angeklagten hatten, daß sie ihm einen Giftmordversuch
zutrauten. - Verteidiger Dr. Mamroth: Und uns beweist es, daß man selbst diese
ganz harmlose Sache gegen den Angeklagten verwendet.
Nochmals
die „sehr bösen Bücher“.
Rittergutsbesitzer P i n g e l , der jetzige Besitzer von Kleppelsdorf, ein
Verwandter der ermordeten Schloßherrin, bekundet, daß ihm der Angeklagte erzählt
habe, er werde sich von seiner Frau scheiden lassen, u m
F r ä u l e i n Z a h n z u
h e i r a t e n . Fräulein
Rohrbeck habe ihm erzählt, daß ihr Grupen sehr unsympathisch sei. Bald nach der
Tat hat der Zeuge den Garten und Park des Schlosses von Kleppelsdorf
untersucht, aber keine Spuren gefunden, die darauf hindeuten, daß von außen
jemand in das Schloß eingedrungen sei. - Vors.: Was waren das für Bücher in der
Bibliothek? - Zeuge: Moderne Romane, aber keine Bücher, die das geschlechtliche
Gebiet berühren.
Gemeindevorsteher D ö r i n g - Kuttenberg kann nur aussagen, daß Dorothea
vor dem Besuch Grupens große Angst gehabt hat. Bei Frau R o h d e -
Erdmannsdorf hat sich Frau Eckert beklagt, daß ihr Dorothea durch Frl.
Zahn entfremdet werde. Werkführer B r ü
c k n e r - Lähn kann bekunden, daß
Dorothea die Großmutter nicht leiden konnte. Rittergutsbesitzer A l f r e d
R o h r b e c k aus Zielenzig,
ein Bruder des verstorbenen Rohrbeck, hat nur festgestellt, daß sich nach dem
Morde in Park und Garten nichts Verdächtiges fand.
In
Berlin bei Dressel.
Fräulein
S e i d e l aus Berlin war eine
Freundin der Dorothea Rohrbeck und war mit ihr zusammen, als diese mit dem
Angeklagten auf der Durchreise nach Hamburg in Berlin war. Grupen, der sich in
einem Gespräch mit Dorothea sehr abfällig über den Vormund Vielhack äußerte,
führte die beiden jungen Damen zu Dressel zum Speisen, ging aber bald wieder
aus dem Lokal, mit dem Vorgeben, er habe auf der Straße seine Frau gesehen und
wolle ihr folgen. Er gab den Damen 150 Mk.; die Zeche betrug allerdings 156
Mk., so daß, wie die Zeugin zur allgemeinen Heiterkeit erzählte, die Damen noch
6 Mk. zuzahlen mußten, wofür sie aber kein Trinkgeld gaben. Grupen hatte ihnen
nachher 100 Mark und Schokolade geschenkt. Am Abend hatten sich die Drei zu
einem Besuch des Berliner Theaters verabredet, Grupen erschien sehr
unpünktlich, bezahlte aber dann noch die Eintrittskarten. Der Angeklagte wollte
die Zeugin, die damals die Handelshochschule besuchte, a l s
P r i v a t s e k r e t ä r i n
m i t e i n e m m o n a t l i c h e n G e h a l t
v o n 7 5 0 M a r k
m i t n a c h H a m b u r g n e h m e n , worauf diese aber nicht einging. Sie hatte
nicht den Eindruck, daß sich Dörte vor ihrem Onkel fürchtete. - Angekl.: Die
Zeugin sollte nicht zu mir, sondern zu einem Bekannten in Stellung kommen. Von
Dressel bin ich weggegangen, weil ich mich in meinem Anzug in dem feinen Lokal
genierte. - Zeugin: Später schrieb mir Dörte: Sei froh, daß Du nicht mit nach
Hamburg gefahren bist, Grupen hat mir auf der Fahrt einen Heiratsantrag
gemacht.
Fräulein
M a g d a M o h r , eine Schwester der Stütze Mohr aus
Ottenbüttel, bekundet, daß sich Frau Eckert über ihre Enkelin Dörte beklagt
hat. Frau Eckert sagte auch, der Vormund werde schon recht haben, wenn er sage,
in Kleppelsdorf werde es noch ein Ende mit Schrecken nehmen. Grupen war im Orte
gut bekannt, genoß einen guten Ruf und war sehr kinderlieb. Er hat nicht
unsolide gelebt. - Vors.: Der Angeklagte hat doch sehr oft sein weibliches
Dienstpersonal gewechselt und eigentlich doch jedem bei ihm ich Stellung
befindlichen Mädchen die Heirat versprochen. - Die Zeugin kann hierüber nichts
bekunden. - Im Wesentlichen die g l e i
c h e A u s s a g e macht die
M u t t e r der beiden Mohr,
Frau Hofbesitzer Mohr aus Ottenbüttel.
Hypnose?
Bemerkenswert ist die Aussage der
Lyzeallehrerin Fräulein K i e f e r
t aus Itzehoe, in deren Klasse die U r s u l a
S c h a d e von Michaelis 1920
bis Februar 1921 gegangen ist. Sie sagt aus: In einer Stunde, aber nicht bei
mir, ist von der Hypnose gesprochen worden. Dabei sagte Ursula Schade: i h r e
M u t t e r k e n n e e i n e n
M a n n , w e n n d e r
j e m a n d f e s t a n s
e h e , s o m ü ß t e
d i e s e r m a c h e n , w a s
d e r M a n n w o l l e .
Wenn er aber die Augen wegwende, dann sei es vorbei. Sie nannte auch die
Straße, in der dieser Mann wohnen sollte, es war eine Querstraße von der Wohnung
Grupens. Ursula erklärte, den Namen des Mannes dürfe sie nicht sagen. Das erste
Mal sagte Ursula, sie selbst kenne auch den Mann, später jedoch, nur ihrer
Mutter sei der Mann bekannt. Möglich sei allerdings, daß auch ein Magnetiseur
gemeint sein konnte, der dort wohnte, aber die Daten von dessen Zuzug und der
Aeußerung der Ursula seien unsicher. Ursula war ein körperlich zartes Wesen,
sehr gut, aber auch sehr empfindlich. Sie gehörte zu den schwachen
Schülerinnen, war aber sehr fleißig, und da sie von Hause tüchtig angehalten
wurde, kam sie auch in der Schule mit. Sie war immer fröhlich und beteiligte
sich auch an den Spielen der anderen Kinder.
I c h h a l t
e e s
f ü r u n m ö g l i c h , d a ß
d i e s e s K i n d j e m a n d
n i e d e r g e s c h o s s e n
h a t o d e r d a ß
s i e d i e H a n d h a b u n g e i n e s
R e v o l v e r s a u c h n u r
k a n n t e . Ich kann mir nicht
vorstellen, daß das Kind auch nur auf den Gedanken einer solchen Tat kommen
konnte. I r m a ist körperlich kräftiger, sonst aber auch
ein gutes Kind, soweit ich das beurteilen kann.
Hierauf wurde nach 9 Uhr die
Weiterverhandlung auf Sonnabend vertagt.
*
Sitzung
am Sonnabend.
Bei Eröffnung der Sonnabend-Sitzung teilte
der Vorsitzende mit, daß am M o n t a
g voraussichtlich während der ganzen
Dauer der Verhandlung d i e O e f f e n t l i c h k e i t a u s g e s c h l o s s e n sein wird. Die für Montag ausgestellten
Eintrittskarten sind für Mittwoch gültig.
Rechtsanwalt
D r . P f e i f f e r bekundet noch, die Postkarte gelesen zu
haben, die Dorothea Rohrbeck auf der mit Grupen nach Berlin unternommenen Reise
an Frl. Zahn gerichtet hat und die mit den Worten schließt: „Komme bald, sonst
hänge ich mich.“ Der Zeuge habe sich sehr darüber gewundert, wie Dorothea
Rohrbeck so aufgeregt schreiben konnte. - Frl.
Z a h n erklärt sich bereit, die
Karte dem Gericht einzureichen.
Justizrat Dr. Mamroth richtet an Frl. Seidel
die Frage, ob Dörte in Berlin tatsächlich so verängstigt gewesen sei, wie die
Zeugin behauptet habe, und wie sie sich die Karte erklären könne. - Zeugin:
Dörte war sehr fröhlich, wenn Grupen nicht dabei war.
Frau
Eckert als Zeugin.
Unter großer Spannung erfolgt jetzt die
Vernehmung der 77 Jahre alten Frau Agnes Eckert, Schwiegermutter des
Angeklagten. Die Vereidigung wird ausgesetzt.
F r a u E c k e r t erklärt, ihr Verhältnis zu dem verstorbenen
Herrn Rohrbeck sei ein gutes gewesen, aber die Liebe der Dörte habe sie nicht
gewonnen. Die Dörte habe mehr zu den Verwandten des Fräulein Zahn gehalten, als
zu ihren eigenen Verwandten. Zwischen Frau Gertrud Schade, der Tochter der
Zeugin aus zweiter Ehe, und Herrn Rohrbeck habe ein gutes Verhältnis bestanden.
Als Frau Schade Witwe geworden war, habe Herr Rohrbeck sich mit ihr verlobt und
eine Reise mit ihr nach Berlin unternommen, bald darauf aber das
Verlobungsverhältnis gelöst. Der Tod meines Schwiegersohnes Schade wurde auf
einen Unglücksfall auf der Jagd zurückgeführt, es hat aber auch eine U n t e r s u c h u n g g e g e n
d e n S e i f e n f a b r i k a
n t e n S c h u l t z aus Perleberg stattgefunden, der meiner
Tochter Unterricht in der Buchführung erteilte, und mit ihr auch eine Reise
gemacht hatte. Gertrud war sehr liebevoll zu mir. Die Bekanntschaft mit Grupen
ist, wie mir meine Tochter erklärte, durch eine Heiratsanzeige zustande
gekommen.
Angekl.: Ist es wahr, daß die Zeugin gesagt
habe, wenn das Verhältnis der Tochter zu ihr nicht besser würde, würde sie sich
das Leben nehmen.
Zeugin: Das ist mir gar nicht eingefallen.
Ich habe nach der Verlobung meiner Tochter mit Grupen ihr 24 000 Mk. zur
Verfügung gestellt, um sich eine Villa zu kaufen.
Staatsanwalt: Hatte Ihre Tochter nach dem
Tode des Mannes nicht auch ein Verhältnis mit dem Stabsveterinär Reske?
Zeugin: Ja. Es ist ein Jammer, daß er
gestorben ist, denn er meinte es sehr herzlich zu meiner Tochter.
Vors.: Was hielten Sie von Grupen?
Zeugin: Er hatte einen sehr netten Eindruck
gemacht und wir haben es ihm hoch angerechnet, daß er meine Tochter mit ihren
drei Kindern heiraten wollte. Die Hochzeit fand im September 1919 in Itzehoe
statt. Ich wohnte in demselben Hause. Grupen war furchtbar wenig zu Hause, er
befand sich viel auf Reisen. Das Verhältnis zwischen ihm und meiner Tochter war
in der ersten Zeit gut. Später verschlechterte es sich, es gab allerlei
Differenzen. Einmal rief mich sogar meine Tochter in der Nacht zu Hilfe, ich
weiß aber nicht mehr, was vorgefallen war. Grupen wollte immer allein reisen. Zu
den Kindern war er stets gut. Die Ursel war ein stillen, ruhiges Kind. Sie war
traurig, als ihr Vater gestorben war. Als mir der Besuch von Dörte und Frl.
Zahn angekündigt wurde, war ich sehr erfreut. Ich habe aber von dem Besuch
nicht viel gehabt, denn Grupen drängte die Damen zur Fahrt nach Hamburg. In
Ottenbüttel hatte Grupen meiner Tochter ein Pferd geschenkt, und Dörte und Frl.
Zahn haben darauf geritten, und sind sehr vergnügt dabei gewesen.
Vors.: War Ihre Tochter Gertrud krebsleidend?
- Zeugin: Nein. - Vors.: Der Angeklagte behauptet, er hätte Ihre Tochter nicht
geheiratet, wenn er etwas von dem Leiden gewußt hätte. - Zeugin: Ich habe von
dem Leiden keine Ahnung.
Vors.: Sie haben mal B r i e f e
a n d a s A m t s g e r i c h t L ä h n geschrieben, worin Sie sich über die Erziehung
der Dörte durch Frl. Zahn ungünstig aussprachen. - Zeugin: Ja! Der Angeklagte
hat auf meine Anregung geschrieben. Diese Briefe sind nach dem Besuch Dörtes in
Itzehoe dann aus Anregung des Angeklagten widerrufen worden, weil, wie dieser
sagte, das Dörte schaden könnte. Später wurde
d i e s e r Widerruf von der
Großmutter a b e r m a l s w i d e r r u f e n und zwar wieder auf Anraten des Angeklagten.
Dieser Brief ist g e g e n i h r e
U e b e r z e u g u n g
geschrieben worden, sie hat es sehr bereut.
Vors.: Was ereignete sich in den Tagen des
17., 18. und 19. September? Wir kommen jetzt zu dem V e r s c h w i n d e n I h r e r
T o c h t e r .
Frau Eckert: Am 17. sollte ich eine Hypothek
von 37 000 Mk. an Grupen übertragen. - Vors.: Warum denn? Zeugin: Das ist es
eben, warum war ich denn so dumm? - Vors.: Sie hatten dem Angeklagten doch auch
schon Generalvollmacht gegeben, ebenso wie Ihre Tochter. - Zeugin: Ja. Weil ich
mit den Steuergeschichten usw. nicht Bescheid wußte.
Vors.: Was ereignete sich nun am 19.
September? - Zeugin: Meine Tochter schrieb an diesem Tage und sagte am
Nachmittag, sie fährt nach Kleppelsdorf.
Vors.: Hat Ihre Tochter einmal davon
gesprochen, daß sie eine größere Reise unternehmen wollte? - Zeugin: Ja, sie
sagte öfter, Deutschland gefällt mir nicht mehr, ich gehe nach Amerika, dann
hole ich Euch nach. Die Zeugin hat das für Scherz gehalten. Die Reise nach
Kleppelsdorf war ihr ganz unklar. Frau Grupen verabschiedete sich sehr
flüchtig, so, als wenn sie nur wenige Tage weg wollte. Als der Angeklagte am
Abend zurückkam, hat sie Grupen nicht mehr gesprochen, erst am nächsten Tage.
Im Schlafzimmer stand ein Koffer mit Wäsche, der bahnlagernd nach Hamburg
geschickt werden sollte. Zwei Tage darauf fuhr Grupen nach Kleppelsdorf, um,
wie er angab, Dörte zu holen. Der Zeugin hat der Angeklagte nichts davon
gesagt, daß seine Frau Abschiedsbriefe geschrieben, in denen sie sagt, daß sie
nach Amerika geht.
Vors.: Angeklagter, konnten Sie denn Ihre
Schwiegermutter nicht besser trösten, als Frl. Rohrbeck? - Angekl.: Ich wollte
erst Nachforschungen anstellen, ehe ich der Frau Eckert etwas von dem
Verschwinden ihrer Tochter sagte, während dieser Zeit sollte Dörte die
Großmutter trösten.
Vors.: Glaubten sie denn, daß Ihre Tochter
nach Amerika gegangen sei? - Zeugin: Ich glaubte, daß es eine fixe Idee von ihr
gewesen sei.
Vors.: Haben Sie denn nie Nachforschungen
angestellt?
Zeugin: Grupen sagte mir, er habe einen
Detektiv in Hamburg mit den Nachforschungen beauftragt, der hat erforscht, daß
es F r a u G r u p e n
g u t g i n g e . Außerdem erzählte er soviel Schlechtigkeiten
von ihrer Tochter, daß sie schon selbst nicht mehr nachforschen wollte. Der
Angeklagte hat ihr auch häßliche Bilder von ihrer Tochter gezeigt. Die Zeugin
fährt weinend fort, daß sie damals gesagt hat:
„ A c h G o t t , w a s
i s t d e n n a u s
m e i n e r T o c h t e r g e w o r d e n ? “ Angesehen hat sie die Bilder nicht. Einmal
hat sie geschrieben an Schade, wo ihre Tochter wohl sein könnte? Diesen Brief
hat ihr der Angeklagte verboten abzuschicken und geäußert: „Wenn Du diesen
Brief abschickst, sind wir beide fertig!“ Die
F a h r t i m F e b r u a r n a c h
K l e p p e l s d o r f kam ihr
überraschend. Sie richtete sich auf etwa acht Tage dort ein. Unterwegs hat ihr
der Angeklagte gesagt, es wird wohl etwas länger dauern, sie solle nur sagen,
es sei wegen des Umzugs in Itzehoe. Die Zeugin gibt dann an, daß sie die Koffer
nach Kleppelsdorf selbst gepackt hat. Ursel ist an den Koffer nicht
herangekommen. Die Zeugin hat auch nicht gesehen, daß Ursel etwa in der
Unterbindetasche etwas auffälliges gehabt hat.
Vors.: Hat die Ursel mit einem Revolver
einmal geschossen? - Zeugin: Nein. Ich habe aber einen Revolver und Patronen im
Schreibtisch bei Grupen gesehen und daß er diesen Revolver dem Bruder übergeben
hat wegen etwaiger Einbrecher. - Vors.: Haben Sie vor der Reise gesagt: In
Kleppelsdorf werde es einmal ein Ende mit Schrecken geben? Zeugin: Nicht daß ich wüßte. Ich erinnere
mich nicht, das jemals gesagt zu haben. Frl. Mohr und Frau Mohr bekunden
hierauf, daß diese Aeußerung von Frau Eckert getan worden sei. Die Zeugin entsinnt
sich trotzdem nicht darauf. - Ein Geschworener ersucht, den Angeklagten selbst
zu befragen, ob die Geschichte mit dem Detektiv zutreffe und ob er der
Schwiegermutter erzählt habe, der Detektiv habe erforscht, die Tochter sei mit
einem reichen Manne durchgegangen und es ginge ihr gut.
Angeklagter: Ich habe keinen Detektiv
beauftragt. Ich habe das der Frau Eckert nur erzählt, weil ich die Schwiegermutter
beruhigen wollte. (Bewegung.)
Ein Geschworener fragt weiter nach den
unzüchtigen Photographien. Die Frage soll in nichtöffentlicher Sitzung beantwortet
werden.
Vorsitzender: Welches Benehmen zeigte Ursel
in Kleppelsdorf? - Frau Eckert: Sie war heiter, nur einmal weinte sie, als sie
einen Brief, den sie an Frau Bartels geschrieben hatte, noch einmal schreiben
sollte. Sie weiß nicht, wer der Ursel den Auftrag zum Schreiben des Briefes
gegeben habe.
Vors.: Ist Ihnen am Tage vorher etwas an
Ursel aufgefallen? - Frau Eckert: Es war mir merkwürdig, daß Ursel traurig war,
wenn sie nicht mit dem Angeklagten zusammen war, sie hing mit großer Liebe an
ihm, s i e w a r
w i e g e b a n n t a n
d e n M a n n . Daß das Verhältnis Ursels zu Dörte ein
abneigendes war, hat die Zeugin nicht gemerkt; sie bestätigt aber, daß Ursel in
der Nacht zum 14. Februar schlecht geträumt hat. Die Tür von der Rollstube zu
dem Fremdenzimmer habe sie nicht verschlossen. Als wir oben mit Grupen
zusammensaßen, war anfangs auch die Ursula dabei.
Die
Vorgänge am Mordtage.
Frau Eckert: Am 14. Februar saß ich im
sogenannten Winterwohnzimmer und häkelte. Grupen spielte mit der Mohr Mühle,
Ursula saß auf dem Sofa und las. Dann war Ursula weg, ich habe ihr Weggehen
nicht beobachtet. Dann spielte Frl. Mohr mit der Irma, während der Angeklagte
mehrmals im Zimmer auf und ab ging. Er sprach auch mit dem im Nebenzimmer
befindlichen Fräulein Zahn. Irmgard stand dann auf, um die Reste von einem
Apfel, den sie gegessen hatte, wegzubringen. Auch der Angeklagte war
aufgestanden und ich habe angenommen, daß er vielleicht der Irma den Ofen zeigen
wollte, in den sie die Apfelreste werfen sollte. D a n n
h a b e i c h e i n i g e
Z e i t d e n A n g e k l a g t e n n i c h t
i m Z i m m e r g e s e h e n , v i e l l e i c h t b i n
i c h a u c h e t w a s
e i n g e n i c k t . Ich habe
ihn nicht das Zimmer verlassen sehen oder hören. Die Zeit, in der ich den Angeklagten
nicht beobachtet habe, würde nach meiner Ansicht genügen, die Tat unten zu
verüben. U r s u l a t r a u e i c h
a u f k e i n e n F a l
l d i e T a t
z u . Ich halte es sogar
für vollständig ausgeschlossen, daß die körperlich sehr schwache Ursel, die
nicht einmal eine schwere Kanne heben konnte, die Tat überhaupt ausführen
konnte.
Vorsitzender: Aber bei Ihren früheren Vernehmungen,
besonders in Kleppelsdorf, haben Sie doch erklärt, daß Sie beschwören könnten,
der Angeklagte habe überhaupt nicht das Zimmer oben verlassen, auch nicht auf
Minuten.
Zeugin: Damals glaubte ich noch nicht, daß
die furchtbare Tat, wie ich beim Lokaltermin erfahren, in so wenigen Minuten
ausgeführt sein kann. Ich nahm an, daß es sich um eine Viertelstunde handeln
müßte. Nachträglich bin ich an der Zuverlässigkeit meiner Wahrnehmung in
Zweifel geraten und halte jetzt die Behauptung aufrecht, daß ich Grupen ein
paar Minuten aus den Augen verloren hatte.
Auf Antrag des Verteidigers D r .
A b l a ß wird ein von der
Zeugin an Wilhelm Grupen gerichteter Brief vom 15. Februar verlesen, in dem es
u. a. heißt:
Ein furchtbares
Unglück kam über uns. Ursel hat aus Peters Schreibtisch den Revolver
mitgenommen und gestern nachmittag die Dörte und sich selbst erschossen. Ist
das nicht entsetzlich? Damit nicht genug, hat man Peter verhaftet, da man der
Ursel das nicht zutraut. In der Zeit des Unglücks waren wir mit Irma oben im
Wohnzimmer, war wie beide beschwören können. Also muß sich ja seine Unschuld
herausstellen.
Die Zeugin verneint die Frage des
Verteidigers Dr. Ablaß, ob sie sich in den kritischen Momenten in einem hypnotisierten
Zustande befunden hätte, und fügte hinzu, sie sei überhaupt nicht zu
hypnotisieren.
Die Vernehmung der Frau Eckert geht fort.
Dienstag, den 13. Dezember 1921, „Der Bote
aus dem Riesengebirge“
Der
Doppelmord auf Schloß Kleppelsdorf.
Weitere
Zeugenvernehmung.
Hirschberg, 12. Dezember.
Sonnabend nachmittag ist die Vernehmung der
Frau Eckert, der Schwiegermutter des Angeklagten, soweit ihre Aussagen für die
öffentliche Sitzung geeignet sind, zu Ende geführt worden. Ihre Bekundungen
brachten noch mancherlei bemerkenswerte Einzelheiten. Am Montag sollte währen
des ganzen Tages die Oeffentlichkeit ausgeschlossen bleiben. Die Verhandlung
war aber zunächst wieder öffentlich und brachte einige interessante Aussagen.
Bestätigt wurde weiter die Angst Dörtes vor dem Angeklagten, und bestätigt
wurde auch die bereits von dem Vorsitzenden bekundete Auffassung, daß die
Verlobung Dörtes mit Leutnant Matthäi lediglich eine Mädchenschwärmerei war.
Die bedeutsame Aussage von Frau Eckert, daß Grupen das Zimmer in den Minuten
vor der Mordtat verlassen hat, wird, nachdem sie selbst bereits von ihrer
Schläfrigkeit gesprochen, durch die Aussage von Rittergutsbesitzer Lux über ein
zur Prüfung der Beobachtungsfähigkeit der Beteiligten vorgenommenes Experiment
in bemerkenswerter Weise beleuchtet. Im Anschluß daran machte
Gaswerksdirektor W r o b e l auf Grund eines praktischen Versuchs
beachtenswerte Aussagen über die Beeinflussungsfähigkeit der drei Zeugen, die
für den Aufenthalt Grupens in den kritischen Minuten in Frage kommen, der Frau
Eckert, der Stütze Mohr und der kleinen Irma. Zum Schluß der Vormittagssitzung
bekundeten die beiden Untersuchungsrichter Näheres über Grupens Verhalten in
der Voruntersuchung. Beide Untersuchungsrichter sind auf Grund des ihnen vorliegenden
Materials zu der Ueberzeugung von der Schuld des Angeklagten gekommen. Montag
nachmittag wird unter Ausschluß der Oeffentlichkeit verhandelt.
Aus der weiteren
Vernehmung
der Frau Eckert
am Sonnabend Nachmittag tragen wir im
Einzelnen noch nach:
Fr. Eckert: Der Angekl. hat, als er am Abend
des Mordtages abgeführt wurde, zu mir gesagt: „Wenn Du sagst, daß ich im Zimmer
war, bin ich morgen wieder frei.“ Auch hat er gesagt: „Wenn Ihr bei Eurer
Aussage bleibt, bin ich morgen wieder frei.“ Mir ist nichts davon bekannt, daß
Wertpapiere der Frau Grupen in Hamburg von dem Angeklagten abgehoben worden
sind.
Die Zeugin bekundet weiter, daß im Laufe des
Nachmittags am Mordtage der Angeklagte geäußert hat: Weißt Du auch, daß Du
jetzt Herrin von Kleppelsdorf bist? Hier wird noch einmal Oberlandjäger K l o p s c h - Lähn gehört, der erklärt, daß er im Laufe
des Nachmittags dir Frau Eckert gefragt habe, wer nun den schönen Besitz erbe,
worauf er die Antwort erhielt: Der Bruder des verstorbenen Herrn Rohrbeck und
ich. Ich habe gefragt, um im Interesse der Untersuchung Einblick in die
Familienverhältnisse zu erhalten. Frau Eckert kann sich auf dieses Gespräch
nicht mehr erinnern, während der Angeklagte behauptet, diese Antwort auf die
Frage des Landjägers sei die Bemerkung, die er getan haben sollte.
Oberlandjäger Klopsch erklärt aber, daß der Angeklagte nicht anwesend war, als
er die Frage an Frau Eckert richtete.
Ueber
das Verschwinden der Frau Grupen
macht die Zeugin folgende Angaben: Der 19.
September war ein Sonntag. Meine Tochter saß vormittags am Schreibtisch. Nach
dem Kaffeetrinken sagte sie mir, daß sie nach Kleppelsdorf fahre. Damit hatte
sie mich nicht überraschend, denn schon vorher war über diese Absicht
gesprochen worden. - Vors.: Hat Ihre Tochter früher irgend etwas von einer l ä n g e r e n Reise gesagt? - Zeugin: Ja, sie sagte, in
Deutschland gefalle es ihr nicht mehr, sie gehe nach Amerika. Wenn es ihr dort
gefalle, hole sie uns nach. Ich habe das für Scherz gehalten. - Vors.: Wie verabschiedete
sich denn Ihre Tochter? - Zeugin: Ganz flüchtig, gar nicht herzlich. Auch von
den Kindern verabschiedete sie sich wie sonst und nicht, als ob sie eine
längere Reise vorhabe. - Vors.: Hatte sie Schmuck und Ringe mitgenommen? -
Zeugin: Darauf habe ich nicht geachtet. Meine Tochter hatte nur einen
Handkoffer bei sich. - Vors.: Hat sie sich vor ihrer Abreise Kleider machen
lassen? - Zeugin: Nein, sie hat sich nur vier Kleider modernisieren lassen. -
Vors.: Wann kam der Angeklagte zurück? - Zeugin: An demselben Tage. Er hat aber
erst am nächsten Tage mit mir gesprochen.
Schmucksachen
und Kleider
Vors.: Hat der Angeklagte gearbeitet und die
Haushaltskosten bestritten? - Zeugin: Der Angeklagte sprach viel von seiner
Bautätigkeit, auch von einem Kompagnon. Meinen
S c h m u c k wollte er in
Dänemark verkaufen. Tatsächlich hat er ihn
v e r s e t z t und mir
gegenüber behauptet, den Schmuck habe seine Frau nach Amerika mitgenommen. Die
Silbersachen meiner Tochter wollte er bei einer Hamburger Bank in Sicherheit
bringen. Ich habe ihm dabei geholfen, es zu verpacken. Aber er hat das Silber
versetzt. Die Saloneinrichtung, die meine Tochter vor der Verheiratung mit
Grupen besaß, ist von den Eheleuten gemeinsam verkauft worden. Grupen hat nach
dem Verschwinden seiner Frau gesagt, er verfüge über ein Vermögen von einer Viertelmillion.
Ursel und Irma seien ihm das Liebste auf der Welt. Er hat ein Testament
gemacht, und die Kinder als seine Erben eingesetzt. Drei Finderringe seiner
Frau hat er zu einem Goldarbeiter gebracht, um sie verändern zu lassen. Auch
die g o l d e n e A r m b a m d u h r s e i n e r
F r a u hat er zum Umarbeiten zu
einem Goldarbeiter getragen, und als er von mir später nach dem Verbleib der
Uhr gefragt wurde, habe er geantwortet: „Denke Dir, das goldene Armband ist dem
Goldarbeiter aus dem Arbeitszimmer g e
s t o h l e n worden!“ (Heiterkeit im
Zuhörerraum) Der von der Frau Grupen zurückgelassene K o f f e r , der nach einem an den Knecht Raske (Roske?)
gerichteten Zettel schmutzige Wäsche enthielt und nach Hamburg in eine
Waschanstalt geschafft werden sollte, ist von der Zeugin vierzehn Tage nach der
Abreise der Frau Grupen geöffnet worden. In dem Koffer befanden sich die K l e i d e r , die sich Frau Grupen hatte umändern
lassen, s e h r s c h ö n e s S c h u h z e u g , ein alter Schmuckkasten ohne wesentlichen Inhalt
und s a n d e r e Wäsche. - Vors.: Hat der Angeklagte nicht davon
gesprochen, daß von der Hamburger Güterexpedition nach dem Koffer gefragt
worden sei? - Zeugin: Ja, er hat gesagt, er gibt hundert Mark, wenn er erfahre,
wer nach dem Koffer gefragt habe.
Vors.: Hat der Angeklagte zu Ihnen gesagt,
seine Frau habe sich nach Lübeck abgemeldet? - Zeugin: Das hat er mir erzählt.
Vors.: Hat der Angeklagte, als er schon in
der Untersuchungshaft saß, Ihnen nicht einen Brief geschrieben, in dem er Ihnen
eine strafbare Handlung vorwarf? - Zeugin: Ja, es handelte sich um Wäsche
meiner Tochter und um meine eigene Wäsche. Er behauptete, ich hätte beim Aussortieren
Wäsche, die meiner Tochter gehöre, an mich genommen. - Vors.: Wollte er Ihnen
mit diesem Briefe drohen und Sie einschüchtern, daß Sie gewisse Aussagen nicht
machen? - Zeugin: Das weiß ich nicht.
Angekl.: Die Zeugin hat mir eine
eidesstattliche Versicherung zugehen lassen, daß sie ein Anrecht auf die
gesamte Wäsche habe. - Zeugin: Ich weiß nicht, daß ich eine solche
eidesstattliche Versicherung abgegeben habe.
Vors.: Ich muß eine Zwischenfrage stellen:
Was ist die kleine Irma für ein Kind? - Zeugin: Irma ist w i e
j e d e s K i n d . Sie hatte mir einmal beim Staubwischen 5 0
M a r k e n t w e n d e t und sich dafür Verschiedenes gekauft. Sie
hat wegen dieser Unredlichkeit fürchterliche Hiebe erhalten, sowohl von ihrem
Vater wie von mir. Seitdem ist nichts mehr vorgekommen. - Angekl.: Irma hat oft
gesagt, sie habe keine Schularbeiten auf.
Zeugin: Davon ist mir nichts bekannt.
Vert. Dr. Ablaß (zur Zeugin): Es wird
behauptet, daß Ihre Tochter das ganze Vermögen des Pflegekindes Ruth Reske zu
ihren Gunsten beiseite geschafft habe. - Zeugin (entrüstet): Meine Tochter hat
nicht einen Schritt getan, um die Ruth Reske um ihr Vermögen zu bringen.
Aus dem
Absteigequartier
Der nächste Zeuge, Schneidermeister
August W a r n i n g aus
Hamburg soll u. a. Aussagen über das Verschwinden der Frau Grupen machen
können. - Vors.: In Hamburg wurde einmal die Leiche einer Frau angeschwemmt,
die einen schweren Schnitt durch den Hals hatte. Ein Dienstmädchen soll Ihnen
gesagt haben, daß sie die Leiche kenne. - Zeuge: Ich weiß davon nichts, kenne
auch den Namen des Dienstmädchens nicht. Ich weiß nur, daß Grupen in meinem
Hause sein Absteigequartier hatte. - Vors.: Wissen Sie, ob Grupen einmal einen
langen Gummischlauch mit in sein Absteigequartier mitgebracht hat? Es wird
behauptet, daß er damit die Damen vergiften wollte. - Zeuge: Davon ist mir
nichts bekannt.
Frau Elise
W a r n i n g , die Frau des
Vorzeugen, kann nichts Wesentliches bekunden. Grupen hat einmal bei ihr für
Frl. Zahn und Dorothea Rohrbeck ein Zimmer gemietet. Am andern Tage hat Grupen
durch einen Dienstmann einen Brief an die Damen gesandt und ihnen mitgeteilt,
daß er in einer dringenden Geldangelegenheit schnell abreisen mußte. Frl. Zahn
hat darauf gesagt: „Das ist komisch.“ Als Frl. Zahn fragte, was für das
Quartier zu bezahlen wäre, habe ich geantwortet, daß Grupen das Zimmer gemietet
und auch bezahlt habe.
Vert. Dr. Mamroth: Ist es richtig, daß Grupen
Ihnen gesagt hat, eine der Damen esse sehr gern Hamburger Räucheraal, Sie
möchten ihr daher zum Abendbrot Räucheraal bringen? - Zeugin: Ja. - Ueber das
Auffinden der Frauenleiche in einem Hamburger Wasserloch hat die Zeugin von
anderer Seite nur ein Gerücht gehört.
Der Staatsanwalt behauptet, Grupen habe noch
andere Wohnungen in Hamburg gehabt. - Angeklagter: Das bestreite ich
entschieden. - Staatsanwalt: Wir werden die Zeugen darüber hören. - Vert. Dr.
Ablaß (zur Zeugin): Ist Grupen einmal mit
d e r k l e i n e n U r s u l a
bei Ihnen gewesen? - Zeugin: Ja, er sagt mir, die Ursula sei krank, und
sie hat auf dem Sofa schlafen müssen. Einen Gasschlauch habe ich bei Grupen
nicht gesehen.
Eine
Bitte an die Presse.
Der Vorsitzende bemerkt, daß in diesem Prozeß
eine große Menge Schreiben und Telegramme mit allerlei Behauptungen bei den
Behörden einlaufen. Auch bei Frau R e i
c h s p r ä s i d e n t E b e r t ist ein Schreiben eingegangen, von dem eine
Abschrift bei den Akten ist.
Oberstaatsanwalt Dr. Reiffenrath bittet im
Interesse aller Prozeßbeteiligten die Presse, Eindrücke irgendwelcher
persönlicher Art nicht zu veröffentlichen, insbesondere nicht über die Persönlichkeit
des Angeklagten. Artikel, wie „Peter Grupen“ und „Hypnose und Verbrechen“ im
Boten, brächten auf falsche Gedanken. Wir haben den Wunsch, daß die Presse nur
über Tatsachen und über den Gang der Verhandlungen berichte.
Justizrat Dr. Ablaß äußert sich als
Verteidiger in ähnlichem Sinne. Für einen Strafprozeß ist die Stimmung das Gefährlichste,
was es gibt. Stimmungsberichte bringen etwas heraus, was dem Angeklagten
derartig nachteilig sein kann, daß er sagt: Ich möchte nicht mehr versuchen,
mein Recht zu wahren. Wenn die gelesenste Hirschberger Zeitung immer schreibt:
„Der Doppelmord in Kleppelsdorf“, so gibt es keinen Leser, der nicht sagt: Hier
ist ein Doppelmord begangen worden. Ob ein Doppelmord vorliegt, das ist aber
doch erst die Frage, über die wir am Schlusse des Prozesses Gewißheit haben
werden. Die Presse sollte den Standpunkt der Objektivität nicht verlassen und
alles vermeiden, was Stimmung g e g e
n gen Angeklagten macht.
Der Vorsitzende erklärt, daß er sich den
Ausführungen des Staatsanwalts und des Verteidigers anschließe.
Hierauf wird die Verhandlung bis Montag
Vormittag vertagt.
*
Die
Sitzung am Montag.
Die Montagssitzung eröffnet der Vorsitzende,
Oberlandesgerichtsrat K r i n k e
, mit einigen geschäftlichen Mitteilungen,
worauf in zunächst öffentlicher Sitzung die Zeugenvernehmung wieder aufgenommen
wurde.
Oberstaatsanwalt D r .
R e i f e n r a t h richtet vor
dem Zeugenaufruf an den Angeklagten die Frage, ob es richtig sei, daß seine
verschwundene Frau am 5. Juni 1882 i
n B e r l i n geboren sei. - Angekl.: In Berlin? Das kann
stimmen.
Nochmals
die Kognakflasche und anderes.
Frau Oberst
S e m e r a k gibt Auskunft über
eine Unterredung, die sie im Januar d. J. mit Dorothea Rohrbeck gehabt hatte.
Fräulein Rohrbeck hat ihr erzählt, daß sie den Inhalt einer Kognakflasche
untersuchen lassen wollte. Als die Zeugin nach dem Grunde fragte, antwortete
Dörte: „Ich fürchte, daß Grupen mir nach dem Leben trachtet.“ Nach der Ursache
zu dieser Befürchtung befragt, erzählte Dörte die Alsterpartie. Grupen habe
damals durchaus keinen Spaß gemacht, als er sein Ruder fortwarf. Die Zeugin
bekundet weiter, es sei unwahr, daß Frl. Zahn das Verhältnis Dörtes mit dem
Leutnant Matthäi begünstigt habe; es habe sich dabei überhaupt nur um eine
Mädchenschwärmerei gehandelt.
Rittergutsbesitzer L u x :
Es fiel mir auf, daß Frau Eckert, als wir nach dem Morge in dem
Winterzimmer saßen, wo am 14. Februar Mühle gespielt wurde, am Ofen saß,
einnickte und wieder aufwachte. Ich kam auf die Idee, festzustellen, ob es der
Frau Eckert auffalle, wenn jemand die Tür öffne und das Zimmer verlasse. Ich ging
durch das Billardzimmer hinab bis zum Fremdenzimmer. Nach etwa 50 Sekunden kam
ich zurück und hatte n i c h t den Eindruck, daß Frau Eckert meine
Abwesenheit bemerkt hätte. - Vors.: Wie ist der Charakter der kleinen Irmgard
Schade, die Sie in Pflege genommen haben? - Zeuge: Ich habe viel Freude an dem
Kinde. Es ist geradezu empörend, daß dem Kinde wegen einer einfachen Lüge
Eigenschaften beigemessen werden, die es tatsächlich gar nicht hat. - Vert. Dr.
Mamroth: Kannten Sie die Mutter der Irma Schade? - Zeuge: Bei einem Besuch
gewann ich den Eindruck, in einem sehr geordneten Hauswesen zu sein. Meine Frau
hat mir einmal von der Angelegenheit des Fabrikbesitzers Schultz erzählt, sonst
ist mir über Frau Schade nichts bekannt geworden. - Staatsanwalt: Hatten Sie
den Eindruck, daß die Mutter sehr an den Kindern hing? - Zeuge: Ja, den
Eindruck bestätigte der geordnete Zustand der Sachen der Kinder.
Frau Hotelbesitzer M e i s t e r e r n s t aus Altona: Im September 1920 wünschte Frau
Grupen bei ihr ein Zimmer. Da das Hotel aber besetzt war, ging Frau Grupen fort
und ließ eine Pelzjacke zurück, die Pelzjacke ist nach einigen Wochen von
Grupen abgeholt worden. Grupen selbst bestellte auch im September, nachdem
seine Frau dagewesen war, ein Zimmer mit zwei Betten. Beim Oberkellner meldete
er sich als „Architekt Peter Grupen mit Nichte“ an. Die Zeugin beauftragte den
Oberkellner, dem Grupen, wenn er wiederkomme, zu sagen, daß die Nichte ein besonderes
Zimmer haben müsse, weil es sich um ein noch nicht sechzehnjähriges Mädchen
handelte. - Vert. Dr. Mamroth: Wollte nicht Grupen das Zimmer nur für einen Tag
haben, damit Frl. Rohrbeck sich von der Nachtreise ausruhe, während er
Besorgungen erledige? - Zeugin: Das weiß ich nicht.
„Desto
besser kann ich schießen.“
Gutsverwalter S c h ö p k e aus Buckow bei Berlin hatte mit Grupen eine
Unterredung, als er mit Dörte der Großmutter Eckert einen Besuch abstattete.
Grupen rühmte sich ein guter Schütze zu sein, der wiederholt Schießpreise
bekommen habe. Als ihn der Zeuge darauf hinwies, daß er nur einen Arm habe,
bemerkte Grupen: „ D e s t o b e s s e r
k a n n i c h s c h i e ß e n . “ Dörte habe sich auf den Besuch der
Großmutter gefreut, es sei ihr aber unangenehm gewesen, daß Grupen mitgekommen
war. Zeuge hat die Ursula in Kleppelsdorf kennen gelernt. Ursel habe einen
scheuen Eindruck gemacht, sei aber für freundliche Worte durchaus zugänglich
gewesen. Zeuge weiß auch, daß Frl. Zahn gesagt hat: „Es ist furchtbar, daß
dieser Mann (Grupen) in unserem Hause ist!“
Die
Unterbindetasche?
Eine
Schülerin, die auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft mehrere Tage Ursulas
Unterbindetasche mit dem Revolver und den Patronen getragen hat, sagt aus, daß
sie dabei beim Gehen und bei häuslichen Verrichtungen sehr behindert worden
sei.
Beeinflussungsexperimente?
Gaswerksdirektor W r o b e l
hat im Auftrage des Staatsanwalts festzustellen versucht, ob die
Stütze M o h r , Frau
E c k e r t und die kleine I r m a
leicht oder schwer zu beeinflussen sind, ob sie unter dem Einfluß des
Angeklagten stehen und wie ihre Aussagen bezüglich des Verlassens des Zimmers
durch Grupen zu bewerten sind. Die Versuche wurden im Winterwohnzimmer an dem
bekannten Tische, an dem Mühle gespielt worden war, vorgenommen. Sowohl die
Irma wie Frau Eckert haben im Zustande suggestiver Beeinflussung nicht bemerkt,
daß der den Versuchen beiwohnende Oberstaatsanwalt das Zimmer verließ. Die
Stütze Mohr ist zwar, wie die übrigen Beteiligten, mit den Experimenten des
Zeugen wohl einverstanden gewesen, hat aber den Versuchen Widerstand entgegengesetzt;
sie war nicht dazu zu gewesen, die Brillantnadel auf der Krawatte des Zeugen
fest anzusehen, sie sah vielmehr immer vorbei. Es mußte daher bei ihr von den
Beeinflussungsversuchen Abstand genommen werden. Frl. Mohr hat damals dem
Zeugen gegenüber ganz entschieden bestritten, daß Frl. Zahn beim Mühlespiel
durch das Zimmer gegangen sei, dagegen hat sie wiederhold die Aeußerungen
Grupens wiedergegeben: „Es ist gut, daß wir zusammen waren und daß Ihr wißt,
daß ich das Zimmer nicht verlassen habe.“ Zum Schluß schildert der Zeuge ein an
Dorothea Rohrbeck bei einer gesellschaftlichen Veranstaltung vorgenommenes
Experiment auf dem Gebiete der Wachsuggestion.
Die
Untersuchungsrichter.
Nach einer kurzen Pause wird
Landgerichtsrat P i e t s c h vernommen, der eine kurze Zeit die
Vernehmungen vorgenommen hat. Der Zeuge bekundet, daß Grupen gesagt habe, er
hätte bei dem Auffinden der Leichen die Schußwaffe aufgehoben, gesichert und
auf den Tisch gelegt. - Der Angeklagte bemerkt hierzu, daß er sich zunächst
infolge der Aufregung nicht mehr genau auf das Auffinden der Waffe erinnern
konnte. Erst später nach gründlicher Prüfung und auf wiederholtes Befragen habe
er erklärt, wenn er den Revolver aufgehoben habe, dann habe er auch möglicherweise
den Sicherheitsflügel umgelegt. Eine bestimmte Erklärung hierüber habe er aber
nicht abgegeben und auch nicht abgeben können. An den Zeugen richtet der
Vorsitzende die Frage, ob er bei der Vernehmung des Angeklagten den Eindruck
hatte, daß dieser die Absicht hegte, den Gang der Untersuchung zu erschweren,
oder ob er bestrebt war, die Sache aufzuklären. Der Zeuge erklärt hierzu, daß
der Angeklagte damals auf die Frage, wo seine Frau sei, keine Antwort gegeben
und den Zeugen vielmehr dabei sehr scharf angesehen und erklärt habe: Ich kann
darüber nur in der Hauptversammlung Auskunft geben. Ich fürchte, mit meiner
Auskunft meiner Frau und anderen Personen Ungelegenheiten zu bereiten. Ich
hatte den Eindruck, daß der Angeklagte etwas zu verheimlichen hatte und
verheimlichen wollte. Es schien, als ob sich der Angekl. auf mich stürzen
wollte. Ferner hat der Angekl. bestritten, mit den beiden Dienstmädchen intim
verkehrt zu haben. - Der Angeklagte bestreitet, die Absicht gehabt zu haben,
sich auf den Zeugen zu stürzen. - Dem Zeugen Pietsch ist noch aufgefallen, daß
der Angeklagte die aus dem Gefängnis gesandten Briefe mit einer sehr schönen,
regelmäßigen Schrift geschrieben hat. Grupen behauptet hierzu, daß er im
Gefängnis die Briefe viel sorgfältiger schreiben konnte, weil er mehr Zeit
hatte. Auf Befragen des Verteidigers Dr. Ablaß erklärt der Zeuge P i e t s c h noch, daß er auf Grund des vorgelegten
Materials den Angeklagten für schuldig gehalten habe.
Der nächste Zeuge ist der Geheimrat D u b i e l , der die Untersuchung in der Hauptsache
geführt hatte. Auch er ist auf Grund des vorliegenden Materials zu der
Ueberzeugung von der Schuld des Angeklagten sowohl bezüglich des Mordes als
auch des Sittlichkeitsverbrechens gekommen. Der Angeklagte war bei seinen
Vernehmungen sehr gesprächig, aber sehr vorsichtig und er hütete sich, sich
festzulegen. Der Zeuge bekundet dann, daß er nach der Tat eine Zusammenkunft
der Stütze Mohr mit dem Bruder des Angeklagten, Wilhelm Grupen, verhindern
wollte, beide hätten sich aber trotzdem getroffen. Ob und was sie aber für ihre
Aussagen vereinbart haben, kann der Zeuge nicht angeben.
Mittagspause.
Mittwoch, den 14. Dezember 1921, „Der Bote
aus dem Riesengebirge“
Kleppelsdorfer
Mordprozeß.
Spiritistische
Gerüchte über Frau Grupen.
Hirschberg, 13. Dezember.
Montag nachmittag wurde unter Ausschluß der
Oeffentlichkeit verhandelt. Vorher war die Vernehmung des Untersuchungsrichters
zu Ende geführt worden. Der Angeklagte verlor bei dieser Gelegenheit einen
Augenblick die Ruhe, mit der er bisher in starker Selbstbeherrschung dem Gang
der für alle Prozeßbeteiligten gleich anstrengenden Verhandlung gefolgt war. Er
schlug mit der Faust auf den Tisch und gebrauchte dabei zum ersten Male in all
den Tagen die Wendung: „Ich bin unschuldig.“ Am heutigen Dienstag wurde
zunächst weiter unter Ausschluß der Oeffentlichkeit verhandelt. Frau Grupens
angebliche anormale Veranlagung, die nach des Angeklagten Behauptung das eheliche
Verhältnis unhaltbar gemacht haben soll, war dabei Gegenstand der
Beweisaufnahme. Im weiteren Verlauf der Sitzung gab der Vorsitzende Aufklärung
über den Ursprung der seit Sonnabend in der Stadt umlaufenden Gerüchte, daß die v e r s c h w u n d e n e F r a u
G r u p e n s i c h i n
d e r W e s t s c h w e i z a u f h a l t e . Nach der Mitteilung des Vorsitzenden befand
sich unter den vielen Zuschriften, die bei ihm täglich eingehen, auch ein
Schreiben der Breslauer Staatsanwaltschaft, wonach sich bei ihr ein Herr
Eichler gemeldet habe, der Auskunft über den Aufenthalt der vermißten Frau
Grupen geben könne. Frau Grupen soll sich in Turni (Westschweiz) aufhalten. Auf
Veranlassung der Hirschberger Staatsanwaltschaft ist Eichler in Breslau
polizeilich vernommen worden, wobei sich herausstellte, daß das Gerücht über
den Aufenthalt der Frau Grupen d a
s E r g e b n i s e i n e r
s p i r i t i s t i s c h e n S
i t z u n g i s t . Der Gerichtshof hat unter diesen Umständen
davon abgesehen, Herrn Eichler als Zeugen nach Hirschberg zu laden.
Aus den weiteren Aussagen des U n t e r s u c h u n g s r i c h t e r
s D u b i e l heben wir hervor: Als Grupen seinem Bruder
Wilhelm gegenüberstand, weinte er und vermochte nicht zu sprechen. Ich hatte
den Eindruck, daß Wilhelm Grupens Frau glaubte, ihr Mann würde auch verhaftet
werden. Auf Veranlassung des Angeklagten habe ich die Stütze Mohr garüber vernommen,
was sie von der „Ueberraschung“ (Ursulas Brief an Großmutti) wisse. Mir war es
aufgefallen, daß die Mohr bei ihrer ersten Vernehmung nichts gesagt hatte von
dem Briefe, der bei Ursula, als sie im Sterben lag, gefunden worden ist. Auf
meine Frage, was sie von dem Briefe wisse, antwortete die Mohr ganz
gleichgültig: „Ach so, der Brief.“
Verteidiger Dr. Mamroth: Schlossen Sie aus
diesem Vorgange, daß der Angeklagte, der Sie zu der Vernehmung der Mohr über
diesen Punkt veranlaßt hat, bemüht gewesen ist, die Ermittelungen zu fördern? -
Zeuge: Meines Erachtens handelte es sich hier um einen Umstand, den der
Angeklagte zu seinen Gunsten festgestellt wissen sollte. - Verteidiger Dr.
Mamroth: Meinen Sie, daß die Mohr, die geneigt sein soll, für den Angeklagten
Günstiges zu sagen, den Brief absichtlich verschwiegen hat? - Zeuge: Das weiß
ich nicht, ich wunderte mich aber darüber, daß die Mohr einen so wichtigen
Umstand nicht von selbst erwähnt hat.
„Ich
bin unschuldig.“
Angeklagter (erregt): Obwohl mir der
Staatsanwalt gesagt hat, er sei fest überzeugt, daß ich den Brief an Großmutti
geschrieben habe, habe ich den Untersuchungsrichter auf den Brief aufmerksam
gemacht und ihn ersucht, die Mohr darüber zu vernehmen. Der Herr Staatsanwalt
bringt den Brief mit meiner Schuld vage in Verbindung. Meine Schuldfrage steht
nicht fest und (der Angeklagte schlägt heftig mit der Faust auf den Tisch) ich
behaupte: ich bin unschuldig. - Staatsanwalt: Ich bitte festzustellen, daß ein
Widerspruch besteht zwischen den Erklärungen, die der Angeklagte am Sonnabend
bezüglich der Briefe Ursulas an Frau Barthel gab, und seinen Aussagen über
diesen Punkt bei der Vernehmung durch den Untersuchungsrichter. Am Sonnabend
sagte der Angeklagte, er habe die Ursula nicht veranlaßt, an Frau Barthel zu
schreiben. In der Voruntersuchung behauptete er das Gegenteil.
Der Vorsitzende stellt aus den
Untersuchungsakten folgende Niederschrift fest: „Dem Angeschuldigten wurde der
bei Ursula vorgefundene Brief an Großmutti und sein eigenes Schreiben an seinen
Bruder Wilhelm Grupen vorgelegt, um die Uebereinstimmung der Schriftzüge
festzustellen. Er erklärte: Ich habe den Brief an Großmutti nicht geschrieben,
er ist meiner Ueberzeugung nach von Ursula geschrieben. Zwecks
Schriftvergleichung wurde ihm der Brief der Ursula an Frau Barthels vorgelegt.
Er erklärte: Ich hatte sie beauftragt, an Frau Barthels und deren Tochter in
Itzehoe je einen freundlichen Brief zu schreiben. Ursula schrieb den einen Teil
des Briefes an Frau Barthels, den anderen an die Tochter. Ich riß beide Seiten
des Briefes auseinander und befahl Ursula an Frau Barthels und an die Tochter
je einen Brief zu schreiben. Ursula schrieb einen zweiten Brief an Frau
Barthels und benutzte den alten als Konzept. Der erste Brief muß in meiner
schwarzen Hose stecken.
Der Angeklagte bemerkte hierauf, er gebe zu,
die Ursula zu dem Briefe an Frau Barthels
v e r a n l a ß t , aber
nicht b e a u f t r a g t zu haben.
Staatsanwalt (zu Frau Eckert): Der Angeklagte
behauptete doch am Sonnabend, S i
e hätten die Briefe an Frau Barthel
veranlaßt. - Frau Eckert: Ich bin immer vorgeschoben worden.
Ein Geschworener: Ist festgestellt, daß die
Haustüren dauernd verschlossen waren, besonders am Mordtage? - Frl. Zahn: Wir
hielten beide Haustüren unter Verschluß. Die Tür in das sogenannte Eßzimmer war
offen, die Verandatür war verschlossen. - Angeklagter: War die Tür nach dem
kleinen Hof verschlossen? - Frl. Hirsch: Die Eingangstür vom kleinen Hof zum
Küchenflur war stets verschlossen, ebenso die Tür vom Küchenflur zur Rollstube.
Auf Antrag des Staatsanwalts wird nunmehr die
Oeffentlichkeit
ausgeschlossen.
Im Einverständnis mit den Prozeßbeteiligten
bleiben die Pressevertreter im Gerichtssaal.
Die Beweisaufnahme wendet sich dem
angeblichen Sittlichkeitsverbrechen an Grupens Stieftochter Ursula zu. Hierüber
wird zunächst Frau E c k e r t vernommen. Die Ursula klagte eines Tages
über Schmerzen, der Angeklagte erzählte ihr davon und fuhr mit dem Kinde zu
einem Arzt. Grupen gab ihr als Ursache des Leidens eine harmlose Angelegenheit
an. Ein Gehilfe des Angeklagten behandelte dann das Kind unter Grupens Leitung.
Frau Eckert hat das damals als lobenswert empfunden, zumal niemand anders da
war.
Die kleine Ruth R e s k e ,
jetzt in Berlin-Zehlendorf bei den Großeltern, eine Pflegetochter der
Frau Grupen, berichtet, daß die Frau des Angeklagten einmal von Amerika sprach
und zu ihrem Mann sagte: „Wenn Du artig bist, Peter, nehme ich Dich mit.“ Die
Ruth, offenbar ein sehr gewecktes Kind, erklärte heute, daß sie diese Aeußerung
für Scherz gehalten habe.
Es erscheint dann ein damals 19 Jahre
altes D i e n s t m ä d c h e n des Angeklagten. Ihr hat Grupen die Ehe
versprochen, schon wie seine Frau noch bei ihm war. Die Zeugin hatte den Angeklagten
gern und trat in engere Beziehungen zu ihm. Von einem Vergehen Grupens an
seiner Stieftochter oder einer anormalen Handlung der Mutter der Ursula
gegenüber weiß die Zeugin nichts.
Weiterhin werden noch einige Mädchen
vernommen, die sich durch Eheversprechungen des Angeklagten verleiten ließen,
mit ihm in nähere Beziehungen zu treten. Eins dieser Mädchen war in ähnlicher
Art wie der Angeklagte und die kleine Ursula erkrankt. Ueber den Zusammenhand
dieser Erkrankungen wurden gutachterliche Aeußerungen nicht abgegeben.
Um 8 ½ Uhr wird die Verhandlung auf Dienstag
½ 10 Uhr vertagt.
*
Dienstag-Sitzung.
Am Dienstag wurde zunächst in
nichtöffentlicher Sitzung weiter verhandelt. Eine intime Freundin der
verschwundenen Frau Grupen bekundet, daß der Angeklagte einmal zu seiner Frau
gesagt habe: Durch Scheidung gehen wir nicht auseinander, n u r
d i e W a f f e k a n n
u n s t r e n n e n ! Der Angeklagte habe damit einen S e l b s t m o r d durch Erschießen gemeint: die Zeugin sei
aber fest überzeugt, daß er Komödie spielte. Das Verhältnis zwischen den
Eheleuten sei überhaupt nicht so gewesen, wie es nach außen hin schien, und wie
es hätte sein sollen. Hinter verschlossenen Türen wird auch dann W i l h e l m G r u p e n , der Bruder des Angeklagten vernommen, der
einen anormalen Vorgang zwischen der F
r a u des Angeklagten und der U r s u l a
beobachtet haben will.
Die m
e d i z i n i s c h e n S a c h v e r s
t ä n d i g e n sprachen sich in ihrem
Gutachten sehr zurückhaltend über die Wahrscheinlichkeit des dem Angeklagten
zur Last gelegten Sittlichkeitsverbrechens aus. Die Möglichkeit eines intimen
Verkehrs Ursulas mit dem Angeklagten wurde zugelassen, weil ein solcher Verkehr
sich im Rahmen der Diagnose befindet.
Der Angeklagte erklärte sich mit dem Antrage
eines Sachverständigen, von ihm eine Blutsprobe zur Feststellung einer gewissen
Krankheit zu entnehmen, einverstanden.
Mittagspause.
Um ½ 4 Uhr wird die Oeffentlichkeit wieder hergestellt.
Donnerstag, den 15. Dezember 1921, „Der Bote
aus dem Riesengebirge“
4 Seiten ziemlich hell, aber Sonderausgabe zu
dunkel mit Durchschimmern der Rückseite
Die
Tragödie auf Schloß Kleppelsdorf.
Das
Verschwinden der Frau Grupen.
Hirschberg, 14. Dezember.
In der Nacht zum Sonntag hofft man, das
Urteil fällen zu können. Ob das Programm inne gehalten werden kann, steht
freilich noch dahin. Es sind noch eine große Zahl Zeugen zu vernehmen, und die
Sachverständigen, deren eine stattliche Zahl an der Gerichtsstätte versammelt ist,
werden für ihre Ausführungen auch längere Zeit beanspruchen. Die Echtheit der
Briefe, die Lage der Patronenhülsen, die Bahn der Geschosse, die Art der
Wunden, die Frage der hypnotischen und suggestiven Beeinflussung und noch
manches andere mehr bedarf noch der Klärung durch Gutachten. Einen vollen Tag,
wenn nicht mehr, dürfte die Vorbereitung und Durchführung der Plädoyers erfordern.
Die Verhandlung selbst zeichnet sich trotz
der Ueberanstrengung, die sie für alle Beteiligten bedeutet, auch heute noch
wie am ersten Tage durch die ruhige und sachliche Form der Wahrheitsermittelung
vorteilhaft von manchen Verhandlungen in jenen Zeiten aus, als Vertreter der
Anklagebehörden ihre vornehmste Aufgabe in der Verfolgung politisch unbequemer
Personen erblickten. Oberlandesgerichtsrat Krinke, klar und klug in seiner
Fragestellung, manchmal nicht ohne Ironie und Humor, aber stets von gütiger
Milde, die auch bei den peinlichsten Fragen die Befangenheit der Zeuginnen
rasch zu bannen versteht, erweist sich immer mehr als Verhandlungsführer großen
Schlages. Er ist von unerschütterlicher Geduld, und nur, wenn Zeugen, und noch
obendrein solche, die vor Gericht zu verkehren gewohnt sind, ihre Aussagen in
den Bart murmeln, klingt durch seine Ermahnungen, deutlich zu sprechen, ein
Unterton der Unzufriedenheit durch.
Dienstag nachmittag ist unter gewaltigem
Andrange des Publikums die Oeffentlichkeit der Verhandlung wieder hergestellt
worden. Es kamen Dienstag und Mittwoch zunächst die Zeugen, die über das
Verschwinden der Frau Grupen etwas zu bekunden wissen, zur Vernehmung.
Apothekenbesitzer Otto S c h a d e - Berlin (Vater des ersten Mannes der
verschwundenen Frau Grupen): Ostern 1920 stellte mir meine Schwiegertochter
Gertrud den Angeklagten als ihren Ehemann vor. Grupen machte einen günstigen
Eindruck auf mich und nannte mich „Vater“. Auch erklärte er mir, daß er eine
bessere Frau als Trude nicht hätte finden können. Wenige Tage nach dem 19.
September fragte der Angeklagte bei mir telephonisch an, ob er mich im Wartesaal
des Potsdamer Bahnhofs sprechen könnte. Ich war einverstanden. Als Grupen kam,
richtete er an mich die Frage: „Hast Du Nachricht von Trude?“ Auf meine
verneinende Antwort sagte er: „Denke Dir, sie ist fort nach Amerika!“ Ich
ersuchte ihn, weiter zu erzählen, sobald meine Frau gekommen sei. Da wehrte er
ab, und als meine Frau früher als erwartet kam, war er s e h r
b e s t ü r z t . Grupen
äußerte, er habe seiner Frau ein angenehmes Leben bereiten, ihr ein Reitpferd
kaufen wollen und für den Haushalt 50 000 Mk. hergegeben. 80 000 Mk. hätte er
auf der Bank, in kurzer Zeit würde er Millionär sein. Meine Schwiegertochter
hat zu mir niemals davon gesprochen, daß sie
n a c h A m e r i k a gehen wolle. Zur B ü h n e
hatte sie ein gewisses Talent, aber es praktisch zu betätigen, ist nie
ihre Absicht gewesen.
Vors.: Hat der Angeklagte Nachforschungen
nach seiner Frau angestellt? - Zeuge: Der Angeklagte sagte mir, er hätte einen
Detektiv mit Ermittelungen beauftrag, über den Erfolg hat er mir nichts
mitgeteilt. Die Abschiedsbriefe seiner Frau hat er mir gezeigt. Ich erklärte
ihm s o f o r t , daß
T r u d e u n m ö g l i c h d i e s e
B r i e f e g e s c h r i e b e
n haben könne. Eine solche G e m ü t s r o h e i t kann ich Trude nicht zutrauten. (Der
Vorsitzende ersucht den Zeugen Wilhelm Grupen den Saal zu verlassen, weil er
morgen nochmals eingehend vernommen werden soll.) Das Verhältnis meiner
Schwiegertochter mit dem Fabrikbesitzer
S c h u l t z ist uns bekannt
geworden; wir haben ihr, als sie uns um Verzeihung bat, um des Familienfriedens
willen, verzeihen. Das Verhältnis mit Schultz hatte sie erst nach dem Tode
meines Sohnes.
Frau Margarethe S c h a d e , die Gattin des Vorzeugen, hat den
Angeklagten bei seinem ersten Besuch als sehr zurückhaltend kennen gelernt. Vor
der Zusammenkunft auf dem Potsdamer Bahnhof hatte Grupen telegraphisch bei uns
angefragt, ob seine Frau bei uns wäre. Die
A b s c h i e d s b r i e f e ,
die er uns zeigte, kamen mir m e
r k w ü r d i g k ü h l vor. Wenn meine Schwiegertochter wirklich
nach Amerika gegangen sein sollte, so kann sie es nur in g e i s t i g e r U m n a c h t u n g getan haben, denn sie hing sehr an ihren
Kindern. - Vorsitzender: Sie waren bei der Beerdigung in Kleppelsdorf. Was
haben Sie dort der M a r i e M o h r
weggenommen? - Zeugin: Einen Muff und einen Pelzkragen, um beides der kleinen
Irma zu geben. Der Muff war Eigentum meiner Schwiegertochter, bezüglich des
Pelzkragens kann ich das nicht bestimmt behaupten. Ueber die Glaubwürdigkeit
und Aufrichtigkeit der kleinen Irma kann die Zeugin, ebenso wie ihr Ehemann,
aus eigener Erfahrung, nichts Nachteiliges sagen. Die R u t h
R e s k e habe ihr gegenüber
darüber geklagt, daß der Vater (Grupen) sie geschlagen habe, wenn sie mal etwas
nicht nach seinem Willen ausgeführt hatte; auch hätte sie schwer arbeiten
müssen. Die Reise, die Ruth mit dem Vater nach Berlin gemacht habe, sei ihr
(Ruth) schrecklich gewesen, weil der Vater sich mir viel Damen eingelassen
habe.
Bürovorsteher Johann G i l b -
Itzehoe hatte auf Wunsch des Angeklagten die in einem Kuvert
verschlossenen Abschiedsbriefe seiner Frau entgegengenommen. Der Angeklagte sei
sehr niedergeschlagen gewesen, obwohl er noch nicht wußte, was in den Briefen
stand. Der Zeuge bestätigt, daß die Besitzung Grupens in Ottenbüttel ein einsames
Häuschen sei, etwa 200 Meter von der Dorfstraße.
Der
„geknickte Ehemann“.
Rechtsanwalt und Notar R e i n e c k e - Itzehoe: Ich habe die notariellen Akten über
die Uebertragung von Hypotheken der Frau Eckert und der Frau Grupen an den
Angeklagten aufgenommen, desgleichen über die Gütertrennung. Die Akte erfolgten
am 17. und 18. September. An dem Wesen der Frau Grupen ist mir nichts
aufgefallen. Als mir mein Bürovorsteher das Kuvert mit den Abschiedsbriefen der
Frau Grupen übergab, fiel mir auf, daß kein Abschiedsbrief an den Angeklagten
dabei war. Als ich Grupen von dem Inhalt der Briefe Kenntnis gegeben hatte,
machte er auf mich den Eindruck eines „
g e k n i c k t e n E h e m a n n e s “
. Da ich es für unmöglich hielt, daß
Frau Grupen mit 72 000 Mk., die sie nach Angabe des Angeklagten mitgenommen
haben soll, bei dem schlechten Valutastande nach Amerika kommen kann, gab ich
dem Angeklagten den Rat, sofort Nachforschungen anzustellen, damit die Frau
nicht etwa im Sumpf untergehe. „Sie müssen“, sagte ich zu Grupen, „alle Hebel
in Bewegung setzen, um auf die Spur Ihrer Frau zu kommen. Erkundigen Sie sich
bei den Schiffsgesellschaften, fragen Sie auch bei dem Fabrikbesitzer Schultz
an, ob er etwas von dem Aufenthalt Ihrer Frau wisse.“ Nach vierzehn Tagen
beauftrage mich Grupen mit der Einleitung der Ehescheidungsklage. Als ich im
Februar von dem Morde in Kleppelsdorf las, da machte ich mir meine e i g e n e n G e d a n k e n und
l e g t e m e i n M a n d a t
f ü r G r u p e n n i e d e r . Ich wurde dann Abwesenheitspfleger der
verschwundenen Frau Grupen und habe als solcher u. a. das von dem Angeklagten
verpfändete Silber eingelöst.
Vors.: Angeklagter, haben Sie die Ratschläge
des Zeugen befolgt? - Angekl.: Ich war in Berlin. - Vors.: Ich frage, ob Sie in
Hamburg, wie es Ihnen der Zeuge geraten hat, bei der Dampfergesellschaft waren?
- Angekl.: Ich war in Berlin. Der Zeuge hatte mir auch gesagt, ich solle mich
nach der Abreise des Schultz erkundigen, der doch vielleicht mit meiner Frau
durchgegangen war. Ich habe dann Frau Schade gefragt. - Vors.: Frau Schade, hat
der Angeklagte Sie nach Schultz gefragt? - Fr. Schade: Er hat mich nur gefragt,
ob der Schultz damals allein mir meinem Sohn auf der Jagd war, als er
verunglückte.
Vors.: Was haben Sie sonst noch unternommen,
um Ihre Frau zu finden? - Angekl.: Ich habe Herrn Rechtsanwalt Reinecke
gebeten, sich bei der Polizei zu erkundigen. - Zeuge: Ich habe bei der Polizei
telephonisch angefragt und den Bescheid bekommen, sie sei nach Lübeck
abgemeldet.
Vors.: Und was haben Sie sonst getan, um Ihre
Frau zu finden? - Angekl. (schweigt).
Vors.: Wollten Sie denn nun von Ihrer Frau nichts mehr wissen? -
Angekl.: N e i n .
Vert. Dr.
M a m r o t h stellt fest, daß
der Angeklagte von den anempfohlenen Maßnahmen nur unterlassen habe, die
Schifffahrtsgesellschaften zu befragen. Die Aussprache mit den Berliner
Verwandten habe der Zeuge anempfohlen und der Angekl. befolgt. - Vors.: Der
Herr Zeuge hat uns geschildert, daß Sie vollkommen geknickt waren. - Zeuge:
Helle Tränen hat er geweint. - Vors. (fortfahrend): Und hier vor Gericht sagten
Sie eben, daß Sie von Ihrer Frau nichts mehr wissen sollten - das ist doch ein
Widerspruch. - Angekl.: D a n n i s t
d a s e b e n e i n
W i d e r s p r u c h .
Vors.: Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß
die Geschworenen aus diesem Widerspruch Schlüsse ziehen können. - Angeklagter
(nervös): Man weiß eben nicht, was das für eine Frau war - und ich wünsche
keinem - -
Weg ist
das Geld!
Staatsanwalt: Ist Ihnen bekannt, daß der
Angeklagte vom Gefängnis aus noch immer mit der Generalvollmacht über das
Vermögen der Frau Eckert verfügte? - Angekl.: Dann muß man eben x = 0 setzen,
sonst stimmts nicht. - Staatsanw.: Das Vermögen der Frau Eckert soll dich (103
000?) Mark betragen haben. Wo ist das Geld? - Vors.: Weg! (Heiterkeit) -
Angekl.: Frau Eckert hat nichts gehabt. Die
109 000 Mark in Wertpapieren gehörten meiner Frau und nicht Frau Eckert. Ueber
dieses Geld hat meine Frau zum größten Teil verfügt, oder es ausgegeben. -
Vors.: Der Angekl. hat diesen Standpunkt allerdings immer eingenommen.
Bankier
G u l d a c k e r - Itzehoe: Am
18. September ist Frau Grupen in meinem Geschäft gewesen. Da ich nicht anwesend
war, hinterließ sie, daß sie am Montag, den 20. September, wiederkommen wollte.
Etwa eine Woche nach dem Verschwinden der Frau Grupen ist der Angeklagte in
großer Erregung zu mir gekommen und hat erzählt, daß seine Frau verschwunden
sei und daß er sie in Berlin gesucht habe. Bei einer späteren Gelegenheit hat
mir Grupen gesagt, seine Frau sei zu einer Freundin gefahren. Ueber Grupens
persönlichen und geschäftlichen Ruf ist mir Nachteiliges nicht bekannt
geworden. Daß Frau Eckert kein Geld hatte, um die von dem Angeklagten versetzten
Brillanten einzulösen, ist dem Zeugen nicht bekannt.
Was die
Kellinghusener sagen.
Amtgerichtsrat L e m m e
aus Kellinghusen (wo Frau Schade eine Zeitlang gelebt hat) stellt der
kleinen Ursula ein ähnliches gutes Zeugnis aus, wie die Lyzeallehrerin. Ursula
sei ein zartes Kind gewesen, habe kaum einen Revolver halten können.
Vert. Dr. Ablaß: Wie langen haben Sie die
Ursula gekannt? - Zeuge: Ich? Ich habe sie nicht gekannt. Ich weiß das nur von
meiner Frau und die hat es von anderen Damen.
Dr. Ablaß: Haben Sie nicht eine Eingabe
gemacht, der Angeklagte habe sich viel mit Maurerarbeiten beschäftigt und es
sei die Vermutung aufgetaucht, daß er die Leiche seiner verschwundenen Frau
eingemauert habe. - Zeuge: Ja, das sagen die Leute so.
Vert. Dr. Ablaß: Haben Sie nicht auch
berichtet, bei einem Umzuge habe Grupen einen Schrank vom Wagen gestoßen, damit
seine Frau erschlagen werde. - Zeuge: Ja, meine Frau sagte mir, die Leute
sagten, Frau Haffner hätte erzählt, sie hätte bei dem Umzuge nach Itzehoe
mitgeholfen. Als sie sich im Zimmer befand, habe sie plötzlich von der Straße
her den Schrei einer weiblichen Person gehört. Sie sei zunächst an die Tür
gestürzt, habe diese aber v e r s c h l
o s s e n vorgefunden. Dann sei sie an
das Fenster geeilt und habe gesehen, daß von dem vor dem Hause stehenden Möbelwagen
ein Schrank gefallen war. Durch das Herablassen des Schranks h ä t t e
F r a u G r u p e n s c h w e r
v e r l e t z t w e r d e n k ö n n e n . Der Frau Haffner sei es aufgefallen, daß,
als sie auf den Schrei zu Hilfe eilen wollte, die Tür verschlossen gewesen sei.
- Vors.: Aus eigener Kenntnis wissen Sie also nichts? - Zeuge: Neun! - Vors.:
Dann verzichten wir wohl auf den Zeugen?
Ein
Schuß ins Kleppelsdorfer Herrenzimmer.
Der Vorsitzende teilt mit, daß ein bei ihm
soeben eingegangenes Schreiben ihn veranlasse, an F r l .
Z a h n einige Fragen zu
richten. In dem Schreiben wird behauptet, daß einmal d u r c h s
F e n s t e r a u f D o r o t h e a R o h r b e c k g e s c h o s s e n worden sei.
Frl. Zahn: Im Oktober 1919 - der Angeklagte
war damals in Kleppelsdorf - wurde abends um ½ 10 Uhr durch das offene Fenster
des Herrenzimmers geschossen. Es war ein Schrotschuß. Wir haben es uns damals
nicht erklären können und nahmen an, daß der Schuß mehr dem Herrn Bauer gelten
sollte. - Vors.: Ist es richtig, daß
Frl. Dörte durch den Schuß verletzt worden ist? - Zeugin: Dörte saß ja gar
nicht in dem Zimmer, sie saß zwei Zimmer weiter und spielte Klavier. - Vors.:
In dem Schreiben wird unterstellt, daß der Angeklagte den Schuß abgegeben habe.
Dörte soll dem Frl. Semerak erzählt haben, sie sei an der Nase verletzt worden.
- Staatsanwalt: Der Fall ist schon in der Voruntersuchung bekannt geworden.
Der
Koffer.
Hierauf wird der Knecht Otto R o s k e -
Ottenbüttel vernommen. Am 19. September habe er in Itzehoe das Gespann
mit Grupen, seiner Frau und dem Dienstmädchen Kläschen gesehen. Als er um ½ 12
Uhr nachts nach Hause kam, habe er von der Kläschen den Zettel erhalten mit dem
Auftrage der Frau Grupen, den im Schlafzimmer befindlichen Koffer mit
schmutziger Wäsche zur Bahn zu schaffen. Grupen habe gesagt, der Koffer soll
nicht fortgeschickt werden, wir hätten andere Beschäftigung. - Staatsanwalt:
Ich stelle fest, daß der Angeklagte keinen Auftrag gegeben hat, den Koffer
fortzuschaffen. - Vert. Dr. Ablaß: Der Koffer konnte nicht fortgeschafft werden,
weil der Wagen, der die Kinder zur Schule brachte, zu klein war und für ein
anderes Gespann andere Beschäftigung vorlag.
Ein B
e i s i t z e r (zum Zeugen): Sie haben
also den Koffer mit einem anderen Wagen nicht fortgeschafft, weil Sie hierzu keinen
Auftrag von Grupen hatten? - Zeuge: Ja. - Ein Geschworener: Konnte Grupen das
Pferd selbst ausspannen? - Angekl.: Ich bin allein imstande, die Gurte zu
lösen. - Zeuge R o s k e bestätigt, daß Grupen die Pferde allein
ausspannen könne.
Der
Abschiedsbrief und die Kassette.
Dienstmädchen G n i w a k o s k i macht Bekundungen über das Auffinden des in
der Toilette gefundenen A b s c h i e d
s b r i e f e s der Frau Grupen an Frau
Eckert. Auf dem zerknüllten Briefentwurf haben auch die Worte gestanden: „Liebe
Dörte, sei stets gut zu Deiner Großmutter.“ Die Zeugin hat auch bei dem Oeffnen
der Geldkassette durch Grupen mitgeholfen. Als die Kassette aufsprang. sei
Grupen blaß gewesen, aber erst am nächste Tage habe er davon gesprochen, daß in
der Kassette 6 0 0 0 0
M a r k f e h l t e n . Die Kläschen habe ihr erzählt, Grupen hätte
ihr, als er vom Notar aus Itzehoe zurückkam, gesagt, seine Frau sei nach
Amerika verschwunden. Aber früher schon habe Grupen zu Kläschen geäußert, seine
Frau sei krank und würde nach Ansicht des Arztes n u r
e i n o d e r z w e i
J a h r e l e b e n .
Dienstmädchen K l ä s c h e n : Bei der Abfahrt nach Itzehoe am 19.
September, dem Tage, an dem Frau Grupen verschwunden ist, sind die Eheleute fröhlich
und vergnügt gewesen. Ich fuhr mit, um in Itzehoe ins Vereinshaus zu gehen.
Dort sollte ich um 8 Uhr sein, und ich hätte noch Zeit gehabt, mit zum Bahnhof
zu fahren. F r a u G r u p e n
h a t t e e i n e n Z e l t b a h n m a n t el m i t .
Nachdem ich Grupen den in der Toilette gefundenen Zettel gegeben hatte,
fuhr er mit dem aus der Kassette genommenen Kuvert zum Notar und bei seiner Rückkehr
sagte er: „ M e i n e F r a u
i s t w e g , i c h
b i n f r e i ! “ - Vors.: Hatten die Eheleute manchmal Streit
gehabt? - Zeugin: Ja, in der letzten Zeit. Einmal hat Grupen seine Frau
„Frauenzimmer“ geschimpft, weil sie die Frau seines Bruders Wilhelm nicht
grüßen wollte. - Vors.: Hat Frau Eckert nicht zu Frau Grupen gesagt: Mir ist so
Angst, daß du reisest! - Zeugin: Ja, Frau Grupen sagte aber: habe keine Bange,
ich komme bald wieder. Dau weißt ja, d
a ß i c h n i c h t
l a n g e o h n e m e i n e n
M a n n l e b e n k a n n . - Die Zeugin hat auch gehört, daß
Grupen, als seine Frau einmal von einer längeren Reise sprach, sagte: Spukt Dir
Amerika schon wieder im Kopf?
Zwischen den beiden Mädchen und dem
Staatsanwalt entspinnt sich eine längere Aussprache darüber, ob sie nicht, wie
sie früher bekundet haben, den Eindruck hatten, daß der Briefentwurf
absichtlich auf die Toilette gelegt worden ist, damit er dort gefunden werden
solle, und ob die Mädchen nicht a b s i
c h t l i c h z u r O e f f n u n g d e r
K a s s e t t e h i n z u g e z
o g e n worden sind, damit sie als
Zeugen über den Inhalt der Kassette dienen könnten. Die Mädchen vermögen über
die Eindrücke keine klare Auskunft zu geben. Beide wissen nicht, wer ihnen, als
sie nachts mit Roske nach Hause zurückkehrten, das Tor aufgemacht hat. Die Kläschen
bekundet, daß sie den Zettel am Sonntag, den 19. September, v o r
d e r A b f a h r t der Frau Grupen gefunden hat, während sie früher
erklärt hat, ihn erst am nächsten Tage, also am Montag, gefunden zu haben.
Kriminaloberwachtmeister J a r c h o w - Itzehoe bekundet: Die Kläschen habe bei
ihrer ersten Vernehmung erklärt, sie habe den Eindruck gehabt, daß der
zerknüllte Abschiedsbrief absichtlich so in der Toilette niedergelegt worden
sei, um bald gefunden zu werden.
Pastor
T u s c h e - Patschkau gibt
Auskunft über den Charakter der kleinen
I r m g a r d S c h a d e . Irmgard habe ihm im Religionsunterricht
stets Freude gemacht und er habe Veranlassung gehabt, sie vor anderen Kindern
zu loben. Nicht ein einziges Mal habe er sie auf einer Lüge ertappt. Es habe
ihn aufs tiefste empört, als er hörte, daß Irma als Lügnerin hingestellt werde.
Frau
Grupens Glück.
D r .
M ü n z aus Itzehoe: Zwischen
Frau Grupen und ihren Kindern hat ein herzliches Verhältnis geherrscht. Frau
Grupen ist eine gebildete, liebenswürdige Frau gewesen, die ihren Haushalt sehr
in Ordnung gehalten hat und selbst schwere Arbeit nicht scheute. Sie hat sogar
im Garten Bäume gefällt. Um ihre Kinder war sie sehr besorgt, besonders um die
Ursel, die ein langaufgeschossenes, mageres, blutarmes Kind war. Die Kinder
hingen mit gleicher Liebe an ihrer Mutter. Sie waren stets fröhlich und artig.
Bei einem Besuch traf ich die damalige Frau Schade weinend an. Sie sagte mir:
„Soeben habe ich ein Telegramm erhalten, daß mein Verlobter (Stabsveterinär
Reske) an Influenza gestorben ist.“ Bei einem späteren Besuch empfing mich Frau
Schade mit den Worten: „Sie sind Zeuge meines Unglücks gewesen; nun sollen Sie
auch Zeuge meines Glücks sein - und stellte mir Grupen als ihren Verlobten vor.
Anfangs wunderte ich mich darüber wegen des Mißverhältnisses der Jahre, aber
ich hatte den Eindruck, daß sie aus Edelmut gehandelt hatte, weil Grupen im
Kriege den einen Arm verloren hat. Ueber den Ruf, den Frau Grupen bei den
Offizieren in Perleberg genossen haben soll, ist dem Zeugen damals nichts
bekannt geworden. - Ich halte es für ganz ausgeschlossen, daß Frau Schade ihre
Kinder länger als höchstens 14 Tage hätte verlassen können.
Vors.: Halten Sie es für möglich, daß Frau
Schade das mit der Ursel gemacht hat, was hier behauptet worden ist. - Zeuge:
Das möchte ich stark bezweifeln. Sie war eine lebhafte, aber edle Frau. - Vert.
Dr. Ablaß. Halten Sie die Frau für fähig, die Tochter ihres Verlobten, die Ruth
Reske, um ihr Vermögen zu bringen? - Zeuge: Nein.
Geheimrat Moll (zum Zeugen): Können Sie aus
Ihrer Erfahrung bestätigen, daß Frauen, die in ihrem Liebesleben sehr
temperamentvoll sind, doch brave Frauen und gute Mütter sein können? - Zeuge:
Das möchte ich voll unterschreiben. Eine Frau kann heftig in ihren
Liebesbeteuerungen, aber trotzdem reinen Herzens sein.
Vert. Dr. Mamroth: Können Sie aus Ihrer
Erfahrung bestätigen, daß Männer zwischen 25 und 27 Jahren von gesunder
Konstitution, und sinnlicher Veranlagung, vor denen sozusagen kein Mädchen
sicher ist, doch recht brave und nützlich Mitglieder der menschlichen
Gesellschaft sein können? - Zeuge: Das möchte ich nicht ohne weiteres unterschreiben.
Wenn es sich um jüngere Männer unter 25 Jahren handelt, möchte ich auch diese
Frage bejahen. Im allgemeinen sind die Männer ja polygam veranlagt.
Hierauf wurde die Sitzung auf Mittwoch
Vormittag ½ 10 Uhr vertagt.
*
Die
Sitzung am Mittwoch.
Die Schneiderin E h l e r s - Itzehoe kennt Frau Grupen seit Juni 1920.
Sie hat für Frau Grupen ein Dirndlkleid angefertigt, Anfang September aus vier
alten Kleidern neue angefertigt und ein Kostüm umgearbeitet, auch eine rote
Bluse geliefert. Neue Stoffe hat sie zu den Kleidern nicht verarbeitet. - Staatsanwalt:
Ich bitte, die Zeugin Frau Mohr zu befragen, wie sie zu ihrer Bekundung
gekommen ist, Frau Grupen habe sich vor ihrem Verschwinden vier n e u e
Kleider machen lassen. - Auf die entsprechende Frage des Vorsitzenden
erklärt Zeugin F r a u M o h r :
Ich hatte Fräulein Ehlers so verstanden, daß sie neue Kostüme gearbeitet
habe.
Die nächste Zeugin, Frau Luzie H a f f n e r macht Bekundungen über das Eheleben des
Angeklagten. Zehn Tage, nachdem Grupen mit seiner Frau die Zeugin besucht
hatte, wobei das Ehepaar einen zufriedenen Eindruck machte, hat die Zeugin in
Itzehoe einen Gegenbesuch gemacht. Da ist sie furchtbar enttäuscht gewesen.
Frau Grupen ärgerte sich schwer über die Unpünktlichkeit ihres Ehemannes. Sie
hatte auch bei großen Unpünktlichkeiten Befürchtungen, daß ihm ein Unglück
zugestoßen sein könnte. da er nur einen Arm hat. Grupen habe auch einmal nach
Ottenbüttel fahren und sich dort erschießen wollen. Die Frau habe ihn deshalb
in sein Zimmer eingeschlossen, Grupen aber habe die T ü r
e i n g e s c h l a g e n .
Den V o r f a l l m i t
d e m S c h r a n k beim Umzuge nach Itzehoe stellt die Zeugin
als harmlos dar: sie habe nicht den Eindruck gehabt, daß Grupen etwas Böses im
Schilde führte.
Vors.: Hat Frau Grupen Ihnen erzählt, daß sie
mit ihrem Mann eine nachträgliche Hochzeitsreise nach Amerika machen wolle, und
zwar zu einem reichen Onkel des Angeklagten?
Zeugin: Ja. - Frl. Zahn: Der Angeklagte hat
mir beim Besuch in Itzehoe erzählt, er habe ich Amerika einen sehr reichen
Onkel, der ihn besonders im Erbe bevorzugt hätte. Der Angeklagte wollte
spätestens im Juni 1921 abreisen. Seine Frau wollte er mitnehmen, und er fragte
mich und Frl. Dörte, ob wir ihn begleiten wollten. Daß er mit seiner Frau nach
Amerika fahren wolle, hielt ich für Ernst, die Aufforderung an Dörte und mich,
ihn zu begleiten, für Spaß.
Zeugin
H a f f n e r : Grupen hat in
Ottenbüttel viel a u f V ö g e l
g e s c h o s s e n . Die
Ottenbüttler behaupten, Grupen habe seine Frau in einen Keller eingemauert.
Zeuge
B o o s - Tempelhof, Bruder der
Frau Eckert, sagt aus, er habe geglaubt, daß zwischen den Grupenschen Eheleuten
ein gutes Einvernehmen herrsche. Frau Grupen habe ihren Mann sehr geliebt, der
Angeklagte war ruhiger. Als ich hörte, Frau Grupen sei mit 70 000 Mark nach
Amerika gegangen, sagte ich mir, daß mit tausend Dollar in Amerika nichts
anzufangen sei und daß der Sachverhalt ein anderer sein müsse. Ich schrieb
meiner Schwester, sie möchte alles tun, um das Verschwinden der Frau Grupen
aufzuklären. Meine Schwester antwortet mir: „Peter besorgt alles.“ Es wundert
mich auch, daß der Angeklagte, obwohl er die Ehescheidung beantragt hatte,
verwandtschaftliche Besuche in Kleppelsdorf machte. Der B r u d e r
des Angeklagte habe in Ottenbüttel auf ihn, den Zeugen, einen u n h e i m l i c h e n E i n d r u c k gemacht, so daß der Zeuge annahm, Wilhelm
Grupen wisse von der Tat in Kleppelsdorf mehr als sein Bruder Peter. - Ein
Geschworener: Kann der Zeuge aussagen, welcher der beiden Brüder der
willensstärkere ist? - Zeuge: Nein.
Auch
dem Kindermädchen die Ehe versprochen.
Die Zeugin
G n i w a k o w s k y wird auf
ihren Wunsch nochmals vernommen, weil sie in ihrer gestrigen Aussage etwas
vergessen habe. Das Verhältnis mit der Kläschen hatte der Angeklagte schon vor
dem Verschwinden seiner Frau. Als Kläschen aber erfuhr, daß Grupen a u c h
s e i n e m K i n d e r m ä d c
h e n C h a r l o t t e M ü l l e r
d i e E h e v e r s p r o c h e n hatte, habe sie ihn zur Rede gestellt.
Darauf sei es zu einer Auseinandersetzung zwischen Grupen und der Müller
gekommen, wobei diese ihm um den Hals gefallen sei. Auch dies sei passiert, als
Frau Grupen noch nicht weg war.
Staatsanwalt: Hat Grupen die Kläschen schon
so behandelt, als wäre es sein Frau, sodaß Frau Grupen sich darüber geärgert
hat? - Zeugin: Das weiß ich nicht.
Vors. (zum Angeklagten): Nun, was sagen Sie
zu diesen Dingen? Von der Charlotte Müller haben wir bisher überhaupt noch
nichts gehört.
Angekl.:
V o n d i e s e n V o r g ä n g e n h a b e
i c h n i c h t s b e m e r k t . (Heiterkeit bei den Zuhörern.)
Vert. Dr. Ablaß: Ist die Zeugin draußen im
Flur von anderen Zeugen auf die jetzt bekundeten Vorgänge aufmerksam gemacht
worden? Man kämpft hier anscheinend gegen dunkle Mächte. Vielleicht genügt es,
daß ich an das Gewissen der Zeugin appeliere.
Vors.: Ich weiß nicht, wie wir Gespräche
unter den Zeugen verhindern können. Ich bin aber bereit, die Zeugen darauf
aufmerksam zu machen, daß sie möglichst wenig über diesen Fall untereinander
sprechen. Von verschiedenen Zeugen liegen mir schriftliche Anträge vor,
nochmals vernommen zu werden, weil sie glauben, etwas vergessen zu haben. Ich
habe die Leute, da es sich um Unwesentliches handelte, beruhigen können: nur in
einem Falle wird dem Antrage auf nochmalige Vernehmung stattgegeben.
Oberstaatsanwalt Reifenrath: Die
Staatsanwaltschaft muß unter allen Umständen Wert darauf legen, daß jeder
Zeuge, dem nachträglich etwas einfällt, dies uneingeschüchtert hier zur
Kenntnis bringt. Es kommt nicht darauf an, den Täter aus der Schlinge zu
ziehen, sondern ihn zu ermitteln und ihn zu überführen.
Vert. Dr. Ablaß: Auf der Verteidigerbank
sitzen keine Menschen, die die Absicht haben, einen Angeklagten aus der
Schlinge zu ziehen.
Vors.: Das nehme ich als ganz
selbstverständlich an.
Vert. Dr. Mamroth: Es ist nicht die Aufgabe
des Verfahrens, den Angeklagten zu überführen, sondern die Wahrheit
festzustellen.
Vors. (zur Zeugin Kläschen): Was hat Ihnen
der Angekl. erzählt, als er vom Notar aus Itzehoe kam? - Zeugin: Er sagte,
seine Frau wäre weg. - Vors.: Hat er nicht gesagt: „Nun können wir heiraten?“ -
Zeugin: Soviel ich weiß: nein!
Dann wird der Bruder des Angekl. H e i n r i c h G r u p e n
vernommen, der erklärt, von seinem Zeugnisverweigerungsrecht keinen
Gebrauch machen zu wollen. Es wird ein Brief verlesen, den der Zeuge am 25.
Oktober 1920 an den Angeklagten gesandt hat. In dem Briefe wird der Angeklagte
von dem Zeugen aufgefordert, seinen Verpflichtungen gegenüber der Mutter nachzukommen,
die er bei der Uebernahme des elterlichen Hauses übernommen hat. Ueber den
Inhalt des Briefes selbst wird der Zeuge am Nachmittag ausführlich vernommen
werden.
Frau
Grupen und Herr Schultz.
Der nächste Zeuge ist Herr v .
T o b o l t , Direktor der
landwirtschaftlichen Schule in Perleberg. Er gehörte mit zu einem Freundeskreis,
zu dem auch der Apothekenbesitzer Schade und dessen Frau, die spätere Frau
Grupen, gehörte. Als 1911 Herr Schade auf der Jagd tödlich verunglückt war, nahm sich der
Fabrikbesitzer S c h u l t z, der auch mit zu diesem Freundeskreis
gehörte, der Frau Schade an. Er führte ihr die Bücher und stand ihr bei, doch
gewann er ihr Vertrauen offenbar mehr, als erlaubt war. Die andern Herrschaften
brachen infolgedessen den Verkehr mit Frau Schade und Herrn Schultz ab, dem
auch nahegelegt war, a u s d e r
L o g e a u s z u t r e t e n
. Bald darauf zog Frau Schade nach
Berlin und Herr Schultz mit seiner Frau nach Frankfurt a. M. Ob Frau Schade mit
Herrn Schultz eine Reise unternommen hat, weiß der Zeuge nicht. Nach seiner
Kenntnis ist das Verhältnis zwischen der Frau Schade und Herrn Schultz e r s
t n a c h d e m
T o d e d e s H e r r n
S c h a d e e n t s t a n d e n
.
Frau Zahntechniker S t u b b e
aus Itzehoe war Nachbarin von Grupen. Sie war der Ansicht, daß die Ehe
zwischen dem Angeklagten und seiner Frau anfangs sehr glücklich war. Frau
Grupen hielt offenbar viel von ihrem Manne, dem sie auch viel zu Gefallen getan
hat. Ob das auch von seitens des Angeklagten der Fall war, weiß die Zeugin
nicht anzugeben. Frau Grupen war sehr fleißig, sie hat gearbeitet wie ein Mann.
Die Familie zog viel um, sodaß es sehr viel Arbeit gab.
Frl.
W e s t e r m a n n aus Itzehoe
hatte den Eindruck, daß die ihr gut bekannte Frau Eckert stark inter dem Einfluß
des Angeklagten stand. Bei Grupen war ein furchtbar unruhiger Haushalt durch die
vielen Umzüge. Der Zeugin ist der Angeklagte unheimlich vorgekommen, doch kann
sie für diese Ansicht keine bestimmte Begründung angeben. Als Frau Grupen
verschwunden war, hatte die Zeugin gleich Verdacht gegen den Angeklagten. Als
sie später nach der Kleppelsdorfer Sache diesen Verdacht gegen Frau Eckert
äußerte, sagte diese: warum haben Sie das nicht früher gesagt! Die Umzüge
erschienen der Zeugin mitunter wenig begründet, so der letzte Umzug von Itzehoe
nach Ottenbüttel.
Frau Margarete D i s t e l aus Rostock bei Kellinghusen war eine gute
Freundin der Frau Grupen, die sie als tüchtige Hausfrau und gute Mutter
schilderte. Sie hatte die Empfindung, daß die beiden Eheleute nicht ui einander
paßten. Bei einem Besuch der Zeugin benahm sich der Angeklagte auch nicht
passend, er widersprach fortgesetzt seiner Frau, als wenn er sie reizen
wollte.
Von einer Amerikareise hat Frau Grupen nie
gesprochen, im Gegenteil hatte sie erklärt, sie ließe sich Kleider machen, da
sie im Winter 1921/22 in Gesellschaft gehen wollte. Eine dramatische Begabung
hatte Frau Grupen, das zeigte sie bei ihren Vorträgen, aber von ihrer Absicht
zur Bühne zu gehen, ist der Zeugin nichts bekannt. Frau Grupen liebte Schmuck
und trug alle Tage ihre wertvollen Ringe.
Die Zeugin hält es für unmöglich, daß Frau
Grupen ihren Kindern etwas Unanständiges zugemutet hätte. Frau Grupen soll eine
edle Frau gewesen sein.
Zeuge Heinrich S c h m i d t - Ottenbüttel: Grupen war mein Nachbar. Er
sagte mir, er könne mal mein Schwiegersohn werden. Da habe ich ihm geantwortet:
„Dazu gehört erstens die Ehescheidung von Ihrer Frau, zweitens die Zuneigung
meiner Tochter, drittens Klarheit über Ihre Gegenwart und Zukunft.“ - Vors.:
„Da haben Sie ihm die richtige Antwort gegeben.“ - Zeuge (fortfahrend): Grupen
hat mir später im Vertrauen gesagt, daß seine Frau im Auslande sei; er hätte
sie schon gesucht, aber nicht gefunden. Das Geld, das die Frau mitgenommen
habe, könne er verschmerzen. Frau Grupen, mit der ich viel verkehrt habe, kann
ich nichts Schlimmes nachsagen. Aber auch der Angeklagte ist in Ottenbüttel gut
beleumundet. - Staatsanwalt: Haben Sie nicht bei der polizeilichen Vernehmung
erklärt, Grupen sei in sittlicher Beziehung nicht einwandsfrei und habe bei
jeder Gelegenheit Frauenzimmer um sich? - Zeuge bestreitet, dies gesagt zu
haben.
Bei Frau
R e r h ä u s e r in Hamburg hat
der Angeklagte gewohnt. Er sagte dort, daß er sich reich verheiraten wolle, und
im Dezember teilte er mit, daß seine Frau nach Amerika gegangen sei. Die Zeugin
hat ihm gegenüber gleich zum Ausdruck gebracht, sie könne es nicht glauben, daß
Frau Grupen, von der sie die beste Meinung hatte, ihre Kinder verlasse.
Was
Grupen für Geschäfte machte.
Frau
W o l g a r t - Hamburg, eine
frühere Verlobte des Angeklagten: Grupen hatte ein unruhiges Leben. Heute wollt
er dies, morgen das. Einmal wollte er ein
L u f t s c h a u k e l g e s c h ä f t
errichten. Zu diesem Zweck hatte er sich mit der Hand in der Uhr (Uhr in der Hand) vor eine Luftschaukel
gestellt, um festzustellen, wieviel der Besitzer in zwei Minuten einnehme. Auch
einen M i t t a g s t i s c h wollte er anfangen. Er kaufte a l t e
R ä d e r durch Zeitungsinserate
und verkaufte sie wieder. Von der Kleiderverwertungsstelle bezog er K l e i d e r und veräußerte sie ebenfalls. Er sagte, er
wolle den D o k t o r m a c h e n
und eine V i l l a k a u f e n .
Vors.: Hatte er denn die Mittel dazu? -
Zeugin: Er sagte, er bekäme E r w e r b
s l o s e n u n t e r s t ü t z u n g
und habe bei den Eltern ein Sparkassenbuch über 2000 Mk. Auch ein P f e r d e g e s c h ä f t hat er einmal gemacht, und als ihm sein
Vater sagte, daß man dabei leicht hereinfallen könne, antwortete er: Da müßte
ich nicht Peter Grupen heißen. Einen R
e v o l v e r hatte er in der Schublade
verwahrt. - Staatsanwalt: Wie kam denn der Angeklagte zu den Kleidern aus der
Kleiderverwertungsstelle. das muß doch ein unlauteres Geschäft gewesen sein?
Zeugin: Unter falschen Angaben u n d
m i t S c h o k o l a d e hat er in der Kleiderverwertungsstelle von
der Verkäuferin bekommen, was man sonst nur gegen Bezugsschein erhält. Eines
Tages überraschte er mich durch die Mitteilung, daß er sich mit Frau Schade
verlobt hätte. Da habe ich ihm den Ring zurückgegeben, und da er ihn nicht
annehmen wollte, den Rind in die Tasche von seines Vaters Mantel gesteckt.
Vors.: Hatte er nicht einen e i g e n e n M a n t e l ? - Zeugin:
N e i n , er kam im Mantel
seines Vaters. Seinen eigenen Mantel hatte er im Pfandhaus v e r s e t z t . - Staatsanwalt: Die Verlobung mit Ihnen
machte er also im Paletot des Vater. - Zeugin: Ja. - Vors.: Also als Sie noch
seine Verlobte waren, teilte Ihnen Grupen mit, daß er sich mit Frau Schade
verlobt habe? - Zeugin: Ja, er sagte mir, das Verhältnis mit Frau Schade sei
nicht ohne Folgen geblieben. Er müsse die Dame heiraten. Und ich solle
zurückstehen. Er wollte monatlich eine Entschädigung für die Anschaffungen
zahlen, die ich in Erwartung der Heirat gemacht hatte, ich erhielt aber nur
einmal 100 Mark. Nach einigen Monaten telephonierte er mich an, und sagte, ich
solle noch zu ihm halten, denn seine Frau sei krank und w ü r d e
n i c h t l a n g e l e b e n .
Vors. (zum Angeklagten): Bestätigt es sich,
daß Sie mit Frau Schade sich verlobten, während Sie mit der Zeugin noch verlobt
waren? - Angekl.: Darüber will ich keine Angaben machen. - Vors.: Wollen Sie
nicht der Wahrheit die Ehre geben und den Grund sagen, warum Sie sich mit Frau
Schade verlobten? - Angekl.: Im Interesse der Zeugin und im Interesse meiner
Frau gebe ich darüber keine Erklärung ab.
Der von der Verteidigung geladene Zeuge
Karl F r i t z l a r soll darüber Auskunft geben, ob Frau Eckert
zu ihm gesagt habe, Grupen sei unschuldig an dem Kleppelsdorfer Morde. Eher
halte es Frau Eckert für möglich, daß ihn bei dem Verschwinden seiner Frau eine
Schuld treffe. - Zeuge: Darauf kann ich mich nicht entsinne.
Hierauf tritt die Mittagspause bis ½ 4 Uhr
ein.
Freitag, den 16. Dezember 1921, „Der Bote aus
dem Riesengebirge“
Das
Drama auf Schloß Kleppelsdorf.
Der
Revolver.
Hirschberg, 15. Dezember
Die Zeugenvernehmung ist auch am Mittwoch
noch nicht zu Ende geführt worden. Zunächst wurde noch weiter über das
Verschwinden der Frau Grupen und allerhand Geschäfte verhandelt. Am späteren
Abend wurde der Bruder des Angeklagten, Wilhelm Grupen, vernommen und über die
angebliche Entwendung der Selbstladepistole durch die kleine Ursula Klarheit zu
schaffen versucht. Die Aussagen der beiden Brüder, des Angeklagten und des
Zeugen, gingen dabei nicht unwesentlich auseinander. Man entsinnt sich, daß der
Angeklagte kurz vor der Abreise nach Kleppelsdorf seinem Bruder, während die
kleine Ursel dabei stand, den Mechanismus der Waffe erklärt haben und den
Revolver dann in eine unverschlossene Schublade seines Schreibtisches gelegt
haben will. Später, so hatte der Angeklagte weiter bekundet, sei er mit seinem
Bruder in das Zimmer zurückgekehrt und da habe die kleine Ursel am Schreibtisch
gestanden. Wilhelm Grupen dagegen erklärte gestern, a l l e i n
in das Zimmer zurückgekehrt zu sein und das K i n d
m i t d e r W a f f e
i n d e r H a n d
getroffen zu haben. Er habe der Ursel die Waffe abgenommen und sie dabei
ernstlich verwarnt. Demgegenüber blieb der Angeklagte dabei, mit im Zimmer gewesen
zu sein und den Revolver nicht in der Hand des Kindes gesehen zu haben.
In der Nachmittagssitzung am Mittwoch wurde
die Beweisaufnahme mit der Vernehmung des Kriminal-Oberwachtmeisters J a r c h o w - Hamburg fortgesetzt. Der Zeuge hat sich an
den Nachforschungen nach Frau Grupen beteiligt und festgestellt, daß für Frau
Grupen Pässe oder sonstige Auswandererpapiere nirgends ausgefertigt worden
sind. Die Auswanderung nach Nordamerika ist noch heute sehr schwierig, und auch
Auswanderer nach Südamerika unterliegen einer sehr strengen Kontrolle. Der
Zeuge hält es für ausgeschlossen, daß Frau Grupen auf normale Weise nach
Amerika gekommen ist.
Zerbrochene
Ringe.
Den Verkauf der Ringe von Frau Grupen hat der
Angeklagte dem Zeugen anfangs verschwiegen, dann aber zugegeben, daß er sie
einem Goldarbeiter, von dem er 5000 Mk. geliehen hatte, für 1000 Mk. Restschuld
verkauft habe. Z w e i R i n g e
w a r e n z e r b r o c h e n , so daß der Verdacht bestand, die Ringe
wären g e w a l t s a m v o m
F i n g e r g e z o g e n worden. Nach dieser Richtung konnten
Feststellungen nicht getroffen werden.
Kriminal-Oberwachtmeister G i e s e -
Itzehoe: Frau Grupen hat sich laut Meldeamtsregister am 18. September
1920 n a c h L ü b e c k
abgemeldet. Es konnte nicht ermittelt werden, ob sie die Abmeldung s e l b s t
vollzogen hat. In Lübeck ist Frau Grupen n i c h t
angemeldet worden. Die Möglichkeit, daß Frau Grupen mit einem
gefälschten Paß nach Amerika gelangt ist, kann nicht von der Hand gewiesen
werden, eine Wahrscheinlichkeit liegt
aber nicht vor. Nach dem Verschwinden der Frau Grupen hat Zeuge zunächst
Ermittelungen bei Frau Mohr angestellt, die über den Angeklagten sehr günstig
urteilte, bezüglich der Frau aber behauptete, daß sie sittlich nicht
einwandsfrei sei. Der Gemeindevorsteher von Ottenbüttel hat über beide Eheleute
günstig geurteilt.
Vorsitzender: Die Einzigen, die ungünstig
über Frau Grupen geurteilt haben, waren also die Mohrs? - Zeuge: Jawohl.
Verteidiger Dr. Ablaß: Ist irgend etwas
darüber festgestellt worden, ob sich der Angeklagte jemals mit H y p n o s e beschäftigt hat? - Zeuge: Darüber wurde
nichts ermittelt, es hat niemand etwas davon bemerkt.
Frau
S u d e n - Hamburg, eine
76jährige Frau: Grupen hat mit meinem Neffen in einem Hamburger Lazarett
gelegen und hat um die Hand meiner Nichte Bertha angehalten, der Vater war aber
damit nicht einverstanden; Grupen sollte erst auf der Baugewerkschule sein
Examen ablegen, und das Mädchen wäre auch noch zu jung. Nach vier Jahren, im
November 1920, kam Grupen wieder zu uns. Wir hatten in der Zwischenzeit, und auch
aus der Zeitung, gehört, daß Grupen mehrer Male verlobt war. Als er zu uns kam,
sagte er zu mir: Seine Frau sei tot, die beiden Kinder gingen wieder zurück zur
Familie, und er sei jetzt ein freier Mann, hätte auch so viel verdient, daß er
nicht mehr zu arbeiten brauche. Grupen fragte nach meiner Nichte Bertha und verlangte
wiederholt das Mädchen zu sprechen, was ich aber nicht zugab, er solle
wiederkommen oder schreiben.
„Ich
kann ohne Dich nicht leben!“
Frau Wilhelmine K r u s e -
Haseldorf: Ich war mit Grupen verlobt und habe ihn viel mit
Lebensmitteln unterstützt. Da Grupen mit einem anderen Mädchen ein Verhältnis
anknüpfte, hob ich die Verlobung auf. Als ich mit meinem jetzigen Mann verlobt
war, kam Grupen nach Haseldorf geradelt und traf mich auf der Straße. Er fragte
mich, ob ich Verkehr habe. Ich sagte, daß ich mit Kruse, meinem jetzigen Mann
verkehre. Da erwiderte er: „Den bekommst Du nicht. Du machst mich unglücklich,
ohne Dich kann ich nicht leben“, zog einen
R e v o l v e r und setzte ihn
mir auf die Brust. Ich dachte, er wollte mich erschießen, siel ihm um den Hals
und sagte aus Angst, daß ich wieder mit ihm verkehren wolle. Grupen verlangte,
daß wir alle Wochen zusammen kämen; er würde für mich sorgen, ich solle nur in
Stellung gehen, besonders nach Berlin, denn ich müßte mehr gebildet werden. Ich
verkehrte aber nicht mit ihm, denn ich hatte Angst vor ihm und wollte auch
Kruse treu bleiben. Grupen hat auch gewollt, daß ich m e i n e
A u s s t e u e r nach seiner
Wohnung schaffe, auch fragte er n a c
h m e i n e m S p a r k a s s e n b u c h . Da ich nicht mit ihm zusammen kam, schrieb
er mir einen Brief, der meinen Mann veranlaßte, der Sache ein Ende zu machen.
Ich gab Grupen seine Geschenke zurück, und mein Mann legte noch 60 Mk. dazu,
und dann hat G r u p e n d i e
G e s c h e n k e s e i n e r n ä c h s t e n B r a u t
g e s c h e n k t . (Heiterkeit,
auch bei Grupen.) Grupen besuchte uns darauf und versprach meinem Manne in die
Hand, daß er von mir lassen wolle.
Angeklagter: Ich bitte die Zeugin zu fragen,
ob es richtig ist, daß ich ihr bei Stellenwechsel und zur Bestreitung anderer
Ausgaben Mittel gegeben habe. - Zeugin: Das ist richtig.
Zeuge Peter
K r u s e , der Ehemann der
Zeugin, macht im Wesentlichen dieselbe Aussage. Die 60 Mk. waren für Grupens
Auslagen für eine Bluse, Theater, Bahnfahrt etc. Grupen habe ihm gesagt, seine
Braut könne jeden anderen heiraten, nur ihn, den Zeugen, nicht.
Der Staatsanwalt stellt fest, daß der
Angeklagte bisher das Vorkommnis mit dem Revolver bestritten hat, es jetzt aber
zugibt.
Dr. B
e i e r - Lähn: Am Tage nach dem Morde
hat mir Frau Eckert die Mitteilung von dem Verschwinden der Frau Grupen
gemacht. Sie hat erst geglaubt, ihre Tochter sei nach Kleppelsdorf gefahren,
dann habe ihr Grupen gesagt: nach Amerika, auf Grund eines Briefes, den sie
aber nicht gelesen habe. Ich sagte zur Frau Eckert: „Wie konnten Sie sich, als
Sie von dem Verschwinden Ihrer Tochter erfuhren, so ohne weiteres mit der
Nachricht Ihres Schwiegersohnes zufrieden geben? Sie hätten doch selbst
Nachforschungen anstellen sollen.“ Frau Eckert erklärte mir darauf, ihr
Schwiegersohn hätte durch einen Hamburger Detektiv festgestellt, daß seine Frau
auf ein Schiff gegangen und nach Amerika gefahren sei, und daß es ihr gut gehe.
Frau Eckert erzählte, weiter ihr Schwiegersohn hätte ihr häßliche Briefe und
Photographien von seiner Frau gezeigt, worauf sie ausgerufen habe: „Wenn das
alles wahr ist, dann habe ich keine Tochter mehr!“
Sachverständiger Professor M o l l :
Sind es die Bilder, von denen behauptet wird, sie wären d u r c h s
S c h l ü s s e l l o c h
aufgenommen worden? - Angeklagter: Es sind die Bilder, die ich im
kleinen Schreibtisch meiner Frau vorgefunden habe.
Zeuge (fortfahrend): Grupen hat sich nach
Frau Eckerts Aussage s c h l e c h
t ü b e r D o r o t h e a R o h r b e c k geäußert und gesagt, es sei ein ganz
verdorbenes Mädchen, die Liebschaften mit Offizieren habe. Ich hatte das
Gefühl, daß Grupen Frau Eckert von ihrer Tochter und der Enkelin abbringen
wollte. Die Offiziere, die mit Kleppelsdorf verkehrten, haben Dorothea immer
als Kind behandelt. Von Grupen ist Dörte im Anfang sehr eingenommen gewesen,
weil er in Hamburg sehr liebenswürdig gewesen sei, dann aber ist er ihr sehr
unsympathisch geworden, besonders nachdem sie gehört hatte, daß er sich dem
Vormund als Kronzeuge zur Verfügung gestellt hatte. Grupen habe unsaubere Hände
und unsaubere Wäsche gehabt. Er renommierte mit seinem großen Architekturbüro
in Hamburg, mit seiner Villa usw. Grupen hat Frl. Zahn Dörte gegenüber auf der
Hamburger Fahrt schlecht zu machen gesucht, worüber diese sehr empört war, da
Frl. Zahn ja der einzige Mensch sei, der es gut zu ihr meine; Grupen sagte auch
zu ihr, daß Frl. Zahn i h m einen Heiratsantrag gemacht habe. Als ich
mich, so sagte Dörte, darauf empört in eine andere Ecke des Abteils setzte,
machte er m i r einen Heiratsantrag. Sie erzählte mir auch,
sagt der Zeuge weiter, von ihrer Furcht nach der Alsterfahrt, wegen der
Kognakflasche und war überzeugt, daß Grupen ihr nach dem Leben trachtete.
Verteidiger Dr. Ablaß: Ist Frau Eckert, als
sie mit Ihnen am Tage nach dem Morde sprach, dabei geblieben, daß G r u p e n
n i c h t a u s d e m
Z i m m e r gegangen sei? -
Zeuge: Jawohl. Dörte schilderte mir auch, wie Grupen immer mit dem Gelde
herumgeworfen habe.
Angeklagter: Ich weise es zurück, daß ich
Dörte Rohrbeck in der hier bekundeten Weise schlecht gemacht haben soll. - Der
Zeuge bleibt dabei, daß sich Frau Eckert in diesem Sinne zu ihm geäußert habe.
- Verteidiger Dr. Ablaß: Kann das nicht auf Aeußerungen des Vormundes
zurückzuführen sein. - Zeuge: Das weiß ich nicht.
Das
Verhalten der Frau Eckert.
Frau
D r . B e i e r bekundet: Frau Eckert hat gesagt: „Wenn ich
wüßte, daß meine Tochter tot ist, würde
i c h G r u p e n f a l l e n
l a s s e n . “ Sie bedauerte
Grupen sehr, der „ a r m e P e t e r “
war ihr geradezu die Hauptsache. Als mein Mann sagte: „Aber die Dörte
ist doch tot und die Ursel“, sagte Frau Eckert: „Ach, die Dörte hat mich nie
gemocht!“ Ich hatte den Eindruck, als meinte Frau Eckert, sie könne, wenn sie
erst wisse, daß ihre Tochter tot sei, dann kein Mitleid mehr mit Grupen haben.
Am Abend des 15. Februar, als man zu Tisch ging, fragte Frau Eckert, ob die
Herren vom Gericht auch bei Tisch seien. Als ich bejahte, sagte Frau
Grupen: „ A c h , d a n n
m u ß i c h s e h e n ,
d a ß i c h m i r
n i c h t s m e r k e n l a s s e . “ Mir ist ferner aufgefallen: als ich ins
Zimmer trat, hatte Frl. M o h r die
I r m g a r d auf dem Schoß, und
als ich diese fragte, ob sie nicht doch wüßte, daß Grupen das Zimmer verlassen
habe, sagte die Mohr: „Grupen hat das Zimmer nicht verlassen, n i c h t
w a h r , I r m a ? “ Und immer wieder bei meinen Fragen nahm die
Mohr das Wort v o r Irma, und einmal s c h ü t t e l t e sie sogar das Kind, um es zu einer Antwort
zu bringen. Auch hat die Mohr von dem Augenblick, als Grupen verhaftet war,
gegen Frl. Z a h n Stellung genommen, sie auch nicht mehr
gegrüßt, auch mich nicht, wohl, weil ich den Kindern etwas nahe stand. Dörte
hat mir erzählt, sie hatte den Eindruck, als wäre die Hamburger Reise gar nicht
nötig gewesen, und als bei der Großmutter erzählt wurde, die Tante sei in ein
Sanatorium, da hätten beide wohl ein bischen geweint, aber dann war alles
wieder wie sonst, und sie seien gar nicht traurig gewesen. Dörte sagte auch, es
sei ihr alles vorgekommen wie Theater.
Verteidiger Dr. Ablaß: Hat Frau Eckert am 15.
Februar gesagt, sie wisse ganz genau, daß Grupen das Zimmer nicht verlassen
habe? - Zeugin: Ja.
Die 24 Jahre alte H a r t j e , die bei dem Angeklagten in Stellung war, hat
von ihm eine g o l d e n e A r m b a n d u h r geschenkt erhalten, die sie noch besitzt. -
Der Angeklagte gibt zu, daß es die Uhr seiner Frau sei.
Verteidiger Dr. Ablaß: Hat Grupen Ihnen
einmal einen Brief an Herrn Boos vorgelesen, worin Frau Eckert schrieb, sie
habe nur noch Aerger auf der Welt; hier wie in Kleppelsdorf, das beste sei, sie
nehme sich das Leben! - Zeugin: Ich glaube, nein. - Der Angeklagte richtet
verschiedene Fragen an die Zeugin, ob sie sich an dies oder das erinnere, doch
kann diese nichts Bestimmtes sagen.
Verteidiger Dr. Mamroth: Erinnern Sie sich,
daß der Angeklagte Sie einmal gebeten, sich der Ursula anzunehmen, weil diese
immer so traurig sei. - Vors.: War denn Ursula traurig? - Zeugin: Jawohl, aber
auch wieder sehr vergnügt. Ich dachte anfänglich, sie sei traurig wegen
des Verschwindens der Mutter, was sich dann
abschwächte.
Auf eine Frage von Geheimrat L e s s e r
nach dem Schulbesuch der Kinder sagt die Zeugin, daß alle drei Kinder
anfänglich nicht in die Schule gegangen seien, sie sollten aber dann einen
Hauslehrer erhalten, und inzwischen besuchten sie die Dorfschule.
Ueber
Holland.
Zeugin
H a r t j e : Grupen kam Anfang
Oktober (am 19. September verschwand Frau Grupen) zu meinem Vater und sagte,
daß seine Frau tot sei, ich solle ihm den Haushalt führen. Grupen erzählte mir
dann, daß seine Frau ihm mit einem Offizier ausgerückt sei, und zwar ü b e r
H o l l a n d nach Amerika, wo
sie an Syphilis gestorben sei.
Vors.: So schnell soll das gegangen sein? -
Zeugin: Grupen sagte mir, daran könne man in ein paar Tagen sterben. Eine
Sterbeurkunde könne er nicht beschaffen, denn sie sei in Amerika unter falschem
Namen aufgetreten.
Angekl.: Meine Frau kannte in Holland eine
Frau Seifenfabrikant D r a l l e . - Verteidiger Dr. Mamroth: Der Angeklagte
hat nur von der Möglichkeit gesprochen, daß seine Frau über Holland gefahren
sei. - Vors.: Der Angeklagte hat hiervon aber noch gar nichts erwähnt. Haben
Sie sich nach Ihrer Frau in Holland erkundigt? - Angekl.: Ich nicht, aber Frau
Neugebauer. - Er gibt im Uebrigen zu, daß es stimmen könne, was die Zeugin
gesagt hat.
Die
Uhren und Ringe der Frau Grupen.
Auf die Frage eines Geschworenen nach den
Uhren der Frau Grupen sagt der Angeklagte: Meine Frau hatte zwei goldene
Armbanduhren und eine Nickeluhr.
Frau Eckert, die wieder in den Saal gerufen
wird: Meine Tochter hatte meines Wissens
n u r e i n e goldene Armbanduhr, die sie auf Reisen wohl
immer trug. Ob auch am Tage der Abreise, kann ich nicht sagen.
Es folgt eine weitere Auseinandersetzung über
die R i n g e und die
P e l z s a c h e n der Frau
Grupen, die später als versetzt bei Pfandleihern aufgefunden wurden.
Insbesondere verdichtet sich das Interesse um den M a n t el
und den P e l z k r a g e n
, den Frau Grupen mit auf dem Wagen
hatte, den sie aber angeblich im Wagen zurückgelassen hat. Der Angeklagte behauptet
zuerst, die Gegenstände in seinen Schrank getan zu haben, zieht aber dann diese
Aussage h a l b z u r ü c k .
Vors.: Angeklagter, Sie müssen die Wahrheit
sagen, Sie können auch die Aussage ablehnen; wenn Sie aber widersprechende
Aussagen machen, müssen Sie darauf gefaßt sein, daß die entsprechenden Schlüsse
gezogen werden.
Beim
Pfandleiher.
Pfandleiher
L a n g e - Hamburg: Im März 1920
kam der Angeklagte, den ich vorher nicht kannte, das erste Mal zu mir. Er
brachte Schmucksachen mit Brillanten zur Beleihung. Ich taxierte die Sachen auf
6000 Mark. Der Angeklagte war damit einverstanden und nahm Pfandschein und
Geld. - Vors.: Hat er gesagt, daß er die Brillanten im Auftrage seiner Frau
verpfände? - Zeuge: Nein. Später versetzte er bei mir einen Regenmantel und
einen Pelzkragen, am 6. Dezember eine Menge Silber für 2300 Mark. - Vors.: Ist
der Angeklagte vorher bei Ihnen gewesen wegen der Pfandscheine über die
Brillanten? Er behauptet nämlich, seine Frau hätte die Pfandscheine
mitgenommen, weshalb er die Pfänder sperren lassen wollte. - Zeuge: Nein. -
Vors.: Hat der Angeklagte das Silber nur deshalb bei Ihnen gelassen, weil er
die Absicht hatte, es in einer Bank zu deponieren, die aber geschlossen gewesen
sei? - Zeuge: Das glaube ich nicht.
Angekl.: Ich habe damals bei dem Silber zum
Ausdruck gebracht, daß es in den nächsten Tagen wieder abgeholt werden würde.
Am Gelde konnte mir nichts lieben, denn ich hatte damals Geld genug.
Staatsanwalt (zum Zeugen): Davon ist keine
Rede, daß Sie ihm das Geld für das Silber aufgedrängt hätten? - Zeuge: Nein. -
Angekl.: Die Pfandscheine habe ich, nachdem ich sie vergeblich gesucht hatte,
in meinem Schreibtisch vorgefunden. Ich habe sie kurz vor meiner letzten Reise
nach Kleppelsdorf meinem Bruder übergeben. - Staatsanwalt: In der
Voruntersuchung hat der Angeklagte die Auskunft über die Pfandscheine
verweigert. - Angekl.: Weil ich das Versetzen nicht gern eingestehen wollte.
Als mein Bruder die Pfandscheine der Staatsanwaltschaft ausgehändigt hatte,
habe ich mich darüber nicht mehr ausgeschwiegen.
Frau
Grupens Vermögen.
Rechtsanwalt und Notar R e i n i c k e - Itzehoe äußert sich über das von Frau Grupen
hinterlassene Vermögen. Die Pfandscheine über die Brillanten und das Silber
habe er eingelöst, der Pelzkragen und der Regenmantel waren verfallen. Aus dem
in Ottenbüttel verkauften Mobiliar und der Wäsche der Frau Grupen wurden 29 000
Mark gelöst. Die Hypotheken gehörten nicht mehr der Frau Grupen, denn die hatte
sie an den Angeklagten abgetreten. Ueber das Vermögen der Frau Eckert kann
Zeuge näheres nicht angeben. - Staatsanwalt: Die von Frau Grupen gemieteten S t a h l f ä c h e r waren
l e e r ! - Vors. (zum
Angeklagten): Was haben Sie in die Ehe eingebracht? - Angekl.: Nur meine
persönlichen Sachen und die Sachen meines Vaters.
Uhrmacher August H e i n e -
Hamburg: Ich habe den Angeklagten kennen gelernt, als er in Hamburg die
Baugewerkschule besuchte. Er war aus das angewiesen, was er von seinem Vater
bekam. Ich habe ihm damals öfter ausgeholfen, einmal mit 500 Mk., die er zur
ersten Zahlung auf eine Lebensversicherung brauchte. Das war Weihnachten 1919,
kurz vor seiner Verheiratung mit Frau Schade. Dann habe ich ihm 2000 Mk.
geliehen, die er wie die früheren Darlehen zurückzahlte. Vier oder fünf Monate
nach seiner Verheiratung lieh er sich 4000 Mk. Darauf brachte er mir drei
goldne Ringe und einen Platinring. Zwei Ringe waren zerbrochen. Er sagte, ich
solle die Ringe reparieren, er wolle sie einer Dame schenken, weil seine Frau
nach Amerika verschwunden sei. Nach einiger Zeit kam er wieder und sagte, ich
solle die Ringe behalten für die tausend Mark, die er mir von den 4000 Mark
noch schuldete.
Vors.: Angeklagter, wozu brauchten Sie vor
Weihnachten die 4000 Mark? Sie hatten sich doch am 24. Dezember 1920 bei der
Perleberger Kreditbank gegen Verpfändung einer Hypothek für 25 000 Mark
laufenden Kredit verschafft? - Angekl.: Die 4000 Mark brauchte ich zu
geschäftlichen Besorgungen. - Vorsitzender: Was waren dies für geschäftliche
Besorgungen? - Angekl.: Das kann ich heute nicht mehr sagen. - Der Zeuge bejaht
die Frage des Staatsanwalts, ob die zerbrochenen Ringe nur durch große Gewalt entzwei
gegangen sein können.
Zeuge Bautechniker H a d j e
ist von dem Angeklagten angenommen worden, der angab, ein Baubüro zu
haben oder errichten zu wollen. In Wirklichkeit hatte er aber kein Baubüro, sondern
er hat nur einige Häuser gekauft, ausgebaut und dann weiterverkauft. Da der
Zeuge im Baufach fast nichts zu tun hatte, führte er auch haus- und landwirtschaftliche
Arbeiten aus. Sein Gehalt als Bautechniker hat er regelmäßig erhalten. - Vors..
Wie kommt das: Sie haben doch ebenso wie der Angeklagte die Baugewerkschule
besucht und nennen sich nur Bautechniker, während der Angeklagte sich als
Architekt bezeichnet? - Zeuge: Das weiß ich nicht. - Staatsanwalt: Haben Sie
sich denn nicht gewundert, wovon der Angeklagte eigentlich lebt? - Zeuge: Ja, das
war mir ein Rätsel.
Amtsgerichtsrat L e m m e -
Kellinghusen berichtet als Grundbuchrichter über die Grundstückskäufe
und -verkäufe, die die frühere Frau Schade in Rostock vorgenommen hat. Sie hat
dort zwei Grundstücke gekauft und mit einigem Gewinn verkauft.
Wilhelm
Grupen,
der Bruder des Angeklagten, wird als Zeuge
aufgerufen. - Verteidiger Dr. Mamroth bittet, daß er sich zunächst einmal gegen
die Geschworenen wendet, weil ein Zeuge oder eine Zeugin erklärt habe, Wilhelm
Grupen habe ein unheimliches, stechendes Auge. - Der Zeuge berichtet zunächst
über die Vermögensverhältnisse seines Bruders. Als dieser vom Militär entlassen
wurde, dann die Baugewerksschule besuchte und auf der Vulkanwerft tätig war,
hatte er kein Vermögen. Während der Schulzeit wurde er von mir mit
Lebensmitteln und kleineren Geldbeträgen unterstützt. Als er die Schule
verließ, bezog er Erwerbslosenunterstützung. Dann erzählte mir der Angeklagte,
daß er einige gewinnbringende Geschäfte gemacht habe. Auch bei dem Verkauf des
elterlichen Grundstücks wird er 17 bis 20 000 Mark verdient haben. Schließlich
hat der Zeuge auch mit dem Angeklagten und noch mehreren Teilnehmern
verschiedene Grundstücksgeschäfte gemacht, bei denen Gewinne erzielt worden
sind. Bei den unsicheren Angaben des Zeugen ist es trotz aller Bemühungen
schwer, über die einzelnen Geschäfte Klarheit zu bekommen. Tatsache ist aber,
daß der Angeklagte als er im Gefängnis saß, dem Bruder eine Hypothek von 78 000
Mark überschreiben ließ. Früher hatte der Zeuge behauptet, daß er tatsächlich
Forderungen in dieser Höhe an seinen Bruder hatte. Heute gibt er an, daß er
nach sorgfältiger Ueberlegung doch zu der Erkenntnis gekommen sei, daß seine
Forderung bei weitem nicht so hoch war. - Vors.: Warum mag Ihnen wohl Ihr
Bruder die Hypothek übertragen haben? - Zeuge: Das weiß ich nicht. - Vors.: Ich
weiß es auch nicht! (Heiterkeit.)
Vors.: Ihr Bruder hat Ihnen dann auch
Generalvollmacht erteilt. Warum wohl? - Zeuge: Das ist mir auch aufgefallen. -
Angekl.: Die Generalvollmacht habe ich meinem Bruder erteilt, weil wir
gemeinsame Geschäfte machten und ich wegen meines Armes öfters leidend war und
ich mich einer Operation unterziehen wollte. Da sollte mich mein Bruder
vertreten.
Vors.: Als Ihr Bruder nach Kleppelsdorf fuhr,
hat er Ihnen einen Brief übergeben. Was war in dem Briefe? - Zeuge: Drei
Pfandscheine, die ich dann dem Gericht eingeschickt habe.
Der
Revolver.
W i l h e l m G r u p e n
sagt weiter aus: Als ich vor der Abreise meines Bruders nach Kleppelsdorf
in Ottenbüttel war, übergab er mir einen Revolver zu meiner Sicherheit, das das
Gehöft einsam liegt. - Vors.: Wie hat Ihnen der Angeklagte den Revolver übergeben? - Zeuge: Er hat mir die
Handhabung des Revolvers erklärt. - Vors.: War der Revolver geladen? - Zeuge:
Ich kann nicht sagen, daß der Revolver geladen war, ich kann aber auch nicht
sagen, daß er nicht geladen war. Bei der Handhabung des Revolvers war ich
behilflich. Ich kannte aber die Handhabung des Revolvers nicht.
Vors.: Als alter Soldat kannten Sie sich mit
dem Revolver nicht aus, u n d d i e
k l e i n e U r s u l a s o l l t e
e s v e r s t e h e n ? - Zeuge: Ich habe den Revolver dann nicht
mehr in der Hand gehabt. - Vors.: Was hat der Angeklagte gemacht? - Zeuge zeigt
vor, wie der Sicherungsflügel herumgedreht wird. - Vors.: Waren Patronen in dem
Revolver? - Zeuge: Das weiß ich nicht. - Vors.: Aber Sie sollten doch den
Revolver benutzen. - Zeuge: Ich hatte keine Angst und glaubte, ich würde ihn
nicht nötig haben. - Vors.: Haben Sie die Erklärung des Angeklagten verstanden?
- Zeuge: Nachdem ich jetzt das Ding wieder sehe, verstehe ich es.
Staatsanw.: Hat der Bruder geladen oder
nicht? - Zeuge: Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, ob er geladen war oder
nicht. - Staatsanw.: Hat der Bruder die Waffe gespannt? - Zeuge: Das weiß ich
nicht, da ich mit dem Dinge nicht umzugehen verstehe. - Vors.: Ja, aber hätten
Sie dann damit schießen können? - Zeuge: Ja, ich glaube doch.
Ein Geschworener: In diesen Angaben des Zeugen
liegt doch ein W i d e r s p r u c h
. - Vert. Dr. Mamroth: Ein Widerspruch
ist hier nicht enthalten. - Zeuge: Ich wollte abends den Revolver noch einmal
nachsehen. - Staatsanw.: War die Waffe
g e s i c h e r t ? - Zeuge: Das
weiß ich nicht.
Vert. Dr. Ablaß: Ist es richtig, daß der
Angeklagte zu Ihnen gesagt hat: „Wir sind hier auf einem einsamen Hofe, und
deshalb habe ich mir die Waffe zu unserem Schutze angeschafft?“ - Zeuge: Ja. -
Vert. Dr. Ablaß: Hätten Sie sich die Waffe später angesehen? - Zeuge: Ja. Vert.
Dr. Mamroth: Hätten Sie d a m a l
s die Waffe gebrauchen können, und
kennen nur heute, weil inzwischen lange Zeit vergangen ist, die Handhabung
nicht mehr erklären? - Zeuge: Ja. - Vert.: Hätten Sie d a m a l s
sofort schießen können? - Zeuge: In dem Augenblick, als mir die Waffe erklärt
wurde, wußte ich damit umzugehen. - Staatsanw.: Weshalb wollten Sie sich dann
die Waffe noch einmal abends ansehen? - Zeuge gibt keine Antwort.
Der S
t a a t s a n w a l t beantragt nun,
den Zeugen zu beauftragen, d e n R e v o l v e r m i t
s c h a r f e n P a t r o n e
n z u
l a d e n u n d z u
s i c h e r n . - Vors.: Daß
hier im Saale mit scharfen Patronen geladen wird, gestatte ich nicht. - Vert.
Dr. Mamroth: Ich beantrage die Ablehnung, da damit nichts bewiesen wird. -
Vors.: An sich wäre die Sache schon wichtig, da doch die kleine U r s u l a
n u r d a b e i g e s t a n d e n h a t
u n d s c h o n d e n
M e c h a n i s m u s b e g r i
f f e n h a b e n s o l l ?
- Vert. Dr. Mamroth: Die Ursula soll ja dann den Revolver auch selbst in
der Hand gehabt haben. - Vors. (zum Angekl.): Wie war der Revolver? - Angekl.:
Er war schußfertig, nur der Sicherungsflügel war herumzulegen.
Staatsanw.: Da der Zeuge behauptet, daß er
heute noch nicht ohne Schwierigkeiten laden und sichern kann, beantrage ich,
daß er dies hier vormacht.
Der G
e r i c h t s h o f zieht sich zur B e r a t u n g zurück und verkündet dann den Beschluß, daß
dem Antrag des Staatsanwalts stattgegeben wird. Der Zeuge zeigt dann die
Handhabung des Ladens, Spannens, Sicherns und Entsicherns, was ihm auch
gelingt. Der Staatsanwalt beantragt, morgen dieses Experiment mit
Exerzierpatronen zu wiederholen, da das Sichern und Spannen mit Patronen
schwieriger sei als ohne Patronen. (Grupen zeigt hierbei eine lächelnde Miene.)
Vors.: Was geschah nun mit dem Revolver? -
Zeuge: Der Angeklagte legte ihn in das Schubfach des Schreibtisches zurück. -
Vors.: W a r U r s u l a
d a b e i ? - Zeuge: J a .
U r s u l a s t a n d r e c h t s
v o n u n s u n d
g u c k t e z u . - Vors.: Hat sie die Manipulationen gesehen,
die mit dem Revolver vorgenommen wurden? - Zeuge: Ja. - Vors.: Wurde das Schubfach,
in das der Revolver gelegt wurde, verschlossen? - Zeuge: Das weiß ich nicht,
ich glaube nicht. - Vors. (zum Angekl.): Wie war es? - Angekl.: Wahrscheinlich
nicht, denn ich habe das Schubfach f ü
r m e i n e n B r u d e r
o f f e n g e l a s s e n .
Vors.: Was geschah weiter? - Zeuge: Ich ging
hinaus und kam nochmals in das Zimmer. D a s t a n d U r s u l a
a m S c h r e i b t i s c h u n
d h a t t e d e n
R e v o l v e r i n d e r
H a n d . I c h n a h m
i h r d e n R e v o l v e r w e g
u n d v e r w a r n t e s i e .
- Vors.: Der Revolver war doch geladen? - Zeuge: Ich weiß nicht, ob er
geladen war. - Vors.: Und dann? - Zeuge: Habe ich den Revolver wieder in das
Schubfach gelegt. - Vors.: Haben Sie dann wenigstens das Fach verschlossen? -
Zeuge: Nein, es ging nicht zu verschließen. - Vors.: War das nicht eine sehr
große Unvorsichtigkeit, den Revolver wieder in das unverschlossene Fach zu
legen, nachdem Sie gesehen hatten, daß ihn das Kind in der Hand gehabt hat? -
Zeuge: Ich habe mir später auch Vorwürfe deshalb gemacht. Ich habe auch das
Kind verwarnt.
Vors.:
D e r A n g e k l a g t e b e h a u p t e t , Sie seien zusammen in das Zimmer gekommen,
und Ursula habe n u r a m
S c h r e i b t i s c h g e s t
a n d e n , a b e r d i e
W a f f e n i c h t i n
d e r H a n d g e h a b t . - Zeuge: Nein, ich war allein
im Zimmer mit der Ursula. - Vors. (zum Angeklagten): Wie war es? - Angekl.: Ich
bin auch heute noch der Ansicht, daß wir zusammen in das Zimmer gekommen sind
und Ursula die Waffe nicht in der Hand hatte. - Zeuge: N e i n ,
U r s u l a h a t t e d i e
W a f f e i n d e r
H a n d . Es ist aber möglich,
daß d e r A n g e k l a g t e h i n t e r
m i r i n s Z i m m e r
g e k o m m e n i s t . - Staatsanwalt: Haben Sie dann wenigstens
nachgesehen, ob die Waffe geladen war oder nicht? - Zeuge: Nein, wir haben uns
dann später aber große Vorwürfe deshalb gemacht.
Verteidiger Dr. Marmroth: Haben Sie vielleicht
deshalb von weitere Vorsichtsmaßnahmen abgesehen, weil Sie annahmen, daß Grupen
mit seiner Familie bald abreise? - Zeuge: Ja, der Vorfall war w e n i g e
S t u n d e n v o r d e r
A b r e i s e . - Vors.: Konnten
Sie denn nicht den Revolver in ein anderes Fach legen? - Zeuge: Nein, die
anderen Fächer waren verschlossen, weil mein Bruder seine Sachen darin hatte.
Verteidiger Dr. Mamroth: Wann haben Sie dann
bemerkt, daß der Revolver nicht mehr da war? - Zeuge: Abends, da ich zu Bett ging.
- Staatsanwalt: Nachdem Sie am Nachmittag den Revolver in der Hand des Kindes
gesehen und abends sein Fehlen feststellten, haben Sie dann nicht
wenigstens s o f o r t n a c h
K l e p p e l s d o r f g e s c
h r i e b e n , damit kein Unheil geschieht?
- Zeuge: N e i n , darüber habe ich mir auch Vorwürfe gemacht.
Aber mein Bruder wollte in ein paar Tagen zurückkommen. - Vors.: I n z w i s c h e n k o n n t e
i n K l e p p e l s d o r f a l l e s
t o t g e s c h o s s e n s e i
n .
Verteidiger Dr. Ablaß beantragt nun, durch
den Angeklagten vorführen zu lassen, ob er mit einem Arm den Sicherungsflügel
herumlegen kann. Grupen tritt aus der Anklagebank und zeigt dem Gerichtshof und
den Geschworenen, daß er dies mir Leichtigkeit ausführen kann.
Ein Geschworener: Der Zeuge weiß nicht, ob
der Revolver geladen war, und der Angeklagte hat behauptet, daß er einen Rahmen
mit Patronen in den Revolver gesteckt hat. - Angekl.: Ja. Das habe ich mit
Hilfe meines Bruders getan. - Ein Geschworener: Kann der Angeklagte mit einer
Hand die Patronen einführen? - Ein anderer Geschworener: Hat der Zeuge die
Patronen eingeführt? - Zeuge: Jawohl, ich bin dabei behilflich gewesen. - Vors.
(zum Zeugen): Vorhin wußten Sie nicht, was Ihr Bruder mit dem Revolver gemacht
hat, und jetzt sagen Sie: Ich habe die Patronen mit hineingetan. - Ein
Geschworener: Wenn der Zeuge jetzt weiß, daß Patronen in den Revolver getan wurden,
weiß er dann nicht, ob er geladen war? - Zeuge: Jetzt entsinne ich mich, daß
wir Patronen hineingetan haben. - Geschworener: Und daß er geladen war? -
Zeuge: Dessen erinnere ich mich nicht.
Verteidiger Dr. Ablaß: Und daß der Revolver
gespannt war? - Dem Zeugen wird das Spannen vorgemacht. - Zeuge: So viel ich
mich erinnere, hat dies mein Bruder gemacht.
Die weitere Vernehmung des Zeugen wird dann
auf Donnerstag früh ½ 10 Uhr vertagt.
*
Die
Sitzung am Donnerstag.
Im Gerichtssaal ist heute die weiße Leinwand
aufgespannt, auf der die bei der Leichenschau aufgenommenen L i c h t b i l d e r vorgeführt werden sollen.
Wilhelm
Grupen,
der Bruder des Angeklagtem wird weiter
vernommen. Der Zeuge hat im Ermittelungsverfahren erklärt, sein Bruder habe ihm
5000 Mark aus dem Erlös des väterlichen Hauses versprochen. Heute bestreitet er
dies. Ueber das Verschwinden der Frau Grupen hat ihm sein Bruder nähere
Umstände nicht mitgeteilt.
Geheimrat
M o l l : Haben Sie einmal in
Ottenbüttel in dem Zimmer geschlafen, in dem die Kinder Grupens schliefen? -
Zeuge: Ja, auf der Chaiselongue. - Geheimrat
M o l l : Der Angeklagte hat
gestern behauptet, sein Bruder habe nicht im Zimmer der Kinder geschlafen.
Vors. (zum Zeugen): War Ursula bei der
Erklärung des Revolvers zufällig da, oder hatte sie der Angeklagte gerufen?
Zeuge: Ursula war schon vorher am Schreibtisch. - I r m a
S c h a d e behauptet, Wilhelm
Grupen habe neben den Kindern im Bett geschlafen, auf das Liegesofa ist Ursula
gebettet worden. - Zeugin H a t j
e bestätigt diese Aussage. - Vors. (zum
Zeugen): Sie haben gehört, daß Ihre Aussage im Widerspruch steht mit der
Bekundung der kleinen Irma und der eidlichen Aussage des Frl. Hatje. - Zeuge:
Ich bitte Frl. M o h r darüber zu vernehmen, daß ich auf der
Chaiselongue geschlafen habe.
Vert. Dr. Mamroth: Ich weiß nicht, was diese
Feststellung mit dem Prozeß zu tun hat. - Vors.: Zur Feststellung der
Glaubwürdigkeit des Zeugen.
Heinrich
Grupen,
des Angeklagten zweiter Bruder, ist nach dem
Verschwinden der Frau Grupen mit seinem Bruder nicht mehr zusammengekommen, er
kann daher keine Angaben über Frau Grupens Verschwinden machen. Er gibt zu, im
März 1920 dem Angeklagten einen energischen Brief geschrieben zu haben, in dem
er ihn an seine der Mutter und den Geschwistern gegenüber übernommenen
Verpflichtungen erinnert, nachdem er das väterliche Haus verkauft hatte. Peter
solle die Mutter nicht um die saueren Groschen bringen. Der Zeuge bekundet,
sein Bruder habe ihm und den Geschwistern je 5000 Mark Abfindung aus dem
Verkauf des väterlichen Hauses versprochen, außerdem wollte er der Mutter freie
Wohnung gewähren und 60 Mk. monatlich zahlen. - Der Zeuge wird, ebenso wie sein
Bruder Wilhelm, nicht vereidigt.
Grundstücksgeschäfte.
Der nächste Zeuge, Heinrich M a a ß
aus Mehlbeck, ist mit dem Angeklagten im Frühjahr 1920 durch einen Makler
in Beziehungen gekommen. Grupen hat vom Bruder des Zeugen ein Grundstück in
Ottenbüttel gekauft. Der Kaufpreis von 78 900 Mark wurde durch Uebernahme von
Hypotheken in Höhe von 37 000 Markt gelegt, für den Rest, soweit er nicht
hypothekarisch eingetragen wurde, lieferte Grupen Vieh. Durch Vermittelung
Grupens kaufte der Bruder des Zeugen auch eine Brandstelle in Itzehoe, auch
wurde ein Grundstückstausch getätigt. Der Zeuge meint, daß Grupen bei den
Grundstücksgeschäften nicht viel verdient habe. Bei einer
Hypothekenvermittelung in Altona, an der sich auch Wilhelm Grupen beteiligte,
habe Grupen etwa 6000 Mark verdient. Auf ein Haus in Altona hat der Zeuge vom
Angeklagten eine Hypothek von 5000 Mark bekommen.
Vors.: Haben Sie mit dem Angeklagten nicht
einmal über den A n k a u f v o n
K l e p p e l s d o r f
gesprochen. - Zeuge: Ja, ich habe mit Frau Eckert darüber gesprochen,
die sagte, das Gut gehe wirtschaftlich zurück. Bei einer späteren Unterredung
mit Grupen habe dieser gesagt, es wäre das beste, wenn Kleppelsdorf verkauft
würde. Ich war bereit, mit Kleppelsdorf anzusehen, wollte aber nur als
Vermittler auftreten.
Angekl.: Ich habe verschiedene Male über
diesen Punkt mit dem Zeugen gesprochen und gesagt, daß der Vormund den Verkauf
von Kleppelsdorf beabsichtigte; von einem Ankauf ist nicht die Rede gewesen. -
Staatsanw.: Wie kommt der Angeklagte dazu, den Verkauf von Kleppelsdorf, der
nie in Frage kam, zum Gegenstand von Besprechungen mit dem Zeugen zu machen? -
Angekl.: Ich … …, daß der Vormund verschiedentlich mit dem Verkauf von
Kleppelsdorf gedroht hat. - Staatsanwalt:
J a , g e d r o h t !
Als nächste Zeugen sollen zwei von der
Staatsanwaltschaft geladene Einwohner von Mehrbeck vernommen werden. - Vert.
Dr. Ablaß widerspricht der sofortigen Vernehmung dieser Zeugen unter Berufung
auf § 245, Absatz 2 der Strafprozeßordnung, welcher lautet:
„Ist ein zu vernehmender Zeuge oder
Sachverständiger dem Gegner des Antragstellers so spät namhaft gemacht, oder
eine zu beweisende Tatsache so spät vorgebracht worden, daß es dem Gegner an
der zur Einziehung von Erkundigungen erforderlichen Zeit gefehlt hat, so kann
derselbe bis zum Schlusse der Beweisaufnahme
d i e A u s s e t z u n g d e r
H a u p t v e r h a n d l u n g
zum Zwecke der Erkundigung beantragen.“
Vors. (zu den Verteidigern): Bis wann wird
die Vertagung beantragt? - Vert. Dr. Mamroth: Unsere Erkundigungen über die
Zeugen können vierzehn Tage dauern. - Vors.: Die Erkundigungen können ja
telegraphisch eingeholt werden. Der Vernehmung der Zeugen kann die Verteidigung
übrigens nicht widersprechen, sie kann aber die Aussetzung der Hauptverhandlung
beantragen. - Staatsanw.: Ich bitte, den Verteidigern Gelegenheit zu
Erkundigungen bis zum Plädoyer zu geben und die Zeugen am Schlusse der
Beweisaufnahme zu hören. - Vert. Dr. Ablaß: Wie lange unsere Erkundigungen
dauern sollen, kann uns der Staatsanwalt nicht vorschreiben. - Staatsanwalt:
Das Gericht hat über den Antrag der Verteidigung nach f r e i e m
E r m e s s e n zu entscheiden.
Auf die beiden Zeugen v e r z i c h t
e i c h u n t e r
k e i n e n U m s t ä n d e n .
Nach etwa einviertelstündiger Beratung des
Gerichtshofes verkündet der Vorsitzende folgenden B e s c h l u ß :
Der A
n t r a g a u f A u s s e t z u n g d e r
H a u p t v e r h a n d l u n g
w i r d a b g e l e h n t , weil es nach Lage der Sache irgendwelcher
Erkundigungen nicht bedarf. Gegen die beiden Zeugen liegen keine Tatsachen vor,
die Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit begründen könnten. Außerdem ist der Zeuge
Maaß zugegen, der sich sofort auf die Bekundungen der Zeugen erklären kann.
Die Verteidiger verzichten auf das Angebot
des Staatsanwalts, die von ihm vorgeschlagenen Zeugen nicht sofort zu
vernehmen. Es wird daher Lehrer Johannes
W i t t m a k aus Mehlbeck als
Zeuge aufgerufen. Er gibt Auskunft über ein mit dem Zeugen Maaß geführtes
Wirtshausgespräch, bei dem Maaß gesagt hat, er werde bald mal in einem größeren
Unternehmen nach der Lausitz fahren. Von dem Kauf eines Gutes, das einem
Mädchen gehört, habe Maaß nichts gesagt.
Kaufmann Jakob W i c h :
Als mir der Kleppelsdorfer Mord bekannt wurde, fragte ich Maaß, ob
Kleppelsdorf das Gut sei, das er kaufen wollte. Maaß hat dies bejaht.
Alsdann werden die zur Beurteilung vor
Grupens
Charakter
geladenen Zeugen vernommen.
Gemüsehändler H a a s e -
Altona kennt den Angeklagten von der Schulzeit her. Er behauptet, Grupen
habe ihn bei der Vermittlung des von ihm, dem Zeugen, gekauften Grundstücks um
20 000 Mark betrogen. Der Kaufpreis sei auf 126 000 Mark festgesetzt gewesen,
nachher stellte es sich aber heraus, daß Grupen auf das Haus eine Hypothek von
20 000 hatte eintragen lassen.
Vert. Dr. Ablaß: Der Kaufpreis betrug in
Wirklichkeit 146 000 Mark. 126 000 Mark wurden im notariellen Kaufpreisvertrag
nur genannt, um Stempelkosten zu sparen. - Zeuge: Soviel ich weiß, ist davon
nicht die Rede gewesen. - Staatsanwalt: Sie glaubten, das Haus für 126 000 Mk.
gekauft zu haben, mußten aber 146 000 Mk. zahlen. - Zeuge: Ja.
Gerichtssekretär Albert L a m p e -
Altona: Nach dem Kaufvertrag ist das Grundstück für 126 000 Mk. verkauft
worden. Grupen hat sich eine Hypothek über 20 000 Mk. eintragen lassen, von der
Haase nichts wußte. Wenn Haase gewußt hätte, daß das Grundstück 146 000 Mk.
kostete, hätte er es nicht gekauft. Ich habe den Eindruck, daß Grupen den Haase
um 20 000 Mk. betrogen hat.
Klempnermeister Johannes H o m a n n - Ottenbüttel hat um Hause der Frau Eckert und
der Frau Schade, später auch für Grupen gearbeitet. Ueber dessen
Vermögensverhältnisse kann er nur angeben, daß Grupen seine Forderungen, bei
denen es sich um kleinere Summen im Gesamtbetrage von 1000 bis 1200 Mk. handelte,
stets prompt bezahlt hat. Grupen reiste sehr viel, woraus Zeuge schloß, daß er
viele Geschäfte mache.
Verteidiger Dr. Mamroth: Erinnern Sie sich,
daß der Angeklagte kurz vor dem Verschwinden der Frau Grupen eine
Badeeinrichtung für sie bestellte, mit dem Bemerken, er wolle seiner Frau eine
Freude machen? - Zeuge: Ja, er wollte die Badeeinrichtung haben, hat sie aber,
nachdem die Frau verschwunden war, abbestellt.
Vors.: Ist der Ausbau des Hauses in
Ottenbüttel vor dem Umzug der Familie Grupen nach Ottenbüttel erfolgt oder
nachher? - Zeuge: Vorher.
Die weiteren Zeugen sagen teils ungünstig für
Grupen aus, indem wieder seine „Geschäftstüchtigkeit“ erwiesen wird, teils
günstig, indem sie seine Strebsamkeit und seinen Fleiß im Beruf und in der Baugewerkschule
anerkennen.
Dann tritt die Mittagspause ein.
Sonnabend, den 17. Dezember 1921, „Der Bote
aus dem Riesengebirge“
Der Mord von
Kleppelsdorf.
Gutachten
der Sachverständigen.
Hirschberg, 16. Dezember.
Die Hoffnung, noch in dieser Woche zum Schluß
zu kommen, ist zu Schanden geworden. Man hatte geglaubt, am Donnerstag noch die
Sachverständigen hören zu können, dann den Freitag zur Vorbereitung für die
Plaidoyers freilassen, den Sonnabend dem Staatsanwalt und den Verteidigern
einzuräumen und in der Nacht zur Urteilsfällung kommen zu können. Die
Vernehmung der letzten Zeugen zog sich jedoch länger hin, als erwartet worden
war, und so wird es wohl Freitag Abend werden, ehe sämtliche Gutachten
erstattet worden sind. Der Sonnabend soll dann sitzungsfrei bleiben. Donnerstag
in später Abendstunde entspann sich darüber eine längere Aussprache. Justizrat
Mamroth und Geheimrat Moll, die nur mit einer zehntägigen Verhandlung gerechnet
und andere Verpflichtungen haben, drängten auf Fortführung der Verhandlung, der
Staatsanwalt aber beanspruchte für die Sichtung des gewaltigen Materials einen
vollen Tag. Das Gericht erkannte diesen Wunsch als berechtigt an, und so wird
es wohl Montag Abend werden, ehe die Geschworenen sich zurückziehen können.
Die Donnerstag und Freitag zunächst
vernommenen Schreibsachverständigen, der bekannte Gerichtschemiker Dr. Jeserich
und Professor Schneidemühl lassen keinen Zweifel darüber, daß nach ihrer
festesten Ueberzeugung sowohl der Großmutti-Brief Ursels, in dem sich die Ursula
als Täterin hinzustellen scheint, als auch die Abschiedsbriefe der Frau Schade
echt sind, das heißt von der Hand Ursels und der verschwundenen Frau
geschrieben sind.
Die Donnerstag-Nachmittagssitzung eröffnete
der Vors. mit der Mittelung, daß soeben ein Telegramm der Polizeiverwaltung in
Itzehoe eingegangen sei, wonach ein in Itzehoe wohnender Kolporteur gesehen
haben will, wie Grupen seine Frau zwei Tage vor ihrem Verschwinden geschlagen
und gewürgt habe. Das Gericht hat beschlossen, den Zeugen Sonnabend zu laden.
Dann wird in der Vernehmung der
Leumundszeugen
fortgefahren.
Kunstgewerbeschullehrer S p r e n g e r - Hamburg hat von Grupen einen guten Eindruck
gewonnen, ebenso von Frau Grupen, die ihm zu einem Besuch in Itzehoe eingeladen
hatte.
Strafanstaltsinspektor T s c h e n t k e - Hirschberg: Der Angeklagte hat sich nach
seiner Einlieferung in das Untersuchungsgefängnis ruhig und zuversichtlich
benommen. Bei Gesprächen über die Tat, der er beschuldigt wird, hat Grupen
stets seine Unschuld beteuert. Verbotener Mittel, sich mit der Außenwelt in
Verbindung zu setzen, hat er nicht angewendet. Alle Gefängnisbeamten sind mir
seinem Verhalten zufrieden gewesen. - Verteidiger Dr. Ablaß: Haben Sie die
Ueberzeugung, daß Sie es bei dem Angeklagten mit einem Menschen zu tun haben,
dem die Tat zuzutrauen ist? - Zeuge: Mich hierüber zu äußern, fühle ich mich
nicht berufen. - Ein Geschworener: Haben Sie gehört, ob der Angeklagte mit
seinem Bruder in der Sprechzeit Plattdeutsch gesprochen hat? - Zeuge: Ja, er
hat Plattdeutsch gepsrochen, aber in einer Ausdrucksweise, die wir unbedingt
verstehen konnten.
Strafanstalts-Oberwachtmeister F u r c h e - Hirschberg macht über das Verhalten Grupens
in der Untersuchungshaft die gleichen Aussagen wie der Vorzeuge. Grupen habe
sich den Beamten gegenüber zuvorkommend und bescheiden gezeigt. Zeuge habe mit
Grupen in seiner Zelle über seine Jugend und Heimat gesprochen. Das sei Grupen
manchmal so nahe gegangen, daß er weinte. - Vorsitzender: Der Angeklagte hat
geweint, tun das andere Gefangene nicht auch? - Zeuge: Ja. Wenn ich Grupen
sagte, er solle, falls er sich schuldig fühle, so vernünftig sein und seine
Schuld zugeben, beteuerte er jedes Mal seine Unschuld. - Ueber die Besuche der
Brüder Grupens im Gefängnis befragt, erklärte der Zeuge, daß er aus
Menschlichkeit die Brüder über Nacht in seiner Wohnung aufgenommen habe, weil
sie schlecht Unterkommen finden konnten. - Vorsitzender (erstaunt): Den Bruder
eines unter schweren Verdacht stehenden Untersuchungsgefangenen haben Sie als
Justizbeamter über Nacht bei sich behalten? Das ist doch recht eigenartig!
Kennen Sie die Stütze Mohr? - Zeuge: Ich kenne sie nur von ihrem Aufenthalt als
Zeugin im Gerichtsgebäude. - Ein Geschworener: Hat irgendein Mitglied der
Familie Mohr in dem Hause, in dem Sie wohnen, Unterkunft gefunden? - Zeuge:
Nein.
Steuerpraktikant L a n g e -
Itzehoe hat den Angeklagten bei der Erledigung von Steuerangelegenheiten
kennen gelernt; es waren Steuererklärungen der Frau Eckert und der Frau Schade
zu berichtigen. Er hat ihm nach dem Verschwinden seiner Frau den Rat gegeben,
die bekannte Geldkassette durch einen Schlag gegen den Boden zu öffnen. Die
Mitteilung Grupens, daß seine Frau nach Amerika gegangen sei, hat der Zeuge
wegen der strengen Paßkontrolle nicht geglaubt.
Staatsanwalt: Ueber Grupens Vermögensstand
bitte ich, den Zeugen später als Sachverständigen zu hören. Nach meinen
Feststellungen betrug das Vermögen, über das der Angeklagte als
Generalbevollmächtigter seiner Schwiegermutter und seiner Frau verfügte und
einschließlich seines eigenen Vermögens, am Tage nach seiner Verhaftung etwa
110 000 Mk. - Angeklagter: Ich werde nachweisen, daß ich über eine Viertelmillion
verfüge und nichts vom Vermögen meiner Frau und meiner Schwiegermutter
verschleudert habe.
Landgerichtsrat D u b i e l
wird nochmals über den vom Angeklagten aus dem Gefängnis an seine
Schwiegermutter zu Händen des Bankiers Guldacker in Itzehoe geschriebenen Brief
vernommen. Der Zeuge erinnert sich, daß Grupen in diesem Briefe mit Gefängnis
gedroht habe, wenn sie über Wäsche, die zu seinem Haushalt gehöre, verfüge. Er,
der Zeuge, hatte aber nicht den Eindruck, daß Grupen mit diesem Briefe seine
Schwiegermutter bestimmen wollte, zu seinen Gunsten auszusagen. - Angeklagter:
Ich habe vom Gefängnis aus meinen Verwandten gegenüber zum Ausdruck gebracht,
wenn sie mich nicht richtig anreden wollen, sollten sie das Briefschreiben
lieber unterlassen.
Frau
E c k e r t muß nun Angaben über
den
Entwicklungsgang
der kleinen Ursula
machen. Das Kind sei einige Wochen zu früh
geboren worden. Es sei von Jugend auf lieb und gut und für alles sehr besorgt
gewesen. Schon als Schülerin habe Ursula sehr auf Ordnung gehalten. In Itzehoe
und Ottenbüttel sei sie öfters traurig gewesen und habe bei Tisch zu weinen
angefangen.
Marie
Mohr
wird darauf eingehend über Zahl und Inhalt
der auf die Reise mitgenommenen Koffer vernommen. Ihre Aussagen sind sehr
leise, oft gar nicht zu verstehen, und unsicher. Danach waren es ein großer und
zwei kleine Koffer. Von den letzteren gehörte einer Herrn Grupen, einer Frau
Eckert. In dem einen waren Lebensmittel für die Reise, und dieser Koffer ist
auch geöffnet worden, die Zeugin hat hineingesehen, hat aber w e d e r
R e v o l v e r n o c h P a t r o n e n darin gesehen, was sie, wie sie zugibt,
hätte sehen müssen, wenn sie darin gewesen wären. (Anfänglich sagt die Zeugin,
auf die Frage des Vorsitzenden, sie w i
s s e n i c h t , ob sie die Waffe hätte sehen müssen, wenn
sie darin gewesen wäre.)
Verteidiger Dr. Ablaß: Ist es richtig, daß
Sie jetzt mit jemand anderem versprochen sind? - Marie Mohr: Ja. - Die Zeugin
will insbesondere nicht wissen, wer die Koffer gepackt hat. Auch auf die Frage,
wer die Koffer vom Bahnhof nach dem Schlosse getragen und wo sie hingeschafft
worden sind, gibt die Zeugin nur unsichere Auskunft.
Untersuchungsrichter D u b i e l
gibt auf Veranlassung des Staatsanwalts Auskunft über das Verhalten der
Zeugin bei ihrer Auskunft über das Verhalten der Zeugin bei ihrer Auskunft über
gewisse bedenkliche Situationen. Auf seine frage, ob sie denn gar kein
Schamgefühl habe, sagt sie: Nein! Später hat sie aber gesagt: Doch, ich habe
mich geschämt.
Marie
M o h r wird dann nochmals (im
Nacheid) vereidigt, nach wiederholter dringender Ermahnung des Vorsitzenden.
Margarete
H a t j e meldet sich zu einer
Ergänzung ihrer Aussage. Grupen hat ihr gesagt, daß Dorothea ihm mehrere
Heiratsanträge gemacht habe, er habe sie aber nicht gemocht. Ueber W i l h e l m G r u p e n
sagt die Zeugin, daß er früher, als er bei ihrem Vater Maurerpolier war,
ein tadelloser Arbeiter war, dann aber einen weniger guten Ruf hatte, weil er
immer mit dem Bruder Peter Geschäfte gemacht hatte und weil er viel Geld ausgab
und nächtliche Feste feierte.
Vorsitzender: Kann diese Zeugin nun entlassen
werden. - Staatsanwalt: Ich entlasse keinen Zeugen mehr.
Kommissarische
Zeugenvernehmungen.
Es werden nun Aussagen von Zeugen verlesen,
welche wegen Krankheit oder aus anderen Gründen nicht zur Verhandlung kommen
konnten.
Frau Studienrat B r o o k -
Itzehoe bekundete bei ihrer kommissarischen Vernehmung u. a.: Nach der
Mitteilung einer Lyzeallehrerin, bei der Ursula Schade in den Unterricht ging,
habe Ursula in der Religionsstunde einmal das Wort „Hypnose“ erwähnt. Ruth
Reske oder Irma Schade sollen, wie Frau Eckert erzählte, einmal gesehen haben,
wie Grupen über dem Bett Ursulas s t r
e i c h e l n d e B e w e g u n g e
n machte.
Professor
D r . H e i t m a n n - Hamburg hat vor dem Hamburger Amtsgericht
folgendes erklärt: Grupen war auf der Baugewerkschule ein fleißiger,
vorwärtsstrebender Schüler, der die Abgangsprüfung mit „gut“ bestanden hat.
Ueber seinen Lebenswandel ist mir nicht sbekannt. Was Grupen auf der
Baugewerkschule gelernt hat, reicht nicht auf, daß der Angeklagte sich „Architekt“
nennen kann.
Aus dem Vernehmungsprotokoll der Frau
Bauergutsbesitzer P o p p - Ottenbüttel geht hervor, daß die Zeugin sich
nicht erinnern kann auf eine Aeußerung ihres Vaters, Grupen solle sich von den
Kindern trennen, denn man könne nicht verlangen, daß er die Kinder einer
treulosen Frau erziehe. Sie könne sich auch nicht erinnern, daß Grupen darauf
ihrem Vater geantwortet habe, er habe die Kinder so lieb und könnte es nicht
über das Herz bringen, die Kinder unter der Handlungsweise der Frau leiden zu
lassen.
Frau Dorothea B e r g m a n n - Itzehoe erklärte dem vernehmenden Richter:
Das Verhältnis zwischen den Grupenschen Eheleuten war normal, zwischen Grupen
und den Kindern harmonisch. Grupen hat nach dem Verschwinden seiner Frau
erzählt, daß Ursula rührend für ihn sorge. Wenn er abends nicht zu Hause sei,
mache sie ihm etwas zu essen oder naschen zurecht und legen einen Zettel dazu:
„Für Dich, lieber Vati!“ Bei einem Besuch im September v. J. war Grupen in
heiterer Stimmung. Als ich ihn nach dem Befinden seiner Frau fragte, sagte er,
sie wäre verreist; davon, daß sie ihn verlassen habe und nach Amerika gegangen
ist, sagte er kein Wort. Auch bei einem einige Wochen später erfolgten Besuch
sprach er nicht von seiner Frau, sondern nur davon, daß er die Hatje in sein
Haus habe kommen lassen, die Tochter seines Lehrmeisters, zu dem er einmal
gesagt habe, daß er sein Schwiegervater werden müsse. Als ihm gesagt wurde, man
erzähle, daß seine Frau verschwunden sei, gab er dies zu, erklärte aber auf die
Frage, was er für Nachforschungen angestellt habe, er sei nicht geneigt, dafür
viel Geld auszugeben, denn die Frau habe ihm 70 000 Mk. mitgenommen. Ueberdies
habe ihm der Notar Reinicke gesagt, er solle die Sache ein Jahr ruhen lassen
und dann einen Aufruf in den Zeitungen veröffentlichen.
Geh. Rechnungsrat N e u g e b a u e r - Berlin und seine Ehefrau machten
Bekundungen, aus denen hervorgeht, daß Frau Eckert und Frau Schade das Vermögen
der Ruth Reske benachteiligt haben sollen.
Der Angeklagte erklärt, er habe zu den
Vernehmungsprotokollen keine Angaben zu machen.
Es folgen die
Gutachten
der Sachverständigen.
Bücherrevisor Walter S c h ä r f f - Brieg äußert sich über
Grupens
Vermögenslage
folgendermaßen: Grupen hatte keine
Buchführung, so daß ein klares Bild über die Vermögenslage nicht möglich ist.
Der Sachverständige teilt sein Gutachten in drei Zeitabschnitte ein: erstens:
was besaß Grupen bei seiner Verheiratung mit Frau Schade?, zweitens: was besaß
er bis zum Verschwinden der Frau Schade?, drittens: über welche Mittel verfügte
er in der Zeit zwischen dem Verschwinden und dem Vorfall in Kleppelsdorf?
Bis zu seiner Verheiratung mit Frau Schade
besaß der Angeklagte nichts. Das greifbare Kapital, das seine Frau mitbrachte,
war niedrig und die festliegenden Kapitalien der Frau konnten ihm in seinem
Geschäft nicht nützen. Grupen hatte 9000 Mark aus seiner Beschäftigung beim
Vater, eine einmalige Abfindung als Kriegsinvalide von 8000 Mk., außerdem
verschiedene kleine Einnahmen, also etwa 17 000 bis 20 000 Mk. Diese Summe
hatte er ausgegeben, denn zwei Zeugen haben einwandsfrei ausgesagt, daß er
zurzeit der Verheiratung nichts hatte; er mußte sogar im Mantel seines Vaters
um die Hand seiner Frau anhalten. Durch die Heirat fiel ihm kein größeres
Barvermögen in die Hände. Für das Reichsnotopfer wurden die beiden Vermögen des
Ehemannes und der Ehefrau am 31. Dezember 1919 (wenige Tage vorher hatte die
Heirat stattgefunden), mit 31 000 Mk. veranlagt. In diesen 31 000 Mark liegen
7300 Mark Barvermögen, eine Summe, die bald aufgebraucht war. Schon im März
1920 sah Grupen sich genötigt, durch die Verpfändung des Brillantenschmucks der
Fr. Eckert an Lange-Hamburg sich Geld zu verschaffen. Er erhielt 6000 Mk. Bald
versetzte er auch ein oder zwei Pelzjacketts, wofür er nur kleine Beträge
erhielt. Für das Silber bekam er 1700 Mark. Ostern 1920 erfolgte der Verkauf
des väterlichen Grundstücks in Haseldorf, wodurch er 17 000 Mk. erübrigt haben
soll. Das sind kleine Beträge, um Haushalts. und Geschäftsunkosten zu
bestreiten. Wir wissen, daß Grupen viel unterwegs gewesen ist und manchmal auch
von seiner Frau begleitet wurde, die Geschäftsunkosten müssen also groß gewesen
sein. Andererseits haben wir gehört, daß der Haushalt ein sparsamer war. Bei
den Grundstücksgeschäften handelte es sich nur um sehr wenige Transaktionen.
Bei dem Verkauf des Grundstücks in Itzehoe, den er vornahm, um in Ottenbüttel
das weniger wertvolle Gelände zu erhalten, ist der Gedanke nahe liegend, daß er
da nach weiterem Kapitel gestrebt hat. Aber bei genauer Betrachtung handelt es
sich nicht um einen Kauf, der ihm Barvermögen brachte, sondern um einen Tausch.
Badgeld erhielt er bei dieser Transaktion, obwohl es sich im Objekte im
Gesamtwert von 125 000 Mk. handelte, nicht.
Bis Ende Juli zehrte Grupen von insgesamt 32
000 Mk., die zuflossen dem Haushalt, dem Geschäftsbetriebe und dem Umbau des
Ottenbüttler Grundstücks,. der allein 25 000 Mk. erfordert haben soll. Dazu
kommt der Betrag, den er aus Wertpapieren erlöst haben soll und den er seiner
Frau zur Bestreitung des Haushalts zur Verfügung gestellt haben will. Daß der
Angeklagte gezwungen war, sich weitere Mittel zu verschaffen, beweist auch der
Verkauf der Saloneinrichtung aus Itzehoe, wobei er 9000 Mark löste. Außerdem
machte er verschiedene Geschäfte mit seinem Bruder und mit Maaß. Diese
Geschäfte liefen ja in ziemlich hohe Beträge, aber die Einkünfte verteilten
sich auf zwei bis drei Makler. Dabei dürfen wir auch nicht vergessen, daß die
Vermittlergeschäfte ihre Abwicklung nach der Tragödie von Kleppelsdorf fanden.
Aus dem Ottenbüttler Grundstück floß dem Angeklagten kurz vor seiner Abreise
nach Kleppelsdorf der Betrag von 60 000 Mk. zu. Das ist das erste Mal gewesen,
daß er einen solchen Betrag wirklich in Händen hatte. Es ist gesagt worden, daß
Frau Grupen und Frau Eckert ihm zwei Hypotheken im Werte von 72 000 Mark
abgetreten hätten, die er in der Kassette verwahrt haben will. Tatsächlich sind
ihm aber nicht 72 000 Mk. zugeflossen, denn eine Zahlung hat nicht
stattgefunden. Der Sachverständige schließt: Ich will die Frage, ob in der
Kassette 60 000 oder 72 000 Mk. oder gar nicht darin war, nicht selbst
entscheiden, das überlasse ich den Herren Geschworenen.
An das Gutachten knüpfte sich eine sehr l e b h a f t e A u s e i n a n d e r s e t z u n g zwischen den Verteidigern und dem
Sachverständigen, in die auch der Staatsanwalt wiederholt eingriff. Die
Verteidiger bemängelten, daß das Gutachten von greifbaren Mitteln rede, während
es sich über die Vermögenslage hätte äußern sollen. Der S t a a t s a n w a l t erklärte, daß er in seinem Plaidoyer die
Vermögenslage Grupens auf Grund von dessen eigenen Angaben behandeln werde.
Vert. D r . A b l a ß
protestierte gegen das Gutachten, das auf völlig verfehlter Grundlage
beruhe und als Beweismittel nicht gelten könne.
Die
Briefe.
D r .
J e s e r i c h - Berlin hatte
die Aufgaben, erstens: den B r i e
f a n
G r o ß m u t t i zu vergleichen
mit H a n d s c h r i f t e n d e r
U r s u l a S c h a d e , um festzustellen, ob dieser Brief von ihr
herrühre oder ob er von einem Anderen, besonders dem Angeklagten, geschrieben
sei; zweitens: festzustellen, ob das Wort „traurige“ in dem Briefe an Frau
Bartel von Ursula selbst nachträglich hinzugefügt worden sei.
Der
Großmutti-Brief
vom 9. Februar, in dem davon die Rede ist,
daß Ursel die Waffe an sich genommen habe und Großmutter sich nicht mehr über
Dörte ärgern solle, ist von den Sachverständigen mit einem unzweifelhaft von
Ursula stammenden Briefe verglichen worden,
D r . J e s e r i c h , der den Geschworenen bis in alle
Einzelheiten seine Vergleiche darlegt, kommt zu dem Schluß, d a ß
z w i s c h e n d i e s e m m i t
B l e i g e s c h r i e b e n e
n G r o ß m u t t i - B r i e f e u n d d e m
m i t T i n t e g e s c h r i e b e n e n e c h t e n
U r s u l a - B r i e f e A b w
e i c h u n g e n w e s e n t l i c h e
r A r t n i c h t
z u f i n d e n s i n d .
Im Großmutti-Brief sind, wie das bei flüchtiger Schrift sehr oft
vorkommt, die Uebergänge mehr abgerundet, als die mit Tinte geschriebenen
Briefe. Das sind die einzigen Momente, die als Unterschied gefunden worden
sind. Sonst herrscht U e b e r s t i m
m u n g b i s i n s
K l e i n s t e . Die Gesamtschrift
gibt zu einer Annahme, daß der Brief n
i c h t von Ursel geschrieben worden
ist, keine Veranlassung. Andererseits sei die Möglichkeit einer Fälschung
jedoch nicht ausgeschlossen, aber es sei kaum möglich, einen ganzen Brief in
allen Einzelheiten so treu nachzubilden. Es spräche nichts für die Vermutung,
daß der Brief nicht von Ursula geschrieben worden sei. Ein mathematischer
Beweis, daß er tatsächlich von Ursel geschrieben worden sei, könne natürlich
nicht geführt werden.
Vors.: Herr Sachverständiger, auf Grund Ihrer
Erklärungen in der Voruntersuchung muß ich Sie fragen, ob der Brief nicht
gewisse Aehnlichkeiten mit der Grupenschen Schrift aufweist.
D r .
J e s e r i c h :
Selbstverständlich, Aehnlichkeiten, wie sie zwischen a l l e n
Schritten bestehen, man kann ein x nicht wie ein y schreiben. Mit der
Grupenschen Schrift besteht eigentlich nur in der Abflachung des Uebergangs vom
ersten zum zweiten Element der Buchstaben und im kleinen r eine
Uebereinstimmung. Es spricht jedoch keinerlei Wahrscheinlichkeit dafür, daß
Grupen den betreffenden Brief geschrieben hat. Wenn der Brief nachgeschrieben
worden ist, so muß es ein Künstler im Malen gewesen sein, wie ich ihn in meiner
dreiundvierzigjährigen Praxis nicht kennen gelernt habe. Ob auf dem
Brief
an Frau Barthel,
(der ebenfalls vom 9. Februar datiert ist und
in dem Ursula sehr vergnügt über das Leben in Kleppelsdorf berichtet) bei der
Unterschrift „Ursel“ d a s W o r t
„ t r a u r i g e “ v o n a n d e r e r H a n d
hinzugefügt worden ist, läßt sich
n i c h t feststellen. Das Wort
„traurige“ weist in allen Einzelheiten die Eigenart der Schrift Ursulas auf,
doch kann ein aus so wenig Buchstaben bestehendes Wort nachgebildet worden sein
und deshalb kann aus der Uebereinstimmung der Schriftzüge irgend ein
Schluß n i c h t gezogen werden. P o s i t i v i s t
a b e r f e s t g e s t e l l
t w o r d e n , d a ß
d a s W o r t „ t r a u r i g e “ n a c h t r ä g l i c h h i n z u g e f ü g t w o r d e n
i s t und zwar mit gleichartiger
Tinte und nachdem die ursprüngliche Schrift bereits getrocknet war, also mindestens
3 bis 4 Minuten nach Abschluß des Briefes. Ob Ursel das Wort geschrieben hat,
kann ich nicht sagen. Es kann von ihr sein, kann aber auch nachgemacht worden
sein.
Freitag vormittag ½ 10 Uhr wird die
Verhandlung fortgesetzt.
*
Die
Verhandlung am Freitag.
Zu Beginn der heutigen Sitzung teilt der
Vorsitzende mit, daß der Beisitzer, Landgerichtsrat H e r z o g , an Grippe erkrankt und an seine Stelle der
Hilfsrichter, Assessor H u b r i c h
, getreten ist.
Dann setzt der Schriftsachverständige D r .
J e s e r i c h sein Gutachten
fort, und zwar über die Frage, ob die
Abschiedsbriefe
der Frau Grupen
echt sind. Die Untersuchung hat ergeben, daß
die Schrift der Abschiedsbriefe mit älteren Briefen der Frau Grupen v o l l k o m m e n ü b e r e i n s t i m m t . Der Sachverständige ist zu dem Schluß
gekommen, daß an eine Nachbildung der Abschiedsbriefe nicht zu denken ist.
Vors.: Ist es möglich oder wahrscheinlich,
daß der A n g e k l a g t e die Briefe nachgeahmt hat? - D r .
J e s e r i c h : Ich halte es
weder für möglich noch für wahrscheinlich. - Eine psychologische Beurteilung
der Briefe lehnt Dr. Jeserich ab.
Der
zweite Schreibsachverständige.
Darauf erhält Professor Dr. S c h n e i d e m ü h l - Berlin das Wort zur
Handschriftenbeurteilung: Der Fall, um den es sich handelt, stößt in weitesten
Kreisen auf Vorurteil und Mißtrauen. Dieses Vorurteil und Mißtrauen muß
zunächst zerstreut werden, sonst würde ich tauben Ohren predigen. Bei der
wissenschaftlichen Handschriftenbeurteilung handelt es sich um die Lehre, aus
der Handschrift auf den Charakter des Menschen zu schließen. Die G r a p h o l o g i e hat damit, wie vielfach angenommen wird,
nichts zu tun. Der G r o ß m u t t i -
B r i e f wies auf den ersten Blick
einige Aehnlichkeiten mit der Schrift des Angeklagten auf, aber sehr bald
änderte sich das vorläufige Urteil. Obwohl genügend Schriftproben des
Angeklagten vorlagen, habe ich Wert darauf gelegt, den Angeklagten beim
Abschreiben eines von ihm, dem Sachverständigen, entworfenen Schriftsatzes zu
sehen und zu beobachten. Bei dieser Gelegenheit wurde Grupen gefragt, ob er
sich mit okkultistischen Dingen befasse. Die Zögerung mit der Antwort erklärte
sich der Sachverständige mit Unkenntnis des Angeklagten auf diesem Gebiete.
Nach gegebener Definition des Begriffes „Okkultismus“ verneinte Grupen die
Frage. Ich habe Grupen weiter gefragt, ob er sich mit Hypnose oder Suggestion
beschäftigt, ob er solche Schriften gelesen oder solche Schaustellungen besucht
habe. Grupen bejahte: als Baugewerksschüler habe er sich hypnotische und
Suggestions-Vorstellungen angesehen. Vom Untersuchungsrichter ist mir die Frage
zur Beantwortung vorgelegt worden: Ist anzunehmen, daß der Angeklagte den Brief
an Großmutti geschrieben hat, oder ist anzunehmen, daß Ursula Schade ihn
geschrieben hat? Auf der ganzen Welt gibt es nicht zwei Menschen, die die g l e i c h e Schrift schreiben, höchstens eine ä h n l i c h e Schrift. Wie die Gehirne der Menschen
durchweg nicht gleichartig sind, so ist auch jede Handschrift verschieden. Bei
aller Aehnlichkeit zweier Handschriften werden sich die Buchstabenbilder nicht
so decken wie etwa die Typen aus dem Setzkasten. Der Sachverständige ist z u
d e m S c h l u ß g e k o m m e n , d a ß
U r s u l a d e n B r i e f
a n G r o ß m u t t i g e s c h r i e b e n h a t .
Auch unterliegt es für ihn keinem Zweifel, daß F r a u
G r u p e n i h r e A b s c h i e d s b r i e f e s e l b e r
g e s c h r i e b e n hat. Nun
die schwierigste Frage:
Liegt
eine Beeinflussung der Schrift vor?
Dieser Brief der Ursula ist ganz ruhig geschrieben;
die Schriftzüge sind dieselben bei den anderen Briefen der Ursula und weisen
dieselben Eigentümlichkeiten auf, eine gleichmäßige und ruhige Schrift. Die
Schrift eines niedergedrückten Menschen erscheint niedergedrückt, der seelische
Zustand drückt sich auch noch in der Schrift aus. Bei einem Kinde wie Ursula,
die sehr zart, weich und fremdem Einfluß leicht zugänglich war, hätte sich der
seelische Zustand erst recht in der Handschrift ausdrücken müssen. Es kann
daher diesem Kinde, als sie den Brief an Großmutti schrieb, d e r
f u r c h t b a r e I n h a l
t d i e s e s B r i e f e s n i c h t
z u m B e w u ß t s e i n g e k o m m e n s e i n .
Bei einem Kinde, das die Absicht hat jemand Anderes und sich selbst zu
erschießen, m ü ß t e sich diese damit verbundene seelische
Erschütterung auch in der Schrift a u s
d r ü c k e n .
Auch in dem Abschiedsbriefe der Frau des
Angeklagten findet sich keine Aenderung der Schriftzüge der Schreiberin,
während sich die furchtbare Seelenerschütterung, die die Schreiberin bei der
Absicht, Heimat, Mann und Kinder zu verlassen, gehabt haben muß, sich darin
hätte ausdrücken müssen. Es müssen also auf Frau Grupen seelische Einwirkungen
gewisser Art, die ihr ganzes Sinnen und Empfinden beeinflußten, stattgefunden
haben, - welcher Art, weiß ich nicht. In anderen Briefen der Frau findet sich,
daß sich die niedergedrückte Stimmung der Schreiberin in den Schriftzügen
ausdrückte. E s m u ß
a l s o e t w a s i m
I n n e r n d e r F r a u
G r u p e n d u r c h f r e m d e n E i n f l u ß a u s g e s c h a l t e t w o r d e n
s e i n .
Auf wiederholte Frage des Verteidigers D r .
M a m r o t h hält der
Sachverständige sein Gutachten aufrecht.
Staatsanwalt: Herr Sachverständiger, wenn wir
nun von einem späteren Sachverständigen hören sollten, daß tatsächlich ein
solcher Einfluß auf die Frau ausgeübt worden ist, würde das noch eine
Bestätigung Ihres Gutachtens sein? - Professor
S c h n e i d e m ü h l : Das würde allerdings meine Auffassung vollauf
erklären.
Auf Fragen eines Geschworenen erklärte
Professor Schneidemühl noch, daß sich auch in der einige Tage vor dem
Verschwinden der Frau geschriebenen Abtretungsurkunde k e i n e
M e r k m a l e d e r s e e l i s c h e n E r r e g u n g z e i g e n , so daß also auch damals die Schreiberin unter
jenem Einfluß stand.
Verteidiger Dr. M a m r o t h : Aber der Inhalt der Briefe, in denen der
Sachverständige besondere Merkmale einer seelischen Erschütterung erkennen
will, ist durchaus harmloser Art, so daß sich aus dem Inhalt die angeblich niedergedrückte
Stimmung der Schreiberin nicht ergibt. Die Tatsachen, aus denen der
Sachverständige auf die seelische Niedergedrücktheit der Schreiberin schließt,
schweben also völlig in der Luft.
Prof.
S c h n e i d e m ü h l
widerspricht dieser Auffassung. Wenn Jemand unter seelischer Verstimmung
leidet, dann prägt sich dies auch in den Briefen aus, die an sich einen
harmlosen Inhalt haben.
Verteidiger
D r . A b l a ß faßt das Gutachten des Sachverständigen
zusammen. Erstens: die sechs Abschiedsbriefe zeige keine Zeichen seelischer
Erregung, während die Merkmale da sein müßten, wenn diese Erregung nicht durch
fremden Einfluß ausgeschaltet gewesen ist. Zweitens: in den anderen Briefen
findet der Sachverständige die Merkmale der seelischen Verstimmungen, wenn er
auch keine Tatsachen anführen kann, auf denen die seelische Erregung beruhen
soll.
Die Auseinandersetzungen nehmen noch längere
Zeit in Anspruch. Dabei fragt noch Verteidiger
D r . M a m r o t h, ob es nicht richtig sei, daß sich gerade
Frauen auch beim Schreiben auf liniiertes Papier nicht an die Linien halten.
Professor
S c h n e i d e m ü h l : Das
Gegenteil ist richtig.
Verteidiger D r .
A b l a ß : Herr
Sachverständiger, ist es nicht möglich, daß, wenn Jemand sich nach langen
Kämpfen zu einem festen Entschluß durchgerungen hat, so daß eine eisige Ruhe
über ihn kommt, er dann auch ohne Merkmale einer seelischen Erregung schreibt?
Professor
S c h n e i d e m ü h l : Der
Fall ist wohl denkbar, aber Frau Grupen gehörte wohl nicht zu den Personen, bei
denen dies möglich war.
Weiter verbreitet sich Prof. S c h n e i d e m ü h l über
das
Schreiben in Hypnose.
Er erzählt über interessierte Versuche, die
von wissenschaftlicher Seite gemacht worden sind. Ein in Hypnose versetzter
dänischer Student habe, als man ihm vorredete, Napoleon zu sein, dessen
richtigen Namenszug geschrieben, dann die Schrift einer alten Frau und eines
Kindes, als er diese vorstellen sollte. Der Sachverständige zeigt selbst an der
Schreibtafel, wie er die Schriftzüge eines zwölfjährigen Kindes nachahmt, weil
er sich sehr intensiv in dessen Gedankengang versetzt hat.
Dann erstattet Büchsenmachermeister W a l t e r - Löwenberg sein Gutachten, indem er zunächst
über die Ergebnisse der
Schießversuche
berichtet. Er hat im Beisein des
Kreismedizinalrates Dr. Peters mit der bei der Ursula gefundenen Pistole auf
die verschiedensten Entfernungen, von 5 Zentimetern angefangen, auf Stoffe und
Holz geschossen. Die durchschossenen Stoffe wurden vorgezeigt. Die Waffe war
eine Walterpistole Modell 5, bei der die Hülsen der abgeschossenen Patronen nur
nach rechts, bei Schüssen auf größere Entfernungen nach rechts u n d
etwas nach hinten fallen können. Der Sachverständige zeigte dann auf der
Zeichnung, wo bei den, auf Wunsch des Angeklagten im Mordzimmer vorgenommenen
vielen Schießversuchen in jedem einzelnen Falle der Schütze stand, wie der die
Pistole hielt und wo dann die Hülse der abgeschossenen Patrone lag.
Wie ist
geschossen worden?
Der Sachverst. Walter hält es für
a u s g e s c h l o s s e n , d
a ß U r s u l a S c h a d e
s i c h s e l b s t e r s c h o s s e n h a t .
Nach
seiner Ueberzeugung h a t d e r
T ä t e r , etwa in der Mitte
des Zimmers stehend, a u f D o r o t h e a R o h r b e c k d e n
e r s t e n S c h u ß a b g e g e b e n , d e n
z w e i t e n a u f d i e
z u r R o l l s t u b e n t ü
r f l ü c h t e n d e U r s u l a
S c h a d e und den d r i t t e n (einen sogenannten Fangschuß) wieder auf die
noch atmende D o r o t h e a R o h r b e c k . Daß auf Ursula a u s
w e i t e r e r E n t f e r n u
n g geschossen worden ist, a l s
a u f D ö r t e , ist aus der Tatsache zu folgern, daß das in
die rechte Stirn eingedrungene Geschoß die
S c h ä d e l d e c k e n i c h
t d u r c h s c h l a g e n hat, sondern darunter stecken geblieben ist.
Der Kopfschuß auf Dörte ist a u s k u r z e r
E n t f e r n u n g abgefeuert
worden.
Bei Schluß der Redaktion dauerte die
Vernehmung des Sachverständigen noch fort.
Sonntag, den 18. Dezember 1921, „Der Bote aus
dem Riesengebirge“
Beendigung
der Beweisaufnahme.
Die
Sachverständigen über die Selbstmord-Annahme.
Grupen
lehnt alle Erklärungen ab.
Hirschberg, 17. Dezember.
Die Verhandlung geht ihrem Ende entgegen. In
der Nacht zum Dienstag wird das Urteil erwartet. Am Freitag ist die Beweisaufnahme
im wesentlichen abgeschlossen worden. Am Montag sollen, - während der Sonnabend
für die Plaidoyers sitzungsfrei bleibt, - zunächst noch einige Vernehmungen
unter Ausschluß der Oeffentlichkeit erfolgen und alsdann der Staatsanwalt und
die Verteidiger zum Wort kommen.
Freitag war der Tag der Gutachter. Die
Schießsachverständigen, die Aerzte, die die Leichen der beiden unglücklichen
Opfer der Tragödie untersucht haben und schließlich die Psychologen erhielten
der Reihe nach das Wort, und sie alle kamen, jeder von seinem besonderen
eigenen Standpunkt aus, zu dem Ergebnis, daß ein Selbstmord der kleinen Ursula,
der aus dem Großmutti-Briefe gelesen werden könnte, ausgeschlossen ist oder
doch höchst unwahrscheinlich erscheint. Professor Moll aus Berlin, eine
Weltautorität auf dem Gebiete der Seelenforschung, hält irgendwelche
hypnotischen Einwirkungen für ausgeschlossen, betont aber um so stärker die
suggestiven Beeinflussungen des willenstarken Angeklagten auf seine ganze
Umgebung, und ergeht sich dabei in sehr feinen tiefgründigen Auslassungen über
das Wesen der Suggestion und der zwingenden Macht von Willensmenschen auf
schwache Personen. Der Angeklagte, der sich mit seinen stahlharten Nerven dem
Ansturm der nahezu vierzehntägigen Verhandlung voll gewachsen gezeigt hat,
verfolgte die Darlegungen mit gespannter Aufmerksamkeit, verweigert aber, seitdem
er mittags für einen Augenblick seine Ruhe verloren hatte, jetzt jegliche
Erklärung.
Im Einzelnen ist noch zu berichten:
Büchsenmachermeister W a l t e r - Löwenberg gibt weiter der Ansicht Ausdruck,
daß der Täter etwa i n d e r
M i t t e d e s Z i m m e r s gestanden haben müsse, sonst wären die Patronenhülsen
nicht auf die dem Wintereßzimmer zu gelegene Seite gefallen. Alle in dem
Mordzimmer vorgenommenen Schießversuche, auch die nach Anweisung des
Angeklagten durchgeführten, stützen diese Ansicht. Nach der Art der Waffe und
nach der Lage der Patronenhülsen ist der Sachverständige der festen
Ueberzeugung, daß Dörte und Ursula von dritter Hand erschossen worden sind. Der
Täter muß in der Nähe der Dörte gestanden haben.
Staatsanwalt: Wenn die Theorie des
Selbstmordes der Ursula richtig wäre, müßten dann nicht die Hülsen in dem Teile
des Zimmers gelegen haben, der an die Rollstube angrenzt?
Walter: Ja. Dort haben die Hülsen nicht
gelegen, und aus diesem Teile des Zimmers hätten sie nicht so leicht verschleppt
werden können, weil der Tatort vom Winteresszimmer aus betreten wurde.
Der Angeklagte, der vor der Tafel mit der
Skizze des Mordzimmers steht, nimmt das Lineal zur Hand und erörtert die
Möglichkeit, daß die Hülsen auch bei einem Selbstmord Ursulas an die Stellen
gefallen sein können, wo sie gefunden wurden. Die Schußrichtung müsse eine
andere gewesen sein, als der Sachverständige annehme. Der Vorsitzende
unterbricht den heftig redenden Angeklagten mit der Bemerkung, er handele sich
nicht um Schußrichtungen, sondern um den Standort des Täters. D e r
A n g e k l a g t e w i r f
t h i e r a u f m i t
h o c h r o t e m K o p f e r r e g t
d a s L i n e a l a u f
d e n T i s c h u n d
b e g i b t s i c h w ü t e n d
i n d i e A n k l a g e b a n k , d e r e n
T ü r e r k r a c h e n d h i n t e r
s i c h z u s c h l ä g t .
Vorsitzender (zum Sachverständigen): Wäre
nach Ihrer Annahme die dreizehnjährige Ursula überhaupt fähig gewesen, den
Revolver so zu handhaben, daß sie sich selbst erschießen konnte?
Walter: Nach meinen Erfahrungen kann ein
Mädchen durch bloßes Zusehen beim Erklären einer Waffe diese nicht gleich mit
Sicherheit handhaben. Zudem waren, seit die Ursula den Revolver das letzte Mal
gesehen, und dem Tage der Tat, sieben oder acht Tage verflossen. Weibliche
Personen haben gegen Schußwaffen so große Antipathie, daß sie sich dieselben
überhaupt nicht genau ansehen. Dann sind die drei Schüsse auch mit einer T r e f f s i c h e r h e i t abgegeben worden, die ein dreizehnjähriges
Kind nicht haben kann. Revolver erfordern eine ganz besondere Schießfertigkeit.
Bei den S c h i e ß v e r s u c h e
n mit der Mordwaffe haben im Schießen
geübte Personen auf ein Brett, das die Größe eines Kanzleibogens hatte, im
ganzen nur vier- bis fünfmal getroffen, obwohl mit sechs Meter Distanz über 30
Schüsse abgefeuert wurden.
Kreismedizinalrat D r .
P e t e r s : Es ist auch zu
beachten, daß die Waffe einen sehr starken Rückschlag hat.
Ein Geschworener: Will der Angeklagte darüber
Auskunft geben, ob er im Felde als Maschinengewehrschütze, Gefechtsordonnanz,
Bagagefahrer oder Bursche tätig gewesen ist?
Angeklagter (mit großer Heftigkeit): I c h
l e h n e j e d e E r k l ä r u n g i n
Z u k u n f t a b .
Der Geschworene: Meine Frage hat einen
besonderen Grund.
Vorsitzender: Es ist das Recht des
Angeklagten, auf Erklärungen zu verzichten.
Verteidiger
D r . A b l a ß (zum Sachverständigen): Halten Sie es für
möglich, daß ein Kind, wenn die Waffe geladen und gesichert warm den
Sicherungsflügel umlegen konnte? - W a
l t e r : Möglich wäre es schon, im vorliegenden
Falle aber nicht wahrscheinlich. - Vorsitzender: Wenn ein Kind weiß, daß die
Waffe geladen ist, dann wird es sich doch nicht noch ein Kästchen mit Patronen
mitnehmen. - Sachverständiger: Das glaube ich auch nicht.
In der Nachmittagssitzung wird zunächst
der
zweite Schießsachverständige,
Gewehrfabrikant H e n s e l - Breslau, vernommen. Er erklärt kurz, daß er
sich dem Gutachten Walters in allen Punkten
a n s c h l i e ß e . Auch er
ist insbesondere der Ansicht, daß nach der Beschaffenheit der Waffe und der
Lage der Patronen ein S e l b s t m o r
d d e r U r s u l a
S c h a d e a u s g e s c h l o
s s e n sei.
Der Angeklagte schweigt auf die Frage des
Vorsitzenden, ob er zu diesen Gutachten etwas zu bemerken habe.
Es folgen die
ärztlichen
Gutachten.
Kreis-Medizinalrat D r .
P e t e r s - Löwenberg legt
seinem Gutachten den von ihm festgestellten Leichenbefund zu Grunde. Vorher
ersucht er den Vorsitzenden, an den Angeklagten die Frage zu richten, ob er
wünsche, zu seinen Ausführungen Stellung zu nehmen und zu diesem Zweck aus der
Anklagebank zu treten. - Angeklagter: Ich habe bereits gesagt, daß ich keine
Erklärungen mehr abgebe.
Im Saale steht ein Modell mit dem roten
Flanellkleide und der weißen, blutbefleckten Schürze der Dorothea Rohrbeck.
Mittels eines Projektorapparates werden bei verdunkeltem Saal
Lichtbilder
von den Leichen
der erschossenen Mädchen vorgeführt.
D r .
P e t e r s : Alle die Schüsse
sind aus mehr als 15 Zentimeter Entfernung abgegeben worden, damit ist die M ö g l i c h k e i t e i n e s
S e l b s t m o r d e s der
Ursula von vornherein ausgeschlossen. An dem Kleide der D ö r t e
fand ich mehrere Schußlöcher, eines an der rechten Achselfalte, drei an
der Brust. Das erste ist eine Einschußöffnung, die drei anderen Ausschußöffnungen,
die sich dadurch erklären, daß das Kleid an der Brust Falten hatte. Am Halse
und an der Brust habe ich mehrere Verletzungen festgestellt. Bei der U r s u l a
fand ich eine Einschußöffnung an der rechten Augenbraue, außerdem ein im
Gehirn steckengebliebenes Geschoß. Bei Dörte ist ein Geschoß unter der
Stirnhaut gefunden worden. Ich habe schon damals dem Angeklagten gesagt, ob er
mit der Waffe, die er aufgehoben haben will, etwas gemacht habe. Er antwortete
mir: „Daß ich nicht wüßte.“ Nach dem Befund hat D ö r t e
z u e r s t d e n B r u s t s c h u ß erhalten, der durch den Hals in den hinteren
Nasenrachenraum eindrang. Die Kugel (der Sachverständige zeigt sie den
Geschworenen) lag in einem Blutgerinsel und war, weil sie nicht durch Knochen
gegangen ist, nicht deformiert. Die Folge der Verletzungen waren starke Blutungen
im Nacken. Wir fanden im Magen verschlucktes Blut und in der Lunge eingeatmetes
Blut. Die z w e i t e Verletzung war erfolgt durch den S c h u ß
i n d e n H i n t e r k o p f : die Kugel hatte wichtige Teile des Gehirns
verletzt. (Das etwas deformierte Geschoß wird den Geschworenen überreicht.)
Welche von den Verletzungen zuerst erfolgte, läßt sich mit ziemlicher
Sicherheit sagen. Wäre der Schuß in den Hinterkopf der erste gewesen, so wäre
sie sofort bewußtlos gewesen, so wäre sie zusammengesunken, und der
Brust-Halsschuß hätte eine andere Richtung genommen, als der Schußkanal
aufweist. Für die Annahme, daß der Brustschuß der erste Schuß war, spricht die
starke Blutatmung und das Blutschlucken, denn der Bewußtlose schluckt nicht
mehr. Die U r s u l a ist nach dem Schuß sofort handlungsunfähig gewesen;
sie ist sofort zusammengesunken und hat keine geordneten Bewegungen mit der
Hand mehr ausführen können. Bei der Ursel wurden am Hinterkopf Hautabschüfungen
und eine Schwellung gefunden, die beweisen, daß sie bald nach dem Schuß gegen
den Schrank gefallen ist. Es ist kein Zweifel, daß U r s u l a
a n d e r S t e l l e , w o
s i e a u f g e f u n d e n w u r d e ,
d e n t ö t l i c h e n S c h u ß
e r h a l t e n h a t . Bei beiden Leichen konnten k e i n e
Merkmale festgestellt werden, welche den Schluß zulassen, daß die
Schüsse aus einer g e r i n g e r e
n Entfernung als 5 Zentimeter abgegeben
wurden. Bei den Einschußöffnungen waren weder
F l a m m e n w i r k u n g e n
n o c h P u l v e r e i n s p r
e n g u n g e n zu sehen. Ursulas
Augebrauen und möglicherweise auch die Wimpern am rechten Auge hätten versengt
sein müssen, wenn der Schuß etwa aus fünf Zentimeter Entfernung abgefeuert
worden wäre. Bei D ö r t e bestand von vornherein kein Zweifel, daß
sie v o n f r e m d e r H a n d
e r s c h o s s e n worden ist;
sie hätte sich nur e i n e n Schuß beibringen können, und außerdem hat
die Waffe bei der Ursel gelegen. Selbstmörder haben das Bestreben, wenn sie
sich in die Brust schießen, die betreffende Stelle von der Kleidung frei zu
machen.
Gegen
einen Selbstmord der Ursel sprechen
die Begleitumstände, nämlich der F u n d o r t d e r
P a t r o n e n h ü l s e n .
Ursula hat, als auf sie gezielt wurde, den K o p f
e r s c h r e c k t r ü c k w ä
r t s geneigt, wie der Verlauf des
Schußkanals ergibt. Hätte sie s i c
h s e l b s t erschossen, müßte der V e r l a u f d e s
S c h u ß k a n a l s e i n a n d e r e r sein. Der Täter hat auf sie geschossen, als
er in d e r N ä h e
d e r z u s a m m e n g e s u n
k e n e n D ö r t e stand. - Der Sachverständige zeigte an einem
Menschelschädel die Ein- und Ausschußöffnungen.
Kreis-Medizinalrat D r .
S c h o l z - Hirschberg
pflichtet dem vorstehenden Gutachten bei. Auch nach seiner Ansicht handelt es
sich n i c h t u m
N a c h s c h ü s s e .
Geheimrat
D r . L e s s e r - Breslau
h ä l t d i e M i t w i r k u n g e i n e r
f r e m d e n H a n d f ü r
e r w i e s e n . Es ist
ausgeschlossen, daß Ursula den Revolver gesichert hat. - Vors.: Können Sie die
Frage beantworten, ob das dreizehnjährige Mädchen in der Lage gewesen wäre,
sich mit dem Revolver zu erschießen? - Geheimrat L e s s e r : Da drei Treffer und kein Fehlschuß festgestellt
worden sind, müßte es das Mädchen sehr gut verstanden haben, mit der Waffe, die
sehr schwierig zu handhaben ist, umzugehen.
Hypnose
und Suggestion.
Geheimrat Prof. Dr. M o l l -
Berlin: Ich habe die Aufgabe, mich über Hypnose und Willensbeeinflussung
zu äußern. Ueber Hypnose bestehen vielfach ganz konfuse Anschauungen. Bei Hypnose
werden Störungen willkürlicher Bewegungen bewirkt, aber ein schlafähnlicher
Zustand, eine Störung des Bewußtseins tritt nicht ein. Erst beim S o m n a m b u l i s m u s kommt es zu gröberen Störungen des
Bewußtseins. In diesem Falle ist es möglich, dem Medium einzureden, daß es eine
Kartoffel für einen Apfel isst und Bewegungen eines Tieres macht. Veränderungen
des Bewußtseins erfolgen nicht durch Hypnose, sondern durch r e i n e
S u g g e s t i o n . W a c h s
u g g e s t i o n , wie sie in
Gesellschaften vorgeführt wird, ist wieder etwas anderes. Da handelt es sich um
Vorgänge, für die ein bekanntes Kinderspiel: „Wir wollen sehen, wer zuerst
lacht“, ein typisches Beispiel ist. Auch wenn man zu einem jungen Mädchen sagt:
„Sie werden ganz rot“ und es errötet, so ist dies ein Vorgang, der mit Hypnose
nichts zu tun hat. Es gibt in der Geschichte eine ganze Reihe von
Persönlichkeiten, die auf ihre Umgebung einen großen suggestiven Einfluß
ausübten: z. B. Napoleon I. Eine Persönlichkeit dieser Art dürfte der
Angeklagte sein, der in der Tat auf seine Umgebung einen ganz außerordentlichen
suggestiven Einfluß ausübte. Die Frage, ob
H y p n o s e in diesem Prozeß eine
Rolle spielt, ist dahin zu beantworten, daß dies zwar nicht ganz ausgeschlossen
ist, daß aber eine größere Wahrscheinlichkeit hierfür n i c h t
v o r l i e g t . Verschiedene
Zeugen haben ausgesagt, es sei ihnen nichts bekannt, daß der Angeklagte sich
mit Hypnose beschäftigt habe. Grupen besaß aber einen a u f f a l l e n d g r o ß e n
E i n f l u ß auf seine
Umgebung, wofür bezeichnend ist, wie er seine Frau und Schwiegermutter beherrschte.
Für einen normalen Menschen ist es keine Kleinigkeit, Frau und Schwiegermutter
zu veranlassen, ihm Generalvollmacht zu erteilen und ihm ohne wahrnehmbare
Gegenleistung ihr ganzes Geld abzutreten. Frau Eckert sagte auch, eigentlich
sei ihre ganze Korrespondenz von ihm überwacht worden.
Aber auch auf anderem Gebiete hatte Grupen
großen Einfluß: auf s e x u e l l e
m Gebiete. Er hat e i n
M ä d c h e n n a c h d e m
a n d e r e n verführt, a u ß e r
s e i n e r F r a u hatte er einmal d r e i
G e l i e b t e z u g l e i c h e r Z e i t
i m H a u s e . Das ist immerhin ein ziemlich gewagtes und
seltenes Stück von Willensbeeinflußung. Allerdings muß man sich hier schon die
Frage vorlegen, wie weit das sexuelle Moment bei der Suggestion in Frage kommt,
und ob der Einfluß auf Ursula nicht bloß suggestiver, sondern erotischer Art
war. Befand sie sich durch die Sexualität in vollständiger Abhängigkeit, im
Zustande der
sexuellen
Hörigkeit,
welche ein starkes suggestives Moment
enthält, es aber durch die Sexualität hindurchführt? Beides begünstigt einander.
Bei dieser sexuellen Hörigkeit ist eine Person der anderen wie ein Höriger
ausgeliefert. Beispiele haben wir z. B. bei der Prostitution zu ihrem Zuhälter,
aber ich kenne auch Beispiele davon in der besten Gesellschaft. Wie weit haben
nun die Beziehungen zwischen Ursula und dem Angeklagten den Charakter der
sexuellen Hörigkeit gezeigt? Mein Verdacht nach dieser Richtung war sehr groß,
wegen der Verschiedenheit der Geschlechter und weil von mehreren Seiten gesagt
worden ist, daß Ursula völlig im Banne des Vaters stand und ihm s l a v i s c h ergeben war. Und so kann ich mir seinen
außerordentlichen Einfluß, den er nicht allein auf erwachsene Mädchen und die
Frau, sondern auch auf die kleine Ursula hatte, durchaus vorstellen: als ein
Gemisch von sexueller Hörigkeit und Suggestion. Grupen war aber auch in der
Lage, seinen Einfluß auf andere Weise zu zeigen: durch F u r c h t
infolge von D r o h u n g . Die kleine Reske sprach einmal davon, daß
sie Prügel erwartete, und sagte: „ W i
r d u r f t e n j a
n i c h t s s a g e n . “ Drohungen sind auch an anderer Stelle
vorgekommen, z. B. bei dem Mädchen, dem er den Revolver auf die Brust setzte.
Der Angeklagte war von seltener Willensstärke
und besaß die Mittel, seinen Willen auf andere wirken zu lassen; Suggestion,
sexuelle Einwirkung und Drohung, und wenn wir dies festhalten, ergibt sich
manches völlig leicht. Man hat die Frage aufgeworfen, ob der Brief Ursulas an
Großmutti unter hypnotischem Einfluß geschrieben sein kann. Irgend ein Beweis
hierfür liegt nicht vor. Geheimrat Moll verliest den Brief an Großmutti und
fährt fort: Das ist kein Abschiedsbrief, kein Brief, wie ihn ein Kind, wie wir
es hier durch die Aussagen kennen gelernt haben, aus freiem Antrieb schreibt.
Auf den Charakter und Inhalt des Briefes kommt es an. Nichts von der Absicht
eines Selbstmordes findet sich darin. Es liegt die Annahme mehr als nahe, daß
der Angeklagte den Brief diktiert hat oder ihn die Ursula hat abschreiben
lassen. D e r I n h a l t
d e s B r i e f e s i s t
e i n f a c h e i n e E n t s c h u l d i g u n g f ü r
d e n A n g e k l a g t e n f ü r
d e n F a l l , d a ß
d a s V e r b r e c h e n h e r a u s k o m m t . Geheimrat Moll nennt ein Beispiel aus seiner
und Prof. Jeserichs Praxis, wo sich der des Mordes Verdächtige durch eine
bestimmte Angabe zu entlasten versuchte, sich aber in Wirklichkeit belastete.
So soll auch d i e s e r B r i e f
n u r z e i g e n , d a ß
G r u p e n n i c h t d e r
T ä t e r ist. Ueber die
Einfügung „ t r a u r i g e “ braucht man kaum ein Wort zu verlieren. Es
ist eine Kleinigkeit, ein Mädchen dahin zu bringen, einen Brief zu schreiben,
dessen Inhalt sie gar nicht versteht, bei solchem großen Einfluß, wie ihn der
Angeklagte auf Ursula hatte.
Die Suggestion zeigte sich auch in den
Zeugenaussagen der Personen, die bekundeten, dauernd mit Grupen oben im Zimmer
zusammengewesen zu sein. Daß Grupen zu ihnen nachher gesagt hat: „Ihr wißt
doch, daß ich bei Euch oben war,“ und „Bleibt nur bei der Wahrheit“, d a s
i s t S u g g e s t i o n , die jeder kennt, der sich damit beschäftigt
hat. Sie wissen selbst genau, was gemeint ist, wenn man sagt: „Bleibt bei der
Wahrheit!“ wenn sie wissen, was Grupen als Wahrheit aufgefaßt wissen will.
Seit zwanzig Jahren ist ein
wissenschaftliches Gebiet neu ausgebaut worden, das der A u s s a g e n f o r s c h u n g , die festzustellen sucht, unter welchen
Bedingungen eine Aussage richtig ist, den Wahrheitswillen des Zeugen
vorausgesetzt. Diesen Wahrheitswillen nehmen wir hier zunächst an, denn es ist
nicht meine Aufgabe, ihn bei den Zeugen irgendwie zu beleuchten. Die
Wichtigkeit der Aussage hängt von dreierlei ab: 1. von der W a h r n e h m u n g , 2. von der
E r i n n e r u n g , und 3. von
der Fähigkeit der W i e d e r g a b e . Die Wahrnehmung ist viel wichtiger als die
Erinnerung, denn wir nehmen viele Dinge wahr, ohne uns dann an sie zu erinnern.
Beispiel dafür ist die Aussage der Frau Eckert, die erst sagte, Grupen sei die
ganze Zeit nicht heruntergegangen, und dann: wenn sie wisse, daß die Tat in so
kurzer Zeit erfolgen konnte, dann könne sie sagen, er sei hinuntergegangen. Sie
sagte uns nicht, was sie wahrgenommen hat, sondern was sie e r s c h l o s s e n hat. Gegen die Erinnerungsmöglichkeit
scheint mir die Wahrnehmungsfähigkeit die Hauptrolle zu spielen. Die meisten
Menschen, darunter auch viele Richter, überschätzen die Fähigkeit der
Wahrnehmung ganz bedeutend. Daß die Personen oben im Wohnzimmer wissen sollen,
ob der Angeklagte zeitweise hinausgegangen ist, stellt Ansprüche, die ein
normaler Mensch gar nicht erfüllen kann. Redner gibt hierfür Beweise durch
Beispiele, wo man auf das Hereinkommen und Hinauskommen von Personen einfach
nicht achtet. Dieses Nichtachten war, so führt er fort, damals etwas ganz
selbstverständliches für alle Beteiligten, weil es ihnen ganz gleichgültig war,
da sie nicht wußten, daß die Feststellung einmal wichtig werden konnte.
Was Grupen der M a r i e
M o h r sagte: „Bleib bei der
Wahrheit“ und: „Gut, daß ihr wißt, daß wir alle drei oben waren“ ist e i n e
S u g g e s t i o n w i e i m
B r i e f e , wie sie charakteristischer
gar nicht gegeben werden kann. Aber die Mohr gab noch eine ganze Reihe anderer
Beweise, die charakteristisch sind für die Unzuverlässigkeit ihrer Wahrnehmung.
Am 9. Dezember, als sie als Zeugin vernommen wurde, sagte sie, sie glaube
Grupen alles, was er sage. Sie, die sich genau daran zu erinnern glaubt, daß
Grupen keine Sekunde abwesend war, hat eine ganze Reihe von Tatsachen, die
erwiesen sind, nicht beachtet: daß Frl. Zahn zweimal durchs Zimmer ging, daß
sich Grupen mit Fräulein Zahn durch die Tür unterhielt, daß Dörte gerufen wurde.
Sie selbst sagt zwar, sie hätte mit Grupen dauernd Mühle gespielt, hat dann
aber zugegeben, daß es nicht dauernd war, daß sie auch gelesen hat und am
Fenster gesessen hat. Es sind eine ganze Reihe Dinge, an die sich Frl. Mohr
nicht erinnert, und sie kann es auch nicht genau, denn Grupen hat ja selbst
zugegeben, daß er bis zur Tür des Schrankzimmers gegangen ist. Das hat sie
nicht bemerkt, und das alles beweist die Unzuverlässigkeit der Wahrnehmung.
Das
Seelenleben der Ursel
haben wir kennen gelernt, so führt
Geheimrat M o l l fort. Unter der Asche, so neben den
Verhandlungen kann man es jetzt raunen hören, daß Ursula doch kein anständiges
Kind, daß sie geschlechtlich infiziert war, an einer Krankheit, die der Vater
nie hatte, daß sie geistig nicht in Ordnung war. Ich kenne diese Wege, - so
wird allmählich ein Kind zur Verrückten gemacht. Ich habe mich bemüht, so viel
wie möglich aus Ursulas Leben zu erfahren. Nichts aber habe ich erfahren über
erbliche Belastung, nichts über Nervenerkrankung, wenn sie auch drei Wochen zu
früh zur Welt kam, so ging es doch ganz normal zu, sie hatte beim Zahnen keine
Krämpfe, lernte normal laufen, normal sprechen, sie lernte nicht besonders gut,
kam aber regelmäßig mit. Für das Psychopathische bleibt nur das, daß sie
betrübt war, und aus der Tragödie, von der wir hören, als die Oeffentlichkeit
ausgeschlossen war, werden wir wohl den Schlüssel zu dieser Betrübtheit des
Kindes haben. Auch was sonst von ihr gesagt wird, sie sei Männern nachgelaufen,
sei nicht ganz intakt, ist durch nichts bestätigt worden. Geheimrat Moll ruft
als Stütze dieser Ansicht das Zeugnis von Frl. Kliefoth den Geschworenen ins
Gedächtnis zurück und fährt fort: eine psychische Erkrankung Ursulas lag nicht
vor, sie war weder geistesschwach noch hysterisch noch etwa melancholisch.
Wirkliche Melancholie hätte wohl einen Selbstmord erklären können, wenigstens
hätte das aber auch keinen Anhalt ergeben. Weder die geistigen Umstände, noch
daß sie ein schwaches Kind war, geben einen Anhalt dafür, daß das Kind hätte
diese schwere Bluttat begehen, und sich dann selbst hätte töten können. Man
bedenke, was es heißt, mit einem Revolver zu hantieren, wenn man nicht aus
einer Offiziers- oder Jägerfamilie ist.
S e l b s t m o r d d u r c
h E r s c h i e ß e n ist auch
b e i m w e i b l i c h e n G e s c h l e c h t e x t r e m
s e l t e n . Das beweist die Statistik, die hier höchstens 2 Prozent
nennt. Und ganz extrem selten sind die Fälle, wo ein junges Mädchen, ein gutes
Kind, zur Mörderin durch Erschießen wird, Vergiften ist da weit häufiger. Das
Sichern und Entsichern des Revolvers erfordert schon eine verhältnismäßige
Kraft. Natürlich konnte Ursula das lernen, wenn man es ihr methodisch
beibrachte, aber davon ist ja hier nicht die Rede.
Nichts
aus der Seele des Kindes weist auf diese Tat hin.
Wilhelm Grupens Aussagen sind schwer
belastend für die Ursula, aber die ihr hierbei vorgeworfenen Handlungen passen
zu ihr wie die Faust aufs Auge. Selbst wenn aus den Aussagen der kleinen Reske
etwas zu Lasten der Mutter zutage treten sollte, so hat das für die Beurteilung
der Ursula durch mich nicht die geringste Bedeutung.
Ein wichtiger Punkt sind noch die sechs
Abschiedsbriefe
der Frau Grupen.
Ich habe mich sehr gewundert, daß G r u p e n
k e i n e n A b s c h i e d s b
r i e f b e k o m m e n hat, denn es hätte doch nahe gelegen, daß
sie auch an den Mann geschrieben hätte.
D a s s i n d n i c h t
A b s c h i e d s b r i e f e ,
d i e e i n e F r a u
s c h r e i b t , d i e i h r e m
M a n n e d u r c h g e h t
, dazu nach Amerika, und n i c h t
die Absicht hat, noch einmal zurückzukommen. Gegen die Kinder ist zu
immer gut gewesen, und als sie diese für immer verließ, schreibt dann so eine
Frau, die so etwas vorhat? Man kommt nicht zum Ziele, wenn man einfach sagt:
aber sie hat sie doch geschrieben, also sind sie von ihr! Fast überall hier
wird angenommen, daß der B r i e f a u f
d e r T o i l e t t e dort absichtlich hingelegt worden sei. Ich
hatte die entgegengesetzte Empfindung, daß die Briefe auf der Toilette
entworfen worden sind. Leider konnten wir über die Handschrift, wer die Briefe
entworfen hat, nichts Näheres erfahren. Ich kann mir aber gut vorstellen, daß
ein Mann, der großen Einfluß auf seine Frau hat, sehr wohl in der Lage ist, sei
es durch Suggestion oder durch Täuschung, etwa einen schlechten Scherz, sie
dazu zu bringen, solche Briefe zu schreiben, besonders wenn er eine Person von
seltenem Einfluß auf seine Umgebung ist.
Ein G
e s c h w o r e n e r stellt noch die
Frage an Geheimrat Moll, ob der s t e c
h e n d e B l i c k , den der Angeklagte nach Aussage von Dr. Moll
habe, ein beachtlicher Faktor bei der Beeinflussung schwacher Charaktere oder
Kinder sei. - D r . M o l l :
Dieser Ansicht bin ich.
Wilhelm
Grupen.
Auf Veranlassung der Verteidigung
erklärt W i l h e l m G r u p e n
noch auf die Bekundung des Fräulein Hatje, daß man ihr gesagt habe,
Wilhelm Grupen habe in letzter Zeit größere Feste gefeiert: Es wurde nur der
Geburtstag meiner Frau und meiner Kinder gefeiert und zwar in einfachster
Weise, ohne jeden Alkohol. Auch habe er die Achtung seiner Mitmenschen
genossen, wofür ein Beweis sei, daß er wie früher die Gemeindearbeiten erhielt
und Kassierer im Kriegerverein war. Ebenfalls auf Veranlassung der Verteidigung
kommt dann nochmals der B r i e f D ö r t e s
a n F r ä u l e i n Z a h n
zur Erörterung, worin Dörte schreibt: Komme bald, sonst hänge ich mich.
Fräulein Zahn gibt hierzu noch einige Erklärungen.
Der S
t a a t s a n w a l t bittet dann,
Wilhelm Grupen nicht zu vereidigen, da nach seiner Ansicht dieser auch b e i
d e m V e r s c h w i n d e
n s e i n e r S c h w ä g e r i n d i e
H a n d i m S p i e l e
hat. Das Gericht beschließt, den Zeugen
n i c h t z u v e r e i d i g e n .
Auf Wunsch von Justizrat Dr. Ablaß erfolgt
dann die Verlesung eines Artikels aus dem
B o t e n vom 20. Februar d. J.,
und auf Wunsch des Staatsanwalts die Verlesung eines Artikels aus den B r e s l .
N . N a c h r . vom 27. November d. J., welche beide auf den
Mord Bezug haben.
Dann wird der Kolporteur K l ä t t e
aus Itzehoe vernommen, der aussagt, daß er gesehen habe, wie wenige Tage
vor dem Umzug nach Ottenbüttel der Angeklagte seine Frau, die zur Tür
herauswollte, zurückgestoßen und die Hand zum Schlage erhoben habe. Dann wurde
die Tür zugemacht, und er hörte aus dem Innern des Hauses einen Schrei.
Hierauf wurde die weitere Verhandlung a u f
M o n t a g ½ 10 Uhr vertagt, wo
zunächst noch einige Zeugen, anfangs unter Ausschluß der Oeffentlichkeit,
vernommen und dann gleich mit den P l a
i d o y e r s begonnen werden soll, die
ohne Pause, vielleicht aber auch mit teilweisem Ausschluß der Oeffentlichkeit,
durchgeführt werden sollen. Das U r t e
i l ist i n
d e r N a c h t z u m
D i e n s t a g zu erwarten.
Dienstag, den 20. Dezember 1921, „Der Bote
aus dem Riesengebirge“
Der
letzte Verhandlungstag.
Schluß
der Beweisaufnahme.
Beginn
der Plaidoyers.
Der
Staatsanwalt spricht.
Hirschberg, 19. Dezember
Der Beginn der Sitzung am Montag, dem Tage
der Plaidoyers, brachte noch den Rest der Beweisaufnahme. Dabei wurde die Art
der Krankheit Grupens und der Ursula festgestellt, und es wurden noch zwei
Briefe verlesen, die jeder in seiner Art bezeichnend sind. Frau Eckert wurde
vereidigt und die Schuldfragen festgestellt. Dann begann der Staatsanwalt seine
Rede, deren Dauer nach Stunden zu bemessen ist. Ueber den Beginn des letzten
Verhandlungstages ist zu berichten:
Die
Krankheiten Grupens und Ursulas.
Die Beweisaufnahme schließt ab mit der
Vernehmung des Privatdozenten Dr. Erich
K u s n i t z k y - Breslau über
das Ergebnis der Wassermannschen Blutuntersuchung bei dem Angeklagten und einer
seiner Bräute. Die Untersuchung ist in beiden Fällen vollständig negativ
ausgefallen; es wurden nirgends Krankheitsstoffe, die auf Syphilis deuten,
vorgefunden. Daraus kann man schließen, daß bei dem Angeklagten keine Syphilis
vorgelegen hat. Dagegen ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß der
Angeklagte und Ursula Schade mit einer anderen, und zwar gleichartigen
Geschlechtskrankheit behaftet waren.
Auf Antrag des Verteidigers Dr. Mamroth wird
nochmals Geheimer Medizinalrat D r
. L e s s e r - Breslau über dasselbe Thema gehört. Der
Sachverstädnige ist der Meinung, daß die Infektion der Ursula mit großer
Wahrscheinlichkeit d u r c h d e n
A n g e k l a g t e n erfolgt
ist.
D r .
C h a u s s y - Hirschberg hält
die Möglichkeit einer Fehldiagnose des Herrn Dr. Meier, auf die sich das Gutachten
des Herrn Dr. Kusnitzky stützt, mit sehr großer Wahrscheinlichkeit für
ausgeschlossen.
Briefe.
Es folgt auf Antrag der Verteidigung die
Verlesung des B r i e f e s , den Frau
G e r t r u d S c h a d e auf das Heiratsinserat Grupens geschrieben
hat. In dem Briefe heißt es u. a., daß Frau Schade das Inserat als eine Schicksalswendung
betrachte.
Auf Antrag des Staatsanwalts wird der Brief
verlesen, den der A n g e k l a g t
e am Tage seiner Verhaftung an seinen
Bruder W i l h e l m geschrieben hat. Der Brief enthält u. a. den
Satz: „Nun ist es mir klar, warum Ursel heimlich an der Schublade war, als wir
ins Zimmer kamen.“
Das Gericht beschließt nunmehr, die F r a u
E c k e r t z u v e r e i d i g e n . Die Zeugin erklärt, daß sie alles, was sie
gesagt habe, mit gutem Gewissen beschwören könne.
Damit ist die Beweisaufnahme beendet. Der
Vorsitzende verliest hierauf
Die
Schuldfragen:
1. Ist der Angeklagte, Architekt Peter Grupen aus
Ottenbüttel schuldig, am 14. Februar 1921 in Kleppelsdorf bei Lähn vorsätzlich
einen Menschen, Dorothea Rohrbeck, getötet und die Tötung mit Ueberlegung
angeführt zu haben?
2. Ist der Angeklagte schuldig, durch eine
fernere selbständige Handlung am 14. Februar 1921 vorsätzlich einen Menschen,
Ursula Schade, getötet und die Tötung mit Ueberlegung ausgeführt zu haben?
3. Ist der Angeklagte schuldig, durch eine
fernere selbständige Handlung im Herbst 1920 in Ottenbüttel mit einer Person
unter 14 Jahren, der Ursula Schade, unzüchtige Handlungen vorgenommen oder
dieselbe zur Verübung oder Duldung unzüchtiger Handlungen verleitet zu haben?
4. Ist der Angeklagte schuldig, durch eine
fernere selbständige Handlung als Pflegevater mit seinem Pflegekinde unzüchtige
Handlungen verübt zu haben?
Eine
fünfte Schuldfrage bezieht sich auf unerlaubten Verkehr des Angeklagten mit
Ursula.
Das Plaidoyer des
Staatsanwalts.
Oberstaatsanwalt D r .
R e i f e n r a t h nimmt
hierauf das Wort zu seinem Plaidoyer.
Wer die blutigen Kindergestalten der Dorothea
Rohrbeck und Ursula Schade gesehen und wer wenige Tage später Tage später bei
der Bestattung Dörte im weißen Kleide, das sie als höchstes begehrte, gesehen,
den wird bis ins Innerste bewegt haben der Gedanke vom Werden und Vergehen,
aber auch das Gefühl der Empörung und das Verlangen, die furchtbare Tat
aufzuklären und zu sühnen.
Vieles ist in den Prozeß hineingetragen
worden, um den Angeklagten richtig zu bewerten, um aus Nebenumständen zu
erkennen, ob er die Persönlichkeit ist, die diese Straftaten begangen hat und
der man die Straftaten zutrauen kann.
Grupen hatte den Verkauf seines Grundstücks
in Ottenbüttel in die Wege geleitet, er stand vor der Möglichkeit, seine
Wohnung zu haben. Daher drängte er am 5. Februar zur Reise nach Kleppelsdorf.
Seiner Schwiegermutter war diese Reise im Winter nicht sympathisch. Aber Grupen
ließ von seinem Plan nicht ab. Er meldete die Kinder ab und traf alle Anstalten
für eine längere Reise. Frau Eckert machte ausdrücklich darauf aufmerksam, daß
sie nicht ohne Einladung nach Kleppelsdorf gehen und nicht noch die Kinder
mitnehmen könnte. Der Angeklagte beschwichtigte sie und sagte, er habe die
Kleppelsdorfer auf den großen Besuch vorbereitet. Er hatte aber weiter nichts
getan, als in einem Telegramm seinen Besuch mit der Großmutter anzukündigen. In
Kleppelsdorf gab es großes Erstaunen darüber, daß statt des erwarteten Grupen
und seiner Schwiegermutter auch noch die Kinder und noch eine Stütze kamen. Da
man im Schloß Kleppelsdorf die Doppelrolle erkannt hatte, die Grupen in dem
Prozeß gegen den Vormund spielte, suchte man Klarheit zu schaffen, und fuhr
schon am nächsten Tage zum Rechtsanwalt Dr. Pfeiffer nach Hirschberg, um
Grupens Ansprüche zu regeln. Der Angeklagte hat damals selbst erklärt, in einer
Zwickmühle zu sein. Dörte Rohrbeck wird es unheimlich zu Mute. In ihrer Herzensangst
geht sie zur Oberschwester Kube, die sich darüber gewundert hat, daß Grupen mit
seinem saloppen Aussehen der Mann der Frau Schade ist. Ein großes Unheil kündet
sich dumpf im Innern des Menschen an: Dorothea sagt zur Oberschwester: „Du
liegst hier geborgen, mich aber graut´s, in mein Haus zu gehen.“ Fräulein Zahn
und Dörte wunderten sich, daß Grupen keine Vorbereitungen zur Abfahrt traf,
nachdem die geschäftlichen Angelegenheiten beim Rechtsanwalt Dr. Pfeiffer
erledigt waren. Grupen aber mußte bleiben, weil der Zweck seiner Reise noch
nicht erreicht war. Innere Erregung bemächtigte sich seiner, die er
unterdrücken und nach außen hin vertuschen mußte. Daher tanzt er, tanzt mit
allen, sogar mit der 74 Jahre alten Schwiegermutter. So kam der 14. Februar.
Der Staatsanwalt, von dem der Angeklagten
nicht einen Blick wendet, schildert die Vorgänge kurz vor der Entdeckung der
Bluttat. Grupen hatte das Bestreben, an jenem Vormittag, wo er mit Irma und der
Mohr im Beisein der Großmutter Mühle spielte, bei seiner Umgebung, namentlich
bei Frl. Zahn, den Glauben zu erwecken, daß er das Z i m m e r
n i c h t v e r l a s s e n hat. Er knüpft mit der im Nebenzimmer
rechnenden Erzieherin Zahn eine Unterhaltung über nichtssagende Dinge an,
bringt ihr Apfelsinen zum Schälen und geht im Zimmer auf und ab. Es kommt
der
Moment der Tat.
Irma wird vom Vater mit den Apfelschalen
fortgeschickt. Der Vater folgt ihr bis zum Schrankzimmer; ob er weitergegangen
ist, kann das Kind nicht sagen. Irma wird, als sie zurückkommt, von Frl. Zahn
gerufen, um nach Dörte und Ursula zu sehen. Da hält Grupen das Kind noch einige
Augenblicke zurück, zweifellos, weil er fürchtete, seine Opfer könnten ihr
Leben noch nicht ausgehaucht haben, könnten noch nicht verstummt sein. Dann
geht Irma hinunter, kehrt aber bald wieder zurück und meldet, Dörte und Ursula
gerufen, jedoch keine Antwort erhalten zu haben. Fräulein Zahn schreitet in
diesen Augenblicken durch das Zimmer des Angeklagten. Warum sah er sich bei
dieser Gelegenheit Frl. Zahn außerordentlich scharf an? Weil er ihr ins
Bewußtsein bringen wollte: I c h b i n
d a !
D a s
V e r b r e c h e n w i r d e n t d e c k t . Grupen ist einer der ersten im Mordzimmer.
Bald läuft er zurück und begegnet auf der Treppe Frl. Zahn. Mit ihr geht er
wieder an den Schauplatz des Verbrechens und da bittet ihn Frl. Zahn
vergeblich, ihr zu helfen, die Opfer aufs Bett zu legen. Wie bei allen
Blutverbrechen, kann auch hier d e
r T ä t e r d i e
O p f e r n i c h t a n f a s s e n . Erst nach dreimaliger Aufforderung tut er es
mit sichtlicher Ueberwindung. Vorher hat er
d i e P i s t o l e aufgehoben, die bezeichnenderweise zur
Linken der Ursula lag, während sie auf der rechten Seite hätte liegen müssen.
Als der erste Arzt kam, hat Grupen die Dreistigkeit, ihn zu fragen: „Kann man
der Ursula nicht etwas geben, daß sie noch etwas sagen kann?“
Der Staatsanwalt zählt alles auf, was Grupen
sonst noch schwer belastet. Wenn Grupen, als der Landjäger erschien, jammerte
und sich an die Kinder herandrängte, so mag es möglich sein, daß der Tod
Ursulas ihn in einen gewissen Grad von Trauer versetzte. Aber wie kann jemand,
der ein reines Gewissen hat, zu dem Landjäger bald nach der Entdeckung der Tat
sagen: „Ich werde wohl s c h o n bewacht?“ Warum sagte Grupen, als er abgeführt
wurde: „Wenn Ihr wißt, daß ich das Z i
m m e r n i c h t v e r l a s s e n habe, bin ich morgen wieder frei.“ Die dicken
Mauern des Mordzimmers sind dem Angeklagten zum größten Verhängnis geworden.
Wenn Menschen schweigen, werden Steine reden. Und die Steine in dem
quadratischen Zimmer sagen uns, daß die
P a t r o n e n h ü l s e n
nicht anders fallen konnten, daß
kein
Selbstmord, sondern Mord
vorliegt.
Der Großmutti-Brief ist kein Abschiedsbrief,
sondern ein eigener Anklagebrief für den Täter. Auch in den Abschiedsbriefen
seiner Frau hat er Wert darauf gelegt, sich zu entlasten.
Der Angeklagte war ein Mensch von
außerordentlich starkem Willen, der auf seine Umgebung einen sehr großen
Einfluß ausübte, einmal durch die Suggestion und dann durch die sexuelle Hörigkeit,
wie sie Professor Moll dargelegt hat. Die Ursula stand völlig in seinem Bann,
und so veranlaßte er sie zum Schreiben des Briefes an Großmutti. Das Kind
hatte, wie Professor Dr. Schneidemühl bekundete, kein Bewußtsein von dem Inhalt
des Briefes. Es hat sich nicht feststellen lassen, wer das Wort „traurige“ in
den Brief eingefügt hat; aber dieses Wort paßt zu dem sonstigen Inhalt des
Briefes wie die Faust auf das Auge. Der Angeklagte hat, das ist unzweifelhaft,
die Ursula zum Schreiben dieses Briefes veranlaßt, um Ursula als ein
gemütskrankes Kind hinzustellen, dem man die Tat wohl zutrauen könnte.
Der Angeklagte hat aber noch andere
Enttäuschungen in dieser Verhandlung erlebt: Die Aussagen der Zeugen, die mit
ihm im Augenblick der Tat zusammen waren.
F r a u E c k e r t hat jetzt die Möglichkeit zugegeben, daß der
Angeklagte das Zimmer verlassen hat, während sie früher sagte, sie könne
beschwören, daß der Angeklagte nicht einen Augenblick das Zimmer verlassen hat.
Aus dem Gutachten von Professor Moll ergibt sich, daß es sehr wohl möglich ist,
daß jemand sich zunächst auf Wahrnehmungen nicht erinnert, sie später aber in
das Gedächtnis zurückruft. Es ist kein Zweifel, daß die jetzigen A u s s a g e n d e r
F r a u E c k e r t und auch der I r m g a r d , die ja jetzt nicht mehr
unter dem Einfluß des Angeklagten stehen, richtig sind. Bei dem Zeugnis
der M o h r ist zu beachten, daß sie damals während
ihrer Wahrnehmungen vollständig unter dem Einfluß des Angeklagten stand. Sie
hat auch sonst schlecht beobachtet. Sie las in einem Märchenbuche, und man weiß
ja, wenn junge Mädchen sich mit Märchen beschäftigen, dann haben sie keinen
Sinn für die Außenwelt. Sie hat daher nicht gesehen und gehört, wir Fräulein
Zahn zweimal durch das Zimmer ging, um eine Schüssel zu holen, daß der
Angeklagte mit der Irma bis zur Türe des Schrankzimmers ging, sie hat nicht
beobachtet, daß dauernd Mühle gespielt und gerechnet wurde, daß der Angeklagte
zweimal zu Frl. Zahn ins Zimmer ging und mit ihr sprach. Die Zeugin kann daher
wohl der Meinung gewesen sein, daß das, was sie sagt, die Wahrheit ist, in
Wirklichkeit ist es aber nicht die Wahrheit.
Der Staatsanwalt betont, daß nach den
übereinstimmenden Gutachten der Sachverständigen ein Selbstmord der Ursula
vollständig ausgeschlossen ist. Die Tat hat sich nach Ansicht des Staatsanwalts
folgendermaßen abgespielt: Durch Ursula hat der Angeklagte die Dorothea, die
sonst stets ein Zusammensein mit ihm vermied, nach dem unteren Zimmer gelockt.
Dann ist der Angeklagte hinzugekommen, hat den ersten Schuß auf die Dörte, den
zweiten auf die Ursula und den dritten, den Fangschuß, auf Dörte abgegeben. Das
beweisen die Gutachten der Sachverständigen und die Lage der Patronen. D i e s e
T a t s a c h e n s i n d K e u l e n s c h l ä g e , die den Angeklagten zerschmetterten.
(Bei Schluß der Redaktion dauert das
Plaidoyer noch fort.)
Dienstag, den 20. Dezember 1921, „Der Bote
aus dem Riesengebirge“
Mittwoch, den 21. Dezember 1921, „Der Bote
aus dem Riesengebirge“
Die
Verteidigung im Mordprozeß.
Ueberzeugt
von der Unschuld Grupens.
Hirschberg, 20. Dezember
Der Prozeß ist in der Nacht zu Dienstag n i c h t
z u E n d e
g e g a n g e n , wie anfänglich
angenommen worden war, denn die Reden der beiden Verteidiger schöpften das
gesamte Material so …lich aus, daß die erste Rede etwa 5 ½ Stunden und die
zweite 4 Stunden in Anspruch nahm. So mußte in der Nacht um 2 Uhr die Verhandlung
noch einmal vertagt werden. Man wird sich der Ansicht nicht verschließen
können, daß hier für den Angeklagten geleistet worden ist, was irgend geleistet
werden konnte. Ob die Geschworenen sich in ausreichender Zahl den Ansichten der
Verteidigung anschließen werden, bleibt natürlich abzuwarten. Heute Dienstag,
hat zunächst der Staatsanwalt abermals in längeren Ausführungen gesprochen,
denen die beiden Verteidiger antworten werden. Auch dann findet möglicherweise
noch mal Rede und Gegenrede statt, und die Beratung der Geschworenen dürfte
ebenfalls erheblich Zeit in Anspruch nehmen, so daß das Urteil möglicherweise
erst am späten Nachmittag zu erwarten ist.
Ueber die Reden der Verteidiger berichten wir
folgendes:
Fortsetzung
der Rede des Staatsanwalts.
Der S
t a a t s a n w a l t geht in seiner
weiteren Rede kurz auf Grupens Persönlichkeit und Vermögensverhältnisse ein.
Bezeichnend dafür, wie Grupen hoch hinaus wollte, ist die Tatsache, daß er sich
den Titel „Architekt“ beilegte, der ihm nicht zusteht. In seinen
Liebesverhältnissen spielte der Revolver einmal eine charakteristische Rolle, -
ein Beweis, wie Grupen vor keinem Mittel zurückschreckte, andere unter seinen
Willen zu zwingen. Von Hause aus war Grupen fast mittellos. In Hamburg bezog er
Erwerbslosenunterstützung, er versetzte seinen Mantel und lieh sich einen von
dem Vater seiner damaligen Braut. Sein höchstes Bestreben war, reich zu
heiraten, um zu Geld zu kommen. Darum ließ er sich sofort nach der Verheiratung
mit Frau Schade von dieser und von seiner Schwiegermutter Generalvollmacht
geben; das Vermögen seiner Frau genügte ihm nicht, er wollte auch das der
Schwiegermutter haben. Wenige Monate, nachdem sich Grupen auf diese Weise in
den Besitz von Vermögen gesetzt hatte, verschwand seine Frau. In diesem Prozeß
kommt es nicht darauf an, das Verschwinden der Frau Grupen abschließend zu
behandeln, sondern es nur zur Charakterisierung des Angeklagten
heranzuziehen. F r a u G r u p e n
i s t s e h r w a h r s c h e i n l i c h d u r c h
d i e H a n d d e s
A n g e k l a g t e n z u m e w i g e n
S c h w e i g e n g e b r a c h
t w o r d e n . Wenn es in den sogenannten Abschiedsbriefen
der Frau Grupen heißt: „Du darfst nicht denken, daß Peter die Veranlassung war“
und „Nimm dir den Onkel Peter zum Beispiel, der sehr, sehr viel verloren hat“ -
so handelt es sich auch hier um von dem Angeklagten selbst diktierte
Entschuldigungen, die aber in Wirklichkeit Anschuldigungen gegen ihn sind. Mit
den Abschiedsbriefen der Frau hat der Angeklagte die erste Probe darauf
gemacht, wie derartige Briefe wirken, ob sie den beabsichtigten Erfolg haben,
den Verdacht vom Täter abzulenken. Nach der Verheiratung mit Frau Gertrud
Schade spielte sich Grupen als der große Mann auf. Trotzdem sah er sich
gezwungen, den Pelzkragen seiner Schwiegermutter und den Regenmantel seiner
Frau in Hamburg für 150 Mark zu versetzen. Grupen hat überhaupt immer nur über
das Allernotwendigste verfügt. Als ihn im Sommer 1920 Frl. Zahn mit Dörte in
Itzehoe besuchte, prahlte er mit seinen überreichen Mitteln, aus denen er für
Dörte Zuschüsse gewähren wolle. Nicht lange Zeit darnach versetzte er das
Silber, verkaufte er die Ringe seiner Frau. Bemerkenswert ist das Doppelspiel,
das der Angeklagte in dem Verhältnis zwischen Frl. Zahn und dem Vormund
gespielt hat. Dieses Doppelspiel beleuchtet grell die Unaufrichtigkeit und
Unwahrhaftigkeit des Angeklagten, der wegen der vor dem Notar Dr. Pfeiffer
abgegebenen falschen eidesstattlichen Versicherung noch zur Verantwortung gezogen
werden wird.
Unter
Ausschluß der Oeffentlichkeit
behandelt der Staatsanwalt den zweiten Teil
der Anklage, Grupens Sittlichkeitsverbrechen. Skrupellos hat der Angeklagte
Mädchenunschuld und Frauenehre beiseite geworfen. Aber er hätte sich bemühen
müssen, zu erfahren, woher die häßliche Krankheit Ursulas gekommen ist; er tat
es aber nicht, weil er wußte, daß er die Schuld an der Krankheit hatte. Die
Geschworenen werden den Angeklagten des Sittlichkeitsverbrechens, das ihm zur Last
gelegt wird, schuldig sprechen müssen.
Der Staatsanwalt erinnert am Schluß seiner
vierstündigen Rede an die Mordprozesse Ellsel, Süßmuth und …Bei diesen
Verbrechen ist Habgier die Triebfeder gewesen, und H a b g i e r , der Wille, frei schalten und walten zu
können, ist auch das Motiv der Tat des Angeklagten. Nachdem er sich nicht durch
Heirat in den Besitz des schönen Gutes Kleppelsdorf setzen konnte, nachdem es
ihm nicht gelungen war, wenigstens die Bewirtschaftung des Gutes zu erlangen,
schritt er zur Gewalt. Dorothea Rohrbeck mußte sterben und mit ihr die Zeugin
der Tat, die kleine Ursula. In der Verteidigung hat der Angeklagte mit seinen
Anwälten, den berühmtesten der Provinz, gewetteifert, jedem Angriff zu
begegnen. Aber Punkt für Punkt ist er durch Tatsachen überführt, durch
Tatsachen widerlegt worden. Und wenn er einmal etwas kleinlaut wurde und Fragen
nicht beantwortete, da hatte man das Gefühl: hier gibt es einen kläglichen
Rückzug. Unaufrichtig, wie er sich in seinem Vorleben gezeigt hat, ist er auch
in der Verhandlung gewesen. Er hat sich bemüht, alles zu verändern und zu
entstellen, was ihn belasten könnte. Er hat es sogar fertig gebracht, als sein
Verteidiger sagte: „Hier geht es um den Kopf des Angeklagten!“ zu lächeln. Zu
einem solchen Lächeln gehört eine unendliche Dreistigkeit, ganz gleichgültig,
ob man schuldig oder unschuldig ist. Chate…, der große Menschenkenner, sagt:
„Ich muß mirs niederschreiben, daß einer lächeln kann und wieder lächeln und
doch ein Schurke sein.“ N u r d e r
A n g e k l a g t e k o n n t
e e i n e n d e r a r t i g e n M o r d
b e g e h e n . Ich bitte den
Angeklagten im vollen Umfange der Anklage schuldig zu sprechen.
Bald nach kurzer Mittagspause nahm
Justizrat
Dr. Ablaß,
der erste Verteidiger Grupens, das Wort: Die
wahre Beredsamkeit besteht darin, nur das zu sagen, war zur Sache gehört. Hatte
der Staatsanwalt dieses Lächeln bemerkt, dann mußte er das damals zur Sprache
bringen, um dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äußern. Es gibt
dich auch ein Lächeln des Zornes, des … und der Verachtung. Ich kann als
Verteidiger nicht dulden, daß hier etwas vorgebracht wird, das nicht Gegenstand
der Verhandlung war.
Der Staatsanwalt hat ferner gesagt, daß der
Angeklagte sich die beiden besten Verteidiger Schlesiens gewählt habe, er
wollte damit den Anschein erwecken, daß der Angeklagte eine besonders gerissene
Verteidigung nötig habe. Diese Bezeichnung des Staatsanwalts muß ich für meine
Person entschieden ablehnen. Ich habe die Verteidigung übernommen, nicht um der
Gerechtigkeit in den Arm zu fallen, sondern um mitzuwirken am Finden der
Wahrheit. Ich habe niemals eine Anklagte gefunden, die sich so wenig auf
Tatsachenmaterial stützte wie in diesem Falle. Aber wir haben hier weniger zu
kämpfen gegen die Tatsachen, als g e g
e n d i e ö f f e n t l i c h e M e i n u n g . Das ist das Furchtbarste und Entsetzlichste
in dieser ganzen Sache. Man spricht hier viel von Suggestion, aber das
Furchtbarste ist die M a s s e n s u g
g e s t i o n . Wenige Tage nach dem
Morde brachte das hier gelesenste Blatt einen Artikel, der Grupen direkt als
überführten Mörder bezeichnete. Sie, meine Herren Geschworenen, sollen erst das
Urteil sprechen, aber die öffentliche Meinung hat schon ein Vorurteil
gesprochen. Es ist hier, als ob die Verteidigung gegen ein dunkles Phantom
kämpfte, als ob wir Hiebe in die Luft führten.
Wie weit dieses Vorurteil geht, haben wir
gesehen bei der Vernehmung des Untersuchungsrichters D u b i e l , der sagte, daß er den Angeklagten für
schuldig erachte, und das er von allen Seiten von Leuten umgeben war, die ihn
für schuldig hielten. Da ist seine Art der Vernehmung begreiflich, daß er jedes
Wort erwog oder daß er sich die Erklärung für die Hauptverhandlung aufsparte.
Dann kritisierte der Verteidiger die
Aeußerung des Landgerichtsrats Pietsch, daß der Angeklagte sich wie ein wildes
Raubtier auf ihn habe stürzen wollen, und das Verhalten des Rechtsanwalts R e i n e c k e , der die Vertretung von Frau Eckert und die
Abwesenheitspflege für Frau Schade übernahm, als er noch das Mandat des
Angeklagten hatte.
Der Angeklagte kämpfte einen schwere
Kampf, w e i l m a n
i h m n i c h t g l a u b t . Als die Geschworenenbank gebildet wurde, haben
wir dahin gestrebt, daß Männer aus allen Schichten des Volkes und mit scharfer
Intelligenz bestimmt wurden, in der Hoffnung, daß sie sich eifrig an der Suche
nach der Wahrheit beteiligen würden. Aber man hatte oft in der Verhandlung die
Auffassung, als ob man vielfach auf eine
A b a r t des Scharfsinns,
den S p ü r s i n n , stoße, der sich nur nach einer Richtung hin
betätigt, - im vorliegenden Falle nur in der Richtung, die Schuld des
Angeklagten zu beweisen, und alle anderen Spuren, die ihn nicht belasten,
beiseite läßt.
Befreien wir uns von der Massensuggestion,
die zu dem größten Trauerspiel der Welt geführt hat, als das Volk in Jerusalem
schrie: K r e u z i g e i h n !
Wir haben im Weltkriege die Massensuggestion der Welt gegen uns gesehen,
die hervorgerufen wurde durch die M a c
h t d e r P r e s s e . V o n
d e r P r e s s e ging solche
S u g g e s t i o n d e r ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g aus, die wir zu unserem Leidwesen an uns
erfahren haben. Jetzt soll aber hier die Stunde der nüchternen Vernunft
beginnen, jetzt soll die Schranke fallen, die sich anscheinend zwischen uns und
den Geschworenen ausgerichtet hat.
Justizrat Dr. Ablaß schildert zunächst
den K l e p p e l s d o r f e r P e r s o n e n k r e i s und kommt dabei auf F r l .
Z a h n zu sprechen. Ich kann
ihren Standpunkt in der Vormundschaftssache verstehen und zweifle nicht an
ihrer Wahrheitsliebe, denn ich werde mich später selbst auf ihre Aussagen
stützen müssen. Andererseits verstehe ich aber auch den Standpunkt des V o r m u n d e s , der seine Aufgabe als Vermögensverwalter
eines altpreußischen Offiziers zu lösen suchte und Einfachheit und Sparsamkeit
zum Ziele hatte. Seine Ansicht, daß sich jeder jetzt einschränken müsse, ist
mir besonders sympathisch. Der Vormundschaftsrichter, Amtsgerichtsrat T h o m a s , ist ein Richter von anerkannter
Pflichttreue, großem Willen und Unabhängigkeit sowie großem Takt, der sicher
nach bestem Wissen und Gewissen als der mit den Verhältnissen Vertraute sich
der Ansicht des Vormundes angeschlossen hat. Welche von den Parteien Recht
hatte, will ich nicht entscheiden, aber es ist Tatsache, daß zwischen Fräulein
Zahn und dem Vormund ein erbitterter Rechtsstreit bestand. Zwischen diesen
Parteien gab es keine Verständigung.
Auf der anderen Seite stand der P e r s o n e n k r e i s v o n
I t z e h o e u n d O t t e n b ü t t e l . Da ist zunächst die F r a u
d e s A n g e k l a g t e n
, die verwitwete Schade. Sie war nicht
die „edle Frau“, als die sie der Staatsanwalt hingestellt hat. Das Ehepaar
Neugebauer hat erklärt, daß Frau Ecker und Frau Schade versucht haben, die
kleine Ruth Reske, das Pflegekind der Frau Schade, um ihr Vermögen zu bringen,
während der Angeklagte auf jedes Erziehungsgeld verzichtet und versucht hat,
dem Kinde wenigstens einen Teil der geringen Habe zu retten. Sogar aus dem
Gefängnis hat er der Ruth noch 5000 Mk. angewiesen. Man sagt, der Ruf der Frau
Schade sei nicht gut gewesen. Ich will auf diese Gerüchte nichts geben, aber
dann, meine Herren Geschworenen, dürfen Sie auch nicht auf die Gerüchte geben,
die gegen den Angeklagten vorgebracht werden. Dann schildert der Verteidiger
den
Charakter
des Angeklagten
und schildert dessen Lebenslauf, aus dem
hervorgeht, daß er doch das sonst immer als löblich anerkannte Streben hatte,
durch eisernen Fleiß und fortgesetztes Lernen sich fortzubilden und aus den
einfachen Verhältnissen, aus denen er stammte, emporzukommen. Die Ehe mit
seiner Frau muß zunächst recht glücklich gewesen sein, später ist es dann zu
Differenzen gekommen, an denen aber der Angeklagte nicht allein Schuld trägt.
Zu den Kindern, die Frau Grupen mit in die Ehe brachte, ist der Angeklagte gut
gewesen. Macht das ein Schurke, als welchen der Staatsanwalt den Angeklagten
hinstellt, daß er jeden Abend mit den Kindern betet?
In
nichtöffentlicher Sitzung
gibt der Verteidiger das L i e b e s l e b e n d e s
A n g e k l a g t e n
rücksichtslos preis. Er schildert die verschiedenen Verhältnisse, die
der Angeklagte teilweise zu gleicher Zeit unterhielt, oder in einer Weise
löste, die sich nicht beschönigen läßt. Er leuchtet in das Eheleben des
Angeklagten hinein und führt Tatsachen an, die es ihm glaublich erscheinen
lassen, daß die Frau an der Zerrüttung des Ehelebens die Schuld trug. Aber man
könne nicht ohne weiteres die Schuld der Frau ablehnen und sie dem Angeklagten
zuschieben. Der Angeklagte habe sich gewiß bei seinen vielfachen Beziehungen
nicht einwandfrei benommen. Aber pervers sei er nicht. Im übrigen sei ein
schwerwiegender Anlaß vorhanden, an der Zuverlässigkeit des als
Sachverständiger vernommenen behandelnden Arztes zu zweifeln. Der
Sachverständige muß sich, nach Annahme der anderen Sachverständigen und des
Staatsanwalts in einem wichtigen Punkt geirrt haben. Hat er sich aber da
geirrt, so sind auch andere Irrtümer möglich. Dann ergeben sich Rätsel, und die
Geschworenen sind nicht dazu da, Rätsel zu raten. Er habe den Antrag auf mildernde
Umstände nicht gestellt, weil die Verteidigung den Angeklagten für unschuldig
halte.
Nach Wiederherstellung der Oeffentlichkeit
setzte Justizrat D r . A b l a ß
sein Plaidoyer bei Lampenlicht - die elektrische Beleuchtung versagte
plötzlich. - fort.
Der Staatsanwalt hat alles zusammengestellt,
was ihm zur Ueberführung des Angeklagten dienlich erschien, ohne dabei die
Zeitfolge innezuhalten. Ich habe mich in diesem Prozeß der Riesenaufgabe
unterzogen, alle Tatsachen zeitlich richtig zusammenzustellen. Und als ich das
getan hatte, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, und das, was von der
Staatsanwaltschaft als schwerstes Belastungsmoment angeführt wird, erscheint
als völlig untergeordneter Vorgang.
Grupens Bereitwilligkeit, dem Frl. Zahn
Zuschüsse für Dörte zu zahlen, ist nur eine gewisse Wichtigtuerei. Wenn Frau
Eckert ihrem Schwiegersohn Hypotheken abgetreten hat, ohne Gegenwert zu
erhalten, so ist dies auf dem Lande ein nicht seltener Vorgang in allen den
Fällen, wo alte Eltern von ihren Kindern mit Unterhalt und Wohnung bis zum
Lebensende versorgt werden. Die Idee, daß Frau Grupen ein willenloses Werkzeug
in der Hand des Angeklagten gewesen sei, ist eine Hypothese, die Geschworenen
dürfen aber auf Hypothesen ihr Urteil nicht stützen. Die Staatsanwaltschaft hat
es mit Recht unterlassen, gegen Grupen Anklage wegen des V e r s c h w i n d e n s s e i n e r
F r a u zu erheben, denn sie
sagft sich, wenn die Frau morgen auftaucht, bricht die Anklage in sich zusammen.
Die Staatsanwaltschaft erkennt an, daß sie in diesem Punkte einen Beweis nicht
führen kann, aber sie sagt sich, wenn wir Grupen die Schuld an dem Verschwinden
seiner Frau auch nicht beweisen können, so wird er doch stark verdächtig
erscheinen, und gelingt es uns, ihn stark verdächtig erscheinen zu lassen, so
muß dies psychologisch wirken. Das ist aber etwas, wogegen ich kämpfe. Die
Staatsanwaltschaft sagt, die Geschworenen brauchten sich mit Beweisen in der
Angelegenheit der Frau Grupen nicht zu befassen. Aber ich frage, wenn man zu
der Ueberzeugung kommt, daß der G r o ß m u t t i - B r i e f unter dem Einfluß des Angeklagten
geschrieben ist, so können die Geschworenen auch annehmen, daß Frau Grupen ihre
Abschiedsbriefe unter dem Einfluß ihres Mannes geschrieben hat. Der in der
Toilette gefundene zerknüllte E n t w u
r f d e s A b s c h i e d s b r i e f e s der Frau Grupen soll vom Angeklagten dorthin
gelegt worden sein. Der Entwurf wurde gefunden, noch ehe die Frau fort war. Zu
glauben, daß der Angeklagte das Papier wirklich dorthin gelegt hat, ist sinnlos;
denn zweifellos hätte er es erst nach der Abreise seiner Frau fortgeworfen,
weil durch das vorzeitige Auffinden des Zettels der Plan des Angeklagten
vereitelt worden wäre. Es ist lediglich ein Zufall, daß trotz des baldigen
Auffinden des Abschiedsbriefes die Auslandsreise der Frau Grupen nicht
verhindert worden ist.
Alle acht Abschiedsbriefe der Frau Grupen
sind streng individuell geschrieben, nicht einer gleicht dem anderen. Die
Staatsanwaltschaft beruft sich für die Richtigkeit der Behauptung, daß die
Briefe unter Grupens Einfluß zustande gekommen seien, aus das Gutachten der
Sachverständigen. Ich habe vor den Sachverständigen den größten Respekt, aber
die Wissenschaft, auf die sie ihre Gutachten stützen, ist wandelbar. Wie sieht
es mit dem Gutachten der Sachverständigen für Suggestion aus, wenn der
Angeklagte mit seiner Frau über das Verschwinden einig gewesen ist, wenn die
Frau in Erkenntnis ihrer Schuld, in dem Vorsatz, ein neues Leben zu beginnen,
mit dem Einverständnis des Mannes wirklich nach Amerika ausgewandert ist? Wo
bleiben die Gutachten, wenn das, was sich an jenem Sonntag nachmittag in
Itzehoe ereignete, der adäquate Entschluß eines freien Willens gewesen ist?
Gegen den Angeklagten muß auch Dörtes Karte aus Berlin herhalten, die Fräulein Zahn
bittet, bald nachzukommen, „sonst hänge ich mich“. Dörte ist damals in
vergnügtester Stimmung gewesen; sie hat mit ihrer Freundin in Berlin Dressel
und Kranzler besucht, sie hatte nicht die geringste Spur von verzweifelter
Stimmung an den Tag gelegt. Warum hat sich der Angeklagte überhaupt in die
Kleppelsdorfer Angelegenheit eingemischt? Ist es nicht möglich, daß er sich angesichts
der Zwistigkeiten mit dem Vormund, angesichts der schlechten Wirtschaft auf dem
Gute und der Geldknappheit der Erzieherin sagte, den mißlichen Verhältnissen
macht am besten der Verkauf des Gutes ein Ende. Der Angeklagte war stark in
Grundstücksgeschäften, und er hatte einen ungeheuer reichen Mann, den Maas,
hinter sich. Er konnte also den Verkauf bewerkstelligen, ohne selber das Gut zu
kaufen.
D r .
A b l a ß geht nun ausführlich
auf die
Ereignisse
des 14. Februar
ein. Den Großmutti-Brief, der auch eine
Grundlage der Anklage bildet, würde der Angeklagte nicht aus der Hand gegeben
haben, er würde ihn behalten haben, um ihn im gegebenen Augenblick in die
Tasche der Ursula zu praktizieren. Wir haben aber gehört, daß Ursula den Brief
wiederholt der Mohr gegeben und wiederholt zurückverlangt hat. Unwahr ist die
Behauptung, Ursula habe der Mohr den Brief gegeben mit den Worten: „Das ist
eine f r e u d i g e Ueberraschung für Großmutter!“ Es ist
erwiesen, daß Ursula nur gesagt hat: „Das ist eine U e b e r r a s c h u n g ! „ Das „freudige“ ist eine Einschaltung der
Anklage. Die Sachverständigen meinen, dieser Brief würde anders aussehen, wenn
Ursula ihn als Selbstmörderin geschrieben hätte. Ich aber bin der Ansicht; ein
Kind ist nicht fähig, wie ein Erwachsener seine Stimmung zu Papier zu bringen.
Der Verteidiger wendet sich mit ganz besonderer
Entschiedenheit gegen die Behauptung der Staatsanwaltschaft, daß Grupen zurzeit
der Tat d a s Z i m m e r
v e r l a s s e n habe. Die
Zeugnisse der kleinen Irma und der Frau Eckert erkennt der Verteidiger nicht
an. Ihm kommt dabei der Gedanke, daß bei Irma eine Erinnerungstäuschung
vorliegt infolge der suggestiven Experimente des Direktor Wrobel.
Aus den Einzelheiten beim Auffinden der
Leichen wird zu Ungunsten des Angeklagten angeführt, er habe sich erst nach
dreimaliger Aufforderung von Fräulein Zahn dazu verstanden, die tote Dörte aufs
Bett zu legen. Eine Augen- und Ohrenzeugin hat nur e i n e
Aufforderung gehört, ganz abgesehen davon, daß feststeht, daß der
Angeklagte sich um die mit dem Tode ringende Ursula, sein Kind, bemüht hat.
Bezüglich der P a t r o n e n h ü l s e n gehört ein starker Glaube dazu, den
Sachverständigen zu folgen in dem Urteil, daß die Hülsen nicht verschleppt
worden sind. Die Hülsen sind unmöglich an der Stelle gefunden worden, wo sie
hingefallen waren, denn die Hausbewohner und dann verschiedene andere Personen
haben das kleine Zimmer betreten, ohne an die Hülsen zu denken.
Der Verteidiger tritt hierauf den
Ausführungen des Staatsanwalts entgegen, daß der Täter aus Habsucht gehandelt
habe. Grupen hätte nie der Erbe von Kleppelsdorf werden können, was er
tatsächlich nicht geworden ist, obschon Dörte Rohrbeck nicht mehr lebt. Auch
als Erbe der Frau Eckert wäre er niemals in Betracht gekommen.
Niemand wird glauben, daß es möglich ist, das
Verbrechen in 59 Sekunden auszuführen. Gerade der Angeklagte hätte sich
zweifellos gesagt: in einem Hause, wo ich bekannt bin, in einem Hause, wo ich
jeden Augenblick jemand begegnen kann, wäre es hirnverbrannt, am hellen Tage
eine solche Tat zu vollführen.
D r . A b l a ß schließt seine fünfeinhalbstündigen Ausführungen wie folgt: Glauben Sie mir, meine Herren Geschworenen, daß es mir nicht leicht fällt, eine S e l b s t m o r d d e r k l e i n e n U r s u l a n i c h t v o n d e r H a n d z u w e i s e n . Für mich gibt es nur die Erklärung: das unglückliche Kind hat im Augenblick tiefster seelischer Depression - nicht im Irrsinn - den Entschluß gefaßt, aus dem Leben zu scheiden. Es war wohl nach den Umständen eine anormale Tat, die aber aus den anormalen Verhältnissen erklärt werden kann. Mir jedenfalls f e h l e n d i e U n t e r l a g e n d a f ü r , d a ß d e r A n g e k l a g t e d i e T a t g e t a n h a b e n m u ß . Wenn ich Ihnen, meine Herren Geschworenen, das Votum empfehle, die Schuldfrage wegen Mordes zu v e r n e i n e n , so seien Sie dessen sicher, daß ich es nicht tue, um einen Triumph vor der Oeffentlichkeit zu erringen. Ich verachte die Oeffentlichkeit - das wissen Sie aus meiner Wirksamkeit. Ich habe hier ausgehalten wie ein Soldat auf treuer Wacht. Mag Ihr Urteil ausfallen, wie es wolle: ich verlasse diesen Saal hocherhobenen Hauptes. Ich weiß, daß mein Gewissen rein ist, daß ich nichts getan habe, dessen ich mich zu schämen brauche. Darum sehe ich Ihrem Urteil mit der Ruhe des gefestigten Mannes entgegen, der ruhig seinen Schlaf aufsuchen kann, denn er hat sich nichts vorzuwerfen. Im Schoße der Gerechtigkeit liegt das Schwert, in der Hand hält sie die Wage. Ich vertraue, daß die schwarzen Kugeln der Belastung im Sinne der Anklage die eine Wagschale emporschnellen lassen werden, daß aber die Schale mit den weißen Kugeln der Entlastung sich zugunsten des Angeklagten senken wird. Wenn aber beide Schalen gleichstehen sollten, dann haben Sie kein Recht, einen Schuldspruch zu fällen, noch weniger haben Sie das Recht, das Zünglein an der Wage zu dirigieren. Befreien Sie sich von allem, was in den letzten zwei Wochen von außen auf Sie eingestürmt ist. Lassen Sie nur Ihr Gewissen Ihren Richter sein, dann habe ich die Ueberzeugung: Sie haben keinen Fehlspruch getan, wenn Ihr Urteil lautet: